ALP-2024-TiSA-11
Verwunschen, verzückend, verkarstet, geheimnisvolle Sagen, vergessene Sprachen und humorige Künste – die versteckten Schätze der Karnischen Alpen
Irgendwie spürt man einen Wandel, eine andere Typik des Berglandes. Zwar sind die Karnischen Alpen ein Zwittergebirge, das auch noch häufig den Dolomiten zugeschlagen wird, doch ist der eigene Charakter durchaus sichtbar. Vor allem bei den Besucherzahlen gibt es deutliche Unterschiede, denn es wird einsamer. In der Abgrenzung hier beackere ich die Karnischen Alpen südlich des Karnischen Hauptkamms, östlich dem Piave-Tal und im Süden etwa bis zu einer Linie bei Ponte nelle Alpi. Die weiter südlichen Karnischen Alpen ordne ich den Venezianischen Voralpen zu, eine gute Hilfskonstruktion, um den Block nicht zu überfordern.
Am eingetrübten Abend scheint das italienische Leben der Orte irgendwie erlahmt. Die Schatten der Täler werden dunkler und enger, fast abweisend. Ich fahre noch den nächsten Berg an, obwohl enge Kehren warten und kaum Platz. Doch irgendwo ist eine Lücke – eine alte Brücke über dem Bergfluss, ein Rauschen der Nacht über Wasser.
[Sa 6.7.] Salafossa/Camping Val Visdende (+) – Cima Canale – Costa d’Antola/Val Visdende (1340 m) – Abzweig Forcella Zovo – Miravalle – Forcella Zovo (1602 m, beidseitig harsche Piste) – Costalta – Costalissoio – Campitello di Comelico – Danta di Cadore – Passo San Antonio (1489 m) – Auronzo/Lago di Santa Caterina – Pelos di Cadore – Lorenzago di Cadore
57 km | 1430 Hm
Die Straße nun kühn, von Murenabgängen gezeichnet, man baut an Sicherungsmaßnahmen. Die steinige Wildheit bald hinter mir, entwickelt sich ein Hochplateau mit Weiden, sumpfigen Strauchwiesen und mystischen Wäldern. Ein Sackgassenarm ist kurz, große Bergkulisse. Retour und zum Forcella Zovo. Der Asphalt endet früher als erwartet, heftig steil wie rustikal geschottert, kaum zu meistern, ein italienisches E-Bike-Paar kehrte schon im Asphaltbereich erschöpft um.
Der landschaftliche Gewinn liegt indes jenseits der Schotterteile. Besonderes erwartet den Besucher in Costalta – ein Ort voller Skulpturen, die mit Sagengeschichten verknüpft sind, ein Museum zur regionalen Kultur gewährt noch andere Einblicke. Ein Ort, der nach viel Muse verlangt. Ich bin mal wieder zu eilig unterwegs. Die Düsternis treibt mich schnell weiter, noch einmal tief ins Tal, klasse Aussichten, sogar mit leibhaftigem Fensterblick – überall etwas Charmantes, etwas Humor an den Häusern, ein Detail an der Straße, am Haus. Es ist eben Karnien.
Die Besonderheit auf dem Weg zum Passo San Antonio ist ein mystisches Plateau mit Moorlandschaft und einer endemischen Pflanzenwelt, dem Biotopo Torbiere di Danta.
In Auronzo war schon Blaue Stunde – passend wie der See auch so blau ist. Von der folgenden Schlucht konnte ich keine Eindrücke mehr gewinnen, es war schon zu dunkel – Erinnerungen hatte ich auch keine mehr von meiner Erstberadlung. Kaum erreichte ich den letzten Basisort für den Mauria-Pass, ergießt sich ein wechslend starker Nachtregen.
[So 7.7.] Lorenzago di Cadore – Passo della Mauria (1298 m) – Forni di Sopra – Forni di Sotto – Passo della Morte (Tunnel) – Sella di Cima Corso (886 m) – Ampezzo – Forca di Pani (1116 m) – Località Pani
52 km | 1420 Hm
Kaum ist ein Kaffee in Lorenzago zu bekommen, ein etwas seltsames Restaurant macht dann doch noch auf. Gerade kommt ein Gravelbiker vom Mauria-Pass runter und sucht das schützende Dach vor dem nächsten Regen. Lustig die kleine Welt, Christian kommt aus Esslingen, eine Nachbarstadt meiner aktuellen Heimat in Stuttgart. Er spendiert mir einen Kaffee, ist aber shcnell wieder auf Kurs.
Dann rotierte das Regenlotto, die schwachen Regenphasen galt es nutzen, ganz trocken blieb es selten. Den Mauria-Pass hatte ich als eher betriebigen Transitpass erwartet, doch erlebte ich ihn als ruhige, kaum befahren Strecke – vielleicht auch wegen Sonntag, touristische Hotspots gibt es hier ja nicht. Indes enthält die Passabfahrt im Osten zwei Gegenanstiege, darunter ein echter Zwischenpass. Einer der neuen Tunnels lässt sich umgehen, allerdings durch eine gesperrten Alttunnel. Mit Velo musste ich einmal die Taschen dafür abnehmen, fühlte mich aber ermutigt, als ich eine Wanderin aus dem Tunnel kommen sah.
