ALP-2021-TdS-16
Die entschleunigte Westtangente des Berner Oberlands mit Stockental, Simmental und Gastlosen
Die Abgrenzung der Freiburger Alpen vom Berner Oberland gestaltet sich einigermaßen schwierig. Landschaftliche Ähnlichkeiten verteilen sich am Jaunpass auf beide Seiten und auch die Gastlosengruppe wird mal zur einen und mal zur anderen Region gezählt. Nicht zuletzt unterscheidet sich das Berner Oberland durch typisch eher mittelgebirgige Täler und Hügel einerseits südwestlich und majestätische Gipfelkulissen und Gletscher eines Hochgebirges mit Spitzen über 4000 m eher im Osten und Südosten. Auch die nördliche Abgrenzung zum Berner Mittelland fällt ein wenig beliebig aus, zerfließt in wenig markanten, mittelgebirgigen Übergängen. Die Berner Alpen sind hier keine gute Einordnung, beschreiben sie doch einen Alpenkamm, der einerseits auch die Nordseite des Walliser Rhonetals umfasst (also hier die Kapitel der Walliser Rhonetäler) und andererseits den Kern des Berner Oberlandes um den Thuner und Brienzer See ebenso ausschließt wie den östlichsten Teil des Berner Oberlandes mit der Grimselwelt und dem Haslital/Sustenpass, der in der Alpenterminologie der SOIUSA (Suddivisione Orografica Internazionale Unificata del Sistema Alpino = Internationale vereinheitlichte orographische Einteilung der Alpen, IVOEA) bereits den Urner Alpen zugeschlagen wird.
(Di, 27.7.) Mettlen – Blumenstein – via Stockental – Pohlern – Ober-/Niederstocken – Reutigen – Brodhüsi – via Radroute/Simmental – Burgholz – Diemtigen-Oey – Latterbach – via Kantonsstrasse – Erlenbach – Ringoldingen – Därstetten – Weissenburg – Heidenweidli – Enge – Boltigen – Reidenbach – Spitzenbühl – Jaunpass (1508 m) – Kappelboden (Jaun) – Abländschen
62 km | 1280 Hm
Liebliche Entdeckung im Stockental
Definitionsgemäß bewege ich mich im Stockental bereits eindeutig im Berner Oberland. Während die Südflanke mit stumpfen Felsgraten noch an die Freiburger Alpen erinnert, weiten sich zur anderen Seite die Blicke über ein grünwiesiges Bauernland, wo sich manchmal einzelne Bäumchen auf einem Hügelthron über leichten Nebelschwaden feiern lassen. Für das beschauliche Abseits vom Thunerseetrubel gebührt dem Stockental ein Seelenbaumelprädikat in mildem Klimat.
Die Simme durchbricht bei Wimmis eine Kluse, durch die bereits die hoch über dem Ort stehende Burg zu sehen ist. Zuvor aber wartet ein zunächst unscheinbares Bauwerk. Über die Simme führt die längste freigespannte Holzbrücke der Schweiz mit 108 m Länge, wobei für den Rekord die 54 m zwischen den beiden stützende Betonpfeilern verantwortlich zeichnen. Das Radwegprojekt von nationaler Bedeutung geht bereits auf das Jahr 1989 zurück. Ob sie nötig ist, mag man aber unterschiedlich bewerten, fährt man nicht in den Ort Wimmis ein, ist es sinnvoller auf der Straße zu bleiben, um dem Simmental weiter zu folgen.
Postkartental mit Bähnliromantik
Ort und Burg Wimmis bleiben also zunächst links von der Staustufe der Simme liegen. Ich treffe hier auf eine E-Bike-Rentnergruppe, die mich für so jung und dynamisch halten, dass ich mit ihren E-Bikes auch ohne Motorpower gleich mitfahren solle. Nun könnte ich fast selbst der Rentner schon sein, wie mir ja im Greyerzer Käsemuseum bescheinigt wurde. Offenbar ist die Spanne der Alterswahrnehmung doch recht groß. Wir trennen uns aber in Oey, das etwas verwirrend zur Gemeinde Diemtigen gehört und gleichlautendes Tal einleitet. Ich verliere etwas die Orientierung und traue der Kursfindung der Rentner nicht, weil sich der Simmentalradweg angeblich von der Simme weg und hinauf bewegt. Es stellt sich dann heraus, dass Radwegroute und Simmentalstraße unterschiedliche Uferseiten begleiten. Wegen der Aussicht ins Tal und der heimeligen Ortsdurchfahrten habe ich intuitiv die richtige Nase für die attraktivere Route gehabt, die hier eben auf der Straße liegt. Einmal mehr ein Beleg dafür, nicht stur vorgegebenen Radrouten zu folgen.
Immer weiter schlängelt sich das grüne Tal mit Bahntrasse, ohne das ernste Steigungen warten. Zwischenzeitlich rauscht die Simme mal wilder durch eine engere Kurve, beruhigt sich aber bald wieder. Mehr und mehr schieben sich imposante Vertreter von Stockhorn- und Gantrischkette auf der Nordseite ins Auge. In Boltigen zweigt dann die Jaunpassstraße mit verstärktem Anstieg ab. Spezialitäten und lokale Handwerkskunst sind im Simmental sehr präsent. Entgeht mir der Boltig-Lebkuchen wegen geschlossenem Geschäft, kann ich in einem SB-Lädele direkt vor dem Jaunpassabzweig Mutschlikäse, Chilisalami, hofeigenes Schokoeis und ein hübsches Schweißband erwerben, zumal noch zu zivilen Preisen angeboten. Aber auch witzige Keramikmotive, ein Messermanufaktur und Simmentaler Bier sind begehrliche Produkte von der Simme.
Ich hatte von schweren Aufstiegen zum Jaunpass gelesen, diese aber schon im Unterlauf auf der Westseite nicht gefunden. Auch hier zur Ostseite erfüllt sich das Leidensversprechen nicht, und auch das Gefälle auf der Abfahrtsstrecke nach Jaun ist gemäßigt. Ganz im Gegenteil gehört der Jaunpass zu den leichtesten Bergstraßen meiner Tour de Suisse und niemand muss sich hier ein Bein ausreißen. Das heißt noch nicht ohne Qualen, denn auf halber Höhe zieht ein Gewitterregen herbei. Als ich verunsichert bei der Alpbeizli Schüpfenalp versuche unterzustehen, werde ich vom Almwirt unfreundlich des Platzes verwiesen. Ja, ein nicht zahlender Wadenbeißer unter einem Schirm eines leergefegten Almgasthofes, das ist ja ein Verbrechen gegen Fränkligscheffele. Vielleicht ist deswegen auch kein Gast da.
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