Giro d’Italia 2006-9: Das feurige sizilianische Finale [Villa San Giovanni – Catania]
Umwerfende Gastfreundschaft und die zwiespältige Lavaglut des Ätna
(32) Villa San Giovanni || Fähre 20 Min. || Messina – Santa Teresa – Giardini-Naxos – Gola Alcantara – Francavilla – Castiglione (621 m) – Linguaglossa (550 m) – Milo Fornazzo (750 m)
116 km | 1400 Hm
Ein Glück in des Teufels Feuerglut
Hier bei der Überfahrt der Straße von Messina fühle ich mich schon ein wenig wie am Ende der Reise. Ein Gefühl des Erfolgs übermannt mich erstmals, das Glück, wieder eine enorme Leistung auf dem Sattel bewältigt zu haben und diese schier unendlichen Eindrücke gesammelt zu haben. Sizilien wird die Zugabe sein und ein bisschen mehr. Nicht erwartet, aber der Höhepunkt, ein besonderer Hauch von Glück.
Das gleißende Sonnenlicht auf der Küstenstraße scheint noch eine Glanznote südlicher zu wirken. Traumhaft ist die Kulisse, mehr noch, da die Isola Bella bei Taormina auftaucht. Für einen Besuch von Taormina ist eine zusätzliche Auffahrt nötig, die nicht unbedingt lohnen soll – so meine Informationen. Zumindest dann nicht, wenn man nicht der Festivalarena mit einer Veranstaltung seine Aufwartung machen will oder kann.
In Richtung Gola Alcantara verringert sich der Verkehr deutlich, eigenartige Lavalandschaften drängen ins Auge. Weiter oben kann ich in die Schlucht einblicken, die man auch auf Talsohle begehen kann. Doch wartet ja noch zwei weiterer Bergrücken, um die eigentlich Ätna-Route zu erreichen. In einem Ort leiste ich mir ein Wettrennen mit zähnefletschende Hunden, deren Kondition sich allerdings als jämmerlich erweist. Ein Sieg für den Radler.
In Linguaglossa kann ich keine günstige Unterkunft aufspüren und verlasse den Ort bereits bei Dunkelheit. Die Straße in die Nacht hinein ist nun ohne Zivilisation. Da wundert das Böllern und Knallen aus der Ferne. Der Blick hinauf zum Ätna verrät den Teufelspeichel, der rot aus einer Spalte hervortritt. Nur kleine Fontänen sprühen vereinzelt in den Nachthimmel, mehr aber glühender Lavastrom. Ich fahre ohne Licht, das Leuchten des Feuerbergs genießend. Werde ich nun von Asche begraben, vom Magma verschluckt oder erlebe ich den Höhepunkt der Reise?
Die schöne Erzählung von Gastfreundschaft
Spät der Abend, aber in Milo Fornazzo wird noch in Laubengärten getafelt. Die Bedienung bemüht sich, mir Unterkunft zu vermitteln. Nur wenig entfernt von der Piazza und dort wieder rührend freundschaftlich umsorgt zur Haustür hingeführt, werde ich gegen Mitternacht freudig im Bed&Breakfast Lo Faro Lavinia (35 €) empfangen. Die Hausdame hat erst gar keinen Sinn, mich ins Zimmer zu stecken, sondern drückt mir ein Fernglas in die Hände. Sie winkt mich zur Treppe hinauf auf eine Veranda, wo man einen guten Blick zum Ätna. Das Glück hätte ich hier beweinen können. Alt, aber stilvoll finde ich mich in einem riesigen Zimmer wieder. Im Bad scheinen die Wasserhähne aus Belle-Époque-Zeiten zu stammen.
