Memmenger Stellwerk mit historischem Eisenbahnbild, Velo
Alpen,  Bayern,  Tirol,  Touren

ALP-2024-TiSA-01
Die bayerisch-tirolerische Eröffnung – schon fast schachmatt

In diesem Teil bewege ich mich aus dem Allgäuer Voralpenland kommend in die Allgäuer Alpen eher hügelig als hochbergig, streife die Lechtaler Alpen auf einer abfallenden Flanke und erreiche somit die Zugspitzarena im Ehrwalder Becken. Die Fernpassquerung bringt mich ins Imster Inntalfeld und damit bald an den Innknick bei Landeck sowie an den Rand der Ötztaler Alpen.

[Do 23.5.] Stuttgart Hbf 16:39 h | 20:30 h Memmingen – Woringen – Bad Grönenbach – Herbisried – Reicholzried – Dietmannsried – Krugzell – Hirschdorfer Brücke/Iller-Radweg

42 km | 335 Hm

Ich wollte kaum aus den Fenstern des Waggons schauen, so trist tränkte mich der Regenschleier in einen Alptraum. Die Schwäbische Alb versank fast ungesehen in Wolken. Die Hoffnung keimte auf, als noch vor Memmingen das Weihwasser den Petrusdienern auszugehen schien. Was so missmutig meine ersten Pedalumdrehungen begleitete, schwand bald einem leichten Fahrgefühl. Die schon so vertraute Strecke hatte ich noch nie so trübe erlebt, der Alpenhorizont im Wolkenmeer verborgen. In Herbisried lag verlassen mein Lieblingseiscafé für Allgäureisen. Wer würde jetzt schon Eis schlecken wollen?

Meine Spekulation, einen Zug früher das Ziel zu erreichen, ging nicht auf, dafür sind die Züge nicht pünktlich genug und Umstiege in Ulm zu zeitraubend – geworden, muss ich hinzufügen. Die Fahrstühle fahren nicht mehr in den Untergrund, sondern zu einem Höhenübergang. Das verlängert die Fahrstuhlzeiten jeweils um das Doppelte, bei zwei nötigen Fahrten schon ein erheblicher Nachteil, dazu kommen noch längere Wege auf den Bahnsteigen. Die Bahn baut, aber sie baut Hemmklötze für ihre Kunden.

[Fr 24.5.] Hirschdorfer Brücke/Iller-Radweg – Zollhaus – Kempten – St. Mang – Öschle – Sulzberg – Moosbach – Staudamm Rottachsee – Petersthal – Vorderholz – Binzeler/Ellegg Max. (1081 m/1100 m) – Wertach – Grüntensee/teils via Iferweg-Piste – Nesselwang – Pfronten – Dorf – via Steinacher Achen – Fallmühle – Wasserscheide Vils/Steinacher Achen/Grän (1145 m/1153 m) – Tannheim – Vilsalpsee

75 km | 1215 Hm

Schnell rauscht die Iller an abbrechenden Sandsteinufern vorbei, während der Glitzer von blattbalancierenden Tautropfen auf Brennnesseln und Gräsern die frühen Sonnenstrahlen stimmungsvoll brechen. In Kempten kann auch der häufige Gast immer noch was Neues entdecken. Der Sankt-Mang-Brunnen illustriert die Geschichte der Christianisierung der Alemannen im 8. Jahrhundert durch irische Mönche aus dem eidgenössischen St. Gallen – eine wahrliche international organisierte Infiltration des Glaubens. Auf Tieren sitzen Knaben und Faune, die die vier Elemente verkörpern, Symbole göttlicher Kraft und Gnade, wie die Infotafel nicht ganz unbescheiden erklärt.

