Kehre 5, 2335 m, Ötztaler Gletscherstraße, Gletscherblick mit Zelt und Velo in Kurve
Alpen,  Südtirol-Trentino,  Tirol,  Touren

ALP-2024-TiSA-22
Buchweizentorte, Dornenkrone und Höhenrekord – tirolerische Einheit diesseits und jenseits der Timmelsjochscheide mit Ötztaler Gletscherwelten

In diesem Kapitel binde ich Südtirol und Tirol zusammen, etwas unerwartet auch durch ein besonderes Ereignis an der Grenze, die ja keine sein soll. Die Tirolfrage stellt sich hier also auch politisch nochmal auf. Meine Verbindung möchte ich aber frei von Zank und Ideologie für alle Wege und Völker der alpinen Bergwelt in einem grenzfreien europäischen Geist verstanden wissen. Nicht die Rückkehr alter Grenze, sondern Grenzen vereint überwinden – das ist mein Gedanke aus der Geschichte für die Zukunft.

Radlerisch standen nochmal einige Hämmer auf dem Plan, auch ein Spiegel der Toureröffnung. Dabei kam ich nochmal in die Ötztaler Gletscherwelt und auf eine Tophöhe der Alpenstraßen. Landschaftlich steht dabei dem Kaunertal eher die Krone zu als der Ötztaler Gletscherstraße, obwohl letztere den Alpenrekord in der Höhe hält. Nach fast 20 Jahren das Timmelsjoch noch einmal zu wiederholen – diesmal von Süden –, entpuppte sich fast als Neuentdeckung, zumindest im Süden.

[So 1.9.] Corte Inferiore/Via per Proves (Picknickareal) – Wegele – Stablet – Buacha – Proves/Proveis (1420 m) – Maierhöfe – Neuhaus – Matzlaun – LS/SP88 – Hofmahdjoch/Passo Castrin (1720 m) – Innerbirbach/Pumbach – St. Pankraz – Lana – Tscherms – Marlinger Brücke – Meran – via Passeier-Radweg – Saltaus – Quellenhof – St. Martin in Passeier – St. Leonhard/Rastplatz 4 Elemente/Museum Passeier

65 km | 1145 Hm

Morgens kam bereits ein Ranger, der die Grillhütte mit neuem Holz versorgte. Die Besucher sollen nicht den geschützten Wald dafür rupfen. So moosig und mystisch die Waldpassage, so erhebend und leuchtend dann die Almwiesen, ein paar Bergweiler verstreut.

Ich sah nun endgültig mein Finale eröffnet und das sollte mit einer Buchweizentorte am Morgen gefeiert werden. Urlaubsendstimmung gab es auch im Gasthof, wie ich am Rande so mitbekam. Über Proveis fährt man eine sehr schöne Alternative zur Talstraße weiter unten. Auf die Hofmahdstraße kommt man so recht weit oben – noch später, wenn man die Höhenstraße von Proveis über Matzlaun fortsetzt (auch hier könnte man ins Tal abfahren).

Sodann überschnitt sich nur noch eine geringe Strecke mit der Erstberadlung des Hofmahdjochs, der Rest bis zum Hochpunkt und Tunneleintritt machte sich recht flott. Dort herrschte großer Sonntagswandertag, die Parkplätze randvoll, gutes Saisonendgeschäft für die Almen. Da ich um die Etschtalquerung und das Meraner Verkehrsmoloch fürchtete, legte ich eine Badepause lieber früher in ein Badegumpe noch im Ultental. Auch am Sonntagnachmittag konnte ich in Lana nochmal den zentralen Supermarkt besuchen – das dritte Mal war ich nun dort, ohne allerdings Rabatt zu bekommen.

Meran konnte ich diesmal recht schnell queren, nachdem ich die Passer mit Park und Promenade gefunden hatte. Man kommt im Passeiertal-Radweg ganz gut voran, wenn auch die Piste schon etwas rau ist. Die Straße ist aber keine wirkliche Alternative hier. Die Fahrt bis fast zur Passbasis des Timmelsjochs zieht sich dann noch lange in den späten Abend. Glücklich wer Glück hat, setzte der Regen genau ein, als ich ein schützendes Dach über einer Picknickecke erreichte.

