Gianmaria Testa (2)
Extra-muros
Le Chant du Monde LDX 2741400
Sein Beruf ist Bahnhofsvorsteher, sein Arbeitsplatz auch heute noch auf Teilzeitbasis am Fuße der italienischen Seealpen in der piemontesischen Arkadenstadt Cùneo – um nicht der Pflicht zu obliegen Künstler zu sein, wie er selbst bekundet. Für Gianmaria Testa öffneten sich über Paris die Tore zu Ruhm und Ehre bei Publikum und Presse. Mittlerweile wird seine rau-zarte Stimme wie sonst in Europa auch in Italien geschätzt. “Extra-muros” ist keine Neuheit, war aber bisher nur in Frankreich zu haben – die CD von 1996 ist nun weltweit verfügbar. Wie bereits die aktuelle Scheibe “Altre Latitudini” verpackt Testa eine melancholische Poesia in subtilen und jazzigen Arrangements auf höchst kunstvolle Weise. Die kleinen Geschichten seiner Lieder atmen durch die Stimme, werden von Gitarre, Bandoneon, Bass, Schlagzeug, Klavier, Saxophon oder Streichquartett lebensnah aufgeraut, gestreichelt oder zum Pulsieren gebracht. Durch kleine, aber unterschiedlichste Besetzungen erreicht Testa ein Fest der Klangfarben, die die poetischen Nuancen wirkungsvoll verstärken. So herzzerreißend dehnt sich etwa die Trompete von David Lewis, wenn im Titelstück die Stärke der Liebe alle Dinge des Alltags durchbohrt bis sie als Marone im Mund zur schmackhaften Versuchung wird. Oder welches Lachen, Tanzen und Leben hüpft in der nicht immer sauberen “Joking lady” Paris! Und wer gibt die Antwort, wenn Bläser im Call-and-Response-Stil die Frage zurückwerfen, wo der Fluss das Meer trifft? – Testa gelingt ein bewegendes lyrisches Logbuch von den Augenblicken des Seelenlebens.
publ. Jazz Podium 12/2005