Giro d’Italia 2006-8: Das südliche Kalabrien mit Aspromonte [Capo Rizzuto – Villa San Giovanni]
Verlassene Strände, rote Zwiebeln, griechische Adlernester und Riesenmelonen
(28) Capo Rizzuto – Catanzaro Lido – Soverato – Monasterace Marina – Stilo (400 m)
131 km | 695 Hm
Antike Spuren zwischen Basaltfelsen
Zunächst langweilt die Küstenfahrt nach Catanzaro Lido, bei recht viel Verkehr. Doch bald ändert sich das flache Gesicht zu felsiger Küste aus Basalt, der Verkehr nimmt nach Süden immer mehr ab. Viele Strände sind natürlicher belassen, ohne die balneari e stabilimenti – dieser optische Verschmutzung mit Liegestühlen, Schirmparaden und Kolonnen von Umkleidebaracken. Es tauchen Relikte aus alter Zeit auf, die Griechen wie Römer haben Spuren hinterlassen.
Teils im leichten Regen gefahren, wende ich mich wieder in die Berge. Kurz vor dem alten Bergbauort Stilo treten markante Erdfalten hervor. In dem auch Wallfahrtsort sind nur wenige Hotels zu finden, mit 45 € ohne Frühstück (Cittá del Sole) mit anonymen Ambiente und bei sehr mäßigem Essen auch zu teuer. Eine gute Alternaitve hätte sich unten noch am Meer gefunden mit einem Camping in Monasterace Marina, von dem aus ein deutscher Radfahrer morgens mich einholt, als er eine frühe Trainingsfahrt unternimmt, um rechtzeitig zum Frühstück mit Familie wieder zurück zu sein.
(29) Stilo – Passo di Pietra Spada (1335 m) – Serra San Bruno – San Nicola – Pizzo – Briático – Tropea – Capo Vaticano
125 km | 1400 Hm
Märchenküste mit roten Zwiebeln für ein hohes Alter
Immer südlicher, doch bleiben die Wälder dicht und dunkel, wasserreich sprudeln Bäche und Brunnen. Erst ganz auf der Südeite entwickelt sich eine lichte Landschaft mit hellen Olivenhainen. Ein schön gelegener See bleibt ohne Bademöglichkeit, so sehr ich das unter der gleißenden Sonne ersehnt hatte. Die Brunnen sind nun an der Küste zu warm um zu erfrischen, ich brauche erstmals gekühlte Getränke von der Tankstelle auf der Reise. Im Auf und Ab begleitet mich wieder starker Verkehr, doch ergeben sich auch immer wieder herrliche Blicke auf Felsklippen.
Trotz vieler Touristen versprüht Tropea nicht nur altstädtischen Charme, sondern hat mit der auf einem Fels stehenden Wallfahrtskirche Santa Maria dell’Isola auch einen einmaligen Blickfang vorgelagert im Meer stehen. Eigentlich wirkt die Kirche wie ein Märchenschloss. Ob die Kirche die meisten Wallfahrten verursacht, ist zumindest umstritten. Denn Tropea hat noch ein Wunder.
Die rote Zwiebel cipolla rossa gibt es in allen denklichen Varianten gibt. Als süßlichste Zwiebel bekannt, eignet sie sich auch bestens für Marmelade. Die roten Zwiebeln Tropeas gelten als Seniorenfutter, denn die Einwohner des Ortes erreichen ein überdurchschnittliche Bibelalter. Man sagt den roten Zwiebeln generell besondere Antioxidantien nach, die freie Radikale binden. Ähnliche Dinge werden auch Rotwein oder Äpfeln zugeschrieben. Jedoch reicht der Mythos der roten Zwiebeln aus Tropea über die gemeine rote Zwiebel hinaus, das Rätsel bleibt auch wissenschaftlich noch ungelöst.
Der Romantik gleichermaßen verpflichtet ist das Capo Vaticano, an dem ich die Abendstimmung mit Sonnenuntergang genießen kann. Zwar ist der günstige Camping La Lanterna (6 €) ein kleiner Platz mit schlechten Sanitäranlagen, doch ist man nur einen kurzen Spaziergang vom Kap entfernt und hat ein traumhafte Meereswelt vor sich. Unweit ist auch ordentliches Essen auf Terrasse erhältlich.
(30) Capo Vaticano – Santa Maria di Ricadi (0 m) – Panaía (384 m) – Nicótera – Gióia (0 m) – Palmi – Sant Elia (579 m)
75 km | 1135 Hm
Können Schläuche in der Hitze kollabieren?
Erwartet mich nach kurzer Fahrt an Küste eine extreme Rampe nach Panaia, gleicht sich das wieder auf einem längeren Flachstück mit weniger stark besuchten Stränden aus. Doch ereilt mich die zweite Reifenpanne der Reise und gar vermute ich, dass der Reifen in der Sonne stehend beim Strandbesuch zu heiß geworden sein könnte. Auch diesmal bleibt die genaue Ursache unklar. Immerhin gibt es einen neuen Ersatzschlauch bereits in Gioia, Vorsorge scheint ja wichtig zu sein.
Der unerwartet lange (wenn auch wenig schwere) Anstieg nach Sant Elia raubt mir reichlich Kräfte und Zeit. Ich hatte wohl die Karte falsch gelesen. Mit Blick auf eher wenig besiedelte weitere Streckenteile ließ ich mich frühzeitig am Camping La Pineta nieder (10 €), ein recht hübscher Clubcamping direkt am Monte Sant Elia und mit einen guten Restaurant im Pinienwald – natürlich beschirmte Entspannung.
(31) Sant Elia – Sant’Eufémia d’Aspromonte (450 m) – Gambárie – Sella Entrata (1408 m) – Mélito di Porto Salvo (0 m) – Réggio di Calabria – Villa San Giovanni – Catona – Villa San Giovanni
159 km | 1545 Hm
Farnwälder und Riesenmelonen an der Stiefelspitze
Vom Aussichtspunkt Sant Elia kann man bereits weit nach Sizilien blicken. Nach einer kurzen Abfahrt begeistert die Auffahrt durch herrlichen Buchenwald. Im eher unauffälligen bis spröden Sant’Eufemia treffe ich ein australisches Ehepaar, das sich hier am Fuße des Aspromonte niedergelassen hat. Steil ist die Anfahrt nun, wieder aufgefangen in ausgeprägt schönen Buchenwäldern, höher dann gar feuchte Farnwälder. Gambarie beschreibt einen Skiort, der aber nicht verbaut ist wie sonst häufig. Im Sommer profitiert der Ort auch von Wandertourismus, was nicht wundert, da sich sogar noch nach Süden schattige Buchenwälder ausbreiten mit manch archaischen Altbäumen.
Langsam aber wird die Region doch trockener. Exotisch anmutende Blütenbäume und weißgelb blühende Kastanien, dann Korkeichen, karger die Landschaft. Alte Dörfer thronen auf hohen Felsen, in denen noch griechische Dialekte gesprochen werden. Heiß und weniger attraktiv bleibt die Südspitze Kalabriens. Réggio empfinde ich in den Außenbezirken als Moloch, innen aber überrascht die elegante Promenade. Bei den Straßenverkäufern sehe ich Riesenmelonen – sie scheinen ja mit jedem Südkilometer irgendwie größer zu werden.
Die Campings in San Giovanni und Umgebung existieren nicht mehr und eher teure Hotels nutzen die strategische Lage an der Fährverbindung nach Sizilien. Ich verhäddere mich dadurch in ein wirres Hin-und-Her, auch ahnend, dass die späte Flucht nach Messina nicht unbedingt eine bessere Übernachtungssituation liefern dürfte. Am Ende ist das Zimmer im La Conca (45 €) doch noch seinen Preis wert, weil es ein ungewohnt umfangreiches Frühstück gibt. Besonders selbstgemachte Kuchen in Hülle und Fülle bringen mich auf den Geschmack und werfen einen erklecklichen Proviant ab. Gestört wird das Einschlafen noch von einer nahe dem Hotel aufspielenden Popgruppe. Pedalkraftreisende und Festvolk sind zwei Antipoden, die selten zusammenfinden.