Blick auf Oltre il Colle, mit Bergen
Alpen,  Lombardei,  Touren

ALP-2024-TiSA-19
Göttliche Radsportehre, mondäne Thermenorte, irisierende Uferlichter – die Bergamasker Alpen mit Iseo- & Comer See

Flusswechsel heißt hier nun auch Gebirgswechsel bzw. neue Alpengruppe. Die Bergamasker Alpen (Alpi Orobie) bilden die westlichste Gruppe der Südalpen bzw. der Ostalpen im Süden. Der Bergblock lässt sich fast nur auf verwinkelten Ost-West-Routen queren, nur eine Nord-Süd-Achse gewährt eine Straßendurchfahrt – der Passo San Marco, den ich bereits 2007 beradelte und hier nicht auf der Agenda stand. Die Möglichkeiten sind eher auf die niedrigeren südlichen Ausläufer begrenzt, sodass keine Hochgebirgspässe anstehen, aber durchaus auch ein paar knackige Anstiege. Die Provinz Bergamo ist ferner als eine der bedeutendsten Radsportregionen Italiens bekannt, was sich symbolisch auch an einer Kapelle mit Museum für Radsportfreunde widerspiegelt. Zwischen den oft hügeligen Kuppenbergen verstecken sich morbid charmante Ortsperlen, zahlreiche Thermen und Mineralquellen, aber auch recht stark besiedelte Täler oder Berghänge am Puls der modernen Zeit. Eingeschlossen werden diese so vielfältigen Radreviere von den zwei wunderschönen Seeufern des Lago d’Iseo im Osten und dem Lago di Como im Westen mit spektakulären Auf- oder Abfahrten und Riviera-Feeling.

Bereits in der Randlage liegen die ersten Heilquellen der Region. Darfo Boario Terme liegt noch ganz im flachen und betriebigen Valcamonica, Angolo Terme hingegen schon versteckt in einem engen Seitental. Die Fahrt über den Lago Moro in die Höhe hatte ich verpasst, dabei aber eine erfrischende und historische Brunnenanlage entdeckt. Soweit gelangte ich in der Höhe nur zu einem Aussichtspunkt über dem See. Vom Hochpunkt der Strecke in Monti gewinnt man noch weitere Ausblicke nach Norden ins Valcamonica ebenso wie nach Süden zu dem von Bergen umschlossenen Lago d’Iseo.

Den See erreichte ich dann in den Abendstunden, gerade die Hochzeit bummelnder Besucher und lebensfroher Bewohner, kaum weniger bevölkert als die Hauptorte am Gardasee. Unzählige Restaurants und Bars buhlen um die flanierenden Gäste. Auf die Fassaden waren überlebensgroß Porträts und Figuren vermutlich aus Film und Kunst per Lichtinstallation im Popart-Stil projiziert. Feierlaunige, internationale Jugend zog es mehr auf ein Freizeitgelände mit Disco und Nightlife am Touristenhafen zwischen Lovere und Castro.

Überraschend schnell ebbte der Trubel bereits innerhalb Castros ab. Nur noch wenige Lokale standen zur Wahl, überall freie Tischplätze. Ich leistete mir noch ein warmes Panini mit Bier in der lauen Sommernacht. Bei einem Kajaksportclub fand ich eine gute Rastmöglichkeit. Schon fast Mitternacht, näherten sich über dem See stoßweise schwebende Lichter, einzelne Stimmen, Lachen. Bald sah ich, dass es sich um eine weit zerstreute Kajakgruppe handelte. Ein so lautloses Gleiten über leicht kräuselnden See im Mondschein, jeder Laut vom Klacken der Paddel verrät die Position, jedes Wort die Luft durchbricht, weithin an die Ufer getragen – ein Lauschen in die Stille, das ist, was es ist, was mich in die Träume entführte.

[Sa 17.8.] Gré/Sportaction Kajakgelände – Baia del Bogn – Riva di Solto – Portirone – Tavernola Bergamasca – Vigolo – via Strada Verde – Sella Vigolo? (1150 m) – Colli Galena (1162 m) – Cucche (1189 m) – Colle di Caf (1242/1246 m) – Valico di San Fermo (1067 m) – Sant’Antonio – Grone – Vigano San Martino – Casazza – Monasterolo del Castello

51 km | 1140 Hm

Über dem Morgen lohnt kaum Worte zu verlieren, Bilder sind es, die sprechen. Immer wieder wandeln Uferansichten und Lichtmomente für Seele und Geist, die Haut gestreichelt von der leichten Brise und dem Fahrtwind. Die kleinen Postkartenorte passen fast wie im Modellbau gestaltet in die Kulisse, und doch von wahrhaftiger Schönheit

Die Westuferstraße verfügt zwar über keinen Radweg wie das Ostufer seit jüngerer Zeit, war aber trotz Wochenende in der Feriensaison nur sehr gering von Autos befahren und folglich beliebt bei Rennradlern. Ob der wenigen Einkaufsläden war ich froh in Tavernola einen kleinen Marktstand vorzufinden, wenn auch nur Obst und Gemüse.