[Mo 2.9.] St. Leonhard/Rastplatz 4 Elemente/Museum Passeier – St. Leonhard in Passeier – Moos i. P. – via Timmelsjochstraße – Timmelsjoch/Passo del Rombo (2474 m/2509 m) – Windeck – Tobelbrücke – Untergurgl – Zwieselstein

53 km | 1930 Hm

St. Leonhard ist Geburtsort von Andreas Hofer, legendenhaft umrankter oder auch glorreich verehrter Freiheitskämpfer für Tirol gegen bayerische und französische Fremdherrschaft, Anführer des Tiroler Volksaufstandes 1809 und – von Napoléon befohlen – schließlich 1810 in Mantua hingerichtet. Unweit vom Geburtshaus ist ihm eine eigene Kapelle gewidmet, nur unweit die ältere und kuriosere Heilig-Grab-Kapelle – Religion und Politik habe sich ja immer gerne vermengt, um sich Legitimität zu verschaffen.

Der Tiroler Patriotismus verfolgt mich dann auch noch den ganzen Tag. Die Timmelsjochstraße, als Mautstraße betrieben, wurde in den letzten beiden Jahrzehnten weiter touristisch aufgewertet. Der Eingangskreisel in St. Leonhard zum 50-jährigen Jubiläum ist da nur ein erstes Zeichen. Ein Mountain Motorcycle Museum Crosspoint bei der Mautstation Hochgurgl und das noch jüngere Timmel_Transit Museum mit der aufbereiten Bau- und Nutzungsgeschichte der Straße nahe der Passhöhe (Südtiroler Seite) untermauern die Ambition der Betreiber, allerdings auch als Lockmittel für mehr motorisierten Verkehr, insbesondere der Motorradklientel. Landschaftlich zwar ein Erlebnis, muss man aber entsprechend in Zukunfft eher mit noch mehr als weniger Verkehr rechnen. Typischerweise für reine Touristenpässe brach der Verkehr gegen Abend dann stark ein.

Für die Nebenwege hatte ich mir leider keine Zeit eingeplant, so die Passaierschlucht (nur fußgängig zu erleben) oder auch das weitreichende Pfelderer Tal. In den oberen Kurven hängen Reste von Trikots wie Himalayafähnchen, die vergletscherte Gipfelkulisse weiß das passend zu beehren. Oben wurde es dann schon unangenehm kühl, zumal der Wind stark auffrischte, wie es für diesen Teil des Timmelsjoch typisch ist. Auf der Passhöhe wurde ich dann schließlich Zeuge der Installation einer neuen Skulptur, die die Passhöhe künftig schmücken wird. Ein drittes Abbild der originalen Dornenkrone, 350 kg schwer und drei Meter hoch, wurde gerade von einem Tieflader auf eine Anhöhe über der Straße gehoben. Sie gilt als Symbol der Einheit Tirols und der immer noch in vielen Kreisen als ungerecht empfundenen Teilung Tirols im Zuge des Ersten Weltkriegs. Das von den Tiroler und Südtiroler Schützen lancierte Projekt wurde mittlerweile am 21. September mit einer feierlichen Einweihung abgeschlossen.

Ich konnte mit einem der Organisatoren des Südtiroler Schützenbundes ein kurzes Gespräch führen, der eine recht konservative Sicht auf die Tirolfrage zu haben schien. Nicht alle sehen darin aber die verklärte Vergangenheit oder das verbitterte Zurückdrehen der Geschichte, sondern auch ein Stück Zukunft. So betonte etwa der Landeskommandant Mjr. Thomas Saurer für Nord- und Osttirol: „Die Tiroler Landeseinheit soll geistig und kulturell für die Zukunft gestärkt werden – und so wollen wir das Verbindende in unserem Heimatland Tirol, und ein friedvolles Miteinander, vor das Trennende stellen!“

Noch perspektivischer äußerte sich Landeskommandant Mjr. Enzo Cestari für Welschtirol bei dem Festakt: „Wir müssen uns daran erinnern, was vor mehr als 100 Jahren geschehen ist, das ist unsere Pflicht, aber wir dürfen uns nicht nur auf das Erinnern an einen ungerechten Akt, der zur Teilung unserer Heimat geführt hat, beschränken. Wir müssen den jungen Menschen mit dieser Einweihung auch ein starkes Signal geben, für eine neue europäische Perspektive, in der Hoffnung, dass immer mehr junge Menschen, unsere Werte und Traditionen verstehen, davon träumen und daran mitarbeiten, eine Zukunft des Friedens für alle zu schaffen.“

Es war mir nun dringend geboten, mit dickeren Kleiderschichten noch ins hoffentlich etwas wärmere Tal zu gelangen. Zwieselstein liegt zwar deutlich windgeschützter, so recht warm war es dort aber auch nicht – schließlich ist noch Hochlage und schon fast Alpenherbst. Die Preise in den Gasthöfen schockten mich schon ein wenig, wie Pizza für 20 Euro. In der Neuen Post war es etwas günstiger, wenngleich Pasta teurer war als einige Fleischgerichte. So wählte ich Schweinbraten mit Knödel sowie Apfelstrudel, Bier statt Wein, weil Wein wie in der Schweiz nur noch Luxusgut ist. Das war dann sogar in Südtirol günstiger wie auch Kaffee oder Espresso.

