ALP-2024-TiSA-04
Die benetzte Apfelconnection mit Jetsetambiente – Das Meraner Land und Exkurs ins Val di Non
Die Grenze zwischen Vinschgau und Meraner Land ist etwas unbestimmt. Touristisch vermarktet das Meraner Land auch Teile des unteren Vinschgaus (Naturns, Schnalstal, Partschins), geografischen und gemäß der Verwaltungseinheit Burggrafenamt beginnt es erst am Talabbruch östlich von Partschins bzw. zur Etsch an der Töll-Schleuse. Ich interpretiere hier das Meraner Land einerseits als Burggrafenamt, andererseits erweitert um eine Südkomponente ins Trentino mit der Nonsberg-Gruppe und eine Ostachse bis nach Bozen in den südlichen Ausläufern der Sarntaler Alpen.
Die Route nach Dorf Tirol war nicht ganz einfach zu finden. Es geht dabei auf und ab durch Weinberge und tief ins Tal bis zur Etsch runter, bevor man wieder verwinkelte Straßen und Wege durch Weinberge und Dörfer aufsteigen kann. Einheimische sind heutzutage nur noch selten gute Wegweiser und GoogleMaps tut sich auch immer wieder schwer, wenn es kompliziert wird. Zunächst steigt man zu einer weiteren Burg auf, dem Schloss Thurnstein. Die Höhenroute durch Weinberge ist zwischen San Pietro und Schloss Tirol in der Tageszeit zwischen 9 und 17 Uhr für Velos verboten, weil es zu viele Spaziergänger geben könnte. Glücklich wie zufällig bin ich zu späterer Stunde unterwegs, eine lohnende Panoramaroute mit einem lehrreichen Stück Tirolgeschichte.
Meran gehört ja nicht gerade zu meinen Lieblingsorten – ein Verkehrsmoloch mit stets verwirrender Verkehrsführung und ein zuweilen abgehobenes oder abgedrehtes Publikum mit viel Yuppie-Kultur. Trotz allem war das neumodische Restaurant an einer der Promeniermeilen ganz passabel, eine Pizza mit Rotwein noch erschwinglich. Irgendeinen Edelabschluss wollte ich mir doch für die gemeisterte Wadenkraxelei gönnen.
[Mi 5.6.] Tscherms – Lana – Alpreid – St. Pankratz – St. Walburg – Kuppelwies – St. Nikolaus – St. Gertrud – Weißbrunn/Ultental (1872 m)
42 km | 1655 Hm
Ein Supermarkt in Lana bietet eine ideale Versorgungsstation direkt an der Basis für das Ultental einerseits und den Gampenpass andererseits. Das Ultental, einst mir als Geheimtipp zu Ohren gekommen, ist ein solches schon lange nicht mehr. Zunehmende Besiedlung und Ferientourismus verteilen sich auf das sehr lang gestreckte Tal, in dem man wechselnde Steigungslevels zu bewältigen hat. Zwei Stauseen füllen Teile der Talsohle, von denen aber nur der größere und zweite für Freizeitaktivitäten zugänglich ist (Zoggler Stausee). Dort kann man auch beide Seiten des Ufers befahren, so auch alternativ gegenüber der Straße auf einer Piste mit einigen Rastplätzen, Brunnen und Holzskulpturen.
In den alpinen Teil jenseits des Stausees verirren sich dann doch weit weniger Besucher. Das letzte Bergdorf St. Gertraud liegt bereits in recht hochgebirgiger Umgebung des Nationalparks Stilfserjoch, von da sich ein längeres Quellbachtal unterhalb der Straße hinzieht. Später verdichten sich Bergwald und steile, enge Kehren, bis man einen großartigen Talschluss erreicht, der eine schneebedeckte Gipfelkulisse um den Weißbrunnsee gruppiert. Bekannt ist das obere Ultental für seine Lärchenwälder, aus denen einige Urlärchen als Touristenattraktion gesondert auf einem Pfad herausgestellt werden.
