ALP-2024-TiSA-23
Seestimmungen, Moorlandschaften und Rennstreckenfinale – tirolerisch-bairische Träumereien mit Just-in-time-Zieleinlauf
Das Finale sollte nochmal etwas Muße mitbringen, vielleicht ein Träumertag am See im Spätsommer. Das ging nur bedingt auf, der Sommer meldete sich recht bald ab. Dass ich den Kreis nach Memmingen vollkommen geschlossen habe, war bis zum Schluss ein Zufallsergebnis. Im Nachhinein verkauft es sich natürlich besser, dass das schon immer so zielgenau geplant war – „eine kleine Alpenrunde um Memmingen“. Allein der Sommereinbruch am letzten Tag drängte mich zu der eher abgebrochenen und veränderten Etappe. Im Unterschied zur Eröffnung pedalierte ich hier noch ein größeres Stück Bayern mit letzten Stimmungshöhepunkten etwa an Walchensee und Staffelsee. Auch eine Begegnung mit einem velophilen Fanatiker des Radhandwerks sorgte für einen freundschaftlichen menschlichen Abschluss, was ich so in Deutschland eher selten erlebt habe.
[Do 5.9.] Silz (Pirchet-Wald) – Stams – Rietz – Pfaffenhofen – Telfs – Bairbach – Buchener Sattel/Höhe (1256)/Anfang Piste – Rauthgatter (1358 m) – Wildmoossee – Wildmoosalm – via Fludertal – Ende Piste/via Bodenstraße – L75/B177 – Scharnitz – Mittenwald – Krün – Wallgau – Einsiedl/Walchensee
70 km | 955 Hm
Ist die Strecke bis Silz landschaftlich eher ereignisarm, so gesellen sich nun nette Dorfdurchfahrten dazu, wobei ich wohl nur selten den Radweg nutze. Zur Nordseite hebt sich das Mieminger Gebirge empor und erstrahlendt hell wie majestätisch über dem Inntal. Stams verfügt über ein mächtiges, elegantes Kloster, dass gerade einen ganzen Bus von amerikanischen Touristen anzog. Mit Telfs erreichte ich den letzten größeren Tiroler Ort der Reise. Traditionelle Architektur mischt sich hier mit modernen Kunstprojekten.
Die Anfahrt zu Buchener Höhe war doch verkehrsreicher als erwartet, nicht alle fahren über den östlicher gelegenen Zirler Berg dahin. Ab Bairbach splittet sich der Verkehr nach Mösern/Seefeld einerseits und Leutasch andererseits. Eine Radreisefamilie aus Erlangen, mit Hänger und Follower im Schlepptau erreichte kurz nach mir die Buchener Höhe – und heute schon einer Wundermeldung gleich, geht das mit dem rechten Willen auch immer noch ohne Motor.
Ich hatte mir nun eine Pistenroute über Almen auf dem Seefelder Plateau ausgedacht und hoffte gute Bedingungen vorzufinden. So war auch nur ein kurzer Abschnitt geröllig und steil, sonst ließ sich gut zum Wildmoossee fahren. Nur das trübe Wetter machte weniger Lust, die Sonnenliegen konnten ihren Auftrag nicht erfüllen. Der erste Teil machte sich wundervoll durch Mooswald, führte an einem Ferienheim mit schottischen Hochlandrindern vorbei. Nach kurzer Zeit ist ein Hochpunkt erreicht und etwas steiniger ist dann die Abfahrt bis zur Straße im Fludertal. Kurz vor Scharnitz mündet man dabei auf die Seefeld-Straße Richtung Mittenwald.
Da ich schon viele Male Mittenwald mit seinen malerischen Hausfassaden bewundert hatte, trieb es mich eher schneller weiter, die Abende waren ja auch schon recht kurz geworden. Der Radweg Richtung Wallgau enthält so einige tückische wie unübersichtliche Richtungswechsel, manchmal musste ich mich über die Trassenführung ärgern. Die Straße bleibt in Wurfweite, so recht romantisch ist es also nicht. Dann war es nur noch stockdunkel, sofern keine Ortsbeleuchtung auftauchte. Ein kleiner Anstieg, dann schon kühle Abfahrt zum Walchensee. An einer versteckten Minibucht lausche ich dem Seeplätschern, Ruhe der Nacht, ein Picknick mit bayerischem Bier hatte ich passend inder Tasche.
[Fr 6.9.] Einsiedl/Walchensee – Walchensee (Ort) – Urfeld – Sachenbach – Walchensee-Badebucht (via Piste/Trail) – Sachenbach – Urfeld – Kesselberg (858 m) – Kochel am See – Schlehdorf – Großweil – via Radweg – Murnau am Staffelsee – Seehausen s. S. – via Wiesentrail – Rieden – Uffing a. S. – Schöffau
59 km | 540 Hm
Ich hatte auf einen Döseltag bei schönem Spätsommer spekuliert, doch war es nun am Morgen so trist, tief hingen noch Wolken über den Bergen. Ich trödelte trotzdem, trank einen Vormittagskaffee am Sachenbacher Seekiosk. Dann machte der Himmel doch noch ein Sonnenfenster auf und weilte so ein bisschen an einer schönen Seebucht.
So war der Tag bald fortgeschritten, als ich über den Kesselberg zum Malerort Kochel herunterfuhr. Eigentlich hatte ich daran gedacht, mal in Kochel das Franz-Marc-Museum zu besuchen. Doch irgendwie passte es nie so recht, auch diesmal nicht.
Man quert nun im Hinterland von Kochelsee Moor- und Sumpfgebiete, später normales Waldland und Radweg an der Straße. Murnau kannte ich nur als Pizzeria, die mich mal vor einem Gewitter rettete und danach die Bahn mich fortbrachte. Nun war milde Abendsonne, bayerische Gemütlichkeit in der Stadt – nur wo ist der Staffelsee? – So recht gibt es gar keine Beschilderung dahin und auch das Durchfragen fällt schwer. Dann geht es doch noch ohne Smartphone und GoogleMaps, traumhafte Abendstimmung in Seehausen. Ich hatte ja nur wenige tolle Sonnenuntergänge auf der Reise.
Die Möglichkeiten zur wilden Nachtrast schränkten sich nun ein, eingezäunte Weiden, überall ein Haus, unzugängliche Straßenränder. Ich musste es irgendwie in einem Ort versuchen, vielleicht bei der Feuerwehr mit Spielplatz.
[Sa 7.9.] Schöffau – via Radweg (teils Waldpiste) – Grasleiten – Obermaxlried – (Oberhausen) – Peißenberg – Kapelle Sankt Georg – Hölzl – Hoher Peißenberg „Bayerischer Rigi“ (986 m) – Hohenpeißenberg (Ort) – Peiting – Schongau – via Römerweg (VCA, teils Waldpiste) – Burggen – Haslacher See – Bernbeuren – Auerberg (1045 m) – Günther – Prachtsried – Unterbuchen
68 km | 1095 Hm
Noch zwei Berge Oberbayerns wollte ich erobern, die sonst schlecht in meine Routen passten, da sie schon recht fern des Alpenrandes liegen. Die Genusstour beginnt in romantischer Morgenstimmung mit Tautropfen durch Moorlandschaften. Erneut war ich ohne Karte unterwegs, weil ich mich außerhalb meiner ursprünglich geplanten Region bewegte. Landkarten zu erhalten war hier aber ähnlich schwierig wie im Trentino und der Lombardei, schon wegen Samstag schlossen ab Mittag die Buchläden, und die besuchten Tankstellen verfügten nicht über Reisesortimente. Also musste ich mich wieder mit Smartphone-Klicks durchmogeln, soweit ich nicht ohnehin den Weg wusste.
So schwer war die Wegfindung in der Tat nicht. Trotz dem etwas unübersichtlichen Peißenberg ergibt sich die Strecke zum Hohenpeißenberg fast automatisch. Nicht zuletzt wegen des sonnigen Ausflugssonntags war mächtig Betrieb auf dem Berg, kultig beliebt bei Radlern der Region, so ich teils einen Rennradler als Begleiter für den oberen Streckenabschnitt fand. Die Route führt zunächst mit höheren Steigungswerten durch Wald, und etwas moderater dann durch offenes Bergwiesenland. Zwar sieht man schon fern den Sendemast, die eigentliche Gipfelkuppe – vor Ort meist nur als „Bayerischer Rigi“ bezeichnet – liegt aber fern davon und ist von einer Wallfahrtskirche gekrönt, Gasthof und weitere Sendemasten anbei.
