Alex Wilson - Porträt am Piano
Musik im Diskurs

Im Gespräch: Alex Wilson

Eine frische Brise Havanna aus London

Mittlerweile lebt der Pianist Alex Wilson in der Schweiz, wo auch eine kleine seiner Wurzeln liegt. Mit Latin Jazz und anderen Stilelementen baut Wilson immer wieder kulturelle Brücken zwischen Stilen und Musikern unterschiedlicher Herkunft. Heute behauptet er sich als musikalische Persönlichkeit mit elegantem Stil und gewann 2018 bei den European Jazz LUKAS Awards. Über die Anfänge seiner Karriere erzählt er in einem Gespräch, das bereits Anfang 2001 stattfand.

England hat eine vielschichtige Jazzszene. Neben den angelsächsischen Elementen aus dem Jazz und der Black Music prägen die vielfältigen Kultur-Einflüsse nicht nur aus dem Commonwealth den stets weltoffenen Charakter der Londoner Szene. Die kreative Mixtur unterschiedlichster Stile afroamerikanischer, asiatischer oder lateinamerikanischer Ethnien hat die multikulturelle Metropole an der Themse immer wieder zum Zentrum für neue Dancegrooves gemacht. Soul, Rap, Bossa Nova und karibische Latinrhythmen haben verbunden mit Jazzelementen Mitte/Ende der 1980er Jahre eine Acid-Jazz-Bewegung entstehen lassen. Mittlerweile wächst eine zweite Generation von Latinmusikern heran, die auch von den Erfolgen der traditionellen kubanischen Musik motiviert werden. Alex Wilson ist ein vielversprechendes junges Talent dieser neuen „Anglo-Cubanos“, wie sein neues Album betitelt ist.

Der richtige Sound in der Studio-Arbeit

Er hat das Album teils in London und teils in Havanna aufgenommen, was die Frage nach den spezifischen Aufnahmebedingungen in Kuba aufwirft.

„Wir haben in den Egrem-Studios aufgenommen. Dort wurden alle die großen Aufnahmen gemacht – von Buena Vista Social Club, Rubén González, Irakere usw. – das hat Atmosphäre. Technisch gesehen war es sehr gut, denn der Toningenieur ist spezialisiert für Aufnahmen mit Salsa und Jazz. Er hat auf Anhieb den richtigen Sound gefunden – das war perfekt. Musikalisch gesehen war es sehr spannend. Ich habe drei Musiker aus London mitgebracht. Wir haben uns eine Woche abgestimmt und dann aufgenommen. Es war sehr interessant, weil die Londoner Musiker die kubanische Tradition sehr gut kannten. Aber sie spielen die Latinmusik mit den Erfahrungen aus London. Insofern spielen wir verschieden und wir klingen nicht kubanisch. So ist meine Hoffnung, dass wir verschiedene Elemente zueinander bringen. Wenn die beiden britischen mit dem kubanischen Perkussionisten spielten, mussten beide Seiten von ihrer eigenen Linie abweichen. Meine Arrangements und Kompositionen sind etwas verschieden von denen in Kuba. Auch in London habe ich mit Lateinamerikanern aufgenommen. Für mich stand die Mischung im Vordergrund.“

Die Musik aus Puerto Rico ist einfacher, ist nicht so wild und verrückt wie die aus Kuba. Meine Perspektive ist es die Musik aus Kuba zu respektieren und sie mit meinen Erfahrungen aus London zu mischen.

Alex Wilson

Ist Salsa kubanisch?

Diverse europäische Jazzmusiker, die in Kuba mit dort heimischen Musikern Latinmusik aufgenommen haben, sehen den Unterschied zwischen der Salsa aus New York und der Salsa – oder besser Son-Musik – aus Kuba darin, dass die kubanischen Rhythmen grundsätzlich komplexer sind. Wilson will der These zwar nicht uneingeschränkt zustimmen, aber „die Musik der Timba ist komplex. Die Timba ist sehr wichtig für den traditionellen Son Montuno. Und ich habe überwiegend dort den Son Montuno aufgenommen. Aber ich mag die Musiker aus New York sehr gern. Es gibt einen Produzenten, Sergio George von RMM Records, der viel Wissen um die Musik der Timba hat, aber aus der Sicht von Puerto Rico. Der Einfluss der Musik aus Puerto Rico ist sehr stark in der New Yorker Salsa-Szene. Und die Musik aus Puerto Rico ist einfacher, ist nicht so wild und verrückt wie die aus Kuba. Meine Perspektive ist es die Musik aus Kuba zu respektieren und sie mit meinen Erfahrungen aus London zu mischen. Es ist mehr Eddie Palmieri als Isaac Delgado in meiner Musik.“

Es sind also eher die straight groovenden Rhythmen, meist instrumental arrangiert, und weniger die Balladen der Salsa Brava, mit einem ausdrucksstarken Sänger im Vordergrund, die Alex Wilson bevorzugt. Solche Musik erinnert an Snowboy (Arturo Tapin), mit dem er auch schon zusammenarbeitete, und die Londoner Acid-Jazz-Szene. Als Kind des Acid Jazz sieht er sich aber nicht. „Ich kam in die Szene etwas zu spät. Ich habe 1993 angefangen. Acid Jazz war mehr in den 80ern bis 91/92. Eigentlich fühle ich mehr als Kind von Candid.“

Einflüsse und das geeignete Instrument

Wenn er also nicht zufällig in die Szene rutschte, welchen bewussten Akzent möchte er denn für die neue Latinjazzszene setzen?