[Do 6.6.] Weißbrunn/Ultental – Kuppelwies – St. Walburg – Abzweig Hofmahd – Laugenhof – Hofmahdjoch (1720 m) – Abzweig SP86 – Laurein – Brezer Joch (1397 m) – Castelfondo – Fondo/SS238
59 km | 1465 Hm
So klar die Nacht, so kalt sie auch. Das weckte meine Sehnsucht nach einer Einkehr mit Cappuccino und leckerer Buchweizentorte, bevor ich den nächsten Berg angehen wollte. Im Café Ulten in St. Waalburg gibt es auch ein besonderes Ultner Brot, war aber gerade ausverkauft. Kohlehydrate braucht es auch für die Hofmahd-Auffahrt, aber auch eine gewisse Resilienz für Tunnelpassagen. Es geht hier durch zwei längere Tunnels bei recht anspruchsvoller Steigung – einmal gut 1 km, und final nochmal 1,7 km am Stück, exakt auf der Sattelhöhe endend. (Der echte Pass Hofmahdjoch befindet sich oberhalb des Tunnels, kann aber nur per Wanderstiefel oder MTB bezwungen werden.) Im Zweifel sollte man daher die Strecke vorzugsweise umgekehrt abwärts fahren, was ich etwas unerwartet zum Tourfinale schließlich auch nochmal gemacht habe.
Das Brezer Joch ist schon etwas mehr als nur ein Zwischenhüpfer und beißt entsprechend in die Waden. Nicht am Hofmahdjoch, sondern erst hier überschreitet man die Grenze zum Trentino. Wilde Gesteinsabbrüche machen die Ostseite noch attraktiver als die Westauffahrt. Viel Zeit zur Erholung ist dann nicht, denn die Straße fällt im Val di Non tief ab, um ohne ein flaches Intervall gleich wieder nach Castelfondo anzusteigen. Immerzu schweift hier der Blick über den weiten Talkessel, den fast ein fast geschlossenes Netz zu überdecken scheint. Die Apfelplantagen sind hier nicht weniger üppig als im Etschtal gepflanzt, durch die Topografie aber kompakter zu überschauen. Die meisten Plantagen werden durch Netze vor Hagelschlag geschützt. Leider ist hier wie an der Etsch die Landschaft nachteilig verändert, wie man es von von Gemüseplantagen in Andalusien kennt. Indes sind diese Plantagenäpfel zwar Handelsklasse 1, aber im Geschmack nicht konkurrenzfähig zu alten und urwüchsigen Sorten, wie sie z.B. auf klassischen Streuobstwiesen weit ökologischer wachsen.
[Fr 7.6.] Fondo/SS238 – St. Felix – Unsere Liebe Frauen im Walde – Gampenpass/Passo delle Palade (1512 m/1518 m) – Gfrill – Naraun – Lana – Sinich – Schloss Trauttmansdorff – Hafling/St. Kathrein
49 km | 1315 Hm
Am Gampenpass finden sich im unteren Teil zahlreiche Picknickplätze, allerdings ohne Wasserstellen. Für zusätzliche Schluchterlebnisse muss man Exkursionen abseits der Strecke unternehmen, die ich allerdings ausgelassen habe. Bleibt die Landschaftsentfaltung auf der Südseite der Passstraße eher durchschnittlich, sorgt auf der Nordflanke eine in den Fels geschlagene Trasse für ein berauschendes Fahrerlebnis, bei dem man sich aus der Adlerperspektive dem fruchtbaren Etschtal nähert mit seinen gleichwohl flächenfressenden Plantagen, auf die steinern die zahlreichen Burgen majestätisch herunterblicken.
Das Falschauer Biotop bildet eine Oase zwischen Lana, den Plantagenflächen und der Meran-Agglomeration, angeschlossen ein großes Freizeitgelände zum Rasten, Entspannen und wenigen Bademöglichkeiten. Meran außen zu umfahren ist noch krasser als mittendurch. Indes gibt es für die Auffahrt nach Hafling kaum eine Alternative, zunächst die Vorortachse des dicht besiedelten Schennabergs zu bemühen. Schloss Trauttmansdorff, Sissi-Nostalgie-Palast und glanzvolle Gartenhochkultur, direkt an der Verkehrsader gelegen, ist heute mehr eine uneinnehmbare Festung, zumal aktuell noch ein Konzert mit schnulzigen Schlagergrößen stattfand, für das sich auffällig viele Goldkettchen-Yuppies in Schale geworfen hatten. Zwecks des Konzerts war die Anlage für den Allgemeinbesuch gänzlich wie ein Hochsicherheitstrakt gesperrt. Außen sind die Mauern so hochgezogen, dass kaum ein kostenloser Blick auf die Gärten möglich ist. Es erinnert irgendwie an Kaiserinnen-Zeiten, zu denen das niedere Volk vom Glanz und Prunk des Adels als dieser Hochkultur unwürdig ausgeschlossen wurde. Nun sind es andere Gestalten einer modernen Dukatengesellschaft, die den Eindruck einer separierten Gesellschaft von spätrömischen Dekadenz widerzuspiegeln scheint.
Der zeitgenössische Adel hat hier noch mehr Refugien geschaffen, wenngleich der blumige ästhetische Geschmackszauber der Kaiserzeit in der Neuzeit weitgehend verloren gegangen ist. Ein Smart-Hotel an der Auffahrt wirbt mit zeitgenössischem Prinzenleben, auf den Stellplätzen des angeschlossenem Glamour-Campings sind nur Caravans & Co. vorgesehen, ab 50 € aufwärts wird der Zelter auch kaum freiwillig vorbeischauen wollen. Ich vermerke schon mal vorausschauend für den Hotelbau mit luxuriösem 4-Sterneanspruch architektonisch den Gefängnisbau Nr. 1.
Bereits knapp unter Haflinger Dorfeinfahrt ereilte mich ein Gewitter, dass dem schwülheißen Tag geradezu zwingend geschuldet war. Genauso erzwungen musste ich dann an einer Bushaltestelle das Trauttmansdorffer Schlagergesäusel belauschen, was erstaunlich deutlich so weit über dem Tal noch zu hören war.
[Sa 8.6.] Hafling/St. Kathrein – Hafling Oberdorf – Falzeben (1609 m) – Hafling – Vöran – Mölten – Schermoossattel/Salten (1450 m) – Flass – Jenesien – Bozen – Rentsch – Oberegartner
60 km | 1445 Hm
Der Name ist Programm, Hafling bedeutet auch Haflinger Pferde. Die fand ich aber erst weiter oben jenseits der Haflinger Dorfteile. Im Oberdorf fällt bald Gefängnisbau Nr. 2 ins Auge. Ein 5-Sterne-Chalethotel hatte offenbar nicht genügend Geld, einen befähigten Architekten zu engagieren. Die größte Halle des Hotels scheint die Garage zu sein – das Haus verkauft unberührte Naturromantik für seine Gäste, weniger für die Umwelt. Gleich anbei addieren wir am Berg von Meran 2000 den Gefängnisbau Nr. 3, ein 4-Sterne-S-Hotel mit traditionellem Stammhaus leistet sich einen Zusatzbunker, der die Hässlichkeit des 5-Sterne-Luxuskerkers noch übertrifft – Glückwunsch! – einer musste ja den Wettbewerb gewinnen. Einen schlichten Kaffee für Wanderer oder Radler bekommt man hier nirgendwo, das ist erst bei der Seilbahnstation Falzeben möglich oder weiter unten und etwas ferner im Haflinger Dorfkern.
Beeindruckend ist bei der Auffahrt der Lärchenwald mit seinen tiefen Grüntönen und verschleierten Lichtspielen, durchaus konkurrenzfähig zum Ultental. Falzeben weiß dann am Straßenschluss nicht mehr so zu überzeugen. Der Bergweiler hat fast mehr Parkplatzfläche als Almwiesen und die Seilbahnstation nach Meran 2000 ist nicht wirklich gelungen verbaut, kann aber eine weitere Gefängnisbauwertung gerade noch vermeiden.
Die Höhenroute über Salten führt über mehrere Auf-und-Abs und eher unspektakuläre Almwiesen. Man kann diese Tour genießen, ohne ständig die Kamera zu zücken. Spektakulär ist hingegen die Abfahrt nach Bozen, wurde mir aber durch einen peitschenden Regenschauer etwas verhagelt.
Um Bozen zu würdigen, müsste man sich mehr als einen Tag Zeit nehmen. Solche Kulturzeit hatte ich nicht eingeplant und versuche daher in paar flüchtige Eindrücke und Schnappschüsse von der lebenswerten Südtiroler Metropole zu gewinnen. Weiter Aprilwetter, folgte auf die herbe Schauer ein Anflug von lauem Sommerabend, dann steigen wieder dunkle Wolken auf.
Wie so oft in Weinbergen nimmt auch der Anstieg nach Signat kantige Steigungswerte an, die ich nur würgend bewältigen konnte. Ich verweilte an einem Brunnen eines Privathauses mit kleinem Weinberganteil, dessen Bewohner wenig später eintrafen. Sie boten mir an, dass ich meine Matte in der Garage aufschlage. Der Regen hatte sich dennoch verzogen, aber zelten konnte man schon wegen der Steillagen dort kaum.