Der Schwarzwald zwischen Traditionsklischees und Moderne
Dunkle Tannenwälder und närrische Hexenbräuche oder doch eher Luxuswelt und Hightech-Region? Der Schwarzwald wird seit über 100 Jahren mit Klischees, Mythen und Heimatromantik schon fast überschüttet. Vieles daran ist fern der Tradition zu einer Art kommerzieller Souvenirschlacht geworden. Doch das ist nur eine Seite. Schon warten Gegenentwürfe der Moderne, die gleichwohl den Schwarzwald charakterisieren.
Die moderne Hightech-Betrieb und Fachhochschulen mit für Präzisionstechniken du andere Schnittstellen zu den metropolen Industriezentren etwa in der Oberrheinebene greifen jedoch nicht erst seit wenigen Jahrzehnten. Auch sie stehe in langer Tradition. So etwa legt das Handwerk der Kuckucksuhren genau jene Grundlagen, die für komplizierte handwerkliche Fertigkeiten auch noch in der Industrie 4.0 gefragt sein werden. Tüftelei wird zudem Ausdruck von digitalem Denken. Die Brüche sind also weit geringer als vermutet. Moderne Gewerbepolitik schafft neue Jobs auf dem Lande. Eher ist die schlechte Anbindung an den öffentlichen Verkehr ein Hemmnis für Familien. Es sind also eher die modernen Freizeiterfordernisse, die die moderne Landflucht im Schwarzwald befördert. In einer Zeit des Hippen sind urbane Gesellschaften mehr sexy als jemals zuvor.
Rad oder Wanderschuh?
Neuling, die erstmals die weichen Moos- und Nadelböden des Schwarzwaldes betreten, suchen wohlmöglich nach Schwarzwaldelchen. Das wird schwierig, denn sie Fremde nicht sichtbar. Für eine gute eine gute Schwarzwaldreise braucht ein Radler sinnvoll zwei Wochen, je kürzer, desto mehr Facetten fallen raus. Je kürzer, desto größer die Gefahr, alten Klischees zu erliegen. Die verschiedenen Landschaften des Nord- und Südschwarzwaldes, die sehenswerten Orte und die gleichwohl kulturell wie landschaftlich reich beschenkten Randregionen von Hoch- und Oberrhein haben auch potenzielle für noch längere Ferienzeit.
Die alleinige Durchquerung anhand des Schwarzwaldradweges halte ich für nicht ausreichend. Auch wird er den durchschnittlichen Tourenradler verärgert zurücklassen. Vermutet man dahinter einen klassischen Tourenradweg, erweisen sich auch größere Teile als Mountainbikestrecke.
Auch die Geschwindigkeit will durchdacht sein. Wer die Stille des Waldes und Hochmoorseen erleben will, ist gut beraten, den Wanderstiefel anzuziehen. Der Westweg ist sicherlich auch nur ein Schwarzwaldausschnitt, aber führt schon in besondere Naturecken. Größere Teile sind auch radelbar. Rennradler sind besonders in den Randregionen zum Oberrheingraben gut aufgestellt. Es gibt gute feste Standorte, von denen aus man anspruchsvolle Rennradtouren starten kann. Die 1000-m-Höhe lässt sich kaum in einem anderen Mittelgebirge so schnell reißen wie im Schwarzwald. Höhenmeterleistungen von über 500 m sind häufig, wenn man die Rheinebene als Ausgangspunkt wählt – auch das Doppelte ist möglich.
Verwunschener Badesee oder feudaler Badetempel?
Badeurlaub im dunkeln Wald? Ja, doch. Neben dem eher überfüllten Titisee (inklusive modernem Spaßbad), dem weitläufigeren, entspannteren Schluchsee sind auch kleinere Tümpel manchmal noch ein Geheimtipp, wie z. B. der im Folgenden auch vorgestellte Waldenecksee bei Baden-Baden oder der Silbersee im Tal der Kleinen Kinzig. Schließlich finden sich in der Rheinebene zahllose Baggerseen, die zum Baden einladen – vom Wildwiesenufer bis zum Dünenstrand, nicht aber immer einsam. Die Schwarzwaldflüsse hingegen bieten nur wenige Bademöglichkeiten wie etwa die Murg oder die Dreisam bei Freiburg, wobei Freiburg bereits über mehrere Stadtbadeseen verfügt. Weit bekannter sind aber die Kurbadetempel etwa in Baden-Baden, Badenweiler oder Bad Wildbad.
