TiSA-2024-0
Tirol & Italienische Südalpen
Verloren, kaputt und Improvisation: Die Verschleißstatistik
Ich beginne meine Pannenbilanz mit einem Klassiker – mit meinem Klassiker. Es waren diesmal wieder drei Waschlappen, die sich auf der Tour verlustig meldeten, dazu ein Isoliersocke an den Trinkflaschen. Statt Waschlappen bekam ich dann nur einen Schwamm als Ersatz – und siehe da, der bleib mir erhalten, weil ich ihn anders verpacken musste als einen Waschlappen.
Meine Schlafmatte bekam ein Loch, dass ich erfolgreich reparieren konnte. Nunmehr aber verliert sie erneut Luft – sehr wenig, aber doch regelmäßig. Und zwei Wasseranalysen ergaben kein Ergebnis. Was soll man da tun? – Ernster noch ist der Verschleiß der Endtaschen der Stangenkanäle am Zelt. Diese musste ich schon letztes Jahr recht kurz nach Kauf mit Nähgarn verstärken – diesmal wiederum nachnähen. Wie lange wird das noch halten?
Hatte ich im letzten Jahr bei ähnlich langer Reise eine Kette und entsprechendes Werkzeug mitgenommen, aber nicht benötigt, verzichtete ich diesmal darauf, um weniger Gewicht zu haben. Es kommt ja immer anders. Diesmal drängte sich ein Kettenwechsel auf, wohl war auch die Kette schon zuvor länger im Gebrauch als im Vorjahr. Das kostete mich 60 € in Lavis, einer Vorstadt von Trento – aber immerhin erledigte der Mechaniker das sofort und 20 Minuten vor Ladenschluss. Leider erwiesen sich jetzt auch Zahnkränze und Kassette als abgefahren, zumindest der kleine Zahnkranz sorgte für leichtes rasseln besonders bei angespannten Anstiegen – letztlich aber machbar. Ein paar Versuche machte ich, ob ich einen neuen 22er-Zahnkranz bekommen könnte, aber selbst im ziemlich MTB-affinen Arco hatte das kein Laden vorrätig.
Ein Sommer, zwei Jahreszeiten
Nun bin ich ja schon beim zentralen Thema für Radreisende – dem Wetter. Es gab selten solch lange anhaltende Schlechtwetterphasen wie diesen Sommer. Zwei aufeinanderfolgende kalte wie regnerische Monate Mai und Juni beherrschten Mitteleuropa und noch darüber hinaus. Dies ist wohl bekannt, wer den Frühsommer hier erlebt hat. Die Alpen sind dabei ein verstärkendes Brennglas der mitteleuropäischen Wetterlage insgesamt. Leute aus Meran sprachen vom kältesten Mai aller Zeiten. War es nicht so, dass ich in meiner Kindheit und Jugend Meran zu Ostern mit warmer März- und Aprilsonne erlebte, ein Hauch des milden Südens bereits? Auf der Tour fuhr ich am Oberkörper bisweilen mit bis zu 6 Kleiderschichten, sogar bergauf bei zweistelligen Prozentwerten ohne zu schwitzen. Die Regenhose musste manchmal als Windschutz für Abfahrten herhalten. Selbst die Überschuhe kamen zum ungeliebten Einsatz. Auf der Seiser Alm leistete ich mir eine neue, dickere lange Leggings, weil sich an der alten zu viele Nahtlöcher öffneten, die ich nicht mehr in Griff bekam.
Gab es wohl auch mal einen Hauch Sommer, ward er schnell wieder niedergerungen. Regnete es nicht, waren trübe Wolkenstimmungen ein typisches Bild im ersten Teil der Reise. Es gab keine Sonnenuntergänge, obwohl die Dolomiten ja gerade mit solchen Postkartenbildern werben. Und ja, ich kenne solche kitschigen Szenerien aus eigenem Erleben – nur nicht von dieser Reise. Oft schien die Sonne und trotzdem regnete es aus fast wolkenlosem Himmel. Und nein, es gab keine Regenbögen! Einer der wärmsten Tage war düster wie das Ruhrgebiet zu seine schlimmsten Kohlezeit. Es war Sahara-Staub, der den Passo Campolongo eindeckte. Auch das gab es in den Alpen früher nicht.
Und doch kam der switch, ein radikaler Wetterwechsel zu Anfang Juli. Die Luft erwärmte sich fast tropisch mit extrem hoher Luftfeuchte. Die Kleiderschichten schmolzen bis auf null. Dieser Sommer hielt nahezu durchgehend bis Ende August, nur von wenigen Einbrüchen begleitet. Der Sommer blieb noch die erste Septemberwoche, aber es war doch milder und die Nächte schon deutlich kühler und damit wieder verschieden von den Erfahrungen des vorjährigen Spätsommers, der bis weit in den Herbst hinein heiß blieb. Die Nachttemperaturen auf der Tour reichten von 0 °C in Samnaun bis zu 24 °C am Gardasee – eine nicht nur dadurch große Herausforderung für Ausrüstung, Willenskraft und Anpassung. Nach den beiden Sommermonaten konnte ich mir die ersten Wochen des Aprilsommers gar nicht mehr vorstellen, so sehr war ich an das Sommerfeeling gewöhnt.
