Der Ritzelmörder
Eine Geschichte aus der Unterwelt der Radtechnik
In memoriam PeterXTR vs. PeterRohloff, tragisch verschollen auf einer Bergtour in den Hochalpen
übersetzt aus dem Koboldesischen von pedalgeist
„So zärtlich wie meine Sohle die Lehmklumpen massiert, habe ich noch keine Frau liebkost“, sage ich mir – erst gedankenlos, dann vorwurfsvoll.
„Kratsch, aua!“ schreie ich, nein denke ich nur, peinverzerrt im Gesicht, als ich mir an einer spitzen Steinplatte die Hand aufreibe. Es blutet, ich verdränge den Schmerz, zu angespannt sind meine Adern, zu hypnotisiert meine Nervenstränge. Werde ich die Hand noch brauchen? Lauert ein mächtiger Katakombenherrscher beim faden Lichtschein? Noch drei Schritte, zwei, der letzte…
Die Gänge sind dunkel. Kein Licht. Gelegentlich ein Fiepen der Ratten, ein Plättschern aus den durchlässigen Erdschichten in diese Hohlkammer unter der lehmigen Erde. Geruch nach feuchtem Moos, nach fauligen Äpfeln, äthylische Nasenkitzel. Ein Ort der Geheimnisse. Was geht hier vor? – Ich krieche mühsam weiter, stolpere, halte wieder den Atem an. Dann in einer fernen Ecke ein schwacher Lichtschimmer, ein Flackern. Noch behutsamer setze ich Fuß an Fuß.
Was ist das? – Ein warmer Strahl breitet sich von einem halboffen Ofen aus. Für einen Moment genieße ich die erholsame Glutwärme der Holzscheite. Aber dann diese seltsamen Ringe. Alle gezahnt. Sie hängen an Metallspießen an der Decke, an den Wänden, stecken in Felsritzen, stapeln sich vom Boden bis zu einem Metter hoch. Filigran geschichtete Türme, die nur in dieser Windstille hier unten so stehen bleiben können. Auf den ersten Blick vermute ich alle gleich groß, muss dann aber meine Ansicht korrigieren. Es sind verschiedene Größen von Zahnrädern. Alle habe Löcher. Warum? Noch ein Schritt weiter, erschrecke ich. Ein Kobold, mit grün-braunem Umhang, aufgegerbt, den moosbewachsenen Wäldern der Umgebung über den Hohlgängen gleich, hämmert und sägt an den Rädern. Er schaut freundlich zu mir auf, spricht dann im sanft gefälligem Ton und grüßt mit nobler Verbeugung, scheint gar nicht überrascht. „Willkommen, lieber Radfreund! Trete näher, lass dich anschauen – ich habe viel von dir gehört.“
„Woher weist du, wer ich bin?“, frage ich unsicher und verwirrt und höre mein Herz noch angespannt schlagen.
„Ach du, das lese ich doch jeden Tag, dieses Radzeugs da im Internet.“ Er weist auf ein kleines, unscheinbares weises Fitzelchen, auf einem Tisch hinter dem Ofen. „Nichts ist geheim, was ihr große Menschen da oben tut. Über meinem Dach seit ihr auch schon geradelt. Über Stock und Stein. Hier unten hat’s vibriert wie beim Beben von Theben. Alles musste ich aufräumen. Ihr Saubande, ihr!“ Er lachte schallend, feilte aber dann weiter an den Zahnrädern.
„Oh, ja. Da sind wir etwas wild geworden. Demnächst werden wir die Waldböden wieder meiden. Ich werd’s meinen Freunden sagen. Ich bitte um Entschuldigung“, versuchte ich zu beschwichtigen.
„Ach, geh, du Radelfreund. Ich kräm mich gar und schellt euch auch nicht. Ihr habt Freude und ich ein wenig Abwechslung bei der Arbeit. Es ist nicht schön, tagein, tagnacht das Gleiche zu tun. Was soll ich aber mein Leid klagen, seid mein Gast heute Abend.“
Meine Aufregung verflog ein wenig, die Worte des Kobolds stimmten weiter freundlich.
„Ja, lieber Kobold, was treibt dich denn an, was werkelst du denn hier so intensiv im schwachen Fackelschein?“ fragte ich nun ganz selbstbewusst, möglicherweise einem tiefen Rätsel auf der Spur zu sein.
„Ja, das ist eine lange Geschichte. Für euch mag ich das ein wenig kürzen. Da war einmal ein junger Mann, der klagte mir, sein großer Bruder habe ihn immer wieder gehauen und geschlagen, belogen und betrogen. Nie habe er eine Strafe erhalten. Stattdessen sitzt er gemütlich in den Zügen, fährt per Knopfdruck durch die Landschaften.“
Der Kobold legte sein Werkzeug aus der Hand, rieb sich seine rauen Hände ein wenig glatt, hauchte hinein, klatsche noch zweimal in dieselbigen und fuhr mit der Erzählung fort.
