ALP-2024-TiSA-13
Tresterlikör, Folkmusik und ein ganzer Grabesberg – die südlichen Dolomiten mit dem Monte-Grappa-Stock, den Vette Feltrine und den südöstlichen Fleimstaler Alpen
Der Monte-Grappa-Stock und die Vette Feltrine (Cimonega-Gruppe) bilden den südlichsten Zipfel der Dolomiten, wobei die Zuteilung des Monte-Grappa-Stocks umstritten ist und in der SOUISA-Ordnung den Venezianischen Voralpen zugeschlagen wird, die aber so interpretiert hier nicht hilfreich sind. Die Po-Ebene ist mit der weiter nördlichen Valsugana nur durch eine schmale Schlucht des Canale di Brenta verbunden, während westlich und östlich davon die Bergkanten recht steil abfallen und eine massive Barriere bilden. Um von den Vette Feltrine den Anschluss zur Trennlinie des Brenta-Flusses zu den Vizentiner Alpen zu finden, fällt noch ein kleiner Teil der Fleimstaler Alpen hinein.
[Fr 19.7.] Campo di Alano – Alano di Piave – Malga Doch/Monte Tomba (852 m) – Bocca di Forca (1402 m) – Cima della Mandrina/Parkplatz (1443 m) – Val del Mure – Rifugio Ardosetta – Monte Grappa (1745 m)
29 km | 1660 Hm
Gut geschlafen, gefrühstückt und von Toni und Frau verabschiedet, müsste ja eine gute Basis gelegt haben. Kaum konnte ich ahnen, wieviel Kraft mich der Tag kosten würde. Erschlagende Hitze setzte mir schon bei der anspruchsvollen Auffahrt zum Monte Tomba, zu. Der Monte Tomba ist bereits ein Memorialberg für die Kriegsopfer, und auch insofern ein Vorposten des Monte Grappa.
Beim Cima della Mandrina sticht man in ein Tal hinunter, welches der Schwäbischen Alb ähnelt. Ehemalige Schützengräben geben Abbild des Grauens an dem Berg im Ersten Weltkrieg. Erst spät schält sich der Monte-Grappa-Gipfel heraus, die Krone des Berges mit dem Mausoleum schon zu erahnen. Jenseits von einem offen zugänglichem WC einer Alm am Monte Tomba fand ich nur noch etwas Zisternenwasser ohne Trinkqualität, die geschlossen Toiletten auf dem Monte Grappa eingerechnet am ganzen Berg, soweit man nicht extra in einer anderen Alm oder dem Rifugio einkehren mochte. Das ist nicht besonders radfreundlich gemacht.
Auf der vereinten Gipfelstraße nehmen radsportliche Insignien an und auf der Straße zu. Oben hatte ich dann schon Dämmerung, Dunkelheit, in der Ferne Wetterleuchten. Eine Rennradgruppe kam noch im Dunkeln rauf. Der Rifugio-Wirt hatte längst geschlossen, verkaufte aber schlau kleine Wasserflächen an die Radler durch die Tür. Die Rennradler wagten die Abfahrt mit Batterieleuchten und Stirnlampen. Das wollte mir zu riskant sein, zudem drohte schlechtes Wetter, unbekanntes Terrain und ich hatte den Berghöhe ja noch nicht besichtigt.
In einer überdachten Nische des Rifugios legte ich Matte und Schlafsack. Schon eingeschlafen, erschien um 0:30 der Rifugio-Wirt und forderte mich auf zu gehen „Zona militaria“, versuchte er mir klar zu machen. Zwar gehört das Gelände dem Militär, aber es ist keine militärische Anlage, sondern eine öffentliche Gedenkstätte. Und der Wirt ist nicht Soldat, sondern kommerzieller Pächter eines Gastbetriebs. Die Lage spitzt sich zu, weil ich so in die Nacht mit Gewittergefahr nicht raus wollte. Gewiss habe ich hier auf privatem Grund keinen Anspruch auf ein eine Biwakstelle. Aber welcher Feind der Berge muss man sein, auf 1750 m Höhe einen Menschen in eine Gefahrenlage zu zwingen? Frau und Sohn sind im Hintergrund, bis der Sohn schließlich sich fordernd vor mir aufbaut und stehen bleibt, bis ich meine Sachen zusammengepackt hatte. So sehr war es das Gegenteil des Vortags, zwei menschliche Welt zwischen gut und bösartig innerhalb von 24 Stunden und nur 30 km getrennt. Ich konnte schließlich eine Ecke beim Museum unterhalb des Rifugio finden – in der „zona militaria“ gewiss auch.
[Sa 20.7.] Monte Grappa – via SP140 – Semonzo del Grappa – Romano d’Ezzelino – Bassano del Grappa – Romano d’Ezzelino – Pove del Grappa – Solagna – Campolongo sul Brenta – via Ciclopista del Brenta – Valstagna – Costa
66 km | 425 Hm
Nach der unschönen Nacht begab ich mich zum Mausoleum, ein martialisch glorifizierender Bau für die gestorbenen Soldaten, nicht unbedingt ein Mahnmal oder ein Friedenszeichen. Der hintere Bereich war nicht erreichbar, wahrscheinlich wird an einer Erweiterung des Museums gebaut. Die Gipfelgestaltung fand ich dann doch insgesamt etwas enttäuschend.
