Lago Antorno mit Velo auf Steg, Drei-Zinnen-Blick
Alpen,  Südtirol-Trentino,  Touren,  Venetien

ALP-2024-TiSA-10
Die Südtiroler Dolomiten, Klappe die dritte: Zinnenolympiade mit prominenter Leihgabe aus der Veneto-Schatulle

Erneut werde ich in diesem Kapitel nach Südtirol einfahren, sogar zweimal, weil ein Stück der Dolomiten um Cortina und die Drei Zinnen zwischenzeitlich bereits zum Veneto gehören. Tatsächlich hängt es zuweilen vom Standort ab, so bilden etwa die Drei Zinnen eine Grenze nach Südtirol, lediglich die Straßenanfahrt ist bellunesisch, von der Sextener Seite hingegen nähern sich Wanderer gerne aus Südtirol an. Tatsächlich war die Region auch Kampfregion im Ersten Weltkrieg zwischen österreichischen und italienischen Truppen. Man könnte meinen, ein Kampf um die Krone der Dolomiten.

[Di 2.7.] Panzendorf – Sillian – teils via Drau-Radweg/Pustertal – Winnebach – Vierschachberg (1536 m) – Kerschbaum – Ginzhof – Mitterfeichter – Toblach – Niederdorf – via Radweg – Schmieden – Pragser Wildsee (1494 m) – Schmieden – via Piste – Hotel Turmchalet

49 km | 1030 Hm

Neue Hoffnung auf Sonnensommer – zumindest mal für eine Tag durchgehend. Auf dem Drau-Radweg tummelten sich schon fast bedenklich Radler aller Couleur, vom Familientross mit Hängern bis zum Rennradraser. Die Trubelspur wechselte ich unmittelbar nach der Ost-/Südtirolgrenze zugunsten einer Höhenroute. Einen touristischen Namen hat die Straße nicht, sodass der anliegende Vierschachberg als Bezeichnung herhalten muss. Obwohl auch sowas wie eine Pustertaler Höhenstraße, darf man diese Straße nicht mit der so tatsächlich bezeichneten Pustertaler Höhenstraße in Osttirol bei Lienz verwechseln.

Während man von der Straße auf Innichen aus der Vogelperspektive schaut, befindet sich Toblach bereits am westlichen Ende der Straße. Toblach ist ein kulturelles und historisches Zentrum im Pustertal, aber trotzdem irgendwie dörflich geblieben, anders als z.B. Bruneck. Der Komponist Gustav Mahler hatte viel Sinn für abgeschiedene, idyllische Orte für sein Schaffen, an denen nicht mal seine Frau und Familie weilen durften. Ein gewichtiger Teil seiner Spätwerke entstand in einem Komponierhäuschen in Schluderbach, Toblach war ihm daher ein willkommener Treffpunkt mit Einheimischen, Freunden und Künstlern. Heute würdigt Toblach den Schöpfer der sphärisch-epischen Tonwerke der Spätromantik mit einem nach ihm benannten Kulturzentrum sowie einem Sommerfestival.

Es reichte noch für ein Highlight an diesem Tag, zu bereits fast versunkener Abendsonne, dafür mit etwas weniger Trubel als tagsüber. Der Pragser Wildsee in den ebenso bezeichneten Pragser Dolomiten gehört zu den bekannten Postkartenseen der Alpen und im Andrang vergleichbar mit dem Königssee bei Berchtesgaden. Leider ist der See stark vom Kommerz eines Hotels samt Parkplatzgeschäft in Beschlag genommen, bescheidene Radler und Wanderer müssen sich heimlich durchducken im Selfie-Gewitter von ostasiatischen Touristenkolonnen, die ich sonst nirgendwo auf der Tour gesehen habe.

Eigentlich wollte ich irgendwo beim See einen Platz fürs Zelt finden – wohl wäre es nicht mal unmöglich gewesen, doch selbst die abendliche Restbelagerung erzeugte in mir ein großes Unwohlsein. Es war auch noch schnell die Fahrt ins Tal nach Schmieden zu machen. Etwas ungeschickt versuchte ich mich an einer Radroute, die in den Wald führt und versprach, Richtung Plätzwiese zu führen. Doch die Schotterpiste wurde gröber und steiler, sodass ich an die Grenzen kam.

Obwohl schon dunkel, musste ich aus der feuchten Bergbachfalle irgendwie entkommen. Eine steile Piste schien zur Straße zu führen, zuvor jedoch mündete sie an einem Hotel. Ich machte erstmal Picknick auf der Bank auf dem Parkplatzgelände des Besserverdienerhotels mit vielen deutschen Autokennzeichen. Alsbald kam ein Angestellter und fragte nach meinem Anliegen. Verwundert wie mitfühlend vermittelte er bei der Chefin, dass ich anbei mein Zelt aufbauen konnte – gleich neben den Gästeautos. Zu meinem Abendbrot spendierte er mir auch noch ein Bier. „Ich weiß, nicht jeder ist begütert, und er kennt das gut aus eigener Erfahrung. Wir müssen da zusammenhalten“, so ähnlich waren seine Worte. Für den Morgen versprach er mir auch noch einen Kaffee, dem aber eine deutsche Gästin zuvorkam, die mir auch noch Brote und Milchtüte brachte. Soviel Fürsorge an einem doch für mich eher unpassendem Ort – wie rührend!

[Mi 3.7.] Hotel Turmchalet – Brückele – Plätzwiese (1993 m) – via Piste – Dürrensteinhütte (2040 m) – via Piste – SS51 (Schluderbach) – Passo Cimabanche (1530 m) – Cortina d’Ampezzo

47 km | 1000 Hm

Das Projekt Plätzwiese hatte ich als Sackgasse geplant. Zunächst staunte ich auf der Mautstraße über die Remeda Rossa, eine rötliche, über Geröll abrutschende Felswand. Ist das Straßenende mit Gasthof und Bushaltestelle erreicht, wunderte ich mich über den äußerst einfachen Fortlauf bis zur Dürrensteinhütte. Das wollte ich gerne mitnehmen.

Ich entdeckte dann spontan ein Alternative zur Sackgassenrückfahrt: Die Abfahrt nach Schluderbach schien eine ebenso gute Piste zu sein, die ich problemlos bewältigen kann – sogar aufwärts wäre es gegangen. Ich feiere in der Hütte mit einem Polenta-Teller und einem Glas Rotwein die unerwartete Abkürzung.

Eher schon durfte ich mit neuem Schlechtwetter rechnen. Schon der ganze Morgen blieb düster und zaghafte Sonnenlücken verschwanden wieder umgehend. Nachdem ich bei Schluderbach auf die Straße gelangte, setze alsbald Regen ein, der nicht vor dem Morgen aufhören sollte. Einen ersten Starkregen passte ich am Passo Cimabanche ab, aber ich wollte ja auch nicht ewig warten.

Als ich mich auf der Radwegspur MV versuchte, drehte ich sofort wieder ab, ein ungemütliches Geröll, sogar schlechter als die Almroute von der Plätzwiese runter. Die Straße nach Cortina nimmt eine recht verschiedene Trasse hinunter. Es geht schnell und dunkel durch den Tag, in Cortina stand ich wieder triefend im Wasser. Ich musste mich an 2007 erinnern, als ich im Gewitterregen hier aufschlug und in einer netten Pension Unterschlupf fand. Die Dinge drohten sich zu wiederholen. Noch war ich optimistisch und kaufte Proviant ein. Doch an eine Weiterfahrt war bald nicht mehr zu denken.

Ich robbte mich erneut durch den Ort, bald nur noch Wolkenbruch – Wetterschutz unter dem Dach bei einem Hotel/Restaurant, bei dem ich überlegte, ob ich seinerzeit darin gesessen hatte. Aber alles war verändert, auch mein Budget – andere Zeiten eben, schlechte Zeiten. Nachdem ich mich gestärkt hatte, folgte das Warten. Das Wasser schoss die Straßen hinunter, drei Meter ohne Schirm hießen pudelnass zu werden, die Gäste trauten sich kaum zum eigenen Auto vor dem Restaurant. Unwirklich dachte ich über ein Hotelzimmer nach. Ich wusste, dass ich es nicht tun würde, aber mal schauen. Ich bemühte ein bekanntes Buchungsportal und suchte das Hotel gegenüber, ein offensichtlich einfaches Haus. Die Nacht für 180 Euro! Ich suchte weiter und hob die Preissperre auf. Angebote begannen dann ab 400 € zu rasseln, 600, 800 Euro – nicht pro Woche, sondern pro Nacht für eine Person. Ein Olympiaeffekt jenseits von Gut und Böse. Wer kann das zahlen? Gibt es keine Wucherkontrolle?

[Do 4.7.] Cortina d’Ampezzo – Alverà – Passo Tre Croci (1809 m) – Misurina/Col St. Angelo (1756 m) – Lago d’Antorno – Tre Cime di Lavaredo/Rifugio Auronzo (2320 m) – Misurina/Col St. Angelo – (Schluderbach) – Dürrensee – Toblacher See – Toblach – Toblacher Feld/Sella di Dobbiaccio (1219 m) – Toblach/Innichen Nähe Drauquelle

56 km | 1370 Hm

Dass ich die Nacht nicht im Hotel verbrachte, dürftet ihr mittlerweile erahnen – dafür fließend Wasser in 50 m Entfernung und wasserdichtes Dach einer Bushaltestelle, unter das mein Zelt passte, Weckdienst durch den morgendlichen Berufsverkehr, Panoramablick mit Morgensonne auf die Berge – null Euro, was will man mehr?

Im kalten Brunnenwasser starben meine Finger fast ab, aber gut ist was härtet. Der Morgen war doch so himmelhochjauchzend, dass ich in freudige Stimmung kam. Gleich steil an, etwas unübersichtlich die Anfahrt zum Passo Tre Croci, der oben einfacher ist als im Stadtgebiet von Cortina. In Alverà steht eine kleine Kirche offen mit einem Harmonium. Ich setzte mich hin und versuchte Tasten und Balg zu koordinieren. Ich kann ja nicht mal wirklich Klavierspielen – so ist da kaum was rauszuholen, man braucht nochmal eine weit anspruchsvollere Hand/Fuß-Abstimmung. Doch mir reichte eine kleine Akkordfolge, um meinem Hochgefühl noch mehr Flügel zu verleihen.

Das Morgengedicht setzt sich fort, glanzvoll die Arena der Cristallo-Gruppe. So dachten aber viele. Oben sind die Parkplätze schon überfüllt. Jeder wollte den Tag nutzen – und wer weiß, ob es hält. Weiter zum Misurina – kenne ich ja von 2005, immer noch die gleiche Szenerie, der gleiche Postkartenkitsch live. Stärkung vor dem Drei-Zinnen-Ritt. Die ist auch nötig, denn die Auffahrt zehrt mit konstant hohen Steigungswerten – nur wenige Verschnaufpausen wie etwa beim Lago d’Antorno.

Die Drei Zinnen sind dann nicht eindeutig als die „Drei“ zu erkennen. Auf der Anfahrt treten zwei Zinnen in das Blickfeld, die in dieser Perspektive stark zusammenkleben. Am Rifugio Auronzo wird man von den Felsen fast erdrückt, für den echten Drei-Zinnen-Blick müsste man weiterwandern zur Dreizinnenhütte mit einer Kapelle. Der Weg ist zwar flach und einfach, aber für Velos verboten zu radeln. So kalt der Wind und fortgeschritten die Zeit, verging mir da die Lust, zumal die Wolken aufzogen und die Gipfel einhüllten. Großes Bergkino hat man allerdings in alle Himmelsrichtungen – die Welt liegt zu Füßen. Den Berg wollten viele Radler bezwingen, auch Vollgepäckler aus den Niederlanden waren dabei, Familien mit Kindern kamen mir entgegen – wie auch immer die hochgeradelt sein mögen. Das Rifugio platzte aus den Nähten, ein Bett würde man spontan sicher nicht bekommen.

Ich habe ja noch Zeit für eine Abfahrt, ab Misurina mit wenig Aussicht, viel Wald, erst bei Schluderbach und dem Dürrensee werden einige Gipfelkulissen wieder frei – so auch der berühmte Drei-Zinnen-Blick, klarer hier als oben. Der Toblacher See ist ein nettes Seelenrevier, aber wenig spektakulär. Dazwischen wiederum Erinnerungskultur mit einem Soldatenfriedhof.

[Fr 5.7.] Toblach/Innichen – Nähe Drauquelle – Innichen – Sexten – Fischleintal – via Radweg/Piste – Talschlusshütte (1548 m) – Moos – Kreuzbergpass/Passo Monte Croce di Comelico (1636 m) – Cascata del Pissandolo – Padola – Candide – Campitello di Comelico – Santo Stefano di Cadore – Campolongo – Salafossa/Camping Val Visdende (+)
62 km | 870 Hm

Nach einem Fastfood am Rande von Toblach hatte ich mich im Dunkeln noch bis zur Drauquelle geschlichen – besser bis zur Skulptur der Quelle, die am Radweg steht, die Quelle selbst aber recht mühsam über rumpeligen Feldweg abseits am Waldrand zu erreichen. Wiederum ein Morgengedicht, der Tag zumindest wieder zwei Drittel bereit für schöne Aussichten. So macht Innichen Spaß zu besichtigen, ein stilvolles Ambiente mit Charme – lockt der Kaffee an einer Piazza, eigentlich noch hübscher als Toblach.

Käse aus der Molkerei Sexten sind wie die Zinnen und Felsnadeln der Sextener Dolomiten geformt. Am Bergbach entlang glitzernde Poesie. Der Radweg ins Fischleintal, teils Piste, erlaubt eine herrliche Almwiesenfahrt durch lichten Lärchenwald, die Bergkulisse winkt immer wieder durch. Bei mehreren Hotels und Gasthöfen endet die parallele Straße, die ich später retour fuhr. Für Velofahrer und Wanderer geht es weiter bis zur Talschlusshütte auf guter Piste, an Ausflugstagen wie diesen gewiss nicht einsam. Ein Talschluss, der den Namen verdient – große Arena, Festival der Zinnenchöre möchte ich jubeln.

Soviel irisierendes Feuerwerk musste bald gedämpft werden. Der Kreuzbergpass ist da schon weniger spektakulär, auch wenn er noch dolomitische Berghorizonte zur Schau stellt. Hier ein harter Schnitt in die Etappe hinein, ist hier doch die Grenze der Dolomiten im engeren Sinne zu den Karnischen Alpen deutlich zu spüren.

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