„Ich fragte ihn, was ich denn tun könne, eine vielleicht leichte Strafe, ein wenig subtil, das er es nicht. merkt. Ich fragte nach den Hobbys des Bruders und erfuhr, dass er leidenschaftlich gern radelt. Da kam mir die Idee, seine Räder etwas zu manipulieren. Das fand der Bruder großartig und gab mir 33 Goldwurzeln. – 33 Goldwurzeln! Weißt du, wieviel Koboldreiche man damit kaufen könnte?“
„Nein, aber du wirst es mir gleich verraten?“ erwiderte ich, nun schon ganz in die Geschichte eingetaucht.
„Ja, das ist der Wert von 1000 Koboldreichen, mit Wurzelwerken, Moosen und allen Waldelfen, die du dir denken kannst. Da schlug ich sofort ein zum Vertrag und er ließ mir Zahnkränze kommen. Erst waren es zwanzig, dann dreißig, bald hundert, dann Tausende. Ich hatte zugestimmt, soviele Zahnkränze anzusägen, wie der Bruder in seinem Fahrradleben verschleißen wird. Ich ritzte und feilte, dass es niemand von euch Menschen merken kann, immer etwas kleiner als euer Auge es zu messen mag. Die Ritzel schleppe ich dann mit meinen Freunden des nachts in die Radshops, wo der schändliche Bruder einkaufen geht.“
„Ja, aber, du wirst ja immer weiter arbeiten müssen. Denn bricht das eine, muss das nächste ran. Wann willst du denn die 1000 Koboldreiche gründen und ins Elfenland ziehen?“ fragte ich ein wenig überrascht, kann doch ein solcher Kobold nicht so dumm sein.
„Nun, der gute Bruder versprach mir, dass sein schlechter Bruder bald das Radeln aufgeben werde, wenn er solch böse Überraschungen zu Hauf erleben würde. Doch der böse Bruder hörte nicht auf zu Radeln. Immer wieder rückt er auf dem Drahtesel in die Welt hinaus, setzt ein Ritzel nach dem anderen drauf, glaubt unverdrossen, dass er genüsslich mal eine Tour zustande bringt. Und er hat immer noch nicht aufgegeben. Weiter und weiter. Und so muss ich weiterschuften, bis er endlich das Rad an den Nagel hängt und vielleicht an Seilen auf Berge klettert. Mit Seilen kenne ich mich nicht aus. Das muss dann ein anderer aus der Koboldwelt übernehmen.“
Ich war doch verblüfft, was für eine Macht die Kobolde auf die Produkte der Menschen haben. Da dachte ich, gute Handwerkskunst und Qualitätskontrolle sichern uns dauerhafte Technik, beständige Dinge, doch die Koboldwelt greift gezielt ein, ohne dass wir das merken.
Ein Blick auf meine Uhr sagte mir, dass ich gehen sollte, bevor Frau und Kinder im heimischen Haus unruhig werden. Ich hatte versprochen, sie zur Koboldwiese und durchs Zwergenmuseum zu führen. So bedankte ich mich beim Kobold für diese erhellende Geschichte über die wahren Zusammenhänge in der Welt über der Erde und bei uns Menschen.
„Ach, noch eine Frage: Wie hieß denn dieser so schändliche Bruder, der Radler?“ und hoffte mein Neugier endgültig stillen zu können.
„Na, den Namen kenne ich nicht. Aber er soll nach einer berühmten Fahrradnabenfirma benannt sein. – Jedenfalls, ich wünsche ein guten Heimweg. Und erzähle den Kindern nur das Beste von den Kobolden! Wir sind nette Wesen und tun nur das, was uns Menschen aufgetragen haben. Leb wohl, lieber Radelfreund!“
Der Kobold zeigte mir noch einen Seitenausgang, sodass ich gleich ins Freie über der Erde gelangte und schnellen Schrittes nach Hause eilen konnte.
2 Kommentare
Michael Ortius
Ich habe schon viele Beiträge und Anregungen von Dir im Forum gelesen.Jetzt da ich auch auf Deiner Homepage war ,ist mir auch klar geworden woher Dein Name im Forum „veloträumer“ist.Bin auch schon etliche Touren durch Europa gefahren und dabei die Gedanken und Träume schweifen lassen während die Natur und Ortschaften an mir vorbei ziehen.
Nachdem ich auf Deiner Homepage viel gelesen habe möchte ich Dir meine Bewunderung aussprechen für Deine Darstellung der Gedanken und Gefühlen während einer Rad Reise.
Ich habe auch solche Gedanken und Gefühle,kann sie aber nicht so schön zum Ausdruck bringen wie Du,danke nochmals.
Gruß
Michael
Pedalgeist
Ich verneige mich mit großem Dank.