Die Abfahrt führt über ein verkarstetes Zwischenplateau, die die Fernsicht in die Ebene früh abschneidet. Auch die Serpentinen eröffnen wenig Ausblicke, sodass man fast unvermittelt plötzlich in Semonzo in der Ebene steht.
Bassano ist Inbegriff des Grappas, wenn auch anders als bei Weinen nicht exklusiv auf die Region beschränkt. Es gibt einige andere Gebiete in Norditalien und der Schweiz, aus denen wertig anerkannte Grappas stammen. Das Angebot ist üppig, insbesondere um die berühmte Ponte degli Alpini (Ponte Vecchia) tummeln sich Destillerien und Shops mit Grappa und anderen Likören oder sonstigen Spezialitäten der Region. Ich besuche die alteingesessene Destillerie Poli 1898 für eine Probe, zugleich Grappa-Museum über Produktionsverfahren und die Geschichte des Likörs. Zahlreiche Ausstellungsstücke vermitteln ein umfangreiches Bild um das Trestergetränk, sogar gratis. Die Probe ist kalkuliert knapp bemessen, aber Unterschiede schmeckt man recht schnell zwischen alt gereiften Grappas und kürzeren Fasslagerungen. Ein Mitbringsel erhöht aufs Weitere meine Gepäcklast.
Am Supermarkt schmelze ich unter der brütenden Hitze fast dahin. Nicht nur wegen der Hitze, sondern auch wegen des hohen Verkehrsaufkommens und dem doch etwas zwiespältigen Berg verwarf ich eine zweite Monte-Grappa-Variante. Da musste ich erstmal in einer schattigen Bar meine Route umplanen. Die Bergziege steigt um auf Flussradfahrer – vorläufig gewiss, und mit Genussgewinn, wie sich bald zeigte.
Anfangs auf einer Nebenachse in den Canale di Brenta eingeschert, musste ich zunächst ein Stück wuselige Straße überwinden, bevor ich zum Radweg wechseln konnte. Dramatisch ragen Felsen auf, am Fluss locken immer wieder Badestellen, Picknickplätze laden den Radler zur Rast ein oder man feiert gleich große Grillfeste, sofern Platz und Wiese es erlauben. Kaum mehr Verkehr ist auf der rechten Uferstraße nebst Radweg, teils auch identisch mit der Radroute selbst – kaum Raum ist für mehr. Den Wettbewerb um die Perle des Canale di Brenta gewinnt zweifellos Valstagna, man möchte sich gleich irgendwo hinsetzen und feine Speisen an der Flusspromenade kosten. An einer Mauer malen Kinder und Erwachsene Motive des Kanu- und Kajaksports, in dem hier internationale Wettbewerbe und nationale Olympiaausscheidungen ausgefochten werden.
[So 21.7.] Costa – Collicello – Cismon del Grappa – Piovega di Sotto – via Ciclopista del Brenta – Primolano – Sella di Val Nevera (692 m) – Arsiè – Caupo – Mugnai – Feltre – Pedavena – Passo Croce d’Aune (1015 m) – Salzen – Servo – Sorriva – Servo – Sorriva – Oltra
70 km | 1170 Hm
Die fortlaufende Schluchtstrecke war ein freudiger Erguss an Stimmungen, die den neuen Morgen berührend inszenierten. Einige Streckenteile des Radwegs sind mit Sperrschildern ausgewiesen oder verlangen wegen schmaler Führung ein Schieben des Rades, was aber niemand macht. Tatsächlich gesperrt ist die Strecke dann erst jenseits von Primolano, wo ich ohnehin eine andere Route einschlug.
Von Primolano führt ein Variante der VCA nach Feltre, die originale Route führt allerdings nördlicher über zwei bis drei Pässe etwas anspruchsvoller nach Feltre. Auch diese Route hier konnte ich etwas aufpeppen mit Sella di Val Nevera, der nicht Teil der weiter unten verlaufenden VCA ist. Eine dritte Alternative führt noch südlicher an einem Stausee vorbei, mit einer allerdings stark steinschlaggefährdeten Wegstrecke, die offiziell gesperrt schien, aber nicht alle Radler aufhielt, als ich die Einfahrt kurz bemusterte.
Zwischen dem Lago del Senaiga bei Arsiè und Feltre schleicht die Radroute an steilen Felswänden vorbei, in die – etwas schwer erkennbar – zwei Gebäude kühn in eine ausgeschlagene Felsnische gesetzt sind. Tatsächlich diente die Einsiedelei Eremo di San Micel in Fonzaso einst als Beobachtungsposten und Feuermelder für Brände im Talort. Als Warnsignal diente der Glockenturm des Kirchleins, während der Feuerwächter im separaten Häuschen Posten bezog, um das Tal zu überwachen.
