ALP-2020-10 Teil 3: Blickpunkt Zentralschweiz – Anfang Schweiz, Ende Welt
Herbstliche Facetten aus dem Mittelland und der Zentralschweiz feat. Engelberg (Fortsetzung)
(4) Escholzmatt-Schwändeln – Schüpfheim – Entlebuch – Rengg/Bramegg (968 m) – Schachen – Malters – Kriens – Pilatus Bahnen Talstation – Schloss Schauensee – Allenwinden/Restaurant Burestübli (686 m) – Höllhof – Kriens – Horw – Hergiswil – Brücke Stanstad – Alpnachstad – via Kernwaldstraße – Chohlrüti (620 m) – Kerns
74 km | 1035 Hm
Seenland im Schatten des Pilatus
Mit dem Neuschnee der Nacht hatten sich märchenhafte Pudergüsse weit in die kalten Nebentäler runtergewagt. Davon war am Renggpass aber nichts mehr zu merken, da der Einfluss der Wasserflächen die Erhebungen um den Vierwaldstätter See in weit höhere Etagen noch freihält. Die Passhöhe, zugleich ein Weiler mit Gasthof, wird meist nur als die „Rengg“ bezeichnet, wohl um eine Verwechslung mit dem nahegelegenen, historisch bedeutsamen Renggpass zwischen Hergiswil und Alpnach zu vermeiden. Allerdings existieren noch weitere gleichnamige Pässe in der Schweiz, die Verwechslungsgefahr ist groß. Die alternative Bezeichnung Bramegg kennen hingegen nur wenige Karten. Über Rengg kann ich die Strecke Richtung Luzern verkehrsarm und mit ein paar steilen Serpentinen abkürzen.
Ich mühe mich etwas ab, um einen Weg oberhalb von Kriens nach Horw zu finden, ohne die Luzerner Agglomeration im Tal beradeln zu müssen. Unweit der Talstation der Pilatus-Bahn schwelgt das Schloss Schauensee über dem Häusermeer einer eigentlich ja gar nicht so großen Stadt. Durchgehend asphaltiert gibt es letztlich keinen Übergang direkt nach Horw, sondern man gelangt zum südöstlichen Ortsausgang von Kriens wieder nach unten. Ich hatte allerdings mit Blick auf Zeit und Witterung bewusst darauf verzichtet, eine schwierigere und stark umwegige Bergroute noch auszuprobieren, die tatsächlich noch einen Übergang direkt nach Horw bzw. Hergiswil ermöglicht. Demzufolge hatte ich auch die geplante Auffahrt Schwarzenberg samt Holderchäppeli gestrichen.
An den steilen Ufern des Vierwaldstätter Sees hat der Mensch die Verkehrsachsen in den Fels getrieben, die großen Alpentransitwege nach Süden öffnen. Schon ertappe ich mich bei diesem Gefühl, der Verheißung von Palmen und Riviera über den Alpenhauptkamm zu folgen, der fast greifbar scheint. Erinnerungen an meine große Westalpen-Tour 2009 kommen auf, auf deren Schnittachse ich hier kurz wandle. In Hergiswil liegt ein Zentrum für Blasgläserkunst, dem ich allerdings wenig Aufmerksamkeit widme – die Goldtaler für die schönen Dinge sind mir ja abhanden gekommen.
Was man nicht sieht, kann man auch nicht begehren. Am Alpnacher See hat sich die Autobahn in Richtung Gotthard verabschiedet und das Seeufer wogt ruhig dahin. Das Wasser hat noch eine angenehme Wärme – ich könnte sogar baden, wenn es nicht diese Kälte und den giftigen Wind am Ufer gäbe.
Kehrentraum mit Puderzucker
Für eine Überfahrt des Ächerlipasses habe ich schließlich zu viel Leerzeit liegen lassen und war am Morgen auch zu spät gestartet. Die kurzen Tage lassen nur noch wenig Spielraum für Muße und Gespräche. Zum Basisort Kerns führt eine bereits anspruchsvolle Anfahrt durch dichten Wald, wenn man die Auffahrt von Nordwest und über das Alpnacher Flugfeld wählt.