„What the f u c k is Heimat? – Heimat ist stärkste Droge der Welt”
Stefan Strumbel
Der Schwarzwald hat unzählige Attribute. Traditionell gilt der Schwarzwald als eine bäuerliche, ärmere Gegend ist, die immer wieder und auch heute an Landflucht vor allem der Jugend leidet. Die Bevölkerung gibt sich eher verschroben und verschlossen. Das legen schon optisch die schattenwerfenden, dunkelholzigen Dachstühle des klassischen Schwarzwaldhauses nahe. Genau dieser Haustyp ist aber auch Grundlage des Klischees und der Anziehungskraft. Der Schwarzwald gehört zu den traditionell ältesten Feriengebieten in Deutschland, die erholungssuchende Gäste ebenso gerne einlädt und bewirtet. Die Frage von Heimat und Klischee bringt der Offenburger Künstler Stefan Strumbel in einen besonderen Kontrast: „What the f u c k is Heimat? – Heimat ist stärkste Droge der Welt”, sagt er und verarbeitet der Objekte des traditionellen Schwarzwaldklischees wie Kuckucksuhren mit greller Popart.
So hat sich der Schwarzwald auch zu einer Genuss- und Wellnessregion entwickelt, nicht zuletzt aufgrund der vielen Kurorte, die den mineralreichen Quellen des Schwarzwaldes geschuldet sind. Bereits Giacchino Rossini wusste Mitte des 19. Jahrhunderts Bad Wildbad zu schätzen. Eine Bäderreise wäre da durchaus reizvoll. So mondän einige Kurorte wie etwa Baden-Baden oder Badenweiler sein mögen oder auch nur einst gewesen sind, so teuer mit schwankendem Erfolg die Schwarzwaldhöhen von einsamen Luxusherbergen bekleidet werden (etwa Bühler Höhe), sogleich sind auch sehr preiswerte Gasthöfe und Herbergen im Schwarzwald verbreitet. Einigermaßen geplant, sollte auch eine reine Campingplatzreise durch den Schwarzwald möglich sein.
Gourmetgenuss und Brotzeit
Dem Genusse gereicht kann man zahllose Erzeugnisse wie die geräucherte Schwarzwaldforelle, fangfrisch aus den Bächen, ein herbes Alpirsbacher Klosterbräu, einen sonnengetränkten Auggener Gutedel oder aber auch saisonbeschränkte Erdbeeren und Spargel aus der Oberrheinebene anführen. Mit Vorsicht sollte man den Schwarzwälder Schinken erwähnen, den man nicht immer als lokal produzierten Räucherschinken aus der trockenen Höhenluft erhält. Umso besser, wenn man Bauern mit eigener Räucherherstellung findet, ebenso wie Hofverkaufsware häufig zu finden ist – nicht selten gekoppelt mit Urlaub auf dem Bauernhof.
Traditionell ist der Schwarzwald aber auch eine Keimzelle der deutschen Gourmetszene – so etwa die Gaststuben zu Baiersbronn oder der Rehrücken „Baden-Baden“, der es über Johannes Mario Simmel in die literarischen Bestsellerlisten und damit auch auf die Speisekarten der Welt brachte – wenn man so will eines der vielen Symbole des deutschen wirtschaftlichen Wiederaufstiegs in der Nachkriegszeit. In der Tendenz sind natürlich die Gourmetzungen in der Elsass-angrenzenden badischen Ebene besser geschärft als in den recht abgeschiedenen Schwarzwaldtälern, wenngleich die klassische Vesper dort ein Stück weit uriger ist.
