ALP-2021-TdS-17
Thunersee-Region vor der Mönch-Eiger-Jungfrau-Kulisse
Mit quasi zwei Besichtigungseinheiten von Stadt und Höhle ist mein Zeitkontingent des Tages trotz nur leichter Streckenteile arg aufgefressen. Von der Höhle Sankt Beatus fällt die Straße über dem Uferfelsen bald wieder ab um zur Seeebene zurückzukehren. Unterseen als Vorort von Interlaken wirkt noch erstaunlich ruhig. Gleich hier kann ich Kurs Beatenberg nehmen, ungewiss noch frühzeitig die Höhe zu erreichen, um noch an ein Essen zu gelangen. Die Straße ist aber weniger steil als erwartet, wenngleich sich das Panorama auf die Gipfelkulisse der Berner Alpen schon im unteren Drittel hervorsticht. Eine Erzählung zum Dreisgestirn Eiger, Mönch und Jungfrau lautet, dass der Eiger (Oger = Unhold) seine lüsternen Pranken an die Jungfrau legen wolle, aber vom fröhlichen Mönch daran gehindert würde.
Wie in der Schweiz jeder Platz genutzt wird, so hat sich bei einem kleinen Vorplatz zu einer Felskurve ein Restaurant niedergelassen und bietet entsprechend Speisen mit Traumaussicht an. Hier wäre aber kein Platz für mein Zelt und ich schwinge mich noch bis zur Plateauhöhe von Beatenberg auf. Im ersten, östlichen Dorfteil finde ich gleich ein Asia-Restaurant wo es für knapp 28 Franken ein Thaicurry mit Bier und Kaffee gibt, was ja für Schweizer Verhältnisse noch sehr günstig ist.
(Fr, 30.7.) Beatenberg-Waldegg – Beatenberg-Spirenwald – Beatenberg-Schmocken – Grönhütte (Justistal) – Wiler – Sigriswil – Tsschingel – Schwanden [– Wolfsgruebe (1076 m) – via Reuststrasse – Habchegg (1118 m) – Reust – Horrenbach – Eriz – Losenegg (1024 m) – Schwarzenegg – Süderen – Röthenbach – Chuderhüsi (1111 m) – Ryffersegg (920 m) – Schwändimatt – Bowil – Oberhofen – Zäziwil]
65 km | 1170 Hm
Wo die Grünen Menschlein herkommen
Die schöne, sommerliche Thunerseeregion schließe ich an diesem Tag sehr schnell wieder ab – gleichwohl etwas jäh mit einem drastischen Wetterwechsel. Die Panoramasicht ist schon etwas diesiger geworden, doch ist es noch hochsommerlich warm und sonnig. Von Beatenberg brauch es schon eine Bergbahn um in die höheren Bergetagen zu gelangen. Dennoch habe die Bewohner mal wieder Wege gefunden, auch an diesem Hang noch Siedlungsteile über die Hauptstraße zu legen.
Der Pilgerberg zog auch moderne Spiritisten an – so den Außerirdischengläubiger Heinrich von Däniken, der dort seit langer Zeit wohnt und dessen Werk und Wirken mit einem eigenen Däniken-Weg studiert werden kann. Ob ich einem Grünen Männlein oder Weiblein auf dem Weg begegnet wäre, muss offen bleiben – ich habe sicherheitshalber keine solchen Spuren gesucht. Ich muss natürlich etwas darüber grübeln, ob die Regenmassen des Sommers von einer außerirdischen Macht gesteuert sind. Vielleicht gibt es außerirdische Klimadesigner, die an unserer Erde herumschrauben?
Etwas überraschend endet die Aussicht weitgehend mit dem Ende des Dorfes. Die Straße legt sich eng um den Fels und durch einen Tunnel ins Berginnere ohne Seesicht. In einer Spitzkehre führt das Justistal vielversprechend nach Norden. Die Straße endet aber im Nirwana, sodass hier kein radelbarer Übergang besteht. Ist die Talfurche ausgefahren, kehrt bald das offene Weideland und die Aussicht auf den Thunersee zurück, nunmehr deutlich flacher abfallend als zur östlichen Seite.