Da es an der Westflanke des Ächerlipasses keine weiteren Ortschaften und Gasthöfe gibt, muss ich etwa ein Stunde Reserve „verschenken“. Kerns ist erstaunlich wuselig, keineswegs Berg-, sondern mehr Pendlerort, aber auch mit eigenen Gewerbebetrieben. Das Bistro und Café Steihuis ist mehr Stammkneipe für einen Umtrunk, sodass die Wirtin wohl etwas verblüfft ob des fremden Gastes war und der Wirt beim Verlassen noch ein tiefes Danke nachschickte. Das Rösti in der Eisenpfanne mit Schinken, Gemüse und Käse überbacken war trotz der baufälligen Toilette schmackhaft zubereitet.
(5) Kerns – Ächerlipass (1458/1398 m) – Wiesenberg – Dallenwil – Wolfenschiessen – Engelberg (1000 m) – Horbis, Ende der Welt (1130 m) – Engelberg – Tätschbachfall/Restaurant Wasserfalll (1070 m) – Engelberg – Wolfenschiessen – Dallenwil – Stans – Buochs
81 km | 1720 Hm
Hatte ich doch noch einen guten Platz für mein Zelt gefunden, so war die Nacht allerdings sehr kalt. Umso erfreulicher zeigte der Morgen einen echten Sonnentag an. Und so wurde die Fahrt über den leicht eingepuderten Ächerlipass und in das Engelbergtal zum Krönungsmoment der Reise – ganz wie es sich für eine Reise zu den namentlich versprochenen engelgleichen Horizonten geziemt.
Der Ächerlipass liegt nach dem offenen Einstieg lange im Schatten der Morgensonne und bewegt sich weit mehr durch Wald als von unten zu ahnen ist. Den Sattel über einem offenen Hang sieht man bereits ganz unten in Alpnach. Die Straße windet sich jedoch südlicher durch Wald hinauf, überquert 50 m oberhalb der Passhöhe den höchsten Punkt und nähert sich dann in einem weiten Bogen hinunter zum Sattel. Die Steigung ist erheblich und Ausblicke jenseits der unteren Etage eher selten. Zu meiner Überraschung notiere ich mehrere Hütten auf der Strecke, auch Wasserstellen sind ausreichend.
Wenngleich es auf der Ostseite keinen Ausblick auf einen See gibt, ist diese landschaftlich aufregender. Grüne Matten kontrastieren mit bunten Laubhainen und felsigen Abbrüchen, über die Wasserstrahle sprießen. Die Kurven sind eng gewendet, hautnah die Randbegrenzungen, Mauern und Leitplanken huschen vorbei. Kühn ist eine Kapelle in eine Spitzkehre eingeflochten. Die Herbstsonne weiß ein wenig zu wärmen, das Licht stimmt sanft und majestätische, schneebedeckte Gipfelhorizonte arbeiten sich immer wieder ins Auge, die Arena hat ihre große Bühne geöffnet. Vermutlich ist der Aufstieg hier noch schwieriger als zur Westseite, der Spaß aber groß.
Wo die Engel wohnen …
Das Engelbergtal verläuft zunächst fast flach, Bergfluss, Straße und eingleisige Bahnstrecke folgen einer geraden Linie, die auf eine mächtige, nahezu unüberwindliche Bergkulisse zustrebt. Zu den Seiten stürzen Wasserfälle hinunter und Felsvorsprünge erinnern an Jura oder Schwäbische Alb.
Etwa bei Grafenort, mit schmucker Kapelle am Straßenrand, beginnt die Steigung in Richtung Engelberg, mit mehreren, aber stark versetzten und weit ausgebauten Spitzkehren. Die Steigungen bleiben eher gemäßigt, ich fühle mich trotzdem ohne Mittagsrast etwas ausgepumpt. Unklar bleibt mir, wie die Bahn den Berg bewältigt, die mit Beginn der Straßensteigung aus dem Blickfeld verschwindet und oben ohne Ächzen aus einem Tunnel auftaucht. Zu den Seiten und im Rücken wachsen mächtige Bergstöcke empor, Wasserfälle bleiben für das Auge weit entfernt, während sich die farbigen Herbstmuster in die Berggemälde hineingepinselt haben.
