ALP-2021-TdS-15
Waadtländer und Freiburger Voralpen mit Gantrisch-Naturpark – stille Entdeckung für Genießer, dezent würzig wie ein Gruyère
Von der Rhone zur Saane ins Greyerzerland
Vino & Velo
(Fr, 23.7.) [Route d’Emosson/Balayer – Lac d’Emosson/Col de la Gueulaz (1965 m) – Lac du Vieux Emosson (2225 m, letzte Meter zu Fuß, unfahrbarer Trail) – Col de la Gueulaz – Finhaut – Route de la Cha – Le Tretien/exc. Gorges du Triège – Salvan – via Route de la Diligence (auch „Route du Mont“, ehemaliger Postkutschenweg, abwärts einigermaßen machbar, aufwärts nicht) – Vernayaz – Cascade de Pissevache – Evionnaz – St-Maurice –] Bex – Aigle
63 km | 805 Hm
Der Sprung ins Waadtland ist zunächst ein kleiner, unauffälliger, weil sich Wallis und Waadt an der Rhone noch bis zum Genfer See als unmittelbare Nachbarn des selben Tals gegenüberliegen. Unterschiedlich zeigen sich die Hänge, ist hier doch die Waadtländer Seite von Sonne begünstigt und daher prädestiniert für den Weinanbau. Die eher schattigen Hänge des Wallis sind hingegen stärker bewaldet. Ungeachtet des Rebensaftes ist die Region von Aigle und Bex auch für ehemalige Salzminen und entsprechenden Bergbau bekannt gewesen.
Neben dem Wein wird die Region heute auch als Fahrradregion vermarktet. Für das Winzerstädtchen Aigle ist das mehr als nur ein touristischer Zweig, denn Aigle ist heute auch Sitz des internationalen Dachverbands des Radsports, der Union Cycliste Internationale (UCI), der 2002 von Lausanne nach Aigle verlegt wurde. Das Gebäude mit Velodrom und einem kleinen Museum befindet sich aber abseits des Ortskerns an der Rhone und entfiel daher auch meiner Aufmerksamkeit.
Wenn ich auch undank später und früher Stunden an keiner Weinprobe teilnehmen kann und das Weinmuseum im ortsprägendem Türmchenschloss verpasse, so werde ich immerhin von einem Familienteil einer traditionellen Winzerdynastie Borloz aus Aigle zu einer freien Übernachtung mit Zelt in ihrem hübschen Garten eingeladen. Das Ehepaar hat sich offenbar bereits aus dem Winzergeschäft zurückgezogen und an die nächste Generation weitergegeben, die gleich angrenzend um die Ecke wohnt. Ausgerechnet meine mangelnden Französischkenntnisse sind es, die mir diese Einladung bescheren. Als ich nach der Richtung für meine Route eine kleine Herrengruppe frage, versuche ich mich verzweifelt an der korrekten Aussprache des Lac de l’Hongrin. Nur mit Mühe lässt sich mein Ausspracherätsel für die Einheimischen lösen, indem ich auf nahestehendes Schild zeigen kann. Das führt zu viel ah und oh und einigem Gelächter.
Hugo, die Schweizer Gurke
Das Süße verbindet sich wohl gerne mit dem Sauren: Der Winzerort Aigle ist gleichzeitig eine Trutzburg der Schweizer Essiggurke. Der aus Württemberg ausgewanderte Hugo Reitzel gründete 1909 in Lausanne eine Firma, um die Produktion des aus dem 18. Jahrundert noch bekannten Senfs von Aigle wieder aufzunehmen. Das Familienunternehmen Hugo entwickelte sich zu einem Betrieb für eingelegte Gemüse wie Essiggurken und andere Pickles, für Senf und Fertigsaucen und expandierte über die Schweiz hinaus nach Frankreich und Indien. Gleichzeitig setzt Hugo mit dem gehobenen Trend zu mehr regionalen Lebensmitteln auf eine Produktreihe mit Gemüse, das ausschließlich aus der Schweiz stammt. Weil die Nachfrage nach der Gurkenlinie „Tante Anita“ das Angebot an Gurken in der Schweiz überstieg, lancierte das Unternehmen 2010 eine witzige Social-Media-Kampagne zur Rettung der Schweizer Gurke.
(Sa, 24.7.) Aigle – Yvorne – Corbeyrier – Luan – Les Agittes (1536 m/1554 m) – Col d’Ayerne (1466 m) – La Rossiere – Col de la Pierre du Moëllé (1661 m) – La Comballaz – Col des Mosses (1445 m) – La Lécherette – Lac de l’Hongrin – Barrage de Lac de l’Hongrin – Allières – Montbovon – Lessoc
65 km | 1740 Hm
Eine Parade der Weine der Region kann ich auf dem Wege über Yvorne in verschiedenen Schaukästen bewundern – also doch noch ein Weinmuseumslauf. Trotz unterschiedlicher Weinmacher kristallisiert sich Henri Badoux als der herrschender Winzerbaron heraus, auf dessen Namen man an allen Ecken stößt. Der liebliche Weinbergraufstieg verschwindet recht unvermittelt zugunsten eines zunächst wenig aussichtsreichen Waldeinstiegs. Nicht durchgehend, aber doch überwiegend bleiben die Steigungsprozente bis zum Hochpunkt der Hongrin-Route anspruchsvoll. In Corbeyrier kann man sich nochmal in einem kleinen Dorfladen versorgen, Einkehr ist noch weiter oben im Café de Luan möglich.