Die Hightech-Region
Die Empörung über die Formulierung schwarzwälderischer Ureinwohner und den „verarmten, bäuerlichen, entvölkerten Schwarzwald“ mag nun in einigen Gedankenhöhlen aufkeimen. Doch sei erinnert an die Emigranten, die ihr Heil einst in Amerika suchten. Der Protest sei weiters abgeblasen, denn Black Forest ist gleichermaßen eine versteckte Hightech-Region, wie schon eingangs angeführt. Diese reicht auch deutlich über die Städte in der Ebene bzw. am Rand hinaus. Längst liegen moderne Gewerbetriebe dicht neben heimeligen Schwarzwaldwiesen auf den Höhenrücken und Hochtälern.
Schon die Energieerzeugung ist im Schwarzwald quasi aus Tradition zukunftsorientiert regenerativ, von den alten Wassermühlen angefangen, heute mehr zu sehen an den vielen Windmühlen auf den windreichen Schwarzwaldhöhen, aber auch den vielen Dächern mit Solarzellen und Sonnenkollektoren, wie sie für Deutschland überdurchschnittlich häufig und architektonisch oft gelungen im traditionellem Dachstuhl integriert sind. Entsprechend gibt es vielfach eine geförderte Ansiedlungspolitik für Hochtechnologieunternehmen im Schwarzwald, die immer mal wieder überraschend inmitten der verklärten Romantik ins Auge stechen. Sogar die angrenzenden Elsass-Franzosen haben jüngst den Schwarzwald sowohl als Beschäftigungs- wie auch als Wohngebiet mehr und mehr entdeckt (gleichwohl es auch umgekehrte Wanderbewegungen gibt).
Einsamkeit und dunkle Abende machen Tüftler
Dem Charakter des eigenbrötlerischen Schwarzwälders entspricht denn auch sein Hang zum Tüfteln und dem Erfindergeist. Nicht nur verbrachte man in langen, dunklen kalten Winternächten viel Geduld auf, um das Präzisionshandwerk des Uhrmachers an den Kuckucksuhren zu weltweit geachteter Perfektion mit einem Schuss Humor zu entwickeln. Nein, auch ist der Schwarzwald zur Erfinderregion von weltweiter Bedeutung aufgestiegen. Regelmäßig taucht der Schwarzwald-Baar-Kreis an der Spitze der Regionen in Europa auf, wenn es um Patente in der Kommunikations- und Informationstechnologie geht.
Sogar innerhalb Baden-Württembergs scheinen im schwarzen Wald die hellsten Köpfe zu weilen. Der mittlerweile verstorbene Artur Fischer aus dem eher unauffälligen Waldachtal schaffte es gar auf über 1100 Patente und Gebrauchsmuster – nicht zuletzt darunter der berühmte Fischer-Kunststoff-Dübel –, für die er 2014 den Europäischen Erfinderpreis für sein Lebenswerk als einer der erfolgreichsten Erfinder aller Zeiten erhielt.
Die Liste von Weltmarktführern und Trendsettern umfasst ziemlich unromantische Bereiche wie multifunktionale Präzisions-Drehmaschinen, Schreibegerätetechnik, Sensoren, Zeitschalttechnik (schon wieder Uhren), Antriebstechnik oder Solarwechselrichter. Die technologische Zukunftsperspektive wird zum Beispiel gebündelt im St. Georger Virtual Dimension Center – die Alemannen schwätze da gar Angelsächsisch international. Und schon seit Jahrzehnten etablierte sich Donaueschingen als weltweit beachtete Schau- und Hörbühne der Avantgarde des musikalischen Experimentes.
