Blick auf Gipfelkette im oberen Val Malvaglia
Alpen,  Schweiz,  Tessin,  Touren

ALP-2021-TdS-03
Vom Valle di Blenio in die Magadino-Ebene

(Di, 8.6.) [Sedrun – Disentis – via Val Medel – Curaglia – Fuorns –] Passo del Lucomagno/Cuolm Lucmagn/Lukmanierpass (1916 m/1972 m) – via Valle Santa Maria/Val di Blenio – Acquacalda/Pian Segno – Campra – Tüll/Olivone – via Val di Blenio – Campo (Blenio) – Ghirone

57 km | 1250 Hm

Der heitere Süden ziert sich dann doch. Es sind mehr die Blumen der Segno-Hochebene, die ein sonnengelbes Leuchten zu verstrahlen wissen. Mal grüßen verrenkte Bergkiefern und knorrige Lärchen zur Straße hin, mal breiten sich kleine Moorflächen mystisch schweigend aus. Nachdem ich die erste Waldzone durchstoßen habe, öffnet sich unter mir das Valle di Blenio von einer Kehre aus. Hier zweigt eine Nebenstraße, als Radroute gekennzeichnet, direkter nach Süden ab. Die Hauptstraße windet sich hingegen entgegengesetzt nach unten, um den ersten größeren Ort des Bleniotals in seiner nördlichen Talfurche zu erschließen.

Mit scharfen Kurven ins Val Luzzone

Brunnen mit Zwerg "Welcome" in Campa
Campo (Blenio)
Fels/Tal mit Kirche Bergdorf Campa

Bei Olivone stößt das Valle Santa Maria des oberen Lukmanier auf das Valle di Blenio, welches auch als Überbegriff für die Seitentäler verwendet wird. Die Tessiner Zeitung prognostizierte 2019 „Das Bleniotal wird zum Biketal“ und berichtete über mehrere Betriebe, die sich bewusst an Radlern orientieren und das Siegel BikeStop+ erwerben konnten. Ich sah mich aber einer eher doch sehr dünnen Infrastruktur in den Nebentälern gegenüber. Noch deutlich oberhalb von Olivone zweige ich an einer gut besuchten Speisestätte ab – es ist für lange die letzte. Ich hatte in Ghirone eine Einkehrmöglichkeit erhofft. Dort finde ich aber nur einen frisch aufgebauten, aber verlassenen Festplatz vor. Würstchenbuden ohne Würste sind eben nur eine Fata Morgana für Hungrige.

Noch bevor die Straße in einen Tunnel eintaucht, der eine enge Kluse durchbricht, schweift der Blick über das Valle di Blenio mit Olivone unten und einem Zuckerhutberg gegenüber. Dort schneidet sich versteckt ein weiteres Tal Richtung Norden hinein, das Val Carassina, welches aber auf Fahrwegen nur über das obere Valle di Blenio und das querliegende Val Luzzone verwinkelt erreichbar ist. Nachdem ich den Tunnel passiert habe, verzweigt sich das Valle di Blenio im Bergdorf Campa nochmals in zwei offene Muttertäler – in das Val di Campo nach Westen und das Val Camadra nach Norden. Beide Täler sind noch auf unbestimmte Weite hin asphaltiert befahrbar, was ich aber nicht auskoste.

(Mi, 9.6.) Ghirone – via Val Luzzone – Lago di Luzzone – Passo Muazz (1696 m, nach Tunnel Piste) – via Val Carassina – Lago di Carassina – Alpe Carassina/Wasserfall (~1780 m) – Lago di Carassina – Passo Muazz – Lago di Luzzone – Ghirone – via Val di Blenio – Olivone – via Valle di Brenno – Ponto Valentino – Acquarossa – Dongio – Malvaglia (Serravalle) – via Val Malvaglia – Bacino di Val Malvaglia – Madra

56 km | 1330 Hm

Das Val Luzzone muss man zunächst über steile Serpentinen nordöstlich von Ghirone erobern, die sich gut sichtbar über den Bauch einer offenen Bergwiese ziehen, bevor sich mir eine gewaltige Staumauer entgegenstellt. Unten ahne ich zunächst nicht einmal, wo da eine Straße hochführen soll. Doch kein Weg, der in Schweizer Bergen nicht möglich ist. Oben verwirren die Verzweigungen mit gleich vier Tunnelvarianten. Eine richtet sich abwärts und durchsticht Staudamm zur anderen Talseite. Eine zweite Variante führt zur Staudammkrone, wo man durch einen weiteren Tunnel auf eine Piste am Seeufer und zu einer Alpe mit fortführendem Wanderweg gelangen kann. Eine dritte Variante ermöglicht die Anfahrt zum Restaurant für den Lieferverkehr. Und die vierte Variante gelangt zum großen Parkplatz, von dem aus die Gäste das Restaurant oder die Dammkrone zu Fuß erreichen können. Das Stauseerestaurant schwebt dabei futuristisch kühn über der Talkerbe.