Ich ahnte natürlich, dass ich mit einer Badepause am Vormittag mir den großen Anstieg noch mehr in die Mittagshitze legen würde. Eine große Wahl hatte ich aber eh nicht, denn der Anstieg dauert schon seine Zeit. Am Colle di Caf war ich erst gegen Frühabend. Der Anstieg lebt lange Zeit von immer wieder grandiosen Ausblicken auf den Iseo-See mit der Insel (die übrigens per Schiff von Tavernola aus angefahren wird, aber ohne Velomitnahme!).

Oberhalb von Vigolo ist die Strecke auch unter dem Namen Strada Verde ausgewiesen, wenngleich nicht klar ist, welcher Teil als Strada Verde gilt. Eine gängige Interpretation beschreibt eine Velorunde ab Seehöhe zwischen Tavernola Bergamasca und Sarnico über den Colle de Caf, möglicherweise ist aber nur der obere Teil auf Lokalstraßen gemeint, eine durchgehende Ausschilderung gibt es nicht. Die Bezeichnung „grün“ trifft eher nur für den oberen Teil zu, während die unteren Anfahrten mediterrane Panoramastraßen sind mit Dörfern, Gärten, Olivenhainen oder Obstanbau. Eine Spitzkehre beim letzten Bergweiler leitet eine heftige Rampe ein, die teils merklich 15 % oder mehr erreicht. Im oberen Bereich des eher flachen Bergkamms ist eine kurze wie unauffällige Pistenstrecke zu überwinden.

Auf der Abfahrt über San Fermo taucht die Strecke in eine typisch mitteleuropäische Berglandschaft ein, nur noch wenig an den Süden. Der kleine Lago di Endine versteckt sich dabei unsichtbar um eine Ecke und im Val Cavallina unauffällig eingebettet. Casazza und Brione bilden ein Städteband noch bevor man den See erreicht. Monasterolo del Castello steht etwas vor auf einer in den See reinragenden Bucht, fast eine Halbinsel. Ich geriet auf ein Lasagnefest im Ortskern und wurde von Gästen gleich mehrfach eingeladen. Alle meinten, dass ich großen Hunger habe müsse mit derartigem Radgefährt und auf solcher Bergtour. Dabei hatte ich mühe, überhaupt das Essen zu verspeisen, verlangte man von mir doch stete Heldenberichte über fast unbezwingbare Berge.

[So 18.8.] Monasterolo del Castello – Moj – Puro – Gaiano – Endine – Madrera – Spinone al Lago – Casazza – Gaverina Terme – Piano – Passo del Colle Gallo (763 m) – Casale – Abbazia – Albino – Nembro – Trevasco San Vito

44 km | 710 Hm

Dem freundlichen Empfang im Ort wollte sich das Wetter nicht anschließen. Ich war noch am Zusammenlegen des Zelts, als sich starker Regen über dem Uferwald ergoss. Nur drei Minuten und mein Zelt wäre trocken geblieben. Man muss ja auch mal Pech haben!? Anderes Wasser gab es im anliegenden Park, wo eine eisenhaltige Mineralquelle aus dem Boden sprudelt und einen Brunnen speist. Die Wolken hingen tief und entluden sich immer wieder in Schauern unterschiedlicher Stärke. Den rechten Pausenmoment verpasst, musste ich schließlich in einem Restaurant für einen überteuerten Cappuccino einkehren – es gab da keine alternative Einkehr oder ein passendes Dach und war bereits bis in die Schuhsohlen durchgeweicht.

Gerade noch konnte ich vor Betriebsschluss ein paar Artikel im Supermarkt erwerben, werde aber schon rausgedrängt (es war ja Sonntag und daher nur bis mittags geöffnet). Die reguläre Auffahrt über Gaverina Terme war eigentlich gesperrt, ich konnte die im Reparaturbau befindliche Brücke aber auf einem schmalen Fußgängerspalier schiebend überwinden.