[Di 3.9.] Zwieselstein – Bodenegg – Vent – Rofen/Venter Tal (2014) – Zwieselstein – Sölden – Rettenbachalm – Ötztaler Gletscherstraße (Kehre 5)

45 km | 1600 Hm

Zwei Nebentäler wollte ich noch als Ötztaler Highlights befahren. Das Venter Tal zeigte sich wasserfallreich mit einer offenen, grünen Berglandschaft. Die Strecke hat keine besonders schwierigen Anstiege, sodass ich sogar ein Stück mit zwei gepäcklosen Hotelradlern mithalten konnte, aber dann doch für meine Fotodokumentation abreißen lassen musste.

Vent ist das namensgebende Bergdorf mit einigen Hotels und Gasthöfen, einem kleinen Dorfladen, eigentlich auch das reguläre Straßenende. Zu den Rofenhöfen, einem Almweiler mit Einkehrmöglichkeit, kommt man allerdings noch weiter auf etwas buckligem Asphalt, sodass mir auf der Rückfahrt zweimal eine Lowridertasche rausflog.

Auf der Almterrasse, bald zu kühl für die Terrasse, lerne ich Iris aus Karlsruhe mit ihrem Partner kennen, die am Vortag den Ötztalmarathon mitgefahren war. Der Abschwung nach Sölden war dann schnell gemacht, die verbaute Talmulde erwartet unschön. Ich musste noch ein abknickendes Führungsrohr am Schaltzug mit einem zurechtgefeilten Hölzchen improvisiert schienen – und hielt besser als erwartet, nachdem zuvor mit Papiertaschentuch dies immer noch einigen Lenkbewegungen herausgefallen war.

Nun ging es auf Rekordjagd, zur höchsten asphaltierten Straße der Alpen, je nach Betrachtung auch Europas (die Straße am Pico de Veleta ist für den Autoverkehr im oberen Bereich gesperrt). Heute sollte ich aber soweit nicht mehr kommen. Die Steigungsspitzen sind recht hoch, aber nicht unwirklich. Irgendwo ist ein Reisebus liegen geblieben, die Polizei sperrt ab, wo keine Autos fahren, der Busfahrer schien gelassen zu bleiben. Ein Spezialschlepper war bereits in der Anfahrt.

Bei der Rettenbachalm wird die eher langweilige Auffahrt von einer Almlandschaft abgelöst, der Blick zum Rettenbachferner bereits frei nach oben. Eigentlich wäre hier die letzte Zwischenlage mit einem flachen Untergrund gewesen. Doch fühlte ich mich noch zu fit, um abzubrechen. Nun haben die Kehren weiter oben kaum Auslauf, aber irgendwo muss ich dann doch Rast machen, die Gletscherstation oben war einfach zu weit entfernt. Und wer hat schon mal Kehre 5 auf 2335 m als Nachtlageradresse im Gästebuch eingetragen? – Das ist doch hitverdächtig!

[Mi 4.9.] Ötztaler Gletscherstraße (Kehre 5) – Rettenbachferner (Gletscherstation) – Tunnelausgang Tiefenbachferner (Rosi-Mittermaier-Tunnel) (2830 m) – Parkplatz/Restaurant/Talstation Tiefenbachbahn – Rettenbachferner (Gletscherstation) – oberster Parkplatz Rettenbachferner/Monument „Höchster Straßenpunkt der EU“ (2798 m) – Sölden – (Huben) – Längenfeld – Umhausen – Tumpen – Habichen – Oetz – Ötztal -Bahnhof – teils via Radweg – Haiming – via Radweg/Feldweg – Silz (Pirchet-Wald)

74 km | 790 Hm

War es den ganzen Vortag meist trüb, so konnte wenigstens der erste Tagesteil mit sonnigen Aussichten die Ötztaler Gletscherwelten in Szene setzen. Gletscherwelten – das muss man hier einschränken, denn von den Gletschern ist nicht mehr viel zusehen. Ein Teil der Gletscherfläche des Rettenbachferners ist mit Plane überdeckt, Schneekanonen stehen bereit für die Weltcup-Eröffnung Sölden, nur noch kurz die Zeit bis dahin. Den Gletscher retten aber weder Schneekanonen noch ständige Skievents.

Das Trauerspiel setzt sich fort, wenn man den schönsten Anblick bei der Gletscherstation hinter sich lässt und durch den Rosi-Mittermaier-Tunnel aufwärts fährt. Ich hatte gewiss zusätzliches Pech, wurde doch gerade im Tunnel die Fahrbahnmarkierung erneuert und verbreitete sich ein entsprechend ekliger Gestank, der bereits meterweit vor dem Tunnel zu riechen war. Das eigentliche Trauerspiel beginnt aber erst jenseits vom Tunnel. Die höchste Stelle der Straße (2830m m) am Tunnelausgang ist den Tirolern nicht mal ein Schild wert – wo ist denn nun diese höchste Straße?

Noch tragischer ist die trostlose Gletscherlandschaf des Tiefenbachferners, weitgehend vom Eis befreit, eine Geröllhalde, aufgerüstet mit Schneekanonen, Baumaschinen im Hang, was immer dort präpariert wird. 40 m unterhalb des Tunnels schaudert den Betrachter eine riesige Parkplatzfläche an, wo selbst der Linienbus verloren herumsteht. Ein hässliches Gletscherrestaurantgebäude auf zwei Stockwerken wibrt mit Automobilbannern – genau das Richtige Mittel gegenden Klimawandel und schmelzende Gletscher? Für eine solchen Ort einen Autotunnel durch und in bedrohte Gletscherwelten zu bohren, das ist eigentlich skandalös. Ob das Rosi Mittermaier so gut befinden würde, dass diese unsinnige Tunnelröhre ihren Namen trägt? Eines der überflüssigsten, wenn nicht schändlichsten Bauwerke in Europa – sorry, Sölden, sorry, Tirol!

Kehre ich zur Rekordjagd zurück. Ich wusste es ja besser schon zuvor, die Spannung wollte ich hier kurz halten, um den ganzen Söldener Kokolores mal zu veranschaulichen. Zurück an der Rettenbachferner-Gletscherstation, wartet eine weitere Straße zur anderen Seite. Diese Auffahrt ist bescheiden kurz und als Top bekommen wir einen besonderen Platz serviert, kaum mehr Ausblick als unten an der Station – einen Parkplatz! Die Sensation dieses Parkplatzes ist das hässliche Stahl-Betonsockel-Monument der „Highest road in the EU – 2798,16 m“!!! – Wir staunen nicht schlecht, gleich zwei sachliche Fehler, gewürdigt mit einer sachliche hässlichen Asphaltfläche. Die tatsächliche Stelle nahebei, aber nicht vermerkt, hier die falsche Stelle ausgerufen – und damit eindeutig auch falsch betitelt, denn bereits länger als dieser Parkplatz existiert die Straße am Cime de la Bonette mit 2802 m als höchster EU/Europa-Straßenpunkt, einmal vom zweifelhaften Veleta abgesehen. Soviel inkompetentes Showgerassel an der ohnehin ästhetischen Brechreizkurve – wem dürfen wir das jetzt anlasten – Sölden, Tirol oder den Österreichern im Allgemeinen?

In Sölden (Ortszentrum) regten sich dann auch wenig Glücksgefühle bei einem teuren Burger und der Shoppingmeile mit redundanten Angeboten, wo sich „Bike Republic“ nur noch wie Marketinggeschrei anhört. Schnell möchte man da weg, das Ötztal nun fortan mir bekannt nicht gerade eines der geliebten Alpentäler, wenige gute Aussichten, wenig Landschafts- und Floraentwicklung.

Ich ließ die Orte schnell vorbeiziehen, leistete mir noch ein paar letztlich überflüssige Radladenbesuche, Discountereinkauf in Umhausen, ein Amerikaner aus Detroit radelte gerade auf Gegenkurs fürs Timmelsjoch, Sölden wollte er am Tag noch schaffen, wenn ich auch zum Stopp in einem kleineren Ort riet. Schon ist es düster, in Oetz nochmal größerer Touristenauflauf in den Straßen und Gastbetrieben. In Ötztalbahnhof gab es dann Schwierigkeiten mit der Radwegbeschilderung, der Nase nach geht meist am besten.

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