(Straßen)Klima oder das bedrängte Pedal
Einem Pedal wohnt ein Leben und Denken inne. Ein Pedal ist aus dem Leben, ein Pedaltritt für das Leben. Es ist mehr als nur ein Beitrag zur eigenen Fitness und zur Nachhaltigkeit, den klimatischen Verwerfungen des Erdenballs etwas entgegenzusetzen. Die Klimadebatte scheint ein Modethema zu werden – das ist schon die Gefahr in sich selbst. Nicht nur eine Klimafrage deswegen: Wieviel Verkehrsraum darf/muss ein Fahrrad zugeteilt bekommen?
Modethema zu werden – das ist schon die Gefahr in sich selbst. Denn Klima ist immer – und keine Mode. Die kritische beschleunigte Gletscherschmelze kennen wir seit 100 Jahren, auch die verschärfte Situation der letzten Jahrzehnte. Es ist alles bekannt, aber nicht im Gedächtnis. Oder es fällt immer wieder raus.
Auch ist schon wieder bei den Ausflüchten, die sich in die Klimadebatte um das Auto weiterhin einschleichen, aus dem Gedächtnis gefallen, dass es mehr als eine Abgasseuche aus dem Auspuff der Verbrennungsmotoren gibt – z. B. die Nahbelastungen durch Feinstaub und NOx-Gase. Noch weniger wird darüber diskutiert, dass Sicherheitsanforderungen und immer breiter werdende Autos zwanghaft zu breiteren Straßen führen, dass die Straßenränder mehr und mehr von Bäumen kahlgeschlagen werden. Die damit verbundene Flächenversieglung ist ebenso ein extremer Kumulationseffekt für klimatische Veränderungen (Trockenheit) wie der Wegfall von Vegetation, die das Kohlendioxid bindet. Das sind recht einfache Erkenntnisse über die Photosynthese im Biolgieunterricht.
Es ist leicht, Bekenntnisse zu formulieren. Doch schwerer wiegt, auch den Wigwam-Konsum des doch so scheinbar intelligenten homo sapiens tatsächlich zu hinterfragen und konsistent Alternativen zu leben. Die Velokultur ist nicht per se eine moralische bessere Welt, ein abonniertes Gutmenschentum. Das ist ein heute immer leicht erhobener Vorwurf, um eigene Ignoranz zu verdecken und sich über den Radler lächerlich zu machen.
Velofahren – manchmal belächelt, manchmal verhöhnt
Pedalgeist aber will davon erzählen, welche Kraft einem velophilen Geist innewohnt. Eine Kraft, die auf eine 200-jährige Geschichte Fahrgerätsgeschichte zurückblickt. Eine Kraft, die zugleich von gesellschaftlichen Gruppen immer wieder kollektiv unterlaufen wird. Der Versuch überwiegt, Gerät und Pedaleur an den Rand zu drängen. Noch heute finden sich Vorurteile, der Radler entstamme einer niederen sozialen Stellung. Manche Berufssparte macht Privatkarossen oder repräsentative Firmenwagen zur Pflicht, wenn nicht offiziell, so doch unter vorgehaltener Hand. Noch heute wird in vielen Familien das Fahrrad als Kinderspielzeug und Übergangsfahrzeug für die Kids angesehen, um die Zeit bis zur Führerscheinreife der Zöglinge zu überbrücken.
Der Blick in die Sozialgeschichte des Fahrrads zeigt, dass ihm eine Spur zum Teufel nachgesagt wird, der Radler ein Rebell sei, ein Schmutzfink oder gar ein obszönes Wesen. So war es selbst im 19. Jahrhundert und bis weit ins 20. Jahrhundert möglich, radelnde Frauen mit mittelalterlichen Hexenattributen zu diffamieren. Noch heute finden sich solche Ansichten in archaischen Gesellschaften. Doch sei gewarnt auf andere Kulturen mit dem Finger zu zeigen, es liegen manchmal nur wenige fingerbreit zwischen dem Abgrund, in dem der eigene Fingerzeig steckt.
Mehr noch hat sich selbst in unseren „modernen“ Gesellschaften eine Mentalität in den beiden letzten Jahrzehnten entwickelt, dass ein Fortbewegen unter freiem Himmel nicht mehr zumutbar sei. Die Bequemlichkeit von Autokarossen hat zugenommen, der Ausstieg aus dem Hamsterrad der Motorwelten scheint noch aussichtsloser. Kinder werden noch mehr mit Auto der Eltern zur Schule gefahren als es früher von den Kids überhaupt gewünscht war. Ganz aktuell bekommt ein Autofahrer immer noch dafür Applaus, wenn er beklagt, dass man beim Bahnfahren mal auf einem windigen Bahnsteig stehen könnte und ergo alternative Verkehrsmittel unzumutbar seien – vom Fahrrad natürlich ganz zu schweigen.