Ampezzo weiß zu gefallen mit seinen Murales, die einer malerischen Initiativen der Gemeinde entstammen, von den Bewohnern getragen, ein hübsches Ortsbild weiterzuentwickeln. Der Forca di Pani knallte dann in die Waden in der Zoncolan-Klasse. Mein Aufstieg stockte mit stetigen Atempausen in Kurzintervallen. Fast fühlte ich mich am Scheitern, quälte mich aber in die Dunkelheit. Dann wurde es schon gefährlich, die Straße nicht immer ganz fest, der Straßenrand nicht mehr auszuleuchten, vollkommene Dunkelheit, das Rad nahe am Umkippen, die Kraft schwand, noch ohne Abendessen. Einige Male musste ich schieben um nicht umzufallen. Die Passhöhe trostlos, kein Rastpunkt, nur eine schmale Kuppe, gleich steil wieder hinunter. Etwas unterhalb fand ich eine Art Forsthaus mit flachem Steinboden – Ende einer Tortur, aufatmen, stärken, schlafen, Hoffnung auf Morgensonne.
[Mo 8.7.] Località Pani – Nastona – Colza – Enemonzo – Socchieve – Tagliamento/Casolare Seletto – Socchieve – Nonta – Mediis – Forcella di Priuso (654 m) – Ponte del Tagliamento – Forcella di Monte Rest (1076 m)
36 km | 935 Hm
Die Gegenseite vom Forca di Pani hat zwei Varianten, die beide ebenfalls Steilrampen sind, allerdings nicht so kompakt wie die Westseite. Zwar ist die Versorgungsmöglichkeit in Enemonzo dünn, aber es gibt eine gute Käserei, die viele Kunden der Region anlockt. Der Tag wurde schon fast ungewohnt heiß und war der Beginn des Wechsels der Großwetterlage, vom Aprilsommer zum fast beständigen Hochsommer mit hoher Luftfeuchte. Zur Feier gönnte ich mir eine übergebührlich lange Rast an einem Flussstrand des Tagliamento.
Nur wenige, meist verlassene Bauernhäuser mit Obst- und Gemüsegärten führen topografisch verwirrend nach einem Zwischenpass zurück an den Tagliamento. Ein Staudamm scheint die letzte zivilisatorische Instanz an einem Ende der Welt – so fühlte ich an diesem Ort mit dem weit ausgebreiteten Kiesbett, von blau leuchtenden Strängen des Tagliamento durchzogen. Vereinzelt glühen Lagerfeuer in die romantische Abendstimmung. Der Fluss windet sich durch seine unberührteste Zone, eine Einladung für einsame Flusswanderungen. Doch der Straßenweg wendet sich vom Fluss ab, steile Kehren, Arbeit für die Waden nochmal in die Nacht hinein.
[Di 9.7.] Forcella di Monte Rest – Tramonti di Sopra – Tramonti di Sotto – Redona – Meduno – Navarons – Poffabro – Forcella di Pala Barzana (840 m) – Bosplans – Andreis (Picknickareal am Fluss)
53 km | 860 Hm
Wieder kaum eine Rastmöglichkeit gegeben, musste ich am Straßenrand zelten, derweil hier kaum Autos vorbeischauen, schon gar nicht zu späten oder frühen Stunden. Keinesfalls hätte ich den Berg in Dunkelheit runterfahren dürfen, denn die Südseite bildet einen der schönsten Voralpenpässe der italienischen Südalpen. Noch lagen die ersten Kehren arg im Schatten, bald aber glitzerten Gräser, leuchteten Blumen, rauschten Kaskaden, erhoben sich Kuppenberge wie Zuckerhüte.
Badegumpen, Wasserfälle und smaragdene Flussbecken zogen an mir vorbei, immer nahe der Lust zur Abkühlung. Auch hier haben die Bewohner Sinn für Kunst am Haus, inspiriert von naiver Malerei wie von abstrakten Designs. Erst in Meduno fand ich einen gerade noch geöffneten Supermarkt. So heiß war es aber, dass ich nach der Siesta am Brunnen wenig später nochmal mit einer Flussbadepause die Döselei verlängerte.
In Poffabro bunkere ich nochmal eine Flasche Wein aus dem sympathischen Dorfladen. Eine Straßensperre wurde angekündigt, aber so recht wusste keiner, ob ich da durchkomme, wurde aber ermuntert, es zu versuchen. Die Straßenstörung betraf schließlich nur die Abfahrtsseite im Osten. Dort war die Straße auf kurzer Distanz eingebrochen, für Zweiräder aber eine Möglichkeit, das Geräte vorbeizuführen, auf vier Rädern allenfalls mit Geländewagen passierbar.
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