So ganz klar wusste ich um die folgende Route nicht, ich wollte nur irgendwie über den Haslacher See zum Auerberg gelangen, der für einige römische Funde bekannt ist, von denen ich aber nichts sehen konnte. Es ergab sich der Weg über Schongau, ausgangs die VCA als Römerweg bezeichnet, von der Straße wegführend und später durch Mooswald gelegt. Die Piste war teils ungemütlich rau, sodass ich mich zurück zur Straße hin sehnte.
Am Haslacher See war es schon mehr Mittagslunch zum Abendsonnenbad, hatte ich doch die Rast immer wieder aufgeschoben. In Bernbeuren stieß auf eine größere Menschenansammlung und einige Oldtimer. Das Auerberg-Klassik kennen die motorisierten Zeitgenossen als Austragungsort für legendäre Auto- und Motorradrennen, seit jünger Zeit als abgespeckte Version mit nur noch historischen Motorrädern und nur noch im 2-Jahresrhythmus. Viel Show gibt es rundum aber immer noch mit Oldtimerautos oder Rennwagenexponaten. Wie konnte ich als Radler es schaffen, genau an diesem Wochenende dort vorbeizukommen?
Nun, ich hatte etwas Glück, die Strecke war freigegeben am Abend und bis zum nächsten Morgen. Da wollte ich keine großen Risiken eingehen und verwarf meine Idee, auf dem Auerberg zu übernachten. Ohnehin war dort oben beim Gasthof ein größerer Auflauf – außer Autos auch noch eine Messe in der Kirche – vielleicht mussten die Rennfahrer gesegnet werden. Ich las auch von einem Hinweis als Radfahrerpilgerkirche, konnte aber das warum nicht lösen, der Dekan war zu beschäftigt mit Terminwünschen der Messebesucher. Offenbar heißt es nur deswegen Radpilgerkirche, weil sie am Jakobsweg liegt. Im Dunkeln tastete ich mich noch bis zu einem Hofweiler, bevor die Straße endgültig ins Tal abfällt. Eine Bank mit Aussicht versprach es für den Morgen zu werden.
[So 8.9.] Unterbuchen – Stötten – Marktoberdorf – Unterthingau – Wipoldsried – Börwang – Hallwangen – Dietmannsried – Reicholzried – Bad Grönenbach – Woringen – Memmingen || per Bahn || Stuttgart
74 km | 560 Hm
So ich auf der Bank zum Frühstück saß, näherte sich ein Bewohner der Häuser des Weilers. Er stellte sich als Christian und Radmechaniker vor, gleichwohl bekannt mit Touren auf Pässe und Berge. Spontan zum Kaffee eingeladen, dreht sich in Christians Wohnung alles ums Rad, in seiner Kreativwerkstatt baut er Möbel und Wohnaccessoires aus Fahrradteilen zusammen, bis ins Detail Fahrrad durch und durch und bis zur Toilettenrolle, stets sauber und fachgerecht mechanisch gearbeitet. Chapeau!
Noch gab es Sonne im ersten Tagesabschnitt, wie die Strecke flachten die hellen Wolkenlücken aber ab. Auch wenn es jenseits von Marktoberdorf nochmal hügeliger wurde, änderte das wenig am Wolkenbild, eher drohte bald Regen. Meinen Plan über höhere Allgäuberge westlich von Kempten kippte ich schließlich ganz. Ich musste mich beeilen, wollte ich wenigstens noch Memmingen erreichen, ohne dass mich schweres Wetter einholen würde. Wie ein Omen war auch das geliebte Eiscafé Alpenblick in Herbisried trotz Sonntag ganz geschlossen – schlechtes Wetter, kein Eis – nicht mal zum Tourabschluss. In Memmingen passte dann das Timing für sofortige Bahnrückfahrt – also auch kein Biergartenabschied Bavaria.
Ich weiß nicht, ob ihr Leserinnen und Leser nun auf ein Fazit wartet – ich habe keines. Von den so vielen unterschiedlichen Erlebnissen wie Landschaftshöhepunkte möchte ich nichts missen, nicht mal die ungünstigen, schwierigen und hässlichen. Es ist immer ein Sammelsurium von Erfahrungen, die mich so viel reicher zurückkehren lässt, als dass ich es in selber Zeitspanne nur zuhause erleben könnte. Ich danke allen, die mir euphorische Grüße entgegen winkten, die mich zu netten Gesprächen, zum Kaffee oder auch mehr eingeladen haben und mir manchen tiefen Schatten von meiner Seele vertrieben haben.
Tusch! – Ende!