ALP-2021-TdS-12
Das geschäftige Oberwallis von Mörel bis zur Sprachgrenze
Rhone-Seitenwechsel mit heißen Quellen
Auf der Schotterabfahrt muss ich stark runterbremsen, bevor endlich ein flotter Talschuss möglich ist. Im Rhonetal ist alle Bergfrische schnell von der Talhitze verdampft. Ich suche in den offenen Feldern und Wiesen eine Nebenroute zum glutheißen Asphaltband. Eine Piste führt bald zu einem Vogelteichbiotop. Dort ist aber kein Fortkommen mehr und auch ein zur gegenseitigen Rhone einladender Uferweg endet als Sackgasse mit unpassierbaren Blocksteinen. Ungeachtet des Rhoneradwegs kann man die verkehrsturbulenten Straßen in Susten nicht meiden, um zur rechten Uferseite zu gelangen.
Ein Folterturm im Weinberg
Leuk wartet aber nicht am Ufer, sondern erhebt sich gleich steil in Weinberge gepackt über der Rhone. Um das über der Talsohle thronende Leuk zu erobern, muss man folglich ein paar harte Schweißtropfen voransetzen. Hinter den auffälligen Turmbauten von Schloss und Rathaus verstecken sich noch steile Gassen mit lauschigen Gastplätzen, auf denen man eine Erfrischung, einen Kaffee oder eine Speise gerne genießen möchte. In der einstigen Sommerresidenz des Bischofs von Sitten herrschte zuweilen mittelalterlicher Terror mit Folter und Hexenprozessen, doch begehrte von Leuk aus die reformistische Bewegung im Wallis auf, sodass das Schloss sinnbildlich verfiel.
Heute fühlt sich Leuk seiner aufklärerischen Tradition verpflichtet. Die Stiftung des Schlosses Leuk vergibt jährlich den internationalen Literaturpreis Spycher, im noch laufenden Turnus des Jahres 2020 ging der Preis an die deutsch-italienische Schriftstellerin Helena Janeczek mit polnischen Wurzeln, deren preiswürdiger Roman „Das Mädchen mit der Leica“ ein vielschichtig perspektivisches Porträt einer vergessenen rebellischen Frau und Fotografin zeichnet, die im Spanischen Bürgerkrieg 1937 früh ihr Leben verlor.
Die Weinberghöhenroute setzt sich noch fort bis eine Verzweigung eine Nebenroute die aussichtsreichere Variante ins Dalatal hineinführt. Eine Beschilderung verweist auf eine Straßensperrung, bleibt aber unklar, inwieweit eine Passage mit Velo möglich ist. Ich nehme das Risiko an und finde in Albinen dann tatsächlich eine Vollsperrung der Straße vor, wenn auch nur eine kurze Ortsbaustelle. Nicht ausgewiesen, aber mit Hilfe der Bewohner kann ich die Baustelle schließlich umfahren. Das idyllische Balkondorf mit alten Bergbauernhäusern drohte zu entvölkern, was die Gemeinde schließlich mit einer 25.000-Frankenprämie für Zuzügler im Jahre 2017 abwenden konnte. Eine vierköpfige Familie brachte es auf 70.000 Franken Zuschuss, musste aber auch jung genug sein und eigene Wohninvestitionen in nicht unbeträchtlicher Höhe von 200.000 Franken tätigen. Geld findet also immer zu Geld, wer hat, bekommt eben noch mehr. Eine Weisheit, die sich auch im bröckelnden Charme eines introvertierten Pendlerortes widerspiegelt.
Zuvor passiert man noch die große Satellitenbodenstation Brentjong, dessen avantgardistische Kontur ich am Tag zuvor vom Gegenhang noch unwissend wahrnahm. Was Anfang der 1970er Jahre den technischen Fortschritt beförderte, verlor im modernen Geflecht von Telekommunikation an Bedeutung. Wechselnde Besitzer, darunter auch Amerikaner, sorgten für verschiedene Spekulationen über geheimdienstliche Abhörfunktionen der Anlage. Die immer noch futuristisch wirkende Kuppel beinhaltet einen Ausstellungsraum, der aber aktuell nicht zugänglich ist.
Leukerbad 51 °C
Die Straße von Albinen lässt sich als Almstraße weiter asphaltiert auffahren, gleichwohl ermöglicht ein Abzweig in die Talsohle die Zufahrt nach Leukerbad. Das bedeutendste Schweizer Alpenkurbad bildet einen dicht aufgestaffelten Talschlussring von Apartmenthäusern und Hotels. Die mächtige Kulisse der steil aufragenden Bergwände überlassen dem Ort letztlich doch nur eine demütige Miniaturrolle. Vom unteren Ortsausgang muss man die zuvor verlorenen Höhenmeter wieder neu erarbeiten. Stufenweise verteilen sich Gastronomie, Einkaufsstraßen und Hotels am Berg mit Flachzonen, aber auch steileren Gassen, die ich erst am nächsten Tag entdecke. Schon von der Dämmerung und Hunger getrieben, bescheide ich mich gleich bei einem der ersten Restaurants (Römerhof) mit hervorragendem Kaninchenragout nach römischer Art mit Polenta.
(Mo, 12.7.) Leukerbad – via Piste (Abkürzung, sehr steil) – Restaurant Weidstübli – via Fahrweg (teils Asphalt, teils sehr gute Piste) – Maijingsee (1662 m) – via Piste über Dalaschlucht, teils Trail (teils schwierig zu fahren, starkes Gefälle) – Buljes – Leukerbad Thermalenquellensteig (unten) – Inden – Rumeling – Farnenfluh – Varen (Waldstraße Richtung Col de la Malvoisie abgebrochen wegen unklarer Straßensperrung) – Salgesch [– Sierre/Siders – Niouc]
42 km | 890 Hm
Leukerbad liegt in einer hydrogeologisch bevorzugten Lage für Thermalquellen. Ganze 69 Quellen schütten täglich 3,9 Mio. Liter Wasser aus, die Sankt-Lorenz-Quelle als die bedeutendste von allen allein 900 l/min. und mit einer Temperatur von 50-51 °C. Das Wasser wird nicht nur in den teuren Bädern des Ortes gewinnbringend abgeschöpft, sondern fließt auch stellenweise aus freiem Fels heraus. Dazu führt ein kühn angelegter Thermalquellensteig durch die Dalaschlucht. Der meist über Metallgitter und Holzblanken geleitete Steg beginnt am nordöstlichen oberen Ortsrand und kann in einen Rundweg eingeflochten werden – selbstverständlich ohne Velo.
Zuvor erradle ich aber noch den Maijingsee, ein Kleinod vor einer eindrücklichen Bergkulisse. Bis zu einer Almwirtschaft reicht eine asphaltierte Straße den steilen Bereich hinauf, die folgende Waldpiste darf man als rennradtauglich bewerten. Für Fahrräder ist hier eigentlich Schluss, auch wenn die nächsten Meter noch nicht so aussehen. Der Wandertrail oberhalb der Dalaschlucht zur anderen Talseite ist zumindest in Teilabschnitten nicht wirklich befahrbar. Ich muss da den Lastesel schon ein wenig riskant ausbalancieren und über Wurzelstufen hinwegheben, um die schmalen Passagen zu überwinden. Im unteren Teil verläuft der Weg zwar fast in Sichtweite des Thermalquellensteigs, dennoch muss man diesen nochmals separat ablaufen, um die Schlucht zu erleben.
Die Abfahrt zurück ins Rhonetal starte ich zunächst über die Hauptzufahrt nach Leukerbad. Die Straße bewegt sich westlich oberhalb der Dala am Hang entlang und stürzt weiter über Serpentinen hinunter. Bevor die Straße bei Rumeling die Talseite wechselt, ermöglicht ein Abzweig über eine eher schlechte, felsnahe Straße via Farnenfluh den direkteren Weg nach Varen. Auf der Fahrbahn zeugen Steinbrocken von besonders bröckeligem Fels, der kaum von den Schutznetzen sich aufhalten lässt. Kopfüber beschirmt der Fels Teile der Fahrbahn, die sich dann schließlich durch einen Tunnelbogen bohren muss, um die Balkonsicht auf das Rhonetal zu eröffnen.
Die aufregende Aussichtsfahrt mündet in Varen in einer Weinbergroute, die sich stufenweise und lieblich in weiter unten liegende Weindörfer windet. Meine Idee, noch den Col de la Malvoisie einzubauen, lasse ich verfallen, da erneut eine Straßensperrung angekündigt ist und eine Einheimische mir auch keine geeignete Auskunft geben kann, wie ernst die Warnung zu interpretieren sei. Erneut ist es ein Wetterumschwung, der zudem meine Experimentierfreude jäh abbricht, denn mit heftigem Wind treibt eine Regenfront heran. Zwar verzieht sich der erste Schauer in Salgesch recht schnell und ich darf am Eidechsenweg über den Weinbergen noch ein Stück Sonne genießen, doch bleibt die ungemütliche Wetterfront bedrohlich im Rücken.