Grüne Berge mit großem Wasser
Die offenen Weidewiesen verschwinden oberhalb von Luan durch eine steile Felsstaffage zunächst gänzlich, Teile werden durch einen Tunnel durchstoßen. Nach den Felsen öffnet sich aber das stark hängende Hochplateau Agittes mit eigenem Charakter, ein Kontrapunkt zum Weinland an der Rhone. Weite Hochweiden sind nur noch mit verstreuten Hainen bestückt, Bergblumen durchsetzen die Wiesen. Am Horizont ziehen sich grüne Grate empor, die von Felskämen abgeschlossen werden, zur anderen Seite stemmen sich stumpfe Felstürme wie ein Burgwacht über das weite, einsame Bergland. Gut vorstellbar, dass sich hier immer noch das Militär ausprobiert, dem die Straßenzüge zu verdanken sind. Auch für Radler gelten trotz nationaler Veloroute 4 Fahrbeschränkungen, so kann das Gebiet nur im Hochsommer vom 1. Juli bis zum 15. August unbegrenzt befahren werden, in der Vor- und Nachsaison nur an Wochenende und in der Winterzeit vom 1. November bis zum 31. Mai herrscht eine Komplettsperre.
Ich treffe auf ein Radlerpaar, die über die Steigungen der Gegenseite ächzen und sich nach einer Stärkung sehnen. Ich kann sie mit Aussicht auf das Café in Luan beruhigen. In meiner Richtung befindet sich die nächste Einkehrmöglichkeit auf dem Col de la Pierre du Moëllé, den man in zwei sehr steilen Rampen erklimmen muss. Dieser Übergang führt schließlich auf die Passhöhe des Col des Mosses hinunter, nur wenig unterhalb mündet der Fahrweg auf die stärker befahren Passstraße mit dem skiorientierten Höhenort auf der Passhöhe, die keine so wirkliche Schönheit darstellt. Die wesentlichen landschaftlichen Akzente setzt hingegen das stark gefurchte Hochplateau zwischen Les Agittes und dem Lac de l’Hongrin mit grünen Kuppenbergen ebenso wie mit dolomitenähnlichen Bergflanken und artenreichen Blumenwiesen.
Nur kurz ist der Abschwung vom Col des Mosses bis zum Abzweig zum Lac d’Hongrin, den man weitgehend oberhalb auf einer herben Betonpiste begleitet, bevor die Straße tiefer zur Staumauer und einem seenahen Picknickplatz abfällt. Den See hätte ich auch gemäß der Veloroute 4 ganz umrunden können, wenn ich den Umweg über Pierre du Moëlle und Mosses ausgelassen hätte. Die Strecke ist durch die überhöhte und seeferne Führung aber in Gänze etwas abwechslungsarm, wenngleich die Landschaft eine genießerische Stille verströmt.
Unter dunklen Wolken ins Greyerzerland
Das Highlight der Hongrin-Strecke besteht eigentlich im ab der Staumauer nun steil abfallenden Hongrin-Tal, dessen Straße mal ganz neu asphaltiert, in einem Gegenanstieg zum Almgasthof Croix de Fer aber noch stark verfallen ist (eine Instandsetzung ist in nächster Zeit denkbar). Das Tal bricht sich durch eine Schlucht recht wild Bahn, ist mal felsig, mal bewaldet, in vielen Teilen sehr schattig. Mit der Schlucht wird auch die Kantonsgrenze von Waadt und Fribourg durchbrochen, wenngleich bereits die Landschaft vom Lac d’Hongrin verwandter mit dem Freiburger Land ist als mit dem Waadt der Rhone oder des Genfer Sees. Schwungvoll durch steile grüne Weidehänge und unterbrechende Waldabschnitte bewegt man sich weitgehend halbhoch über dem Hongrin zu Tal. Quasi weit über dem Kopf reicht anfangs die Trasse der Montreux-Berner-Oberland-Bahn, sodass ich verwundert bin, bald in Montbovon die Bahn im Saanetal wiederzufinden.
Nach dem nahezu durchgehend hochsommerlichen Unterwallis war ich wieder etwas verwöhnt. Mit dem Übergang ist Greyerzer Land hatte sich das Wetter stark eingetrübt. Zur Nacht drohte gar ein heftiges Unwetter, so ich die Wolken deuten muss. Nachdem ich im Restaurant Couronne von Lessoc noch einen schmackhaften Steakteller verspeisen kann, sorge ich um die unsichere Lage und suche ich einen Schlafplatz auf einem Holzstapel – Hauptsache mit festem Dach. Blitz und Donner bleiben dann doch nur angedroht.
(So, 25.7.) Lessoc – Grandvillard – Estavannens – Pringy – Gruyères (Château) – Le Pâquier – Bulle – Morlon – Sarine-Mündung – via Trail/Piste an der Sarine – Broc – Châtel-sur-Montsalvens – via Val de Charmey – Charmey – Im Fang – Jaun
50 km | 810 Hm
Das Dorfzentrum von Lessoc ziert ein achteckiger Brunnen aus speziellem Lessoc-Marmor, der von einem Zwiebeldach wie zu einer Kapelle verbaut wirkt. Gleich solche Konstruktion wiederholt sich nur wenig weiter beim nächsten Weiler mit der Chapelle du Roc, die in schon fast fremdelnder mediterraner Terracottafarbe gehalten ist. Weiter radelt es sich stimmungsvoll durch das verwunschen wirkende Grünhügelland. Aus einem engen Felsspalt speit der Wasserfall von Grandvillard einen dichten Strahl aus, fast noch üppiger wirkt indes eine anliegende Lourdesgrotte, der bereits ein erstes Sonntagsgläubigerpaar besucht.