SW-2024-1Notschrei im Feldberg-Sturm feat. Nightrider Kienbächle, mystischer Moorkolk Blindensee & sonnenwarme Maikäferrunde am Kaiserstuhl
(Sa 6.4.) Schweizersgrund – Neukirch – Brennersloch/Bregenbach – Hexenlochmühle – Neuhäusle (929/932 m) – St. Märgen (889 m) – Wagensteig – Buchenbach – Zarten – via Radweg direkt – Littenweiler – Freiburg – Mundenhof – Opfinger See – Waltershofen – Tunibergkreuz – Merdingen – Ihringen – Martinshöfe – Ihringen
74 km | 600 Hm
Auf der Flucht in den Tod gelockt – die Legende vom Rappenfelsen
Der Frühsommertag in der noch ersten Aprilwoche eröffnet sonnenreich auf den Schwarzwaldhöhen und scheint sein Versprechen zu erfüllen. Der Bote wollte den Tag nutzen, um das Berggelände zu wechseln vom Schwarzwald zum Kaiserstuhl, unterbrochen von einem Badeseeaufenthalt in der Breisgauer Ebene. Dem doch zeitraubenden Anstieg geschuldet, kürzte der Bote eine Auffahrt heraus. Das sollte aber kaum Auffallen, denn das schönste Schwarzwaldidyll lag gleich zu Anfang und im Abwärtstrieb entlang des Bregenbachs. (Nicht mit dem Donauquellfluss Breg zu verwechseln, denn der Bregenbach landet letztlich im Rhein jenseits der Wasserscheide im Westen.)
Auch hier liegt wildester Schwarzwald in einer steil abfallenden Piste, rauschend begleitet vom Bergbach, mit Legenden verbunden. Am Rappenfelsen soll 1725 ein französischer Reiter ein Mädchen verfolgt haben, dass den Sprung vom Felsen überlebte, während der Übeltäter selbst den Tod fand – man möchte ja sagen, den gerechten Tod, soweit Legenden solche Moral doch gerne verbreiten. Der Bote erfährt auch Bodenständiges von alten Berufen, wie dem des Seilmachers, der in mehreren Arbeitsschritten und mit vielen Gehilfen Hanfstränge arbeitsaufwändig verdrillte, um beste Seilqualität für Bauern, Gerüstbauer und Hausbau zu gewährleisten.
Die als Ausflugslokal beliebte Hexenlochmühle richtete noch Tische für die Touristen, der Auflauf zur Einkehr beginnt im Schwarzwald spät, da die Schatten zuweilen lange brauchen, aus den Tälern zu weichen. Im Anstieg zum Neuhäusle wartet wieder klassisches Schwarzwaldidyll und erste Motorradfahrer lassen erahnen, was sich über Tage zum alternativen Getöse entwickeln könnte – das Rauschen der Bergbäche zu übertönen. Noch aber scheint es zaghaftes Erwachen zu sein, wie gleich auch weitere Radler die früheren Stunden zum Aufstieg nutzen.
Vom Kloster zum Badesee
Nach St. Märgen leiste ich mir die schnelle Überfahrt, würde mir ein weiteres Ab-und-Auf sonst den Tag schon fast ausfüllen. In St. Märgen drängen bereits große Wandergruppen aus angefahrenen Bussen, obwohl das Kloster noch in Stille harrt. Dem Boten werden einige lobende Worte eines heimischen Wanderpaars zuteil. Der Weitblick auf den Feldberg zeigt eine weitgehend abgeschmolzene Schneedecke, nur noch Reste verbergen sich im schattigen Nordhang. Diese Beobachtung ist nicht unwesentlich, sollte sich das Bild wenige Tage später geändert haben, wenngleich der Bote dies dramatischen Wandel nicht mehr dokumentieren konnte.
Das bereits bekannte Tal des Wagensteigbachs verlockt zu einer flotten Abfahrt bei niedrigem Gefälle. Die Radlerdichte von Bergfahrern nimmt sichtbar zu, wenngleich das nur ein schwaches Abbild der Radkultur im Freiburger Dreisamtal ist. Etwas verwirrend muss man die Beschilderung mit Nasenorientierung ergänzen, um den rechten Weg zu finden. Indes lässt sich Kirchzarten über Zarten umfahren, wenn man es eilig haben sollte. Ein schneller Radweg führt durch sattgrüne und gelb aufgehübschte Löwenzahnwiesen an Besiedlung weitgehend vorbei. Manche eckigen Winkel haben die Radwegbauer aber auch hier eingebaut.
Um nicht an jeder Infrastruktur vorbeizurutschen, bog der Bote in die Siedlungsräume ein. Im unteren Littenweiler findet sich dann ein Einkaufszentrum, dass sich über zwei Etagen erstreckt. Wer es etwas gemütlicher will, sollte in Kirchzarten andocken. Wer gar nichts braucht, ist noch besser gestellt. Freiburg lässt sich an der Dreisam nahezu ungesehen und schnell queren. Einzig der schmale Radweg ist nicht ganz ungefährlich, mit anderen Radlern zu kollidieren und ins Wasser zu fallen. Die Dreisamufer sind ob des schönsten Samstagswetters auch gut besucht. Jede Ecke wird genutzt für ein Buch zu lesen, die Füße ins Wasser zu halten oder ein Sonnenbad zu genießen.
Freiburg, des Boten häufiger Dreh- und Angelpunkt nicht nur für Schwarzwaldtouren, war denn auch nur Durchfahrtskanal dieser Expedition. Den Opfinger See zu finden ist indes nicht schwer, soweit es wohl gleich mehrere denkbare Abzweige vom Dreisamradweg gibt. So recht ausgeschildert ist es aber auch nicht durchgängig. Die Hauptlinie war nun zudem im Bau befindlich komplett gesperrt, auf der ausgeschilderten Umwegroute durch Matsch ebenfalls Baufahrzeuge aktiv. Da hat sich mal wieder jemand gar keine Gedanken gemacht.
Auch am Opfinger See zeichnen sich am Ostufer Baggerarbeiten ab, mit welcher Absicht, konnte der Bote nicht herausfinden. Die Seepause war wohl ein wenig lang, sonst hätte der Bote den ersten Kaiserstuhlberg wohl noch geschafft. Dazu kam noch ein bisschen Weinbergwirrwarr mit ein paar ungeahnten Sackgassen. Die nach Karte gedachte Tunibergabkürzung über Weinbergwege erweist sich ferner als Umweg zur Straße nach Merdingen. Merdingen, für Radsportler gelegentlich ein Pilgerort zum ehemaligen Radprofi Jan Ullrich mit nicht ganz weißer Weste, kippte ein geplantes Bikezentrum mit Jan-Ullrich-Museum, derweil sich der Ort an den Investitionen beteiligen sollte und auch sonst der Rückhalt für ein Großprojekt nicht wirklich gegeben war. Jetzt backt der nicht so ganz beliebte Radsportstar in einem Museum in Bad Dürrheim mit Eröffnungsgala am 31. Mai etwas kleinere Brötchen. Merdingens verzückendes Ortsbild ist nunmehr auch malerisch beim außerörtlichen Supermarkt farbenfroh verpinselt worden.
Sommerabend im Weinberg
Ausgestattet mit Kaiserstühler Rotwein sucht der Bote den Glücksmoment des Tages in denen milden Abend hinein zu verlängern. Das scheint zunächst zu misslingen, da er im Kaiserstuhl-Randort Ihringen erneut den falschen Weg angeht. Nicht Martinshöfe, sondern Lenzenberg sollte er auf seiner Berichtsspur gelesen haben. Das ist aber auch keine Wunder, hatte sich der Bote erstmals seine Tour nur digital hinterlegt. Das ist eben kein Stück Papier, welches auch ohne Knöpfe und PINs in Windeseile mal eingesehen werden kann. So ist denn auch kurz nach dem verlockenden Lokal Martinshof für gewöhnliche Pneus Ende Gelände.
Um nicht wieder in die Dunkelheit zu gelangen, ist es nunmehr zu spät für eine weitere Auffahrt. Der gemütliche Abend soll also in den Weinbergen Ihringens gefeiert werden. Wankelmütig zwischen Freiflächen in den Weinbergen oder bereits feierlaunig belegten Hütten, wird der Bote von einem Einheimischen umfangreich beraten. Schließlich gewinnt er eine Nacht in einer Weinberghütte eines Freundes des einheimischen Radfreundes, den er gleich tags drauf nochmal am Morgen an seinem Haus mit Frau zum Gruße trifft, wie später nachmittags auf der Kaiserstuhlrunde ebenfalls mit Frau in Endingen.