Von der einstigen Stadtmauer sind noch Teile erhalten, teils aber schon in überbaute Stilformen späterer Epochen überführt. Es gab nur zwei Durchgänge in dem historischen Mauerring, von denen das Ankertörle noch erhalten ist. So klein verwunschen der Eingang, so kontrastreich wirken heutige SUVs, die sich durch einen solchen Zugang zwängen. Die Opulenz mittelalterlicher Herrschaft wirkt da ganz bescheiden gegenüber dem Großkotz der Neuzeit. Ich weiß, dies klingt für manche Lenkradhelden nicht sehr nett. Doch wer weiß, ob ich nicht Till Eulenspiegel heiß…

Sonnig aufgeheitert empfängt mich der Öschlesee, erste Gelegenheit um ein Sommeroutfit anzulegen. Bauernhofautomaten feiern ja bereits seit Jahren Hochkonjunktur, obwohl sich selten dort was günstig ersteigern lässt. Eigentlich sollte es beim personenlosen Verkauf doch Rabatt geben und nicht Automatenzuschlag? Glücklicherweise hatte ich zuvor in einen Supermarkt reingeschaut und der Proviant frisch aufgestockt.

Hügelig umwindet die Straße die Burgruine Sulzberg. Bei der Staumauer vom Rottachsee lasse ich mich von zwei niederländischen Bikepackern verführen, eine raue ufernahe Piste einzuschlagen. Unsere Wege trennten sich schnell, da ich einen ersten Umweg und Anstieg von Petersthal zum Binzeler angehen wollte. Oben wieder ein Hofautomat, diesmal ursprachlich „Käshittle“ betitelt, aber noch ohne Inhalt. Die Aussicht ist schon mal eindrucksvoll hier oben, wenn auch die großen Berge noch fern grüßen.

Das Erlebnis Grüntensee ist für Radler recht beschränkt. Ein Uferweg, mehr rumpelig als schön, versteckt sich hinter Uferdickicht, bis sich an der wohl einzigen Badestelle der Blick auf den See öffnet. Picknickplätze sind fortan rar, in Nesselwang war es dann schon fast mein Abendbrot. In Pfronten, letzter deutscher Ort vor der Grenze, herrschte noch Leben, derweil bekannte Supermarktketten dort bereits um 18 Uhr die Türen schließen – der Personalmangel scheint akut.

Noch labte ich mich am Brunnen bei milden Sonnenstrahlen, ein letzter sommerlicher Lichtblick bis auf lang. Im einsamen Tal an der Steinacher Achen wurde es immer düsterer. Die Steigung ist hier nur mäßig, obwohl sich am unscheinbaren Sattel eine dramatisch gestaffelte Hochgebirgswelt öffnet. Für die Menschen auf der günstigen Seite des Lebens gibt es im Tannheimer Tal viele noble Gasthäuser mit Wellnessvergnügen. Ich kneippte dem entgegen in freier Regenfront. Der Radweg macht auch noch reichlich zickzack, damit ich auch ordentlich nass war, bis ich Tannheim erreicht hatte.

Das Tannheimer Tal sollte ja ein erster Höhepunkt der Reise werden. Ich fand zunächst Unterschlupf zum Trocknen im unbemannten Raum der Touristinfo, wo schon die Heizung angeschmissen wurde und erfahre auf dem Touchscreen, dass es zwei Tage Dauerregen geben soll bei niedrigen Apriltemperaturen. Da kam die Frage auf, ist die Reise schon zu Ende? Schachmatt? Ein Blick aus dem Fenster sagte mir, dass mir bald Flossenfüße wachsen werden, wenn man Charles Darwins Lehre von der Anpassung der Arten Glauben schenken möchte. Um 22 Uhr wird hier dicht gemacht, dann heißt es schwimmen gehen auf der Straße oder in einem Edelhotel die Reisebörse entleeren.

Es zahlt sich aus, die Ruhe zu bewahren und auf die kurzen Lücken zu vertrauen. Zu später Stunde ebbte der Regen überraschend ab und ich wagte eine Nachtfahrt zum Vilsalpsee. Erstaunlich flach schneidet sich Straße in einen Bergkessel hinein. Tagsüber bei Sonnenschein fährt hier ein Touristenbähnle und wälzen sich Wanderkolonnen vorwärts. Unwirklich näherte ich mich ein paar Lichtern, die ich an einem Gasthaus am See blinzeln sah. Eigentlich sollte längst Betriebsschluss sein. Es gab hier nicht wirklich einen Wetterschutz – und mehr verwunderlich, immer noch keinen Regen! Mein Zelt passte fast ganz unter ein Dach der neu gebauten Bähnlehaltestelle. Keine Seeromantik, sondern knallharter Beton und Asphalt. Kann man nicht auf Unterkunftsportalen buchen und bewerten, dafür kostenlos.