Black Forest ist tatsächlich „black“ – Jazz goes to Tanne
Dem noch nicht genug, schafft der grummelige Schwarzwälder auch gelegentlich den Sprung zum freigeistigen, fast anarchischen Weltenbürger. So setzte in den 1960er/1970er Jahren das beschauliche Villingen einen Impuls für neue aufnahmetechnische Maßstäbe in der Jazzwelt durch die MPS-Studios (Musik-Produktion Schwarzwald, heute als HGBS weitergeführt, ehemals entstanden aus der SABA-Radio-Produktion des Vaters) unter Hans Georg Brunner-Schwer. Der englische Begriff „Black Forest“ hat so eine ganz neue afroamerikanische Power-Bedeutung erhalten. Neben deutschen Größen wie Eberhard Weber, Wolfgang Dauner, Volker Kriegel oder Albert Mangelsdorff, sorgten vor allem die internationalen Aufnahmen mit u. v. a. der Clarke-Boland Band, dem amerikanischen Fusion- und Souljazzkeyboarder George Duke, dem französischen Rockjazzgeiger Jean-Luc Ponty, dem jamaikanischen Pianisten Monty Alexander und seinem kongenialen Partner und Gitarristen Ernest Ranglin, dem brasilianischen Gitarristen Baden Powell, aber insbesondere mit dem kanadischen Pianisten Oscar Peterson für Weltruhm aus dem zuweilen wortwörtlichen Schwarzwald-Wohnzimmer. Monty Alexander erlebte den Schwarzwald als „positiven Kulturschock“, wie er jüngst in einem Interview mit dem Süddeutsche Zeitung Magazin vermerkte. Damit der weltoffene Schwarzwälder sich nicht zu sehr auf die eigene Schulter klopfe, sei erwähnt, dass es sich dabei um ziemlich abgeschiedene Freundes-Sessions zwischen einer Privatvilla eines einzigartigen Gönners und einem schalldichten Studio handelte, an denen der gemeine alemannische Ureinwohner eher weniger teilnahm und von denen er vielleicht auch nicht viel wissen wollte.
Machismo der Asphaltcowboys – die Radzukunft hat noch Potenzial
Solche weltläufige Beweglichkeit hat natürlich auch seine unerquicklichen Kehrseiten – insbesondere für Radfahrer. Verstärkter Pendelverkehr zwischen dem Landhaus in den Bergen und dem Arbeitsplatz in der Ebene, die abendlichen Erlebnisausflüge der Landjugend in die Städte, mehr Wirtschaftsverkehr für moderne Gewerbebetriebe inmitten der Naturidylle, vermehrte touristische Pilgerziele wie nicht zuletzt der jüngste deutsche Nationalpark Nordschwarzwald, das trendige Aufkeimen von Wander- und Radtourismus sowie schon traditionell begehrte Motorradstrecken – das alles bringt Bewegung auf die Straßen. Moderne Blechkisten verzweifeln nicht mehr an anspruchsvolleren Steigungen und Kurvenfahren wird zuweilen als Motorsportherausforderung für jedermann betrachtet. Der Schwarzwald wird also von verschiedenen
Brennstoffverbrauchsgerätebesitzern in verstärkten Beschlag genommen und besonders die Einheimischen wissen um die tiefsten Druckpunkte auf dem Gaspedal.
Der Schwarzwald ist also nicht ungefährlich – und das ganz unabhängig von Schwarzwaldelchen, Hexenwesen, Auerhähnen, Wölfen oder Luchsen. Die Suche nach alternativen Strecken, die trotz gutem Kartenmaterial in ihrer Qualität nicht immer transparent sind (Asphalt ja/nein, Piste gut/schlecht?), ist insofern also eine ständige Herausforderung, die ich hoffentlich mit einigen Ideen befeuern kann.
Der Schwarzwaldtourismus fördert auch immer mehr E-Bike-Strecken, die teils mit expliziten Wegweisern ausgeschildert sind. Und selbst bergmüde Radler finden ausreichend Ebenen und sanfte Steigungen. Dazu folge man den Tälern (oft mit Radwegen) und kombiniere im Zweifel die Touren mit Bahn(rück)fahrten. Höhenmeter sammelt man durch das Radeln quer zu den Tälern. Aus der Rheinebene heraus kann man Anstiege von alpinem Ausmaß mit um die 1000 Hm bei hohen Steigungswerten sehr schnell erzielen. Vielfach bieten sich auch Hügelrouten am westlichen Rand des Schwarzwaldes an, wobei man aber auch mit kurzen starken Steigungen rechnen sollte. Vielfach fährt man dabei durch liebliche Weinberge, mehr im Süden als im Norden (Ortenau, Breisgau, Markgräfler Land). Die östliche Randbegleitung am oberen Neckar entlang halte ich nicht für sonderlich attraktiv.
Die Touren für die Schwarzwaldfreunde: