Gletscher- und Bergwelt Turtmann, mit See und Velo
Alpen,  Schweiz,  Touren,  Wallis

ALP-2021-TdS-12
Das geschäftige Oberwallis von Mörel bis zur Sprachgrenze

Vom Stockalperschloss zu den Bergarenen des Saas-Tals

(Do, 8.7.) Bettmeralp – (Goppisberg) – Mörel – via Furkastraße – Naters – Brig – Glis – Visp – Stalden

44 km | 310 Hm

Zickzack durch Wolkenschwaden

Die Wolken dampfen aus den Hängen des Rhonetals, der romantische Pinselstrich eines schwierigen Sommers. Auf den Kehren rausche ich durch Haine, an Felsen und überspeienden Wasserfälle vorbei. Mal eine Verzweigung, die das verwirrende Kurveneldorado endgültig verwirbelt. Die Falllinie wird mich schon nach unten bringen – es geht zu schnell, als dass ich mitdenken kann. Die Rhone taucht mal in einem weiten Blick auf, verschwindet bald aber wieder im Kurvenwald. In der Flucht schaut man auf Hangsiedlungen unterhalb der Riederalp, die alle ihre eigene Zufahrt haben. Ein Berg des großen Zickzacks.

Der zerbrechliche Traum des Fliegens

In Mörel habe ich den Rotten erreicht, das Tal zu beiden Seiten steil eingeschlossen von den Bergflanken, durch die sich Bahn und Straße winden. Die Wasserfluten der Tage lässt die Rhone sedimentgrau schäumen, eine Brücke zu einem Weiler der Gegenseite droht weggespült zu werden. Ist das Schäumen die Wut über des Menschen Umgang mit dem Erdball? – Mindestens ein Warnzeichen. Noch immer wabern die Wolken über dem Tal, sie werden wohl den Himmel neu befüllen.

Naters bildet zusammen mit Brig eine Agglomeration am Beginn des urbanen, nicht mehr ländlichen Rhonetals. Gleichwohl konzentriert Brig eine kulturhistorische Pforte zu den großen Passrouten, allen voran zum Simplonpass, der auch heute noch zu den großen Transitachsen in den Alpen gehört. Der besonderen Transitlage hat Brig auch das Stockalperschloss zu verdanken. Es erbaute Kaspar Stockalper, der den Handel über den Simplon im 17. Jahrhundert kontrollierte und es zu entsprechendem Wohlstand brachte. Die vergoldeten Zwiebelhauben der mächtigen drei Schlosstürme sollen auf die Heiligen Drei Könige Kaspar, Melchior und Balthasar anspielen. Solchen Prunk kann sich heute wohl nur noch die öffentliche Hand leisten – heute weilen Museum und Rathaus im Gebäude.

Kaffee, Aprikosenmuffin, Biskuitkuchen auf Außentisch mit Kulisse Briger Straßenszene
2 Bergkäse aus Schaukäsrei in Brig, 2 Rauchwürste mit Aprikosengeschmack

Fast golden sind ja auch die Aprikosen, die das Walliser Rhonetal auszeichnen. Gleich muss ich das mit Aprikosentörtchen begrüßen. Es gibt die Goldfrucht sogar in Salamiwurst verarbeitet, die ich in der Schaukäserei ausgangs Brig erstehen kann. Allein – der Aprikosengeschmack bleibt da eher der Fantasie überlassen.

Brunne Geo Chavez mit Flügelikone

Den ersten Flug über den Alpenhauptkamm versuchte Geo Chavez (George Chávez Dartnell) über den Simplonpass zu bewältigen. Dem französisch-peruanischen Luftfahrtpionier gelang der Flug am 23. September 1910 nach Domodossola, jedoch versagte ihm das Glück bis zur Landung, bei der das Flugzeug frühzeitig aus 10-20 m Höhe abstürzte und zerbrach. Der erst 23-Jährige zahlte diesen Pionierflug schließlich mit seinem Leben. Gleich zweimal würdigt Brig Chavez mit einem Denkmal innerhalb der Stadt, einmal mit einem Brunnen und einmal neuzeitlicher mit einer Glasflaschenskulptur von Enrica Borghi, deren 199 Flaschen eine Nachbildung des Propellers der originalen Bleriot XI von Geo Chavez darstellen.

Erinnerungstafel Geo Chavez am Brunnen

Geo Chavez
Flug in den Tod

Nachbildung des Propellers von Pionierflug Geo Chavez mit grünen Weinflaschen als Skulptur

Noch eine Sintflut

Nach einer Parade von amüsanter Kreiselkunst erreiche ich das sehr geschäftige Visp, Basisort für den wohl berühmtesten Gipfel der Schweiz, das Matterhorn. Da ich schon vor etlichen Jahren das Mattertal aufgefahren war mit allerdings nur mäßigen Perspektiven auf Matterhorn und Monte Rosa, richtet sich nunmehr mein Interesse auf den zweiten Arm des anfänglich gemeinsamen Tals, das Saastal. War damals die Abendsonne in der Auffahrt einladend, der Nieseltag darauf ernüchternd, dreht sich das Wetterhaus diesmal genau andersherum. Die dunklen Wolken haben sich schnell in der schwülen Luft aufgestapelt und lassen mich nur noch bis Stalden kommen.

Der Wolkenbruch hat sich auf Dauerbetrieb eingeregnet. Mir steht ein kleines Tankstellenbistro für einen Café zur Verfügung, der Dorfkern liegt schon unangenehm entfernt unter mir, derweil einige Gastbetriebe in Stalden ohnehin ihren Betrieb eingestellt haben. Ein nicht mehr lohnendes Geschäft am Fuße von mehreren Touristenhotspots, die alle Gäste und ihr Geld in der Höhe absaugen. Es ist gerade früher Nachmittag, als meine Pedalen stillstehen und daran ändert sich fortan nichts mehr. Das Tankstellenbistro schließt zum frühen Abend, mir bleibt noch das Picknick unter dem Tankstellendach, dessen unbesprühte Fläche immer kleiner wird, da auch der Wind sein unangenehmes Gesicht zeigt. Im Bistro hatte mir schon ein LKW-Fahrer aus Saas-Almagell den Tipp auf gegenüberliegende, leerstehende Speicherhütten gegeben. Wundersam, in der Sintflut noch eine erstaunlich trockene Nacht zu verbringen.

(Fr, 9.7.) Stalden – Eisten – Saas-Balen – Saas-Grund – Saas-Fee (~1800 m) – via gute Piste – Waldhüs Bodmen – via gute Piste – Saas-Almagell – Mattmarksee (2204 m) – Saas Almagell – Saas-Grund – Stalden – Törbelstrasse/Bildji

65 km | 1980 Hm

Die schon zweite erzwungene Halbtagestour weckte meinen Unmut, dass ich wohl ein paar weitere Sackgassen streichen müsste. Auch nur ein halbes Wallis? Zunächst zeigt sich der Flutsommer wieder gnädig von seiner schönsten Seite. Der klare Sonnenschein kann die Schatten des Tales erst auf auf der Terrasse des Dorfladens mit Café in Eisten wegschieben. Ich erhalte für sensationell günstige sechs Franken ein Frühstück mit passablen Belagsbrötchen und einem Cappuccino. Sonst kostet die Tasse Heißgetränk alleine schon soviel. Dazu noch eine entschleunigte Bergdorfidylle.

Noch mehr Kreiselkunst: Bergbahnfriedhof

Bergarena im Brautkleid

Das schmale Tal schmiegt sich an die Augen des Betrachters an. Erst in Saas-Balen bleibt mehr Platz für ein kleines Feriendorf, dessen architektonischer Blickfang eine eigenwillige Rundkirche bildet. Zur Gegenseite dekoriert den Berghang der Fellbachfall, wo sich auch noch eine Straße und später Piste zu einer Alpe auffahren lässt. Das Saastal streckt sich nun geradliniger und schwach steigend nach Saas-Grund, das mehr den Charakter eines funktionellen Ferienortes prägt. Einer kleinen Gruppe Rennradler aus dem Kölner Rheinland kann ich Grüße in meine alte Heimat übermitteln. Sie haben sich hier eine Ferienwohnung gemietet.

Erste Zipfel von Schneebergen heben sich über dem Waldrand hervor, wenn die Straße nach Saas-Fee nunmehr wieder kräftiger über der Talebene von Saas-Grund ansteigt. Gegenüber zeugen Trockensteinmauern von alpiner Weidekultur, zu der hier einst die Saaser Mutte zählte, ein große gewachsene Schafsrasse, die spezifisch für das Wallis war und über lange Hängeohren und platte Ramsnasen verfügte. Obwohl sich die Schafe das ganze Jahr über fortpflanzen können, sind sie von anderen Rassen zunehmend verdrängt worden und müssen heute mit einem geringen Bestand von einer Projektinitiative vor dem Aussterben bewahrt werden.

Saas-Fee hat gewisse Ähnlichkeiten mit Zermatt. Der langsam aufsteigende Radler gewinnt kaum einen Blick von der atemberaubenden Bergarena, die sich erst bei der Einfahrt an der Parkhaussperre ergibt. Nicht anders das Matterhorn in Zermatt. Anders als dort, sind hier aber Autos bis zum Ortseingang zugelassen, während sie in Zermatt weit unterhalb des Ortes geparkt werden müssen und die Bahn die Gäste in den Ort bringt. Das führt zu der etwas unschönen Parkhaus-Eröffnung von Saas-Fee, entfaltet sich aber schnell zu einer traumhaften Gipfel- und Gletscherkulisse, vor der sich der Ort mit traditionellen Holzhäusern ausbreitet. Nicht allen größeren Hotelbauten gelingt dabei die Liaison mit dem pittoreskem Charme.

Während man die schmeichelnde Kuppe des Allalinhorns vom rechten Ortsrand (nordöstlich) erblicken kann, muss man für eine ungestörten Blick auf den Dom sich mehr links zum südwestlichen Ortsrand orientieren. Der Dom ist mit seinen 4545 m der höchste vollständig auf Schweizer Gebiet liegende Berg, derweil des Monte-Rosa-Massiv (Dufourspitze, 4634 m) ihren Ruhm als höchster Berg der Schweiz mit Italien teilen muss. Nur noch die französischen Alpen dürfen sich mit einem höheren Berg ins Ranking nach vorne schieben – mit dem Mont Blanc (4808 m).

Braucht man zum Brotbacken Gletscherwasser?

Der Ort Saas-Fee hinterlässt ein paar gemischte Gefühle. Die Ausblicke sind unbestechlich, aber nicht immer frei durch manche unschöne Verbauung. Das Funset der modernen Spaßgesellschaft am aufsteigenden Ortsrand erscheint mir verzichtbar. Es braucht nicht überall Hüpfburg, Tennisschläger und Fußball. Wenn man schon autofreie Inseln in einer Berglandschaft mit Welterbeanspruch schaffen möchte, dann sollte das Klimbim auch in seinen Grenzen im Tal bleiben. Als Genussbelohnung gönne ich mit eine Walliser Baumnusstorte. Die Dorfbäckerei „Domino“ bäckt Roggenbrote mit Walliser Bergkräutern – das scheint mir konsistent. Ob dann auch noch mit Gletscherwasser gebacken wird, klingt schon wieder mehr nach Volksverdummung. Muss immer jede Marketingkarte gezogen werden?

Zwar führt nach Saas-Almagell keine direkte Straße hinunter, der Pistenweg hat aber eine sehr gute Qualität und ist sogar mit Laternen am Abend beleuchtet. Die Wegstrecke hat zudem nur mäßiges Gefälle, allenfalls zu guten Wanderzeiten kann es Kollisionspotenzial mit Fußgängern geben. Gerade hier beim Pistenanfang hat man den besten Blick auf den Dom. Saas-Almagell ist beschaulicher gehalten als Saas-Grund und trumpft mit einem Edelhotel des ehemaligen Skirennläufers Pirmin Zurbriggen auf.

Das Talende zum Mattmarksee verläuft ebenso zunächst beschaulich, bis mehr und mehr eisenhaltige, rostgefärbte Steinbrocken die Hänge wild durchwürfeln und mächtige Wasserfälle aus den Flanken heraussprühen. Dem Stausee musste der Bergweiler Zermeiggern zum Opfer fallen, der in einer Miniaturform als Erinnerung in einer Ausstellungshütte nachgebaut wurde. Die Staumauer wird dann in weiten Serpentinen mit kräftigeren Steigungsprozenten erobert. Die Bergwände verhindern ungeteilte Gletscherblicke und der Monte Rosa bleibt so auch ungesehen versteckt. Der See krümmt sich stark in einen nicht sichtbaren Talschluss, für den man weitere Wanderwege bemühen müsste, die nach Italien überführen.

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