Die Dramatik der Bergwelt nimmt nur kurz ab, bevor sich die Hochebene von Engelberg schmal und unscheinbar öffnet. Nur Sekunden später erobert eine atemberaubende Arena mit grandiosen Gipfelketten das Auge des Betrachters. Der Eugenisee ist vom kalten Wind leicht gekräuselt, wohl liefert er sonst ein Spiegelbild der Berge. In erster Front überwiegen im Tal zweckmäßige Wohngebäude, sodass die Kulisse auch ein Stück moderne Normalität enthält.
Der teils die Hänge hochgezogene Ort präsentiert dann eine Mischung aus modernen Zweckbauten, heimeligen Chalets und protzigen Belle-Époque-Gebäuden. Es wird erzählt, dass an dem Hausberg des Hahnenbergmassivs einst Engel getanzt haben sollen. So hieß er auch mal ursprünglich Engelberg. Die Engel haben heute sogar noch etwas Watte hinterlassen, mancher Gipfel verschwindet in der einen oder anderen Wolke.
Darunter mischen sich noch barocke Elemente bis hin zur architektonischen Krönung des Ortes der Benediktinerabtei, dessen mächtiger Bau in der ersten Hälfte des 18. Jahrhunderts entstanden ist, nachdem ein Brand 1729 das alte Kloster vernichtet hatte, dessen Gründung gar auf das Jahr 1120 zurückgeht. Der kalte Wind treibt mich übereilt zu einer verspäteten Mittagspause in ein etwas elitär wirkendes Café, sodass ich erst danach den Klosterladen mit eigenem Café entdecke. Die Show in der Schaukäserei ist bereits beendet, an der Theke warten jedoch viele leckere Käsesorten – für die Hoffnung auch ein „Glücksbrie“.
… ist die Welt zu Ende
Ich habe nun erwartungsgemäß nicht mehr die Zeit, weitere angedachte Bergrouten um Engelberg auszufahren. Zunächst aber möchte ich meine Mission „Ende der Welt“ abschließen. Das Tal nach Horbis ist nochmal ansteigend, aber eher mäßig und auch nicht sehr lang. Das Ende der Welt kommt entsprechend abrupt. Der letzte Zipfel am Ende der Welt ist schließlich „privat“. Wenn man so will, ist das Ende der Welt gekauft – ich bin ja auch in der Schweiz, die bekanntlich geübt ist im Umgang mit Geld und Besitz. Man kann natürlich am Rande weiter einem Weg folgen, der in den Talkessel hineinführt, aber nur noch als schlechter Fahrweg und wohl wenig später als Wandertrail.
Zurück im Haupttal der Engelberger Aa, spüre ich arge Abendkälte. Den mal geplanten Aufenthalt beim Camping Eienwäldli, auch mit Hotel und Wellnessbad samt Sauna, habe ich längst gestrichen, um nicht in kritischen Rückstand meiner Tour zu kommen. Die Kälte lockt auch nicht zu bleiben, müsste ich doch mit einer herben Frostnacht rechnen und der Preis für den Zeltplatz ist nicht unerheblich, der für das Bad noch dazu. So beschränke ich mich auf den Tätschbachfall, der noch weit vor dem Ende der flachen Straße und dem dann ansteigenden Talkessel liegt.
Jeder Blick auf die Gipfelbarriere im Haupttal bezaubert so sehr, dass mir der geschwinde Abschied schwerfällt. Ich muss nochmal kurz beim Eienwäldli innehalten – doch einkehren und einen traumhaften Bergmorgen erleben?
Wenig später strample ich vom Dämmerlicht in die Dunkelheit. Die Fahrt erlaubt ein hohes Tempo, den größten Teil des Tals hatte ich ja schon gesehen. Zwischen Stans und Buochs verwirren mich die Zivilisationslichter so, dass ich mich wie im Blindflug fühle. Am Tage hätte ich wohl eine Hangroute gewählt. Jetzt bin ich aber flott und flach in Buochs. Der seenahe Camping ist noch in Betrieb und so sichere ich mir eine warme Dusche wie auch eine vergleichsweise milde Nacht bei 5-6 °C. Welcher Herkunft der Koch im Restaurant Bamboos hat, bleibt vage. Die Karte offeriert ebenso typisch mexikanisch Barbecue-Gerichte wie typische Thai-Küche. Ente gute, Ende gut. Hätte etwas knuspriger sein dürfen, reicht aber immer noch für eine Empfehlung. Ich leiste mir noch einen warmen Schokokuchen. Der Tag muss ja irgendwie gefeiert werden.
(6) Buochs – Beckenried – Emmetten Egg (770 m) – Seelisberg (830 m) – Rütliweg (vor JH abgebrochen) – Treib || 14:02 h | per Schiff (6,40 SFR + 8 SFR Velo) | 14:09 h || Brunnen – Schwyz – Mostelegg (1266 m) – Mostelberg (1190 m) – Sattel (Tal) – Hageggli (773 m) – Schornen – Sattel (Dorf) – Hageggli – Schornen (Letziturm, Morgartenmuseum)
56 km | 1710 Hm
Die Wiege der Schweiz – ein Mythos, der Begehrlichkeiten weckt
Das Traumwetter vom Vortag war doch nur ein Intermezzo. Für kurz heitert das triste Dauergrau des Tages zur Mittagszeit auf, als ich den See quere. Der ungemütliche kalte Wind treibt mich aber bereits in Beckenried zum Frühstück in ein Café. Trotz der Felsbarriere zum Südende des Vierwaldstätter Sees haben die Schweizer dort noch einige Orte in der Sackgasse gegründet. Noch mehr – sie haben dort die Schweiz gegründet, soweit man dem Mythos vom Rütlischwur glauben möchte. Für eine gesicherte Verortung eines Rütlischwurs fehlt es jedoch an historisch belastbaren Fakten.
Ob die kleine Rütliwiese unter Fels und am See gelegen der Ort des Bundes war, der die Ur-Kantone Schwyz, Unterwalden (heute Halbkantone Nid- und Obwalden) und Uri zusammenschloss, bleibt eine Vermutung. Auch ist unklar, wann und welcher Bundesbrief den geeinten Eidgenossen zugrunde liegt. Heute zählt ein Bundesbrief aus dem Jahre 1291 als Gründungsdokument der Schweiz, aber auch eine Urkunde von 1307, die wohl am Mythen besiegelt wurde, könnte das entscheidende Dokument sein. Die gesamte Gründungsgeschichte der Schweiz ist letztlich mehr Mythos als gesicherte Geschichtsschreibung. Das gilt auch für die Morgartenschlacht von 1315 oder die Wilhelm-Tell-Geschichte. (Einige weitere Geschichtsorte zum Gründungsmythos besuchte ich auch im Rahmen meiner 2008er Wilhelm-Tell Tour – Fahrt in die Urschweiz.)
Immerhin, der Mythos lebt und wirkt ganz gut. Zwar ist das Rütli kaum mehr als eine Picknickwiese mit der Schweizer Nationalflagge, doch beflügelte die Fantasie manche Geister, den Ort aufzuwerten bzw. zu kommerzialisieren. So dachte König Ludwig II. über ein Märchenschloss über dem Vierwaldstätter See nach. Er entwickelte seine Pläne aber zu spät, denn 1859 sicherte die Schweizerische Gemeinnützige Gesellschaft das Gelände als unveräußerliches Nationaleigentum. Ernste Hotelpläne auf dem Rütli verfolgte zuvor bereits der Unternehmer Michael Truttmann. Nachdem er mit seinem Ansinnen scheiterte, baute er schließlich das Grandhotel Sonnenberg oberhalb in Seelisberg, das nach dessen Niedergang in die Hände von Maharishi Mahesh Yogi geriet, der den Ort zum Hauptsitz der „Weltregierung des Zeitalters der Erleuchtung“ kürte. Diese Zentralfunktion ist zwar mittlerweile verlegt worden, aber weiterhin bestimmt die fernöstliche Meditationslehre die Sinnstiftung des Ortes als Maharishi European Research University.
Mythos und Geschichte erklären in Seelisberg Video/Audio-Stationen an verschiedenen Standorten. Im abgeschlossenen, nur einsehbaren Pavillon sprechen fiktiv vier geschichtliche Personen (Maharishi Mahesh Yogi, Richard Wagner Michael Truttmann und L’Helvetia) über die Faszination Rütli und die Bestimmung von Seelisberg aus ihrer jeweiligen Sicht. Wenn Autos vorbeifahren, versteht man allerdings nichts. Das ist nicht das einzige Manko, denn die Geschichtsdarstellung wirkt doch arg kitschig, was aber vielleicht im Mythos selber schon verankert ist.
Zur Rütliwiese bin ich schließlich nicht mehr durchgefahren, weil der Weg dorthin recht grob schottrig und stark hügelig ist und mir die Zeit davonflog. Da man von oben den Flecken gut mit Tele einsehen kann, sind auch keine überraschenden Dinge mehr zu erwarten. Zudem wäre eine Überfahrt vom Rütli nach Brunnen nochmal teurer als von Treib. Dort erwischte ich das Schiff sogar just in time.
Um nach Seelisberg und Treib zu gelangen, fährt man von Beckenried den Berg auf nach Emmetten, von dort in den Kanton Uri über durch ein hügeliges Hochtal, das zu einem herrlichen gelegenen See unter einer Felswand beim Ort Seelisberg führt.
Jenseits des Aussichtsbalkons beim Sonnenberg-Komplex und dem Seelisberg-Dorf und fällt die Straße über eine markante Serpentinenstraße zur Anlegestelle Treib ab. Wer umgekehrt den Aufstieg fürchtet, kann auch die Standseilbahn nutzen (Velotransport möglich). Der Rütliweg mit eher grober Zufahrt zur Jugendherberge befindet sich an einer Spitzkehre bereits im unteren Teil. Vom Anleger in Treib gibt es keinen Zugang zur Rütliwiese! Das Schiff verbindet Treib mit der Rütliwiese nur über eine Winkelfahrt via Brunnen – ist also keine Empfehlung, zumindest kostenrechnerisch. Eine weitere Möglichkeit zum Rütli besteht über einen Fußweg von Seelisberg direkt hinunter. Dann müsste man das Velo oben parken.
Und schließlich auf dem Wasser…
Hopp Schwyz – mit Optimismus in dunkle Wolken (dunkle Zukunft?)
Auf der Schwyzer Seite fallen mir zahlreiche Plakate und Banner mit dem Motto „Hopp Schwyz“ auf. Es handelt sich um eine Solidarinitiative des Kantons, um den wirtschaftlichen Folgen der Corona-Pandemie zu begegnen. Die Kampagne versucht Optimismus zu verbreiten, für Einkäufe und touristische Ausflüge innerhalb des Kantons zu werben. Neben spezifischen Fördermitteln stützt die Kampagne kostenlose Werbemittel für Unternehmen und vielfältige Maßnahmen zur medialen Sichtbarkeit der Kampagne. Da sind wir aber wieder beim Problem der Solidarität: Wie weit denkt dann ein jeder Kanton für sich? Was bleibt vom Rütlischwur, dem Schwur im Bunde über die eigenen Grenzen hinaus? Solidarität – die Krise deckt auf: Zuerst fällt sie weltweit, dann innerhalb der EU, dann innerhalb der Länder selbst, am Ende misstrauen sich Städte, Straßenzüge und ein jeder Mensch, im besten Fall nur noch Freund im eigenen Clan. Ein dickes Fragezeichen hinter diesen inflationären Gebrauch von Solidarität! Hopp Schwyz stellt den Rütli-Mythos in Frage – daselbst an den Orten einer idealisierten Geschichtsschreibung.
Hopp, Schwyz könnte auch ein Anfeuern für mich Pedaleur sein, mit Schwung durch den Kanton zu fahren. Jenseits von Schwyz-Stadt ist es aber mit dem Schwung vorbei. Der Anstieg, geplant zum Haggenegg, erweist sich als mörderisch steil, steiler als der Ächerli. Von oben senken sich bedrohliche Regenwolken immer tiefer. Ich muss schließlich an der Verzweigung von Haggenegg und Mostelegg mich für die kürzere und niedrigere Variante entscheiden, um noch sicher ein geeignetes Tagesziel zu erreichen. Damit scheitere ich bereits ein zweites Mal an der Haggenegg-Bezwingung, nachdem ich im Vorjahr von der anderen Seite und zu anderer Jahreszeit gleichfalls von bedrohlichen Wolken abgeschreckt wurde (vgl. ALP-2019-2).
Nach der offenen Südflanke überrascht die Mostelberg-Querung durch eine Moorlandschaft in der Hochmulde, die zwischen Mostelegg (Passhöhe) und Mostelberg (auch eine Anhöhe) liegt. Mostelberg ist eine Mischung aus Skigebiet und erstaunlich vielen Siedlungshäusern. Zu den Attraktionen gehört auch der „Raiffeisen Skywalk“, eine recht kühne Hängebrücke über einen Tobel. Zum Glück habe ich keine Zeit mehr für diesen Nerven- und Wackelkick.
Im Basisort Sattel herrscht erstaunliche Ruhe für „Hopp Schwyz“, eher „Flopp Schwyz“. Mehrere Restaurants haben geschlossen, nur der Hirschen außerorts verbleibt. Ich passe mich dem Namen an und wähle Hirschpfeffer. Wild ist in der Schweiz doch immer populär und häufig noch günstiger als ein paniertes Schweinschnitzel. Auch sehr gut, etwas weniger elegant zubereitet als in Wetzwil, ebenso das Ambiente ein Stück biederer. Gerne würde ich mir ja Rotwein einschenken, aber in der Schweiz mutiere ich mit Rücksicht auf den Geldbeutel kontinuierlich zum Biertrinker. Trotz der kalten Zeit komme ich mit dem Gerstensaft erstaunlich gut zurecht.
Der Wirt erklärt mir, dass nun das Geschäft gelaufen sei. Hohe Corona-Infektionswerte haben die Zentralschweiz erreicht und die Kantone wurden nunmehr auch zu Hotspots erklärt (bis dahin waren es exklusiv Westschweizer Kantone). Die Gäste würden jetzt ganz wegbleiben, weil die Gelassenheit des Sommers verfliegen wird. Bis dato hatte er noch gutes Geschäft machen können, wie die meisten eher ländlichen touristischen Betriebe in der Schweiz einen recht gewinnbringenden Sommer erlebten. Interessant auch dieses: Er ist ein weiterer Schweizer Gastwirt, der sich über die deutsche Kanzlerin Angela Merkel aufregt (so schon im Vorjahr einer am Walensee). Sie würde z. B. das ganze Geld in die EU tragen (schwer zu behaupten, dass EU-Politik einer politischen Person zuzuordnen ist). Über meinen Einwand, dass Deutschland letztlich am meisten von der EU profitiert, will er dann aber doch nochmal nachdenken.
(7) Schornen (Letziturm, Morgartenmuseum) – Hageggli – via Schornenrainstrasse – Cholerhütte (1158 m) – Urzlenboden – Geissfarren – Schönalphütte – Langmösli (1075 m) – Pfaffenboden – Früebüel (984 m) – via Ewegstaffel – Felsenegg (942 m] – Vordergeissboden, Restaurant/Bergbahn Zugerberg – Juchenegg – Zug – Baar – via Albispassstraße – Bachtalerhöhe (523 m) – via Albispassstraße – Türlen – Aumüli – Buchenegg (786 m) – Adliswil – Zürich Hbf (geplant: 18:37 h || per Bahn || Stuttgart 21:32 h), effektiv: 19:00 h || per Bahn via Basel, Olten, Karlsruhe wegen Zugausfall & Fehlinfos) || Stuttgart ca. 0:45 h
67 km | 1310 Hm
Der Pessimismus des Gastwirtes bestätigt sich am nächsten Tag. In Zug kann ich allerorten die Verunsicherung spüren, überall herrscht ungewohnte Maskenpflicht und sogar mein Buff als Alltagsmaske wird in einem Café abgelehnt (später auch von einer Schaffnerin moniert). Vor den Restaurants sammeln sich diskutierende, unterbeschäftigte Gastwirte neben Stapeln von Masken. Doch die Gaststuben bleiben sichtbar leer. Ich hatte insofern noch Glück, stufte das RKI die Zentralschweizer Kantone erst einen Tag später als Risikogebiete ein und entkam so der offiziellen Quarantänepflicht nur knapp. Da war meine Reise bereits zu Ende. Noch aber hier die Schlussakkorde …
Feuchte Wälder, tränende Moore
Das Informationszentrum zur Morgartenschlacht mit Letziturm wird quasi zu eine Art Schlafzimmer für die letzte Nacht, nicht zuletzt auf Rat des Gastwirtes in Sattel. Ist es morgens anfangs noch trocken, setzt sich langsam mehr und mehr Niesel nieder, fahre ich durch Wolken, bis sich auf den Höhen um den Zugerberg ein recht deftiger Landregen entlädt. Die Analogie des Wetters zum Vorjahr bei der Querung der nördlichen Höhen des Ägeritals via Ratenpass und Menzingen könnte kaum deutlicher sein. Herrscht hier auch mal Sonnenschein?
Umso erfreulicher, dass doch jede Waldtour auch ein Füllhorn der Stimmungen ist, die Nässe selbst eigenes Licht und Glitter entfaltet. Blätter, Hölzer, Moose und Pilze nehmen besondere Gerüche an, während die Geräusche von den Tropfnetzen in entrückte Stille entführt werden. Ausgefahren aus den Waldbereichen, überzieht die Höhe bei Früebüel ein großes Moorgebiet, dass man über die Ewegstafel recht gut streift. Die Fahrwege sowohl im Wald als auch der Höhe wechseln mal häufiger von Asphalt zu Schotterpiste, sind aber bis auf ein kurzes Trailstück beim Moor sehr gut gewalzt. Einige Passagen könnte man auch in alternativen Varianten fahren.
Pfaffenboden über Zugersee Zugersee von Zugerbergbahn aus Ewegstaffel
Kirschtorte, Walnüsse & Elefanten
Der Zugersee bleibt auf der Abfahrt regenverschleiert fast unsichtbar. Erst in Zug lässt der Regen langsam nach und die Fahrt nach Zürich ist mir doch noch weitgehend trocken möglich, wenn auch im Dauergrau. Zuvor probiere ich zur Tageserhellung aber noch eine Zuger Kirschtorte (ohne Kirschen, aber mit Kirschwasser). Schließlich gehört sie zum kulinarischen Erbe der Schweiz und ist regionalgeschützt. Auch Zug verfügt über eine sehenswerte Altstadt, wenngleich man in der Fernsicht eher eine moderne Stadt vermuten würde. Doch heute ist regentrist wie coronatraurig, kein Tag für schöne Weile.
Musste ich im Sommer des Vorjahres das Buchenegg witterungsbedingt streichen, konnte ich diesmal diese lohnenswerte Alternative zum Albispass befahren. Die Auffahrt jenseits des Türlersee, der fahl das Gesicht des trüben Herbstes annahm, läuft leicht und ist in schöne Herbstfarben getaucht. Ein Walnussbaum hat ungewohnt riesige Schalenfrüchte abgeworfen, die letzten Souvenirs meiner Reise. Auf der Passhöhe selbst warten zwei aussichtsreiche Restaurants mit Blick zum Zürichsee, Max & Moritz grüßen.
Ich hatte eigentlich noch ein Stück Seeroute geplant, doch lohnt das bei diesem Wetter nicht. Selbst an der Stadtpromenade in Zürich fehlt dem Zauber des Herbstes das nötige Licht.
Doch muss ich nicht auf große Farbenpracht verzichten: Im Hauptbahnhof präsentieren sich bunt bemalte Skulpturen von lebensgroßen asiatischen Babyelefanten. Die Elephant Parade Swiss Tour 2020 dient dem Schutz der asiatischen Elefanten, die stark bedroht sind. Im Rahmen der Elefantenparade durch mehrere Länder bemalen Künstler des jeweiligen Landes die Elefanten, an anderen legten Prominente wie z. B. Phil Collins, Katy Perry, Richard Branson oder Emil Steinberger den Pinsel an. Die Originalmodelle werden versteigert, Miniatur-Ableger gibt es auch im Web zu kaufen (nebst Shop während der Ausstellungen). Die Elefantenparade war gerade eröffnet worden, meine doch wieder eindrückliche Reise aber leider zu Ende.
Der letzte Zipfel der Reise ist dann nochmal prekär. Alle Züge nach Stuttgart über Singen fallen wegen einer Betriebsstörung aus. Ersatzweise muss ich über Basel fahren. Sowohl vom Zugpersonal als auch von der zuginternen Bildschirmanzeige werde ich falsch informiert, und mit dem Radwagen in Basel abgetrennt von der Destination Mannheim und in Richtung Bellinzona geschickt (die Ansage hatte ich nicht gehört, weil eingedöst). Unmittelbar nach Basel dies bemerkt, bekomme ich mit viel Hektik und der Hilfe einer kompetenten Schaffnerin ab Olten doch noch eine letzte Verbindung bis Stuttgart, wenngleich über drei Stunden später zuhause.
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