„Wir respektieren die Tradition aus Kuba. Aber ich möchte verschiedene karibische Rhythmen aufgreifen. Das ist unsere eigentliche Identität. Mein Bassist zum Beispiel ist auch ein guter Reggae-Spieler und hat schon mit Keziah Jones gespielt.“

Auf seiner Tournee im Januar und Februar wurde Wilson mit seiner Band als Vorgruppe der Afro Cuban All Stars engagiert. Die Zuhörer hatten damit einen guten Vergleich zwischen der modernen und traditionellen Musik.

„Wir spielen mit klassischem Schlagzeug und sogar etwas Funk. Anschließend hört das Publikum die Tradition und die Wurzeln der kubanischen Musik. Das bietet einen guten Kontext, in dem wir Musiker uns gegenseitig mit unseren eigenen Konzepten respektieren.“ Für ein Solo bat Juan de Marcos Gonzáles den jungen Pianisten auch auf die Bühne, möglicherweise Ausgangspunkt für eine intensivere Zusammenarbeit.

Ein anderer Musiker, dem Wilson großen Respekt zollt – mitunter durch den Song „Englishman in New York“ auf „Anglo-Cubano“, ist Sting, der selbst schon mit Rubén Blades ebenso wie mit Gil Evans zusammenarbeitete. Erstmals als 15-Jähriger erlebte Wilson Sting in einem Konzert. Damals zupfte Wilson noch Gitarre. „In der Gruppe spielten damals Branford Marsalis und Kenny Kirkland. Nach diesem Konzert habe ich mich nicht mehr so stark auf die Gitarre konzentriert und mit dem Klavierspiel angefangen. Es war eine Art Tribut zu diesem Konzert.“

Ich mag klassische Gitarre. Das klingt sehr schön. Aber ich fühlte mich ein wenig einsam. Man spielt klassische Gitarre eher solo oder im Duo. … Ich möchte in einer Gruppe spielen.

Alex Wilson
Branfrod Marsalis am Sopransax in action
Ungewöhnliches Vorbild für einen Pianisten: Saxophonist Branford Marsalis

Es gab aber noch einen weiteren Grund, warum er die Gitarre an den Nagel hing. „Ich mag klassische Gitarre. Das klingt sehr schön. Aber ich fühlte mich ein wenig einsam. Man spielt klassische Gitarre eher solo oder im Duo. Für mich ist es sehr wichtig mit vielen Musikern zu spielen und für diese Musiker zu schreiben – für Trompete, Saxophon oder Perkussion. Ich möchte in einer Gruppe spielen. Es fiel mir schwer, Jazzgitarre zu spielen. Es war für mich leichter, das Instrument zu wechseln. Klavier lernte ich leicht, meistens autodidaktisch. Ich weiß nicht warum. Ich hatte nur zwei Monate Unterricht für klassisches Klavier und drei bis vier Monate für Jazzpiano.“

Als Vorbilder im Jazz tauchen mit Branford Marsalis und Courtney Pine Saxophonisten auf – nicht unbedingt typisch für einen Pianisten. „Mit Courtney Pine war ich vor einem Jahr auf Tournee. Dabei habe ich sehr viel gelernt – nicht nur Musik, sondern auch Business, Leadership und vieles mehr. Er ist ein sehr guter musikalischer Direktor. Er erreicht bei seinen Musikern alles, was er will, ohne viele Worte zu verlieren. Ich habe vorher auch Gruppen geleitet, aber mit vielen Worten – diese Note, hier, jene Note dort usw. Dieser reife Stil von Leadership hat mich sehr beeindruckt. Courtney ist fast so etwas wie ein Mentor für mich, obwohl er fast keine Worte benutzt hat.“

Der Kosmopolit

Der 29-jährige Pianist hat bereits eine prototypische Biographie für einen Weltbürger hinter sich. Als gebürtiger Engländer verbrachte er einen Teil seiner Kindheit im westafrikanischen Sierra Leone, der Heimat seines Großvaters. Danach ging es nach England, dann sechs Jahre Wien und zwei Jahre Genf, wo jeweils sein Vater bei den Vereinten Nationen arbeitete. Dort besuchte er englischsprachige internationale Schulen, aber aus seiner Wiener Zeit verfügt er immer noch über ausgezeichnete Deutsch-Kenntnisse. In der Umgebung von Schülern mit vierzig verschiedenen Nationalitäten wuchs er schon früh zum Kosmopoliten heran, was ihm heute den unkomplizierten Umgang mit Musikern aus verschieden Teilen der Welt erleichtert. Wieder in England begann er mit dem Studium, es folgte ein Austauschprogramm nach Santa Barbara in Kalifornien, wo er sein Diplom in – nein, nicht Musik, sondern Elektroingenieur machte. „Nach dem Diplom entschied ich mich für die Musik. Das war 1993. Dann bin ich nach London zurückgekehrt.“

Ich mag die lateinamerikanische Musik wegen der afrikanischen Trommeln, aber mit dem Big-Band-Jazz und den spanischen Melodien. Sie hat den Swing von Afrika, aber auch viel Jazzharmonien. Das finde ich sehr attraktiv.

