ALP-2021-TdS-05
Eine einfache Sackgasse mit Alpenkaribik: das Valle Verzasca
(Sa, 12.6.) Gordola – via Valle Verzasca – Lago di Vogorno – Vogorno – San Bartolomeo – Ponte di Corippo – Corippo (566 m) – Ponte di Corippo – Lavertezzo – Motta – Brione – Frasco – Sonogno – Secada (~1010 m) – Sonogno – Cascata de la Froda – Fracèd/Straßenende/Wasserfälle (~1050 m) – Sonogno – Brione – Lavertezzo – Vogorno – Berzona
61 km | 1100 Hm
Vom Aussichtsbalkon zwischen Weinreben falle ich flott in das urbane Gordola ab. Trotz des städtischen Eindrucks finde ich keine Einkaufsgelegenheit an meiner Strecke. Offenbar liegen die Läden alle in ausgelagerten Gewerbegebieten. Ins Verzascatal führt dann gleich eine steile Kehre an Villen und Weinhängen hinauf. Der Lago Maggiore schmeichelt dem Blick ins weite Panorama mit seinem Rivieraflair und weckt dabei so manche Erinnerungen in mir. Hinter den Kurven verschwindet der Seeblick schnell und eine gewaltige Bogenmauer rückt fast bedrohliches Beton ins Bild. Mit immerhin 220 m Höhe zählt sie zum Club der vier Schweizer Über-200m-Staumauern, zu denen neben der nur wenig höheren Luzzone-Staumauer nur noch zwei Megatalsperren im Wallis zählen. Sie lockte sogar James Bond zu einem legendären Bungee-Jump in “Goldeneye“ an. Oberhalb des Verzascastaudamms schlängelt sich der Lago di Vogorno eher schlicht und ohne Nervenkitzel ins Tal, sein Ende noch nicht gleich verratend. Nur fern schälen sich Bergdörfer an den steilen Waldhängen heraus.
Charme der beseelten Steine
Einige Tunnels und abschirmende Büsche verhindern zunächst weitere Ausblicke, bis Vogorno mit seinen rustikalen Steinhäusern umgeben von Rebstöcken den Gast zum Tor in das Verzascatal einlädt. Hat sich der Stausee spitz im engen Tal ausgelaufen, leuchtet die Verzasca in Türkis zwischen den Kaskadenstufen, schafft sich Becken und Gumpen. Zur Gegenseite thront ein Bergdorf über dem Tal wie zur ritterlichen Burgwacht. Corippo ist nur über eine Stichstraße erreichbar, die sich in den Hang hineinbohrt. Ist der Ort erreicht, führen nur noch schmale Fußgassen und Treppen durch den morbiden Charme von entrückter Heimeligkeit. Jeder Winkel ist hier ein Kleinod für träumende Müßiggänger und durchschweifende Wanderer – eine Welt der beseelten Steine.
In der Verzasca reihen sich längsgefaltete Granitrippen aneinander, die das Grüntürkis in seine Bahnen lenkt und kleine Glitzerkaskaden zerschneidet. In Lavertezzo weitet sich das Tal kurz, jedoch ist das Dorf kaum auf größere Touristenmengen vorbereitet, die sich an den Badestellen der Verzasca sammeln. Das Fotomotiv der doppelbogigen Ponte dei Salti scheint wie von Ameisen umlagert, doch weiß sich der Reiz dieses Ortes trotz aller Schaulustigen, Badenixen und Wasserspringer zu behaupten. Die Steine der Brücke fügte man im 17. Jahrhundert zusammen, der beseelte Blick hindurch scheint für die Ewigkeit gemacht.
Im Tal folgen Wasserfälle zu den Seiten, Kaskadenstufen perlen in weißen Kristallsträußen in das Türkisgrün der Becken. Zunehmend würfeln sich fette Blocksteine von Hellgrau über Rauchfarben bis zu tiefem Schwarz in das Flussbett oder bleiben bedrohlich über dem Straßenrand hängen.
Ab Brione atmet das Tal wieder etwas weiter, in das sich einige Dörfer und Weiler fügen. Das burgähnliche Castello Marcacci sticht dabei besonders hervor, ein Herrschaftshaus einer einst einflussreichen Familiendynastie aus dem 17. und 18. Jahrhundert, die sich noch vor der beginnenden touristischen Romantisierung der Alpenwelt hier einen noblen Sommersitz leistete.
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