[Sa 25.5.] Vilsalpsee – via Ostuferweg – Untere Traualpe/Weg gesperrt/Erdrutsch – via Westuferweg – Vilsalpe (1180 m) – Tannheim – Haldensee – Wasserscheide Vils/Lech (1150 m) – Nesselwängle – Gaichtpass (1093 m) – Alte Gaichtpassstraße (Piste) – Untergaicht – Weißenbach am Lech – Rieden – (Anfang Piste) – Riedener See – Rotlechstausee – (Abzweig Straße/Ende Piste) – Rinnen – Berwang/Berwangsattel (1342 m) – Bichlbach – Lähnsattel (1110 m) – Lermoos – Biberwier

59 km | 885 Hm

Der Regen war ausgeblieben, die Wettervorhersage Lügen gestraft. Der moderne Schäfer treibt die Herde mit Fahrrad – überrascht schaute ich aus dem Zelt. Über dem See hingen weniger Wolken als erwartet, aber Sonne will auch nicht. Während am nördlichen Seeufer des Vilsalpsees Einrichtungen für den Tagestrubel bereitstanden, versanken die Uferwege noch in entrückter Ruhe. Ein Rundkurs war entgegen einiger Beschreibungen im Web nicht möglich, weil das westliche Ufer wegen Felssturz auch für Fußgänger schon seit langer Zeit und immer wieder gesperrt ist. Die einzige sinnvolle Zufahrt zur Vilsalpe besteht ohnehin nur über das Westufer. Für eine Brettljause reichte mein Stimmungsbarometer aber noch nicht.

In Tannheim zurück immer noch kein Regen. Was haben sich die Wetterfrösche gedacht, mich so in die Irre zu führen? Nicht nur um gelassen zu bleiben, brauchte ich einen Zirbenlikör. Auch die Tiroler Supermarktpreise schreien nach alkoholischer Betäubung. Ich verzichtete schon mal auf den Cafébesuch, ohnehin nebenan geschlossen. Espresso und andere Kaffeespezialitäten sind in Österreich mittlerweile Luxusgut geworden. Jede ausgefallene Kaffeepause spart saftig Geld.

Auch der Haldensee verharrte recht düster unter Wolken. Die Topografie ist hier etwas eigenartig, denn die Talwasserscheide verliert sich in einem Höhenplateau, keine sichtbare Passhöhe. Der folgende Gaichtpass ist dabei nicht der geografische Pass, sondern ein Zollpass (Engpass) aus vergangenen Zeiten an der Kluse des aufführenden Tals. So ist auch die alte Gaichtpassstraße ein enger Pistensteig hinunter in die Schlucht, während die Straße oberhalb einen weiten Bogen ins Lechtal nimmt. Der Gaichtpass – nur schwer radelbar, abwärts noch möglich, aufwärts wäre ich wohl gescheitert – ist indes ein Erlebnis mit den engen Kehren, wilden Felsen und einer Reihe von Infostationen zur Geschichte des Zollübergangs.

Von der abschließenden Kapelle ging es dann wieder auf guter Straße flott Richtung Lech. Ein Fahrradguide und Radmechaniker hat am Fuße des Rieden-Aufstiegs einen SB-Kiosk mit ein paar Ersatzteilen aufgestellt, Telefonnummer für Reparaturhilfe oder Radtourenführungen anbei. Klingt nett, aber ich kam ja noch ohne Hilfe voran. Die Steigung der waldschattigen Piste jenseits eines kleinen Biotops des Riedener Sees ist fortlaufend recht anspruchsvoll, das Geläuf aber stets machbar.

Heimelige Almwiesen öffnen die Landschaft erst beim Rotlechstausee. Felsgeröll und Wasserfälle brechen aus den Seitenflanken heraus, einige Wasserfurten bilden Hindernisse, die bei starken Niederschlägen auch unüberwindbar werden könnten. Im welligen Terrain wechseln Erholungspassagen mit recht kantigen Steigungsspitzen. Oberhalb Rinnen und auf der Namlos-Passstraße erreicht man den Berwanger Sattel dann auf moderate Weise. Der Hotspot-Wintersportort Berwang verödet im Frühsommer zu einer abgeschiedenen Oase.

Auch wenn immer wieder mal etwas Sonne hervorbrach, blieb es den ganzen Tag außerordentlich kühl. Die so gezitterte Abfahrt nach Bichlbach brachte mich nunmehr auf die VCA-Route. Überraschend strömt eine warme Luftmasse durch meine Glieder, als ich den Lähnsattel überwunden hatte und Lermoos erreichte. Gibt es doch noch Sommer? –Ein alter, freundlicher Anwohner hätte mir fast ein Zimmer in seiner Wohnung angeboten, musste aber eingestehen, dass seine Räumlichkeiten zu beengt seien. So kam ich doch noch bis Biberwier, wieder im Dunkeln, mit Sitzschaukel am Bachlauf.

[So 26.5.] Biberwier – teils via Piste/VCA – Weißensee – Abzweig Blindsee – Blindsee – Abzweig Blindsee – Fernpass (1215 m) – Fernsteinsee – Nassereith – teils via VCA/Waldpiste – Imst – Schönwies – Zams – Landeck – teils via VCA – Prutz – Platz/Kaunertal

84 km | 1185 Hm

Die Auffahrt zum Fernpass beginnt bereits innerorts in Biberwier, eher schon am Ortsanfang. Hier spürt man noch nichts vom Fernpassverkehr, der sich durch den Berg im Tunnel bewegt. Die Landstraße führt außerhalb des Ortes bei faszinierenden Gipfelblicken samt Zugspitze über eine Kurve zur Bundesstraße. Hier empfiehlt sich, zunächst die VCA-Piste geradewegs weiterzuradeln, denn die Wegequalität ist noch sehr gut und rennradtauglich am Weißensee entlang. Eine Steigungskurve setzte ein kleines Ausrufezeichen, aber auch hier ist man noch auf gutem Geläuf. Dann ist aber Schluss mit lustig und die Piste steigt auf recht grobem Schotter steil an – eine unnötige Tortur.

Exakt hier mit gegenüberliegendem Abzweig der Mautstraße zum Blindsee kann man sich auf die Fernpassstraße schmuggeln und hat so noch einen Kilometer Bundesstraße eingespart (bis zum Pass sind es nur noch 3,2 km bei moderater Steigung). Bevor ich aber die Fernpassstraße befahren Sollte, nahm ich den Abstecher zum Blindsee mit. Wellig und dann abfallend erreichte ich diesen wundervollen Bergsee in brillanten Blau- und Smaragdtönen schimmernd.

Einen Rückblick nach unten auf den Blindsee erhält man nochmal vom Gasthaus Zugspitzblick an der Fernpassstraße. Die Fernpasspasshöhe mit Tankstelle wenig später hat nichts, was einen Aufenthalt rechtfertigt. Der kitschig-romantische Fernsteinsee nebst Schloss ist leider unzugänglich durch ein Hotel kommerzialisiert, dessen Wahrzeichen weiße Liegestühle auf der Seehalbinsel sind, auf denen ich noch nie Badende gesehen habe.

Zwischen Nassereith und Imst stoße ich auf Ungereimtheiten in der VCA-Ausschilderung. Soweit ich den Schildern gefolgt bin, landete ich auf einer nicht unbedingt günstigen Waldpiste, wenn auch machbar. Stattdessen gibt es mindestens eine weitere Asphaltvariante nebst der Bundesstraße, für die ich aber keine Ausschilderung gesehen hatte. In Imst war ich dann vorsichtiger und landete somit gleichfalls etwas unbefriedigend zunächst wieder auf der Bundesstraße. Später am Inn gibt es dann teils verschiedene Optionen, um nach Landeck einzufahren.

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