Wem gehört das Land? – Flächenversiegelung der Autobahn in Stuttgart / Leinfelden
Radkultur im Spiegel von Politik und Kunst
Die Zusammenhänge von gesundem Leben, gesundem Geist und gesunder Umwelt werden nicht nur verdrängt, sondern mitunter verhöhnt. Politische Gruppen haben sich diesem Populismus angenommen und konstruieren irrige Alternativ-Zusammenhänge. Der ehemalige polnische Außenminister Witold Waszczykowski rückte Radfahren in die Nähe von Krankheiten, die es zu heilen gelte und warnte vor „einem neuen Mix von Kulturen und Rassen, eine Welt aus Radfahrern und Vegetariern, die nur noch auf erneuerbare Energien setzen und gegen jede Form der Religion kämpfen“. Applaus bekam er auch aus der deutschen rechten Ecke.
Dass Motorenraserei Mord sein kann, haben erst jüngst wenige Gerichtsurteile nahe gelegt. Die Ansicht ist immer noch nicht gesellschaftsfähig. In Deutschland dauert der Kampf um ein generelles Tempolimit auf Autobahnen schon eine Ewigkeit, obwohl es kaum ein weiteres Land gibt, das solche „Freiheit“ gewährt. Freiheit, die den Mitmenschen Geschwindigkeiten, Stress und Lebensgefahr aufdrängt und eine hohe Zahl von Toten und Verletzten hervorruft. Was ist mir der Freiheit der Mitmenschen? Es ist geradezu grotesk, dass nun erst mit der Klimadebatte das Anliegen ernsthaft auf dem politische Tisch verhandelt werden soll.
Ebenso müsste bekannt sein, dass Abgase gesundheitlich schädigen, die es zu ahnden gilt. Es dauerte auch lange, bis das Rauchen unter Nichtrauchern sanktioniert wurde. Lange mussten Nichtraucher es über sich ergehen lassen, für ihre Angst um ihre Gesundheit belächelt zu werden. Heute hat sich das zumindest in vielen Gesellschaften deutlich gewandelt. Der Vergleich zu den Autoabgasen ist nicht nur wegen ähnlicher Wirkungen im Nahbereich ebenso naheliegend wie konsequent. Der Widerspruch ist nur mit dem Denken einer archaichen Gesellschaft zu erklären, die sich in Modernismen von technischem Spielzeug verliert.
Pedalgeist möchte altes Denken in Frage stellen. Altes Denken, dass nur in neue Schläuche abgefüllt wird. Es scheint banal, aber dort reibt sich Pedalgeist die Augen: Selbst gesunde, junge Menschen sitzen heute auf Pedalgeräten, die von einem E-Motor angetrieben werden. Das ist der Schlüssel zur nächsten Perversion. Der Verrat am echten Pedalgeist. Nein, E-Biken macht oft Sinn, aber jeder Trend lässt die sinnvollen Einsätze in den Hintergrund fallen. Und nein, wenn sich jetzt E-Bike-Hasser auf die Schenkel klopfen: Das Auto ist nicht die bessere Wahl als ein E-Bike und auch keine Ausflucht dafür, abgasverblendet zu bleiben. „Elektrische Fahrräder – E-Bikes – … sind keine Alternative zu Fahrrädern sondern zu Autos“, formuliert der Aktionskünstler Rainer Ganahl treffend.
Ganahl verfasste ein Fahrrad-Manifest, in dem er ein Gleichverteilung der Verkehrsfläche für Fahrrad und Auto fordert – 50 % zu 50 %. Das Küsntlerprojekt stellte er u. a. in einer Ausstellung in Neuhausen auf den Fildern im Jahre 2012 vor. Schon der Kampf um wenige Meter autofreie Zone „Bikeway Neuhausen“ in der Gemeinde Neuhausen gestaltete sich mühsam. Heute gibt es die zu belächelnde Passage immer noch, jedoch ohne das an die Aktion erinnert wird. Was mehr beunruhigt: Es sind schon wieder sieben Jahre her, als der Aktionskünstler damit Umdenken bewegen wollte. Heute reden wir wieder über Umdenken – wir „reden“. Oder handelst du bereits im Sinne von Pedalgeist?