(So 7.4.) Ihringen – Lenzenberg (366 m) – Ihringen – Kreuzenbuckpass (337/330 m) – Bickensohl – diverse Weinbergrouten – Waldparkplatz Rüttibuck – Totenkopf/Neunlindenturm (556 m) – Waldparkplatz Rüttibuck – Oberrotweil – Mondhalde (354 m) – Bischoffingen – Hundshalde/Floridapass (333 m) – Königschaffhausen – Endingen – Mathilde Kaffee + Wein – Silberbrunnen – Eichstetten – Bötzingen – Gottenheim – Bottingen – Umkirch – Lehen – via Dreisamradweg – Freiburg – Littenweiler-Tannenberghütte
79 km | 1530 Hm
Hohlwege, Grauburgunder und Brunnenode
So die Nacht besonders mild war – das wärmestrahlende Mikroklimat der Weinberge dies nochmal unterstrich, erwartete den Boten einen weiteren Wärmesommertag, wenngleich die Sicht recht diesig blieb, eine wohl Saharastaub-gedimmte Sonnenglocke. Sandig sind die Böden des Kaiserstuhls auf ihre Weise als Lössböden, in die zahlreiche und tiefe Hohlwege gefräst wurden. Erste Lössbodenwände begleiten bereits zum Lenzenberg hoch, wo sich blaue Lilien ebenso so zeigen wie bereits erste jungfräuliche Maiglöckchen. Die westliche Aufstiegsschleife ist nochmal aussichtsreicher als die östliche, die Neigung zudem etwas zahmer. Lenzenberg ist Ausflugslokal an ausgewählten Tagen, nicht aber am frühen Morgen. Ein Schild über den Wachhund dürfte es Radlern allerdings schwer machen, sich dort näher hinzubegeben. Jeder Wirt tut was er kann, um sich seine Gäste fernzuhalten. So könnte man manchmal das Geschäftsmodell interpretieren.
Der Eselsbrunnen in Ihringen nebst Bäckerei wird ob seines Wassers vom Heimatdichter Arno Müller poetisch besungen, obwohl die Verantwortlichen dem Brunnen ein ungastliches Nicht-Trinkwasserschild aufgeklebt haben. Manchmal passen die Sachen eben nicht zusammen, die man gerne dem Gast entgegenhält. Wenig auswärts gibt es dann doch noch einen Brunnen, der offensichtlich Trinkwasser führt, zumindest nicht warnt.
Zu dahin nochmal Kunst der Malerin Andrea Wilcke, die Acrylfarben mit Naturmaterialen wie Sand, Blätter oder Baumrinde vermischt. Ihren Sinnspruch borgt sie sich bei Henry David Thoreau, einem amerikanischen Schriftsteller und Philosoph, der den asketischen Rückzug in die Natur ebenso predigte wie zum zivilen Ungehorsam als bürgerliche Pflicht aufforderte und Sklaverei verabscheute: „Die Frage ist nicht was man betrachtet – sondern was man sieht!“ Der Bote grübelt, den Sinn zu verstehen. Ob dieser Sinnspruch auch Bestand hat, wenn wir über optische Täuschungen und neuzeitliche Fake News und Manipulationen durch künstliche Intelligenz miteinbeziehen? – Der Bote scheint nicht ganz überzeugt von dieser Weisheit, indes die meisten Weisheiten ohnehin ihre Tücken haben, was man der oft großen Namen wegen nicht so deutlich benennen möchte.
Der Bote möchte auch den Kreuzenbuckpass eine besonders wertvolle Note vergeben. Hohlwegdynamik und Blütenrausch sind nochmal gesteigert, die Aussicht über die Weinberge nunmehr auch gegen Norden ebenso verzückend gerichtet – nur hier die Vogesen als Fernkulisse am Horizont. Die Route ist indes Teil des Badischen Weinradwegs, eine mittlerweile etablierte Radroute, die zwischen planer Rheinebene und bergiger Schwarzwaldroute einen lieblichen Kompromiss sucht. Daran gemessen ist der Pass hier zwar nicht lang, aber doch schon recht zapfig.
Eine Abkürzung erspart den Weg über Achkarren und führt direkt zur Straßenschleife nach Bickensohl, erneut durch einen Hohlwegdurchbruch. Bickensohl verkauft sich als Wiege des Grauburgunders. Die Geschichte scheint aber nicht so eindeutig. Tatsächlich dürfte die heutige Grauburgunderlinie bereits im 16. Jahrhundert vom Plattensee an den Kaiserstuhl gekommen sein. Die Vorgeschichte reicht jedoch weiter zurück, vom Burgund in die Steiermark und das Burgenland und dann wieder retour nach Westen mit neuen Schwerpunkten. Wie so oft hatten Mönche ihre Hand im Spiel, um den Rebensaft zu verbreiten.
Unzweifelhaft widmet Bickensohl dem Grauburgunder einige Aufmerksamkeit mit Infotafeln, Weinbergweg und einem markanten Brunnen. Weniger glücklich sind die Ausschilderungen für den Weinbergweg Richtung Totenkopf. Den findet der Bote trotz zweier digitaler und einer Papierkarte nicht, diversen Ausschilderungen und Befragung entfernt einheimischer inklusive. Dafür lernt er steilste Weinbergsackgassen kennen und sammelt Höhenmeter um Höhenmeter statt Rebensäfte. Fast hätte er noch zum Nothelfer von jungen Füchsen werden sollen, wenn es nach einer Wanderin gegangen wäre. Eine Verpflichtung zur Fuchssorge fällt ihm jedoch schwer. Das sollte schon Fuchsmama selbst machen. Indes sind des Boten Fuchserfahrungen nicht die allerbesten – eine ziemlich räuberische, egoistische Spezies.
Maikäfer flieg!
Der Weg musste schließlich doch über die weitgehend identische Waldauf- und abfahrt führen, Lediglich einen untersten Teil kann der Bote verhindern zu doppeln, weil er eine Bickensohler Seitenzufahrt durch die Weinberge nutzt. Die Recherche erbrachte wieder besonderes Namenswirrwarr auf Wegweisern. Der Totenkopf als bekannte und höchste Kaiserstuhlerhebung (557 m) findet auf Wegweisern keine Erwähnung, stattdessen muss man nach dem Neunlindenturm fahnden, der unmittelbarer auf einem Nebengipfel zum Totenkopf steht (556 m). Der Fernmeldeturm Vogtsburg-Totenkopf findet indes keine Berücksichtigung, während der Neunlindenturm allerdings auch der schönere, wenngleich kleinere Turm zum ausdrücklichen Aussichtsplatz erbaut wurde. Die gelöcherte und von vermodertem Blattwerk übersäte Rumpelstraße endet bereits an der abgeriegelten Einfahrt Totenkopfturm, zum Neunlindenturm führt aber eine passable kurze Restpiste daran vorbei.
Von Oberrotweil aus folgt man Ortsausgangs der Beschilderung Panoramaparkplatz Mondhalde. Wir werden daran erinnert, dass Deutschland ein Autoland ist und dem Auto die schönsten Panoramaorte gebühren. Der Pavillon on top wird auch von trinkfreudigen Weinbergfahrten angesteuert, die lokale Winzer zur Geschäftsaufbesserung anbieten – anbieten müssen. Möchte man sagen. Da humpelt der Winzer mit schadhaftem Gebein, bedient die Gäste bis zur eigenkörperlichen Gehstütze und darf sich schallendes Lachen anhören. So manche Jobs zeigen schon die ganze Dekadenz unseres Gemeinwesens.
Schon im Totenkopfwald drängten sich Maikäfer fett und vielzählig, die meisten zu schwer um recht fliegen zu können, aber versessen auf Sex, kaum einer solo ohne ausgefahrene Kuppelorgane im Geäst zu sehen. Auch hier auf der Mondhalde sind die Buschwerke übersäht mit paarungswilligen Maikäfern. Die Auffahrt ist indes kulturell aufgepeppt mit Bezügen zum antiken Griechenland und Rom als Bezugspunkt der historischen Weinkulturländer, Säulen und Krüge geben auch unwinzerisches Kulturwissen preis.
Bischoffingen setzt die Kette der kleinen, verwunschenen Weinorte fort. In den Weinberg sind mehrere steile Auffahrten geschraubt, die als Radroute gekennzeichnete Rampe der Hundshalde ist indes doch noch recht gemäßigt. Der Name Floridapass ist nicht wirklich verbrieft und bekannt, dürfte aber Floridas wie der nahe gelegene Texaspass im Rahmen einer jährlich regelmäßig stattfindenden Radrundfahrt erdacht worden sein. Es folgen nun gleich drei Weinorte ohne Zwischenhügel auf recht kurzer Distanz. Mit Endingen ist der nördliche Rand vom Kaiserstuhl erreicht, zugleich der größte Kaiserstuhlort, was sich auch am Andrang an der Eisdiele in Metern ausmessen ließe.