Am Ende ist noch nicht Ende – Exkurs ins Val Carassina

Erfrischt aus der öffentlichen Toilette, möchte ich noch zum zweiten Stausee, der über die untere Tunnelstraße (Ampelblockregelung!) unter der Staumauer erreichbar ist. Auf der gegenüberliegenden Seite aus dem Tunnel raus, steigt eine noch asphaltierte Straße enorm steil an, die von gerölligem Astwerk übersät ist. So erklommen, folgt ein nasskalter Tunnel zu einer dann überraschend lieblichen Bergwiese mit Brunnen. Dabei quert man fast unscheinbar die Passhöhe Muazz hinüber ins Val Carassina, durch eine kurze Mulde getrennt am kleinen Carassina-Stausee vorbei. (Die Bezeichnungen Val di Carassino und Val Carassina bestehen nebeneinander, die örtliche Alm trägt aber den Namen Alpe Carassina wie auch ein lokaler Käse, sodass man Carassina als die originale Schreibweise vermuten kann.) Mit dem Tunnel endet auch Asphalt und Beton – nicht aber ganz. Denn ab der Mulde führt nach Süden wiederum eine Asphaltstraße zu dem sichtbaren Bergweiler Cumpiètt. Die tiefe Schlucht südlich davon nach Olivone ist allerdings nicht befahrbar, sodass Cumpiètt eine Sackgasse bildet.

Am Lago di Carassina wird gerade gebaut bei fast leerem Becken. Das Tal steigt dann recht sanft und ziemlich geradeaus an in eine fast horizontlose Berglandschaft. Die anliegenden Almen haben noch geschlossen und den Weg durchziehen immer wieder Bergbäche. Dunkle Regenwolken überschatten die zunehmend kühle Luft. Den leichten Sommer des Südens gibt es wohl doch nicht so unbefangen. Das Projekt noch weiter bis zum 2030 m hohen Talschluss am Passo di Piotta (auch: Cappella del Termine) und der dortigen Alpenvereinshütte Capanna Adula zu folgen, breche ich dann doch nach mehrmaligem Furten mit nackten Füßen ab.

Schokoladenbarone und lost places of Switzerland

Käse und Johghurt aus dem Val Carassina & Blenio
Joghurt- und Käsespezialitäten aus dem Valle di Blenio und Val Carassina

In Olivone muss ich erstmal den Proviant aufstocken, denn auch das nächste Nebental erwarte ich mit wenigen Versorgungsmöglichkeiten. Olivone – das macht mir den Ort schon sympathisch – war mal ein Domizil der Schokoladenbarone. Bereichert von ihren Erfolgen in den großen Städten der Lombardei wie Mailand, leisteten sie sich klassizistische Villen in dem Bergdorf zu bauen. So erfreut sich Olivone eines dezent mondänen Ortsbildes mit stillen Winkeln einer verblichenen Noblesse – ein Flecken zwischen musealer Zierde und morbidem Verfall.

Blick ins Bleniotal mit Kirche/Bergdorf Aquila
Aquila mit Blick nach Süden ins Valle di Blenio

Meine Lust auf mehr Bleniotal ist längst geweckt. Ich wechsle zunächst auf die westliche Hangseite, um eine Römerbrücke und das beschauliche Ponte Valentino zu besuchen. Die alten Häuserfassaden drängen sich in eine spitze Bergecke mit einer stillgelegten Mühle am schmalem Wasserfallstrahl. Alte Bewohner beäugen verwundert meine Picknickpause auf einer modrigen Steinbank vor einem verfallenden Haus, als sei ich seit Jahren ein erster Fremder, der hier vorbeischaut. Niemand hat sich darum bemüht eine verwesende Maus unter der Bank zu entfernen. Ich bin hier wahrlich an einem lost place of Switzerland.

In Acquarossa kehre ich zurück auf die Hauptstraße des Bleniotals. Als ich in Malvaglia nach dem gleichnamigen Seitental Ausschau halte, kann ich keinen Einschnitt erkennen. Hinter Malvaglia riegelt eine bewaldete Felswand alle Wege und Sicht ab – wo soll da noch ein größeres Bergtal warten? Und doch: Wie eine Karstquelle drängt sich der Orino durch einen Felsspalt. Welche Landschaft er entwässert, lässt sich nicht mal erahnen. Schließlich steigt eine Straße südlicher durch den Weinhang des Ortes an und teilt sich in einer Kehre in zwei enge Talzufahrten auf – ins kleinere Pontirone-Tal, das ich etwas unwissend verschmähe und das gewichtigere Val Malvaglia.

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