ALP-2021-TdS-05
Eine einfache Sackgasse mit Alpenkaribik: das Valle Verzasca
Leckere Polenta und ein Kraftwerk für eine Glühbirne
Mehrere Mühlen hatten im Verzascatal eine gehobene Bedeutung für das Handwerk und die Nahrungsversorgung. Ein kleines Handwerkszentrum war bis 1868 der Ort Frasco, dessen Bedeutung dann mit einer schweren Flut fortgespült wurde. Noch heute kann man eine Mühle direkt in einer Straßennische mit Wasserfall besuchen und der historischen Produktion von Maismehl für Polenta zuschauen, welches der Besucher auch erwerben kann. Unter der Getreidemühle befindet sich ein kleines Elektrizitätskraftwerk, das zwischen 1925 und 1950 stark rationierten Strom für die Bewohner lieferte. Jedes Haus durfte gegen eine Jahresgebühr von einem Franken eine einzige Glühbirne nutzen – aber auch nur soweit genügend Wasser durch den Bergbach sprudelte. Das sollte uns eigentlich zu Demut verhelfen gegenüber Ressourcen, die wir heute achtlos geradezu verschwenden und deren Folgen wir nur noch schwer einfangen können.
Bevor ich mir den Genuss eines lokalen Polentagerichts zuwendete, war aber noch Zeit für die beiden Endzipfel des Verzascatals. Sonogno ist überraschend gut besucht. Der Ort scheint von weltoffenen und kunstbewussten Menschen bewohnt zu sein, die ihre entschleunigte Lebensfreude in geselliger Weise zelebrieren. Gerade wird zu einer Vernissage angestoßen. Das lokale Museum unterhält sogar Kontakte zu Amnesty International und Unicef. In einem kleinen Laden kann man Produkte des Tals erwerben, Käsespezialitäten sind aber auch bei Bauern im Selbstbedienverkauf ab Kühlschrank erhältlich. Die großflächige Piazzetta verweist wohl noch auf eine Zeit, in der es weit mehr Bewohner gab, derer aber viele in die Neue Welt auswanderten.
Eine Straße führt zunächst entlang dem Hauptquellfluss der Verzasca noch Norden bis Secada. Dort endet der Asphalt zugunsten einer Fahrpiste, die mit Holsteinen so rüttelig ausgebaut ist, dass sie mit Fahrrad nicht vernünftig fahrbar ist. So belasse ich das Ende an der Bergweide, ohne noch bis zum endgültigen Fahrende am Bergweiler Cabiói zu gelangen.
Der zweite Quellzweig führt von Sonogno nach Westen zum Bergweiler Fracéd, wo es nur noch zu Fuß zu Berghütten weitergeht. Gewaltige breite Wasserfälle donnern den Berg hinunter, während andere Fälle in gespreizten Strähnen karibisch anmutende Gumpen bilden. Der mächtig stäubende Strahlwasserfall Cascata de la Froda befindet sich hingegen schon auf der Hälfte der Strecke, noch bevor man die etwas kräftigere Steigung nach Fracéd angeht.
Noch in Sichtweite des Wasserfalls kann ich in der rustikalen Grotta Efra Polenta mit Alpkäse, Gorgonzola und Wurst als die Lokalspezialität des Verzascatals genießen. Nestlé-Produkte oder Coca-Cola werden hier ausdrücklich nicht angeboten. Dafür kann man mit Kryptowährungen bezahlen, das sind nun auch wieder keine zahmen Schäflein. Wirtschaftliche Ethik hatte schon immer kurze Beine. Doch solche Gedanken scheinen in solcher Umgebung unangemessen. Es ist ein Ort für Genuss und Geselligkeit, dem die düsteren Seiten des Lebens fremd sind.
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