Feltre arbeitet sich schnell in das Herz des Besuchers ein, verschiedene Baustile mischen sich zu einer sehenswerten Altstadtkulisse, in der sich auch gut in Lokalen oder an Brunnen chillen lässt. Ich genieße die Siesta mit tschechischem Bier und Bruschetta in einer Biereria. Begleitend zum Bruschetta durchbrach irische Folkmusik aus dem benachbarten Hof die Stille der heißen Mittagsstunden, ein Stück Besinnlichkeit zwischen alten Gemäuern. Da störte es dann auch nicht wirklich, dass sich die Sängerin durch ein wildes Repertoire sang und flötete bis hin zum Weihnachtslied.
Schon wenig weiter wartet eine erneute Attraktion. Pedavena ist ein der bekanntesten Braustädte in Norditalien, das Bier bekommt man überall von Südtirol bis Veneto. Indes zieht ein solcher Ort – nicht unähnlich zu Deutschland – große Gruppe von Motorrädern und Autotouristen an. Zum Glück hatte ich mich zuvor ja entspannt gut versorgt, sodass ich in Pedavena ob des Andrangs eher schnell flüchtete.
Der Passo Croce d’Aune ist zunächst eher durchschnittlich, gewinnt aber auf der Südostflanke an eindrucksvoller Szenerie. Die Passhöhe, zugleich betriebsamer Urlaubsort, widmet ein Denkmal dem vielleicht bekanntesten italienischen Pionier von Velotechnik – Tullio Campagnolo. Campagnolo, einst auch Rennfahrer, büßte 1927 beim Laufradwechsel am Passo Croce d’Aune schmerzlich viel Zeit ein, sodass er folgend den Schnellspanner entwickelte. Unter seinen 135 Patenten befindet sich sogar ein spezieller Korkenzieher – welcher Italiener denkt nicht auch immer an Wein, die alten Römer doch schon.
Wäre es nicht wieder so trübe und trist gewesen, hätte sich der gestaffelte Abschwung vom Croce d’Aune in die vordere Liga der befahren Pässe gespielt. So musste ich vielfach darum kämpfen, überhaupt ein gutes Foto zu machen, zu schlecht waren die Lichtbedingungen und von Wolken verwobenen Berge. Dabei nähren zahlreiche Schnitzfiguren, Skulpturen und einladende Brunnen das Bild von einer herzlichen Bevölkerung.
[Mo 22.7.] Oltra – Lamon – Ronche – Arina – Passo della Baia (1123 m) – Castello Tesino – Col delle Bagole (881 m) – Parco La Cascatella – Castello Tesino – Grigno – Tezze Valsugana – Primolano
58 km | 1170 Hm
Noch hatte ich abends Oltra am Gegenhang und leicht über der Talsohle des Valle del Vanoi erreicht. In dem Tal zum Passo di Rolle ist ein Staudamm geplant, der große Bedenken und Widerstand in der Bevölkerung stößt (mit Blick auf die Katastrophe von Longarone auch verständlich). Der Betreiber des Bed&Breakfast Manarin lud mich bereits abends zu einem Cappuccino ein und gleich noch morgens für ein Frühstück – und das obwohl er eigentlich zahlende Gäste beherbergt. Ein verneigendes Danke möchte ich hier nochmal nachschicken!
Das Zelt hatte ich außen neben einem Parkplatz aufgestellt. Die anderen Gäste schliefen noch, als ich bereits schon im Sattel saß – nicht unüblich übrigens auch andere Radler, denn Oltra liegt unmittelbar an der originalen VCA-Route der Altinate-Variante. Nur wenig später in Lamon wurde ich zum nächsten Kaffee eingeladen – ich hatte gar keine Wahl, ein Mann mit gebrochenem Arm, sonst auch sportlicher Radler im Leben, wollte unbedingt mit mir ein paar Worte wechseln.
Während die VCA weniger anspruchsvoll, aber wohl auch attraktiv nach Castello Casino führt, bewältigt man mit den Passo della Baia fast parallel einen recht schweren Pass, der sich nahezu verkehrsfrei präsentierte. Im oberen Bereich liegen mehrere Quellen an oder nahe der Strecke. In Castello Casino, Durchgangsort des Giros des laufenden Jahres gewesen, hat der italienischen Radrundfahrt der Profis einige Murales und andere hübsche oder humorige Radinstallationen gewidmet. Es lohnt sich hier, kurz auf die VCA-Strecke in das Seitental zurückzufahren, um zum Parco La Cascatella hinunter mit sehenswertem Wasserfall, Rastmöglichkeiten und einem Ausflugsbistro zu gelangen.
Das erfrischende Wasserfallbad hätte ich dann doch nicht gebraucht, denn erster Regen setzte ein. Nach dem Schauer dampfte die Straße unter der nochmal hervorlugenden Sonne. Das war aber nicht von Dauer und Schauer um Schauer verfolgten mich fortan, die drohende Wetterfront kam aus der Valsugana im Nordwesten, rückte aber nur langsam voran, sodass ich Chancen zur trockenen Flucht erhielt. In Primolano war ich dann passend in einer Bar bei Tramezzini und Bier, als der Regensturm hinwegfegte.