Den Passo del Gallo könnten wir als hübschen, aber doch unauffälligen Mittelgebirgspass schnell abhaken, wäre da nicht noch eine Besonderheit auf der Passhöhe. In Italien nicht ganz so selten, ist hier eine Kapelle den Radfahrern gewidmet, genauer auch denen, die im Rennen die letzten sind – eine Ehre jedem, der die sportliche Herausforderung angenommen hat. Die Madonna dei Ciclisti enthält zwei Buntfenster mit Radsportmotiven, sonst deutet nicht mehr darauf hin. Außen ein paar radlerische Skulpturen.

Doch mehr noch befindet sich unterhalb der Kapelle ein kleines Museum mit liebevoll zusammengestellten Exponaten aus der Welt des Radsports, des Giros, der Tour de France – Fotos, Pressedokumente, Wimpeln, signierte Trikots, drei oder vier historische Rennräder bekannter Helden bis zu einer Büste von Marco Pantani. Das Museum soll angeblich tagsüber immer geöffnet sein, die Verfügungsgewalt des Schlüssels hat wohl ein Kirchenmann der Kapelle. Als ich ankam, war die Kapelle zwar offen, das Museum aber nicht. Ich nahm Rücksprache mit einem Zeitbewohner im überliegenden Haus und dem Kioskbetreiber anbei, doch beide konnten zunächst nicht helfen. Etwas gewartet, kam der Museumsbetreuer noch – der Schlüssel war doch im Kiosk. Eintritt frei, Spenden erwünscht.

Im Tal weiter unten, passiert man schon einige größere Orte, die bereits in der Pendlerzone Bergamos liegen. Erstaunt konnte ich abends die in Casazza zuvor verpasste Weinflasche in einem Supermarkt nachkaufen. In Nembro beginnt dann ein kehrenreicher Aufstieg nach Selvino, der ebenfalls mit Radsportgeschichte verbunden ist.

[Mo 19.8.] Trevasco San Vito – Colle di Caposelvino (936 m) – Selvino (947 m) – Caposelvino – Valico di Salmezza (1106 m) – Case di Sopra – Sambusita – Molino – Ambriola – SP28/SP27 – Algua – Ascensione – Costa Serina – Forcella di Nespello (900 m) – Amora – Aviatico – Selleta di Cantul (1020 m) – Cantul – Passo di Ganda (1061 m) – Orezzo – Gazzaniga – Vertova – Colzate – via Ciclabile Val Seriana – Picknickareal Ciclabile Valle Seriana (2 km vor Ponte Nossa)

58 km | 1395 Hm

Jede Kehre des Selvino-Anstiegs trägt einen Namen einer Radsportgröße – die meisten eher weniger bekannte Namen aus der Provinz Bergamo. Beim Giro d’Italia erlangte der Kurvenpass zweimal Bedeutung als Bergankunft Selvino – also ein kleines Alpe d’Huez.

Selvino selbst bezieht seine touristische Bedeutung jedoch noch mehr aus dem Wintersport und Angebot einiger Spezialitäten – so etwa einer eigenen Torte. Weitere Shops, teils auch mit Luxusprodukten, machen den Ort Winter wie Sommer zu einer kleinen Shoppingmeile in einem hügeligen Bergland. Eine Kabinenbahn erleichtert den Zugang auch ohne Auto aus dem Val Seriana.

„Ich glaube nicht, dass Sie damit den Berg hochkommen“, warnte mich ein Autofahrer, als ich mich zum eher kurzen Anstieg zum Valico di Salmezza begab, eigentlich doch nur um die 150 Hm. Nun kam es nicht überraschend für mich, aber doch wohl immer eine neue Herausforderung, solche Rampen zu meistern. Eine längere Strecke hätte ich wohl nicht geschafft, hier ging es irgendwie. Mit über 11 % Durchschnitt und maximalen 22 % Steigung ein wahrlich harter Zapfen auf allerdings nur 1,7 km.

Es ging weiter variierend auf und ab, dann mehr als Höhenstraße und weitem Ausblick auf die besiedelten Hügel von Selvino. Im Tal fand ich vor dem nächsten Aufstieg bei Algua einen besonders einladenden Picknickplatz mit Badestelle.

Über Costa Serina erklomm ich die aussichtsreiche Höhenstraße nach Selvino, die nunmehr in einem weiten Westbogen wellig den Rundkurs abschließen könnte – doch zweigte ich noch vor Selvino ab. So schiebt sich zwischen die Selvino-Höhenroute und das Valle Seriana noch der Passo di Ganda mit einem Höhenrücken, an dem sich einige aufregende Felsabbrüche zeigen. Im Valle Seriana fand ich mich zwischen Straßenvarianten, städtischen Siedlungen und Gewerbegebieten schlecht zurecht, sodass ich erst am Ende des Siedlungsbandes in Colzate den Sprung auf den erfreulichen Radweg finden konnte.

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