TiSA-2024-0
Tirol & Italienische Südalpen
Ein hochprozentiges Wadentremolo durch die Vor- und Hochalpen zwischen Iller, Tagliamento und Comer See
Statistisches Protokoll:
- 23.5.-8.9.2024 | 109 Tage (inkl. Bahnan- & Abreise Stuttgart/Memmingen)
- 5818 km | 53 km/d
- 126 575 Hm | 1161 Hm/d (barometrisch gemessen)
- Topografische Schwierigkeit: 2176 Hm/100 km
- Ca. 215 Pässe oder relevante Bergtops
- 7750 Fotoshots brutto, hier ca. 950 verwertet
Digitale Tracks:
Teil 1 (Nordwest Start + Nordost): Memmingen – Kreuzbergpass
Teil 2 (Südost): Kreuzbergpass – Trento
Teil 3 (Südwest + Nordwest Finale): Trento – Memmingen
Ich bleibe jung, so lange es grüne Eichen,
So lang es rote Alpenrosen gibt!
Hermann von Gilm zu Rosenegg (1812-1864), österreichischer Dichter
Das Einmaleins der Alpengliederung mit einigen Grenzwirren
Obwohl sich diese meine Radreise eigentlich recht gut geografisch zuordnen lässt, fehlt es an einer griffigen Überschrift. So konnte ich weder einen thematischen Faden ersinnen, noch lassen sich die Regionen zu einem kompakten Regionsbegriff zusammenfassen. Wenn ich scherzen möchte, kann ich die Tour mit „Radlrunde um Memmingen“ betiteln. Genauer wäre schon, „Alpenrunde südlich von Memmingen“ – besser: „… weitgehend südöstlich von Memmingen“. Das ist allerdings noch sehr schwammig und wir müssen uns doch wieder einmal mit der systematischen Alpengliederung beschäftigen.
Nach Alpenvereinsteilung (AVE) werden die Ostalpen anders aufgefächert als die Westalpen. Einheitlich sind nur die Uneinheitlichkeit und der Versuch einer Harmonisierung verschiedener historischer Gliederungen und Begriffe. Bei einer Zweiteilung der Alpen bewege ich mich recht unstrittig auf der gesamten Reise nur durch die Ostalpen, die mit Alpenrhein, Splügenpass und Comer See die Grenze zu den Westalpen bilden, welches auch hier meine Westgrenze sein wird. Im Südosten verbleibe ich hingegen westlich einer Linie des unteren Tagliamento, Plöckenpass, Gailbergsattel und Felbertauernachse.
Nördlich des Alpenhauptkamms rückt meine äußerste Osttangente noch weiter westlich auf – nämlich entlang dem Seefelder Plateau, oberer Isar und Walchensee. Für Interessenten der Ostalpen östlich davon habe ich gleichwohl vorgesorgt: Auch dort habe ich bereits mehrere Touren mit entsprechenden Berichten gemacht. Insbesondere meine Karantanien-Reise kannst du abrufen, wenn dir die Südalpen im südöstlichen Anschluss mit Kärnten, Friaul und Slowenien am Herzen liegen sollten (Ein grüner Alien im Königreich Karantanien). Neben den bayerischen Gebieten und österreichischen Tirolteilen, beschränkte sich die Tour folglich fast ausschließlich auf alle Regionen der italienischen Südalpen.
Während ich nördlich des Alpenhauptkamms nur Tirol und Bayern auf zwei eher schmalen Streifen die Räder bewegte, sind es südlich sehr verwinkelte Routen und einige Regionen mehr – Südtirol, Trentino, Osttirol, Venetien, Friaul-Julisch Venetien, Lombardei und eine ganze kleine Ecke Kärntens. Noch unscheinbarer schauen zwei Zipfel aus Tirol raus in die Schweiz. Verwirrend ist dabei sicherlich, dass südlich des Alpenhauptkamms nicht alles Südalpen sind, weil Etsch-, Puster- und Drautal die Grenze zwischen Nord- und Südalpen bilden und die nördlichen Nebentäler dieser Haupttäler bereits geomorphologisch zu den Nordalpen zählen – also quasi entgegen der kulturellen, politischen und verkehrstechnischen Einheiten, wie sie heute gelten.