(33) Milo – Zafferana (574 m) – Etna Rif. Sapienza (1910 m) – Nicolosi – Catania – San Giuseppe la Rena/Fontanarossa /// [Di, 18.7. Catania || 10:20-12:20 Flug || Stuttgart]
90 km | 1335 Hm
Das Frühstück wird in einer heimligen Laubenveranda serviert. Es gibt alles, was es sonst auf italienischen Frühstückstischen nicht gibt – als wäre ich im Überfluss eines fruchtbaren Südens. Neben Marschverpflegung bekomme ich noch selbstgemachte Marmelade in die Taschen gestopft. Ich muss schon bremsen, damit ich nicht am Aufstieg zum Ätna als Lastesel scheitere. Schon winke ich zum Abschied mit Wehmut, als würde ich ein Zuhause verlassen.
Lava, Lava, Lava – die Erde schluckt, die Erde schenkt
Was kann da noch passieren? Die Wolken sind heute leidlich vernebelnd für gute Aussicht. Die anspruchsvolle Auffahrt durchschneidet kosmisch wirkende Lavafelder. In der Stein gewordenen schwarzen porigen Magma windet sich ein glattes hellgraues Asphaltband, das selten so elegant wirkt wie hier. Immer wieder brechen kleine grüne Haine und weiter oben Rosetten aus rosa Blüten wie gepinselte Farbfiguren die steinerne Ödnis auf.
Am Rifugio Sapienza ist es kalt, auf eine Gondelfahrt zum Krater verzichte ich lieber, wird außer Schwefelgeruch in der Nase kaum etwas heute zu sehen sein – die Wolke hat den Gipfel eingehüllt. Souvenirs sind hier oben aus dem Lavatuff gefertigt, ein überraschend leichtes Material und doch beständiger Träger für Form und glitzernde Farben.
Nicht weniger beeindruckend die Abfahrt zur anderen Seite durch Lavafelder nach Nicolosi. Die ganze Macht der Lava wird sichtbar, wenn zerdrückte Häuser als Ruine aus der Steinmasse noch hervorschauen – wie ein Schiff, das im Eis eingefroren worden ist. Die Erde nimmt, was ihr schon mal zuvor gehörte, ungefragt, unbarmherzig, bis zum Tod des kühnen Menschen, der sein Glück an diesem Berg zu finden sucht. Aber die Erde gibt auch wieder neues Leben, neuen Humus. Der Kreislauf des Lebens ist hier zur asymmtrischen Skulptur geformt, die Lebenswelten in Totgestein gepresst.
Sind die ersten neuen Hotels erreicht, kehrt Hitze und Schwüle zurück. In Catania tobt außerhalb der Innenstadt ein wüstes Verkehrschaos, dem sizilianischen Klischee durchaus nahekommend. Doch bildet die Innenstadt eine ruhige Oase mit eleganten Einkaufsmöglichkeiten. Verstöße gegen die Fahrverbote werden streng und unnachgiebig geahndet und überwacht. Fast bedrückend wirken die typisch dunklen Lava-Fassaden, und doch sind sie ja authentisch aus dem Stein geschliffen, der die Stadt umgibt.
Endlose Strände erstrecken sich stadtauswärts und sind mit den üblichen Strandeinrichtungen weitgehend verbaut. Der Camping Villagio Turistico Souvenir (12,50 €) ist eigentlich nicht zu empfehlen, klein und unschön in der Flugschneise gelegen, die Sanitäranlagen bescheiden. Es gibt nur einen gewichtigen Grund hier Quartier zu nehmen: Die kurze Distanz zum Flughafen. Dieser ist unproblematisch zu erreichen. Nur das Personal stellt sich störrisch, als ich etwas Folie von der Wickelrolle möchte, die kostenfrei für Koffer zu Verfügung steht – wohl aber nicht für Velos.
Mein Abschlussessen im Fischrestaurant mit frischem Fisch direkt von der Waage in die Pfanne kostet mich satte 50 Euro und war doch ein Erlebnisgenuss, den laut einer Catania-Expertin im Flugzeug aber auch günstiger hätte kriegen können. Das legt nahe, über eine neue Reise nach Sizilien nachzudenken. Es ist noch viel zu entdecken.
Gewiss, eine Begegnung mit dem sizilianischem Feuerberg, von kaum beschreibbarer Stimmung begleitet, musste noch poetisch nachwirken. Erinnerungen verblassen, aber die Gedanken wachsen weiter.