ALP-2021-TdS-15
Waadtländer und Freiburger Voralpen mit Gantrisch-Naturpark – stille Entdeckung für Genießer, dezent würzig wie ein Gruyère
Alles nur Käse?
Das Wetter bleibt zunächst durchwachsen und zwingt mich zu einer weiteren Regenpause, bevor ich noch Gruyères erreichen kann. Folgt man der ausgewiesenen Radroute, bleibt einem zunächst die Schlosskulisse von der Altstadt von Gruyères verborgen. Der Fahrweg schleicht sich sozusagen von hinten um den Schlossberg und stößt unmittelbar auf das Genusswahrzeichen des Ortes, einer Gourmetseele von nationaler Bedeutung mit weltweitem Renommee – den Gruyèrekäse.
Kein Käse der Schweiz genießt solche Wertschätzung und Bedeutung wie der Gruyère (Greyerzer). Die Milch darf nur von Kühen und Weiden einer eng begrenzten Region um die mittelalterliche, gleichnamige Burgstadt stammen. Seit 2001 trägt der Gruyère regionalgeschützte AOP-Siegel verbindlich, wenngleich der Ruhm des Käses schon auf mehrere Jahrhunderte zurückblickt. Indes ist die Vermarktung des Gruyère heute so professionell, dass man schon Zweifel an der Bodenständigkeit des Produkts bekommt. Vom Gruyère wird heute mehr Käse in der Schweiz produziert als von allen anderen Käsesorten, auch mehr als vom Emmentaler Käse. Im Spitzensport wie etwa auf der Tour de Ski tritt Le Gruyère AOP als Premiumsponsor auf.
Im Museum mit Shop und Restaurant hat man sich längst auf massentouristische Busgruppen eingestellt – auch in Sachen Souvenirs. Der Besuch mit Audioguide ist dennoch empfehlenswert und im Shop sollte man ein Stück vom Gruyère mit den längsten Reifezeiten erwerben, die bei einem Jahr und darüber liegen. Die kostenlosen Proben, die man mit Ticketkauf ins Museum erwirbt, bemustern nur die drei niedrigsten Reifegrade. Der Gruyère Premier Cru mit mindestens 14 Monaten Reifezeit wurde bereits mehrfach zum besten Käse der Welt gewählt. Noch älter werde ich selber geschätzt. Ich erhalte unverlangt Eintritt mit vergünstigtem Seniorentarif (6 SFR), obwohl ich nicht mal mein Alter verraten muss. Die Sache hinterlässt mich doch etwas nachdenklich. Meine nächste Radreise werde ich sicherlich als Senioreneinstandstour labeln. Es ist wohl soweit. Wenn es damit billiger werden sollte, kann ich dem vorgezogenem Seniorentum auch etwas abgewinnen.
Schloss & Mord
Gleich gegenüber werden exquisite Schokoladenartikel weniger pompös angeboten. Die Spezialitätenparade setzt sich auch in der der Altstadt auf dem Burgberg fort. Dazu bezwingt man eine aufsteigende Schlaufe bis zu den Parkplätzen, weiter geht es für Autofahrer nur zu Fuß, der Radler wird angesichts des mittelalterlichen Pflasters aber auch eher auf das Fahren im Ort verzichten. Der Andrang ist hier nicht geringer als im Käsemuseum, das Ortsbild spricht für sich. Neben dem eintrittspflichtigen Schloss warten noch weitere Museen, die man hier zwischen Altgemäuern eher nicht erwartet: Ein Tibetmuseum und das Museum HR Giger, nach dem gleichnamigen Künstler benannt, der Werke der Fantasy-Szene kreierte und sammelte. Manche davon gingen in Science-Filme ein wie Alien, Der Wüstenplanet, Species oder Poltergeist.
Gemessen an Gruyères fällt das Stadtbild von Bulle ab, obwohl auch Bulle ein Schloss beherbergt, das mit seinen Rundtürmen sich in ein gediegenes wie übersichtliches Stadtbild einfügt. Der große Sohn der Stadt ist der Revolutionär Pierre-Nicolas Chenaux, der im 18. Jahrhundert einen Aufstand gegen die Vorrechte der Patrizier anführte, diesen aber mit dem Tode bezahlte. Schon damals zählte Geld mehr als Ehre, der Mörder sicherte sich eine erkleckliche Belohnung. Chenaux blieb indes bis heute als ein Märtyrer für die Freiheit im historischen Gedächtnis.
Mit Kraft durch Schoggi über die Sprachgrenze
Nachdem ich eine Auszeit an einer Sandbank der Saane nahm, traf ich erst zu fortgeschrittener Zeit bei einer anderen Gourmetinstitution der Region ein. Am unteren Ortsausgang von Broc befindet sich das Maison Cailler, um das Jahr 1900 die umsatzstärkste Schokoladenfabrik der Schweiz, heute nur noch eine Marke des Nestlé-Konzerns. Museum, Shop und Bistro ziehen zahlreiche Besucher an. Das Angebot besteht aber aus vergleichsweise geläufigen Markenprodukten, die es ebendort in den üblichen großen Rabattpaketen oder Geschenkboxen gibt. Zu den Besonderheiten gehören eher noch originale Kakaobohnen mit spezifischer Herkunft. Den Museumsbesuch musste ich allerdings wegen der späten Besuchszeit streichen.
Das Maison Cailler liegt bereits an der Einmündung des Jaunbachs in den Greyerzersee. Ich hatte noch den Gang in die Gorges du Jogne angedacht, opfere dies aber dem Besichtigungsmarathon des Tages. Die Abendzeit ist schon angebrochen und der Schluchtzugang zudem extrem matschig und schattig. Die Jaunstraße umwindet die Schlucht weiträumig über eine Schleife zunächst jenseits des Jaunbachs auf, sodass man keinerlei Eindrücke von der Schlucht gewinnen kann. Ein Verkehrsschild möchte das Radfahren verbieten, was sich aber als vorübergehende Maßnahme wegen einer Baustelle herausstellt. Da sowohl Sonntag als auch die Baustelle überschaubar ist, entzieht sich mir der Sinn der Sperrung. Der Verkehr bleibt auch gering bis Val-de-Charmey, erst recht danach. Val-de-Charmey ist der letzte französischsprachige Ort vor der Sprachgrenze, wenngleich in Jaun durch Pendler eher noch mehr französisch als deutsch gesprochen wird.