Die „Südalpen“ verlangen noch eine weitere Erklärung. Rein geografisch ist der Begriff Südalpen irreführend, denn die französischen Westalpen liegen weitgehend südlicher. Mit Südalpen wird aber gemäß AVE der südliche Teil der Ostalpen bezeichnet. Eigentlich müsste man also die Südalpen mit „Südostalpen“ übersetzen – oder auch „Östliche Südalpen“. Diese werden aber gemäß AVE anders definiert, nämlich ohne die Bergamasker Alpen, die gleichwohl zur Gesamtheit der Südalpen zählen. Die Begriffe sind also aufgrund ihrer vorgegebenen Definitionen etwas heikel für den allgemeinen Sprachgebrauch. Auf ähnliche Definitionsprobleme stoßen wir auch bei Untergruppen wie etwa „Dolomiten“, „Karnische Alpen“ oder „Vizentiner Alpen“ u.a.m. Einige Alternativbezeichnungen entstammen dabei dem touristischen und nicht dem geografischen Gebrauch. In anderen Fällen macht es zudem Sinn, Teilregionen der Alpengruppen extra zu behandeln. Ich werde ggf. auch unsystematische Begriffe überschneidend stillschweigend benutzen, wenn es Sinn macht.
Die Regionen dieser Alpentour
Folgende Regionen und Unterregionen habe ich auf Pedal und Sattel ausgiebig ins Auge gefasst (in der Tendenz chronologisch, aber nicht durchgängig, da zusammengefasst):
Bayern
• Unter-/Oberallgäu Memmingen/Grüntensee/Pfronten/Marktoberdorf
• Bayerische Voralpen – Walchensee/Peißenberg/Lechtal
Tirol/Graubünden
• Allgäuer Alpen (Tannheimer Tal)
• Lechtaler Alpen (Rotlechtal/Fernpassroute)
• Mittleres Inntal Imst/Martina & Haiming/Telfs
• Kaunertal (Ötztaler Alpen)
• Samnaungruppe (Serfaus, Samnaun)
• VCA/Reschenpassroute via Norbertshöhe
• Ötztal mit Seitentälern
• Seefelder Plateau
Südtirol (Alto Adige)
• Vinschgau-Täler (Ötztaler & Ortler-Alpen)
• Meraner Land (Ötztaler & Ortler-Alpen/Nonsberggruppe)
• Bozener Oberland (Sarntaler Alpen Süd)
• Nördliche Kerndolomiten
• Zillertaler Alpen (Süd)
• Villgratner Berge/Rieserfernergruppe
• Pustertal
Osttirol/Kärnten
• Villgratner Berge
• Venedigergruppe
• Oberes Drautal/Pustertal
• Gailtaler Alpen/Karnischer Hauptkamm
Veneto (Venetien)
• Dolomiti Bellunesi/Parco Nazionale
• Östliche Kerndolomiten
• Karnische Alpen (West/Südwest)
• Venezianische/Treviso-Voralpen
• Colline del Prosecco di Conegliano e Valdobbiadene
• Monte-Grappa-Stock
• Vette Feltrine
• Alpi Vicentini (Altopiano d’Asiago/Lessinia/Piccole Dolomiti)
Friuli Venezia Giulia (Friaul-Julisch-Venetien)
• Karnische (Vor-)Alpen
Trentino (Trient, Welschtirol)
• Westliche Kerndolomiten
• Fleimstaler Alpen
• Alpi Vicentini (Dolomiti Piccoli/Altopiano di Folgaria)
• Alta Valsugana
• Gardasee-Alpen (Nord)
• Val di Sole/Adamello-Presanella-Alpen (Ost)
• Ortler-Alpen/Val di Non (Nonsberg)
Lombardia (Lombardei)
• Gardasee-Alpen (Süd)
• Adamello-Presanella-Alpen (West)/Valcamonica
• Bergamasker Alpen (Alpi Orobie)
• Valtellina/Bernina-Alpen
• Sobretta-Gavia-Gruppe
Für die Tour kann man sich noch andere, gröbere Unterteilungen veranschaulichen. So beschreibt die Sprachgrenze Deutsch/Italienisch eine Unterteilung von Nord zu Süd (nicht identisch Nordalpen zu Südalpen!), jedoch konnte ich dieser Linie nicht durchgehend folgen, wenn auch die ersten beiden Teile überwiegend im nördlichen, deutschsprachigen Teil stattfanden. Hier lag die erste Sektion im Nordwesten vor allem entlang von Inn und Etsch bzw. auf Hochplateaus der Sarntaler Alpen, mit einem Vorspiel aus den Allgäuer und Lechtal-Alpen. Auf den Nordwestteil entfallen auch die beiden kleine Schweizer Zipfel.
Der zweite Teil fällt recht strikt in die nordöstliche Region jenseits von Eisack und Etsch, zunächst auch südtirolerisch, weitet sich aber mit den Kerndolomiten (Hochdolomiten) mehr nach Süden und ins Italienische aus (Veneto, Trentino). Schon in dieser Phase erreichte ich mit Belluno einen recht südlichen Punkt der Reise, kehrte aber wieder recht schnell nach Norden zurück. Im äußersten Osten reichten die Fahrspuren weit nach Osttirol rein, wie auch der kleine Zipfel Kärnten dort entdeckt werden sollte. Nach Südtirol bin ich von allen denkbaren Seiten sogar öfter eingefahren als eine Hand Finger hat – und das waren längst nicht alle tatsächlich denkbaren Südtiroler Toreinfahrten.
Die Südteile lassen sich ebenfalls gut unterteilen durch das breite Etschtal in Nord-Süd-Ausrichtung. Hier habe ich in der dritten Phase den südöstlichen Teil der Karnischen Alpen über die südlichen Prosecco-Hügel bis zu den Vizentiner Voralpen und den südlichen Fleimstaler Voralpentälern (Alta Valsugana) kompakt und kreuz-quer abgearbeitet. Vielleicht war dies die verschiedenartigste Ecke von allen und übrigens auch immer noch von deutschen (altbairischen) Sprachinseln wie etwa des Zimbrischen durchsetzt.
Die vierte Kompassregion beschreiben den südwestlichen Teil mit Gardasee-, Adamello-Presanella- und Bergamasker Alpen bis zum Nordende des Comer Sees. Weil ich das Valtellina nur in die Bernina-Alpen vertieft habe, die schon den Nordalpen zugehörig sind, und die Tonale-Passachse ohne Seitenausflüge blieb, habe ich hier die Zäsur zwischen Südwest und auf Colico am Comer See gelegt.
Das Finale, das „fünfte Viertel“, fällt dann wieder auf die Nordwestregion eingangs der Tour zwischen dem Nordende des Comer Sees und Bayern durch das Valtelina, über die Tonale-Passachse und über die Timmelsjochachse Südtirol/Tirol. Fiel hier das Tirolerische nur kurz aus, war die Route zwischen bayerische Schlusskadenz etwas ausgiebiger als im Startviertel. In der Tendenz war es also auch eine Tour im Uhrzeigersinn mit fünf Viertelestundenecken, wenngleich die vielen Verästelungen nicht wirklich das Bild eines geordneten Ziffernblatts einer Uhr wiedergeben – vielleicht eher das einer Salvador-Dalí-Uhr.
Für die Kartendarstellung mit digitalem Track (s.o.) muss ich wegen der vielen Wegpunkt solche Touren immer unterteilen und habe diesmal eine Dreiteilung gewählt, wobei der erste Track den beiden o.a. nördlichen Teilen entspricht (Memmingen – Bozen – Kreuzbergpass), der zweite Track umfasst die südöstlichen Regionen (Kreuzbergpass – Bassano del Grappa – Trento) und der dritte Track den südwestlichen Teil ergänzt um das nordwestliche Finale (Trento – Lecco – Memmingen).
Leistungsbilanz in der Schneckenklasse
Es war nun meine mit 3 ½ Monaten zeitlich längste Velotour, noch einmal das Vorjahr um eine knappe Woche übertroffen. Trotzdem blieb ich in der Distanz unter denen der beiden Vorjahre – die 6000 km habe ich diesmal nicht geknackt, zumindest nachdem ich meine Rechenfehler beseitigt hatte. Entsprechend ist auch der Tagesschnitt von 53 km/h der jemals niedrigste meiner Radhistorie, wenn ich mal zwei nicht ganz realistische Kurzreisen ausklammere.
Die gefahrenen Höhenmeter sind hingegen mit über 126.000 Hm ein absoluter Rekord. Und sicherlich war die Anzahl von Bergstraßen mit Steigungsspitzen über 14 % noch nie so hoch wie auf dieser Tour. Trotzdem bleibt der Wert der topografischen Schwierigkeit mit 2176 Hm/100 km hinter ein paar Touren der Vergangenheit zurück, insbesondere zweier Schweiz-Touren. Das erklärt sich auch dadurch, dass der Hochalpenanteil auf dieser Tour insgesamt relativ geringer war, viele Strecken führten mich ähnlich dem Vorjahr durch nicht minder landschaftlich aufregende Voralpenregionen. Zwar finden sich in den Voralpen der Ostalpen auch jede Menge Wadenbrecher, jedoch nicht in unbegrenzter Dichte. Die Tour war entsprechend etwas schwieriger als auf dem Papier zu lesen ist, aber eben doch kein Weltwunder.
Nun ist wieder die Frage: Was meint Körper und Alter zu solch einer Tour? Die Antworten hierzu sind nicht eindeutig. Es geht, aber immer langsamer bleibt eine Konstante der letzten Jahre. Die Tour verlief im Gegensatz zum Vorjahr ohne größere gesundheitliche Misslichkeiten. Die Füße hielten ganz gut durch und anfängliche leichte Schmerzen verschwanden bald gänzlich. Der Austausch meiner medizinischen Einlagen gegen die normalen Sporteinlagen verbesserte sogar nochmal mein Fußgefühl. Wetterbedingte Verkürzungen gab es ebenso, wie ich auch manchmal knapp zu spät an einem Berg ankam um die Abfahrt noch anzugehen. So musste ich manche Etappen unliebsam abbrechen, weil mir einfach die nötige Helligkeit für gewollte Fotos oder die nötige Sicherheit fehlte. Manchmal waren es recht alltägliche Dinge, die recht viel Zeit kosteten wie Einkaufen, kleine Wundversorgungen, ungeschickte Pauseneinteilung usw.
Für einige Umwege hätte es Abkürzungen gegeben, wenn ich die eine oder andere Info mehr gehabt hätte. Durch den Verlust zweier analoger Landkarten wurde zeitweise die Wegfindung mittels Smartphone etwas zeitraubender. Auch einige unsinnige Anfahrtsversuche auf für mich ungeeignete Pisten habe ich nach einer Zeit abgebrochen, einmal war mir eine Asphaltstraße zu steil – wohl auch wegen gerade neu beladenem Proviant. Und manche Zeit entfiel schließlich auf die geschätzten menschlichen Begegnungen dieser Reise, derer es doch einige gab. Reisezeit ist ja weit mehr als nur Radelzeit.
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