Alex Wilson
Seilspannbrücke in Wien
Alex Wilson lernte Deutsch und kosmopolitsche Brücken zu schlagen bereits in seiner Kindheit in Wien

Von seinen afrikanischen Wurzeln findet sich nicht viel auf seinen Alben. „Es gibt ein paar afrikanische Elemente auf dem ersten Album ‚Afro-Saxon‘, aber die eigentliche Verbindung sind die kubanischen Trommeln, in denen der rege Austausch zu den afrikanischen Kulturen widerhallt. Ich mag die lateinamerikanische Musik wegen der afrikanischen Trommeln, aber mit dem Big-Band-Jazz und den spanischen Melodien. Sie hat den Swing von Afrika, aber auch viel Jazzharmonien. Das finde ich sehr attraktiv.“

Heimat für aufregende Musik im Hause Candid

Wilson wurde in England in diesem Jahr [gemeint ist 2001, aktualisierte Anm.] zum „Best newcomer“ der British Jazz Awards nominiert. Seine Aktivitäten umfassen ein weites Feld als Pianist, Arrangeur, Komponist und Produzent, stilistisch von Jazz über Funk bis Latin. Um eine Fähigkeit zur Meisterschaft zu bringen, wird er wohl einen Schwerpunkt für die Zukunft setzen müssen.

„Derzeit arbeite ich an einem dritten Album für Candid. Ich möchte aber auch verstärkt daran arbeiten andere Gruppen zu produzieren. Ich habe ein kleines Studio in meinem Haus. Das ist mein Fokus. Es ist derzeit sehr aufregend Musik zu produzieren, weil es sehr günstig ist. Die Szene ändert sich, wird demokratischer. Früher entschieden die Plattenfirmen, welche Musik aufgenommen wird. Jetzt können die Musiker Studios kaufen und die CDs preiswert selber herstellen. Es wird in Zukunft mehr Musik geben – mehr schlechte Musik und mehr gute Musik. Gleichzeitig nehmen die großen Konzerne zu, Megafirmen wie CNN oder AOL. Im Untergrund aber können die Musiker ihre Musik auch ohne die ‚big boys‘ produzieren.“

Stilistisch will er im dritten Album an etwas anknüpfen, dass bereits im ersten Album im Song „Nature boy“ zu Tage tritt. „Wir werden Salsa aufnehmen, die im George-Benson-Stil gesungen wird – in englischer und spanischer Sprache. Es ist eben die Latinmusik, die aus meiner Londoner Erfahrung heraus entsteht.“

Beim stilistisch bunt-gemischten Label Candid fühlt sich Wilson gut aufgehoben. „Es gibt in London kaum Labels, die Interesse haben neue Musik zu produzieren. Es gibt zwar Musiker, die eigene Labels haben, aber ohne kommerzielle Bedeutung sind. Candid produziert wirklich neue Musik und ich bin damit glücklich.“

Seine Träume beschreibt Wilson realistisch aus seinen derzeitigen Aktivitäten heraus. „Wie viele Musiker möchte ich mein eigenes, großes Studio habe – vielleicht in einer schönen Landschaft.“ (lacht) „Und ich will mit Musikern wie Juan de Marcos arbeiten, Musiker, vor denen ich viel Respekt habe und die offen sind für Neues. Ich möchte ein internationaler Musiker und Produzent werden. Das ist mein Ziel.“

CDs

  • Afro-Saxon, Candid/Big City BCCD 79201
  • Anglo-Cubano, Candid/Big City BCCD 79205

publ. Jazz Podium 4/2001

Beitragsbild Porträt Alex Wilson: Gabriela Salgado photography

Logo Schreibfeder, Pedal mitAugen, Rad, weißer Hintergrund

Cookie-Hinweis</br>Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Die Website verwendet Cookies von Drittanbietern, die dem Komfort der Seite dienen. Welche Cookies verwendet werden, erfährst du unter <a href=https://pedalgeist.de/privacy-policy/ target="_blank" rel="noopener noreferrer">Datenschutz</a> oder hier: Weitere Informationen


Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.


Diese Seite verwendet folgende Cookies von eingebundenen Drittanbietern
(Cookie-Name | Provider | Typ | Ablauf nach):

- CONSENT | youtube.com | HTTP | 6656 days
- GPS | youtube.com | HTTP | 1 day
- PREF | youtube.com | HTTP | 8 month
- VISITOR_INFO1_LIVE | youtube.com | HTTP | 179 days
- YSC | youtube.com | HTTP | Session
- IDE | doubleclick.net | HTTP | 1 year
- test_cookie | doubleclick.net | HTTP | 1 day



Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen