KSH-2019-4 Jenseits von Faust Verdammnis – Kraichgau im sommerlichen Herbstkleid
- 3 Tage | 13.-15. Oktober 2019
- 267 km | 89 km/d | 14,3 km/h
- 3325 Hm | 1108 Hm/d | 1245 Hm/100 km
Gleich mehrere Wochenendtouren führten mich 2019 durch die Stromberg-Kraichgau-Region, mal eher als Rundkurs, mal als Durchstich in die Pfalz bei Speyer. Ähnlich die Wege, berichte ich hier nur die vierte und letzte Tour mit einem Exkurs zu einem der oberrheinischen Baggerseen bei Karlsruhe/Ettlingen. Auch eine Essenz des Jahres, ein wehmütiger Rück- und Ausblick, nicht ganz ohne Schmerzen an Seele und Fuß – Teufelsverdammnis oder Erleuchtung – das ist auch hier die Frage, schließlich erblickte Faust in Knittlingen das Licht der Welt.
So, 13.10. Stuttgart – Leonberg – Rutesheim – Weissach – via Waldpiste/Feldwege – Iptingen – via Feldwege – Nussdorf – Aurich – Vaihingen/Enz – Ensingen – Gündelbach – Häfnerhaslach – Zaberfeld-Katzenbachsee – Leonbronn – Mühlbach – via Radweg Richtung Eppingen/Abzweig Raußmühle – Sulzfeld (+, Weinberghöhe)
89 km | 1320 Hm
Strohgäu-Eröffnung
Hier auch mal Gelegenheit, ein wenig den Zufahrtsregion zur Stromberg-Kraichgau-Region aus der Schwabenmetropole Stuttgart heraus ins Bild zu fassen. Soweit die Hügel nach Leonberg und Rutesheim bewältigt sind, eröffnet das Strudelbachtal eine weitgehend flotte, wenn auch etwas umwegige Fahrt zur Enz in Enzweihingen unweit von Vaihingen/Enz. Auf diesem Wege liegen besondere Einkaufsmöglichkeiten für lokale Produkte in einem Mühlenlädle (Brot, Käse, Nudeln, Apfelchips usw.) unterortsausgangs von Flacht oder in einem Laden unmittelbar an der Hauptstraße unterortsausgangs von Eberdingen, welcher sich besonders zur Erdbeerzeit lohnt (auch Gemüse, Joghurts, spezielle Süßwaren, Marmeladen, Honig usw.).
Radlerisch anspruchsvoller und abwechslungsreicher ist aber zu den Hügeln des Strohgäus zu fahren, von Weissach etwa in Richtung Iptingen, ein Teil schottrige Waldroute, sonst asphaltierte Feldwege. Ohne nach Iptingen einzufahren erreicht man mit viel Aussicht Nussdorf, dass sich zur Umgebung hin allseitig erhebt. An zwei Pferdegestüten vorbei scheint man bald in Aurich wie aussichtlos gefangen, so steil hat sich der Ort in einem schmalen Tal eingegraben. Überwindet man die Hangfassung zur Enz hinunter, fährt man unmittelbar in Vaihingen am Pulverturm nebst Trauerweide ein.
Liegt die Altstadt von Vaihingen verteilt zwischen Enzufer und etwa mittlerer Höhe, erhebt sich im Westen über Rebenhängen die einstige Burg, heute weiß herausgeputzt als Schloss Kaltenstein. Der obere Stadtrand führt hinüber und vorbei an dem noch recht neu nagelegten Bahnhof an der Eisenbahnschnelltrasse nach Stuttgart, auf der sich durch den Doppeltunnel auch mit einem IRE eine flotte Rück- oder Zufahrt einrichten lässt. Mittlerweile ist Vaihingen auch Teil des Stuttgarter Verbundtarifes und die Zoneneinteilung günstig bepreist.
Stromberg-Herbst
Mit dem Bahnhof öffnet sich zur anderen Seite gleich der Blick zur Hügelkante des Naturparks Stromberg-Heuchelberg mit dem Eselberg, an dem sich Weinberge weithin sichtbar hinaufziehen, zuoberst der Eselturm hervorlugt als Relikt der ehemaligen Burg. Mit steilem Weinberganstieg und einer verwegenen Waldpiste lässt sich auch per Rad über die Burg nach Gündelbach fahren. Der einstige Kiosk ist aber seit längerer Zeit geschlossen und wartet auf einen neuen Pächter. Einfacher, aber keineswegs weniger schön ist es um den Eselberg herum via Horrheim nach Gündelbach zu radeln, wobei auch ein Abstecher zu den Seewaldseen möglich ist.
Die Weinorte Horrheim, Gündelbach oder Häfnerhaslach sind im Herbst besonders hübsche Ausflugsziele mit stillem Charme. Bunt herbstlich nicht nur die Weinberge, sondern auch die kehrenreichen Überfahrten zwischen den Orten. Das lockt jedoch auch immer wieder Motorradfahrer an. (Mehr zur Region rundum Sternenfels auch in: Tour KSH-2017-1 und Die Sandmühlen von Sternenfels.) Nimmt man in Zaberfeld Richtung Sternenfels in Leonbronn den Abzweig nach Norden, eröffnen sich via Mühlbach mit See und Steinhauermuseum Routen nach Eppingen oder Sulzfeld.
In einer Variante bin ich direkt über die Burg Ravensburg gefahren – dort zu finden ein eher ziemlich exklusives Restaurant, das gerne Räume für besondere Anlässe wie Hochzeiten vermietet. Auf dieser Tour bin ich eine Hohlweg-Passage nördlich davon gefahren, sodass der Burgturm besser im Blickfeld, aber etwas entfernt liegt. Auch kann man hier mit Rad noch die Burg direkt ansteuern, ist aber schneller nach Sulzfeld ohne Burg. Sulzfeld ist recht einwohner- und gewerbestark, wenngleich nicht besonders viele Lokalitäten warten.
Der Badische Hof am eher westlichen Ortsausgang lockt aber mit einem schönen Biergarten. Zu den Spezialitäten gehören Schnitzelvariationen, aber auch das gut geschmorte Rindergulasch ist eine Empfehlung. Bier gibt es direkt aus dem örtlichen Brauhaus wie auch der Wein von den umliegenden Rebhängen ins Glas gepflückt ist. War es im August am Wochenende noch rappelvoll, schien der Biergarten jetzt im Herbst fast ausgestorben. Doch trug die Stille, denn am Ortseingang sammelten sich Volksfestler im Bierzelt mit entsprechender Gaudi-Musi. Die drang weit über die Kraichgau-Hügel, etwa hinauf zur Burg Ravensburg.
Mo, 14.10. Sulzfeld (+) – Heiligenäcker Siedlung – Flehingen – Bauerbach – Büchig – Adlersbergkapelle – Neibsheim – Gondelsheim – Jöhlingen – via Maria-Hilf-Kapelle/Wiesentrail – Wöschbach – Berghausen – Söllingen – Thomashof – Batzenhof – Palmbach – Busenbach – Ettlingen – Rheinstetten-Epplesee – Durmersheim – Malsch – Sulzbach (Baggersee)
86 km | 835 Hm
Hügel-geschwängerte Ausblicke zwischen Reben, Mais und Assisi
Es lässt sich bei lauen Nächten besonders schön über Sulzfeld oder Kürnbach zwischen Wald- und Rebenhängen oder Streuobstwiesen ein Zelt aufstellen. Selbst wenn sich im Oktober schon neblige Auenfeuchte unten zu Tal sammelt, bleiben die Höhen samtig warm, wo das Mondlicht mild lächelnd die Iris streichelt. Herrlich offen die Nacht bewegt, stimmt am Morgen geheimnisvoller Nebel ein, der die Hügel zwischen den lichtdurchfluteten Weinblättern von unten heraufstreicht.
In Flehingen gibt es rund um die Uhr Bauernhofprodukte – ein Automatenladen mit recht großem Sortiment – die Produzenten wohnen nebenan. Die schönen Hügel wechseln stimmungsvoll mit den verschwiegenen Orten – immer auch kleine Fachwerkschätze. Kraichgau-typisch ziehen sich offene Felder hinauf zu mit einzelnen Bäumen am Horizont, schlängeln sich überall Feldwege nochmal zwischen dem Straßennetz. Manche Höhen sind Gebetsorte, werden von Kapellen gekrönt. Gleich zwei liegen zwischen Büchig und Neibsheim, wobei von Neibsheim ein Kreuzweg zur Adelbergkapelle geleitet.
Auch ohne Buße schwingt sich das offenherzige Land weiter, zwischen Gondelsheim und Jöhlingen weit sanfter als in den Hügeln zuvor. Wohl gibt es auch eine asphaltierte Variante von Jöhlingen nach Wöschbach, jedoch liegt diese östlicher und wird nicht direkt ausgeschildert. Fährt man hingegen die Wöschbacher Straße auf, endet sie an der Maria-Hilf-Kapelle mit einem hübschen Picknickplatz, weitschweifenden Ausblick und für die Selfie-Fetischisten mit einem Franz von Assisi, in den man seinen eigenen Kopf stecken kann.
Um Wöschbach direkt zu erreichen, rumpele ich etwas heftig über einen Wiesentrail, bleibt aber noch fahrbar. Es ist eine genießerische Streuobstwiesenroute, zuletzt in einen kleinen Wald abtauchend. Eigentlich wollte ich dann gleich und direkt nach Söllingen, doch verleitete mich die Ausschilderung um den Berg rum über Berghausen, was kaum länger gedauert haben dürfte.
Römische Ochsenkarren – Ochsen in modernen Karren
Wieder landschaftlich reizvoll strebt ein Hohlweg durch Streuobstwiesen von Söllingen nach Thomashof hinauf, wobei sich oberster Teil auch steil und etwas unwirsch über Waldpiste verteilt. Hier ist dann die Höhe weit offengehalten, zum Batzenhof auf lieblicher Pappelallee und historisch auf der Ochsenstraße. Einst verkehrten zahlreiche Ochsenkarren zwischen Langensteinbach und Durlach. Die Ochsenstraße hat ihren Ursprung in den Kriegs- und Handelsstraßen der Römer, die 90 n. Chr. den Landstrich maßgeblich prägten, Steindenkmäler und Gutshöfe aufbauten. Knotenpunkt dieser Straßen war Pforzheim mit vier der bedeutendsten Römerstraßen.
Was einst die Ochsenkarren auf der Ochsenstraße, sind heuer die Trucks auf den Autobahnen. Die stauen sich gerne im Einfallstor von Karlsruhe. Einmal mehr zeigt sich von oben gut, wer das Land bestimmt – das Automobil – für Fracht, aber auch in der kleinen PKW-Hülle. So fast allein auf den Radwegen, strudelt der Strom daneben, darunter. Der Vortritt des Autos wird nur offensichtlich, gelangt man zur Busenbacher Bahn-Haltestelle mit Einfahrt nach Ettlingen. Dort sammeln sich Radverbotsschilder für die Autostraße, aber auch den Radweg selbst. Wer hier regelgerecht fahren möchte, muss die Quadratur des Kreises bewältigen. Das nahe Karlsruhe schimpft sich neuerdings Fahrradstadt – doch wo sind die Vorzeichen zu sehen? Sind die Ochsen heute die Karrenlenker selbst?
Sandstrand mit Schifferschnitzel
So unwohl mein Bobbes die Einfahrt Ettlingen verspürt, so sehr lobte mich ein Kaffeedame in der Busenbacher Bäckerei. „Keine Krampfadern, nichts – solche Beine, ich wünscht ich hätte solche…“ geiferte sie zur Verkäuferin, mich intensiv musternd. Nun konnte ich meinen Astralkörper immerhin mit herbstsommerlicher Energie betanken, so strahlend das Sandstranderlebnis am Epplesee. Ich war zu faul für einen weiteren Berg und ließ den Abend gar am See noch einfallen.
In Durmersheim fand ich im Gasthof Lamm eine Spezialität des Hauses, die unter „Schifferschnitzel“ firmiert. Das sind Varianten von Cordon Bleu, mit Käse gefüllte Schnitzel, der sogenannte „Klassiker“ mit Knoblauchsauce. Im Umfeld von Baggerseen findet sich dann auch immer ein Platz fürs Zelt.
Di, 15.10. Sulzbach – Ettlingen – Busenbach – Stupferich – Kleinsteinbach – Königsbach – Stein – via Langenwaldroute (Radweg/Waldtrail) – Bretten – Knittlingen – Freudenstein – Sternenfels – Zaberfeld-Katzenbachstausee – Häfnerhaslach – Gündelbach – Ensingen – Vaihingen/Enz (Bhf.) || Stuttgart
92 km | 1170 Hm
Der Sommer wurde jetzt von Westen ausgeblasen. Die Front war morgens schon zu erahnen und ich schob mich lange am Rand entlang, immer wieder Hoffnung nach Osten auf den blauen Himmel. Das gelang im Pfinztal noch. Doch holte mich die Wolkenfront bald in Bretten ein, und für ein Bad später im Katzenbachsee brauchte es erheblichen Mut.
Faust auf Stein – grüblerisches Ohrgeflüster
Nun brauchte es dafür keine Faust’schen Erkenntnisbünde, was mich nicht hindert, des Professors Geburtsort Knittlingen zu kreuzen. Hier wohnt Faust irgendwie noch heute, so von altem Charme durchzogen scheinen die alten Fachwerkgebäude des Ortes. „Faust auf Stein“ könnte auch eine Parole der Etappe gewesen sein, nehme ich den Ort Köngsbach-Stein einige Kilometer zuvor. Nicht weniger romantisch schillern insbesondere die holzgestelten Rathäuser mit Überhangfassaden. Das Pfinztal schwelgte als liebliches Herbstgedicht, leicht heimlich flüsternd im Nebelhauch.
Zwischen Stein und Bretten verfehlte ich die rechte Radwegroute über Nussbaum. War der Einstieg wohl noch richtig gewählt, ergaben sich im oberen Bereich vor der Waldbarriere zu viele unübersichtliche Wege. Wohl hatte ich eine Waldpiste zu spät eingelenkt. Diese wandelte sich mehr und mehr zu einem störrischen Waldpfad. Doch auch dieser Weg hat seinen Reiz – der Pilzschönheiten sind viele. Ein Pilzjahr ist es heur sicherlich. Besagte Waldroute endete weit abseits auf der Landstraße nach Bretten, die unterhalb Sprantal mit der Nussbaumstraße zusammenfällt.
Was nun mir Faust ins Ohr flüsterte – ich weiß nicht mehr. Neu soll ich mich aufstellen in der Welt, Kenntnis bewerben und ein Meister werden. Doch durchdrang mich mehr ein leises Flüstern, ein Gefühl, die Welt werde mir immer fremder – diese Welt jenseits vom Sattel. Pedalgeist grübelt und denkt, könnte er ein Bussard im Kraichgau sein. Diese unendliche Kornfeldfreiheit. So kam ihm auch ein Gedicht in den Sinn – ihr werdet davon auch hier lesen können.