Anderland
Im oberen östlichen Ortseingang von Sigriswil hat die Künstlerin Regula Kaeser-Bonami im „s’Paradiesli“ ihre eigene Fantasiewelt aus fantastischen Skulpturen geschaffen, die der Gast nicht nur besuchen kann, sondern auch seine eigene Muße in einer Pension und einem Café verträumen kann. Das eigentlich nicht sichtbare Anderland erschließt sich hier aus Faun und Fabel, eine geheimnisvolle Fauna mit skurrilen Fabelwesen aus winterfestem Steinzeugton modelliert. „13 Monde bringen den Himmel so nah, dass selbst der Polarstern beinahe haptisch begriffen werden kann“, heißt es in Kunstgartenbeschreibung der in Bern gebürtigen Keramikmodelliererin.
Besuchszeiten gibt es ganzjährig am Nachmittag, Sonntags auch schon am Vormittag.
www.s-paradiesli.ch
www.keramikerin.ch
Das kleinste Museum der Welt
Von der Freiheit des großen Ausblicks ist der Weg zur Bürgerfreiheit kurz. Der Sigriswyler Freiheitsbrief hält die Ortsgeschichte aus dem Jahre 1347 fest, in der der überschuldete Graf Eberhard von Kyburg (Thun) die meisten Teile des heutigen Gemeindegebietes von Sigriswil aus seinem Herrschaftsgebiet verkaufen musste. Damit erlangten die Sigriswiler ihre Freiheit von Fronarbeit und den Grundzehnten, eine verpflichtende Lehnssteuer an den Grafen. Historisch gehört dieser Akt zu den zahlreichen Freiheitsbewegungen des 14. Jahrhunderts in unterschiedlichen Regionen der Schweiz, in der man sich von tyrannischen Herrschern zu lösen suchte, so wie auch Wilhelm Tell in der Urschweiz und grundlegend eingeleitet durch den Bundesbrief der Eidgenossenschaft aus dem Jahre 1291.
Das Dokument wird auf besondere Weise im kleinsten Museum der Welt gewürdigt. In dem 1564 erbauten Gemeindegewölbe ist gerade mal auf gut 4 qm Platz, diesen in mittelhochdeutsch verfassten Brief (als Kopie) repräsentativ auszustellen und vielleicht maximal zwei Besucher gleichzeitig zu empfangen. Wie zerbrechlich die Freiheit immer wieder ist, mussten schon die Sigriswiler schnell erfahren, als sie 60 Jahre später wieder in neue Abhängigkeit der Bern’schen Herrschaft gerieten, indes zusätzliche Steuertribute an die Kirche gleichfalls dauernd fortbestand. Der Brief erinnert auch daran, dass Freiheit nicht egoistisch sein darf, wenn sie dauerhaft sein soll, dass sie Gerechtigkeit, Solidarität und Gemeinsinn von den Bürgern erfordert. So ist der erst 1896 zugefügte, von einer Pfarrfrau ersonnene Spruch auf dem historischen Gemeindegewölbe von noch immer brennend aktueller Bedeutung: „Der Sigriswiler alte Freiheitsbriefe ich bewach‘, die Freiheit selber zu erhalten, das ist eure Sach‘.“
In Wellen schiebt sich die Straße durch das bäuerlichen Bergwiesenland nach oben, verzieht bei der schwülen Hitze keine Körperschwäche. Im Rückblick verwindet zunehmend das Panorama auf den Thunersee. Ich bin froh, nicht über die kühne Panoramahängebrücke fahren zu müssen, die die 180 m tief eingegrabene Gummischlucht überspannt. Ich erfahre später, das Projekt sei als touristischer Rekordjagdversuch umstritten gewesen (eine der längsten Fußgängerhängebrücken) und zudem die Nutzung kostenpflichtig. Wegezoll für Fußgänger – ob da der Leitgedanke des Freiheitsbriefes vielleicht doch eher verraten wird?
An der Schwandener Sternwarte stehe ich nunmehr gegen Mittag am neuerlichen Übergang zweier Regionen – der Thunerseeregion als Teil des Berner Oberlandes und dem Berner Mittelland, wenn man so so will, auch an der Grenze zwischen Hochgebirgs und- Mittelgebirgsregion, wenngleich noch Alpenland. Es gibt mir nun Gelegenheit, die chronologisch schon länger zurückliegende Beradlung des östlichen Berner Oberlandes hier sinnvoll in einen geschlossenen Block zum Berner Oberland einzufügen. Ich hatte eine solche Abfolge auch radlerisch erwogen, gab aber schließlich der alternativen Variante den Vorzug. Wer hier lieber chronologisch weiterlesen möchte, muss ins Kapitel ALP-2021-TdS-19 Bauernhausromantik mit Burgenthron im Berner Mittelland überwechseln.
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