Gianmaria Testa (3)
Da Questa Parte Del Mare
Le Chant du Monde LDX 8741442
Nein, Gianmaria Testa ist kein Protestsänger, kein politischer Quergeist. Die Idee, ein Konzeptalbum zum Thema Migration zu machen, entstammt seinem innerem Bedürfnis, das Erlebte zu verarbeiten. Nicht vergessen hat er die Schreie von blinden Passagiere, die aus Nordafrika über das Meer kamen, ins Meer geworfen wurden, einer überlebte nicht. Testa war Zeuge dieses Vorgangs in Apulien Anfang der 1990er Jahre. Aber er bleibt in seinen Liedern ein Poet – das Bild des leeren Bootes auf dem Meer, das „den Wind verloren hat” – eine Name der verloren geht, weil ihn niemand mehr ruft. Auch Italiener waren Emigranten, verachtet auf der Suche nach Arbeit im Frankreich der 1950er Jahre, so ein Tribut an den den Schriftsteller Jean-Claude Izzo. Doch Testa sieht auch immer das Licht, die Hoffnung, die Träume, wie es hätte sein Können, eine Liebe „ich wollte für dich / die reinste aller Rosen behalten”, oder wie das Leben über die Querelen des Alltags gewinnt („Al mercato di Porta Palazzo”). So feinsinnig die Poesie Testas ist, so sensibel dahingetupft sind die musikalischen Arrangements. Mal dezente Celloklänge, mal eine freie Linien von Gabriele Mirabassis Klarinette, auf die sich Testa mit wilder Inbrunst fallen lässt, mal ein von Bill Frisell melancholisch gelegter Klangteppich, aus dem Paolo Fresus Trompete hervortritt wie eine näher kommende Schiffsirene aus dem Meeresdunst. Ein Muster an poetischer Arrangierkunst!
publ. Jazz Podium 12/2006