Fassadenbild mit Geschichtshintergrund der Stadt Chur, gemalter VW-Käder rot, grünes Reisevelo real
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ALP-2020-RA-5
Altstadtperle, Heidi, Wein- und Burgenland, mitunter fürstlich stramm: Vom Alpenrhein-Rätikon zum Bodensee

Liechtensteins fürstliche Bergwelt

Die Ostkurve der Alpenrheintribüne applaudiert mit Schweißtropfen

Die Flaggen Liechtensteins winken – ein eigenständiges Fürstentum, aber irgendwie immer noch Schweiz, von dieser abhängig, Sammelplatz von Treuhandbüros für zweifelhaftes internationales Kapital. Aber jedes Land hat auch ein Herz. Vielleicht finde ich es diesmal. Schon Abend, aber wohl noch 30 °C. Ich ächze auf der Berganfahrt. Brunnen, ersehnte Frische – es geht nicht gut voran. Die Straßenzweige sind verwirrend. Es gibt Alternativen, aber welcher Bogen ist weiter, welcher steiler und wo schließen sie sich wieder zusammen? Das ist nicht immer klar zu erkennen. Liechtenstein vermutet der Durchreisende flach mit ein paar Burghügeln, aber es hat ein verstecktes Hinterland für zünftige Waden. Triesenberg ist weniger Dorf als Siedlungsberg. Beim vermuteten Ortskern gibts das letzte Restaurant – also Abbruch der Etappe noch vor dem Sonnenuntergang. Wo aber soll ich da ein Zelt aufstellen?

Brug Gutenberg in Balzers auf Weinberghügel
Schloss Balzers, Schmuckstück des auch kleinen Burgenlandes Liechtenstein
Bierglaskrug mit lustigen Froschskulpturen
Kleine Fürstentum-Froschrunde mit deutschem Froschradler

Das Restaurant Edelweiß ist einfach, die Speisen aber schmackhaft zubereitet. Cordon Bleu Méditerranée mit Gemüse und Pommes. Die Schweizer mögen Cordon Bleu, Liechtensteiner offenbar auch. Die Preise gemäßigt schweizerisch. Von einer Bedienung bekomme ich Tipps fürs Zelten. Ich müsse noch ein kleines Stück weiter hoch. Naja, vielleicht noch ein bisschen mehr als ein bisschen. Was ist darunter zu verstehen? – Ich fahre in die Nacht, finde keine Nischen. Den Picknickplatz mit WC, den die Restaurantfrau mir empfohlen hatte, finde ich erst am nächsten Morgen sehr weit oben – zu weit oben, zu platt war ich, das noch zu erreichen. Zuvor strandete ich an einer unbewohnten Hütte –lauwarm ohne Zelt auf Beton, aber mit Rheintalblick – sternhimmelklar.

Di 28.7. Guferwald/Abzweig Masescha – Rizlina – via Autotunnel – Steg – via Piste – Alp Valüna – via Piste – Alp Hötta – via Trailpiste – Pfälzerhütte/Bettlerjoch (2108 m) – Alp Hötta – Alp Valüna – Steg (1276 m) – Sücka – Ds alt Tonäll (1430 m) – Rizlina – Rotenboden – Schloss Vaduz – Schaan – Nendeln – Feldkirch (455 m) – Göfis (595 m)

60 km | 1785 Hm

Der Aufstieg über Triesenberg war Kindervorprogramm, das wusste ich am Ende des Tages. Zunächst treffe ich auf einen Tunnel, den großen Straßentunnel nach Malbun, mit 740 m Länge und flachem Profil leicht und angenehm zu durchfahren. Es gibt eine Alternative über Ds alt Tonäll, 170 m höher gelegen und kürzer, nahezu unbefahren. Diese fahre ich auf der Rücktour. Ich hatte hier den Abzweig bei der Auffahrt verpasst, weil er nicht direkt am Tunnel liegt, sondern zuvor. Damit sparte ich mir die angeschriebenen 24 % Maximalgefälle auf der Kulmstraße für den Abschwung auf.

Eine Hüttentour, nicht unbedingt für Transportradler gedacht

Nach dem Tunnel eine andere Welt. Steht der gesamte Aufstieg zuvor im Zeichen von Ausblicken auf das Alpenrheintal mit Bergweiden und Streuobstwiesen, so öffnet sich nach dem Tunnel Gnalp-Steg eine eigene Bergwelt abgetrennt vom Rheintal. Der kleine Ort Steg mit symmetrischer Siedlungsanordnung hat ein oder zwei unscheinbare Lokalitäten, aber keinen Dorfladen. Die bessere Einkehrmöglichkeit wäre nochmal kurz bergauf nach Sücka, etwa halbe Strecke zum alten Tonäll. Auch Malbun wäre nicht sehr weit. Meine Tour soll aber zu Pfälzerhütte führen.

Das Valünatal wird zum Morgengedicht. Der Bergbach glitzert silbern, Wanderer starten ab Parkplatz am Stausee oder picknicken bereits, weil der Stausee auch als Badeplatz dient. Frühstück erhalte ich auf der Alp Valüna, die noch im flachen, guten Pistenteil liegt. Joghurt und Nuss-/Kirchkuchen aus eigener Produktion schmecken vorzüglich. Bald wird die Piste steiler und die grüne Bergarena scheint unüberwindlich. Nun bohrt sich die Piste mehr in den Berg, Wasser sprießt über den Weg, Bergblumen erfreuen das Auge.

Bald ist der Schotter gröber geworden und die Strecke unbarmherzig steil. Erste Weidegitter tauchen auf und ein weites Rund von grünen Bergwiesen umgibt mich, kein Baum und Strauch mehr, da und dort Alpenrosenbüsche. An einem Almbauernhof ohne Einkehrmöglichkeit stehen ein paar neugierige Pferde und etwas unentschlossene Hunde. Danach wandelt sich die Piste eher zum Trail. Eigentlich wäre hier der Punkt zur Umkehr gewesen. Doch versuche ich Unmögliches der Unvernunft. Weite Teile schiebe ich nun kraftraubend das Rad hinauf. Die Atempausen sind unter fünf Metern. Mountainbiker sprinten davon, Wanderer schauen verlegen. Die Tortur ist geschafft an einer Bergkante, wo dann ein eher flacherer Trail zur Pfälzerhütte führt, wieder fahrbar.

Am Bettlerjoch wird klar, dass ich den Abstieg ins Gamperdonatal mit der radfahrverbotenen Straße nach Nenzing nicht wagen kann. Zu steil und zu schmal ist der Wanderpfad. Auf der Hütte gibt es Käse-Lyoner-Salat mit Almdudler für 21 Franken – und es schmeckt nicht wirklich gut, etwas Abzocke – schade, die Almidylle ist eben manchmal auch nur noch ein Mythos.

Die Rückfahrt wird zur Flucht. Der Himmel verfinstert sich schnell, Gewitterdrohgebärden, erste Tropfen, Blitze noch fern. Ich kann zunächst abwärts auch nur schieben. Unten am Bergbach klart es wieder auf. Sonnenpause, trügerischer Schein. Schnell ziehen neue dunkle Wolken auf, wieder fette Tropfen. Ich erreiche immer noch trocken Ds alt Tonäll.

Zur anderen Seite hängt nun das Alpenrheintal unter düsteren Waben. Es wundert, dass der Himmel noch nicht bricht. Am Schloss Vaduz reißt dann der erste Wasserballon. Der Zugang zur Burg ist nicht möglich – Privatbesitz. Ich riskiere noch ein paar Kehren nach ganz unten – dann kracht der Wolkenbruch durch. Pause am Indischen Restaurant, aber noch zu früh für das Dinner. Geht es noch weiter?

Vorarlberger Alpenrheintal und Bodenseeufer

Hölle – Himmel – Donnerwelten

Der Regen macht nochmal Pause. Ich quere den Rest Liechtensteins. Ein Zollbeamter wundert sich, dass ich nicht den Rheinradweg nutze. Ich sage, zu langweilig. Er würde es wohl nicht glauben, wo ich hergefahren bin. Trotzdem bleibe ich unverdächtig.

In Österreich ist natürlich genauso dunkel. Es gibt noch keine EU-Richtlinie für fachgerechtes Radlwetter – welch ein Mangel! In Feldkirch dann immer wieder Regenschauern, noch nicht der große Zampano im Himmelsgebälk. Nach einer wässrigen Besichtigungsrunde kehre ich im Johanniterhof ein. Zwiebelrostbraten, Bohnen mit Speck, Bratkartoffeln und Bier – gute Röstaromen, aber es schüttet wieder. Ausgerechnet Feldkirch – da möchte ich nicht nochmal übernachten. Einst fand ich ein Hotel, das mir die letzte Kaschemme als teures Drei-Sterne-Hotelzimmer verkaufte – Vorarlberger Schlitzohren!

Szene Nachtwächterführung
Zeit für Nachtgeschichten

Ich hüpfe von Unterstand zu Unterstand. Der Regen wird schwächer. Einen Versuch ist es wert, raus aus der Stadt, ins ländliche Göfis. Irgendwo wird sich eine Ecke finden. Vielleicht auch eine kleine Pension. Pustekuchen. Den Schlossberg erklommen, in den steilen Berg, dann schüttet es in solchen Mengen, dass ich abbrechen und den Unterstand eines geschlossenen Gasthauses suchen muss. Ein zweiter Versuch – gleiches Schicksal, wieder zurück, wie im Spaßfilm. Aller retour, aller retour. Doch bin ich fallmüde. Dann noch ein dritter Versuch. Ich schaffe den steilen Berg, erreiche Göfis, der Regen kurz schwach. Aber die Wolken sind noch voll. Ich klemme mich unwirklich unter Markisen einer Clubbarracke. Die Nacht schüttet es Weltmeere und Ozeane, das Wasser läuft knapp an meiner Matte vorbei – um Haaresbreite, gut vermessen!

Mi 29.7. Göfis – Rankweil (464 m) – Röthis – Weiler – Klaus (507 m) – St. Arbogast – Götzis – Hohenems (411 m) – Anfahrt Gsohlalpe (~500 m, abgebrochen) – via Radpiste – Dornbirn – Lauterach – via Bregenzerach-Mündung (Piste) – Bregenz (400 m) – via Seeroute – Lindau 20:05 h || per Bahn || 22:56 h Stuttgart

72 km | 430 Hm

Lieb beschenkt trotz Faulheit

Die Dampfwolken werden Zeit brauchen sich zu verziehen. In Göfis sind die Berge abgetaucht. Ich bin froh, nicht tiefer im östlichen Rätikon zu stecken wie dem Gamperdonatal. Die Wetterlage dürfte gewittrig bleiben – Richtung Bodensee wird es sich bessern. Es wird sogar sehr freundlich: In Rankweil nehme ich ein kleines Frühstück in einem Café. Eine Bäckersfrau kommt schließlich zu meinem Tisch und bringt ein zusätzliches belegtes Brötchen, sie wolle es mir schenken, ich könne es wohl brauchen. Mein grünes Velo würde ihr gut gefallen. Danke, wohl! Ach ja, Vorarlberger Schlitzohren? – Nein, Vorarlberger Freundesland!

Noch plane ich die Bergtour nach Ebnit über Gsohlalpe. Doch die Anfahrt ist mir schnell zu steil. Die Piste beginnt bereits unten am Ortsausgang Hohenems, anders als die Auffahrt über Schuttannen nahebei, die bis Schuttannen auf Asphalt möglich ist. Ich spüre nicht mehr die nötige Energie, die Tortur bei unwirklichen Steigungen und auf Schotter zu bewältigen. Die Luft ist raus und das Wetter könnte umschlagen und die Zugrückfahrt am Abend gefährden. Das klingt nach Müßiggang und Faulenzen.

Zweierlei Eiszeiten im Bodensee-Sommer

Das Finale in Richtung Lindau über Dornbirn und Bregenz ist wie ein home run für mich. Wie oft bin ich schon daher? Und doch habe ich eine Kleinigkeit immer übersehen, missachtet, nicht gewusst. Die weißen Sandplatten mit geschwungenen Mulden und Strudeltöpfen in der Bregenzerach bei Lauterach sind ein Eiszeitrelikt von versteinertem Meer. Es passt ja zu meinem Thema glaziale Urwelten. Heute aalen sich Sonnenhungrige dort. Das besondere Stück Erdgeschichte ist eng begrenzt, sodass ich darauf nie aufmerksam wurde.

Dreirädrige Fahrradrikscha mit Baldachin am Lindauer Hafen
Goldene Zeiten fürs Velo?

Unradlerisch verdöse ich den Faultag einige Zeit am Strand der Bregenzerach-Mündung, auch Naturbiotop. Die großartige Tour der Rätischen Alpen ist zu Ende, Promenadenradeln vorbei an Badenixen, eine letzte Eiskugel, Wehmut am Lindauer Hafen – der Zug rollt zurück, die Berge entfernen sich, Abendsonne verfangen in der Corona-Maske, mehr als eine Träne bleibt zurück.

Stilisiertes Malfoto von Lindau mit See im Vordergrund
Logo Schreibfeder, Pedal mitAugen, Rad, weißer Hintergrund

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