Diese Wetterkapriolen konnte ich dennoch gut meistern. Oft konnte ich mich glücklich schätzen, schlimmere Szenarien umgangen zu haben. So war ich manchmal in der richtigen Richtung unterwegs, umgekehrt hätte mich eine herbe Wetterküche durchgespült. Intuitiv traf ich gute Entscheidungen oder erreichte „just in time“ ein Dach, bevor es Katzen und Hunde regnete. Sogar das Ende der Tour hatte ich zufällig wie passend zum Sommerabbruch gut getimet. Die dicken Tropfen klopften erst an, als ich im Zug saß. Auf der Anfahrt war es umgekehrt, die dicken Tropfen beendeten ihr Schauerspiel, als ich den Zug in Memmingen verließ.
Verkehrsinfarkt in den Alpen, Krise ohne Ausweg?
Ein füllendes Thema mit vielen ernsten Aspekten, wenn wir das auf die Klimaentwicklung erweitern. Ich werde versuchen, mich auf ein paar wenige Aspekte zu beschränken. Die Zunahme des motorisierten Verkehrs war unübersehbar, vergleiche ich diese Tour mit anderen in den 2000er Jahren. Das betrifft am meisten Südtirol und hat nicht nur Ursachen im Tourismus mit teils falschen Anreizen (Jetset-Marketing, Hochpreisentwicklung), sondern auch in der Besiedlung, die immer mehr in Nebentäler voranschreitet. In den Haupttälern und -orten werden Mieten immer teurer, Auswege sucht man daher tiefer in den Bergen. Besonders betroffen von diesen Siedlungserweiterungen auch die Vizentiner Voralpen, wo die Bewohner die Flucht aus der Poebene und Städten wie Vicenza oder Verona suchen. Diese Regionen sind sogar ausgesprochen untouristisch zumindest für Ausländer, aber der Verkehr trotzdem sehr dicht – entweder durch einheimische Tagestouristen oder eben durch die Siedler und Pendler.
Oft habe ich Täler in unmittelbarer Nachbarschaft gefunden, wo es geradezu still war. Verbotszonen für Motorräder wie z.B. das Lüsental – eine der vielen Auffahrtsvarianten zum Würzjoch – zeigen ihre positive Wirkung. Durchgetretene Gaspedale mit schnittigen Sportwagen aus Zuffenhausen und passenden Autokennzeichen dürfen immer noch ungesühnt auf der Sella-Runde ihr Unwesen treiben. Manchmal scheint es auch so, als würden sich die Italiener nach dem Verkehrslärm sehnen. Die schrillen Mopedmotoren sind allerorten nicht auszurotten und werden auch von zierlichen Frauen gerne hochgetrieben – überhaupt keine Rockerromantik, sondern schlichter Alltag mit Stöckelschuh.
Manche Strecken leiden nur zu guten Tageszeiten und/oder an schönen Tagen bzw. am Wochenende an einem Overkill, werden aber abends oder an anderen Tagen schnell zu Ruheoasen. Solche Ausflugshotspots gibt es weit mehr als unter ausländischen Touristen bekannt sind. Dafür reichen manchmal einfach ein paar Liegestühle in der Almwiese bei einem minderwertigen SB-Restaurant und Hüpfburgen für Bambini, um Autokolonnen anzulocken. Andere Täler und Regionen sind durch die dünne Besiedlung weiterhin Nischen fernab von Hotspots. Die meisten solcher Refugien finden sich im Friaul. Dort scheint bisweilen der Tourismus schon fast zu bescheiden, das komplette Gegenteil zu Südtirol und den Kerndolomiten. Witziges Detail: Den Grad des touristischen Geschäfts kann man an der Verfügbarkeit von Postkarten ablesen. Die gibt es in Nischenregionen entweder gar nicht oder nur in miserabler Qualität.
Wachsende Radinfrastruktur – Lichtblicke und Placebos
Dem Autoverkehr kann man bekanntlich bedingt über Radwege ausweichen. Die bekannten internationalen Fernradwege über den Alpenhauptkamm Via Claudia Augusta (VCA) und München – Venedig (MV) waren eine häufige Schnittstelle meiner Tour, aber doch selten ein längerer Begleiter, in einigen Teilen immerhin ein Leitfaden auf dem Weg in Nebentäler. Nicht immer war die Radwegtrasse der VCA geeignet, die abzweigenden Nebentäler zu verbinden, weil der Radweg z.B. im Vinschgau zu tief und fern in der Talsohle verläuft. Trotzdem bemerkte ich einige Veränderungen gegenüber den 2000er Jahren. Vor allem möchte ich auch den Blick auf weitere Radwege und Radrouten weiten, die ich nicht nur neu entdeckt habe, sondern auch meistens erst in jüngerer Zeit entstanden sind. Das radtouristische Netz in den Südalpen ist weit mehr als nur die Fernradwege VCA, CAAR und MV. Da die Gruppe von Radlern mit vornehmlicher Radwegnutzung immer größer wird, mögen für diese hier auch einige Anregungen liegen. Deswegen habe ich diese gewiss subjektiven und begrenzten Beobachtungen in einem separaten Beitrag zusammengestellt. Viele Bilder dort werden wiederholt auch in den fortführenden Tourkapiteln erscheinen, ebenso die wichtigsten Anmerkungen auch im Text dieser Kapitel zu finden sein, sodass dieser Radweg-Beitrag weitgehend unabhängig von der chronologischen Tourerzählung ist und umgekehrt. Dazu weiter in: TiSA-RW Wachsende Radinfrastruktur in den italienischen Südalpen und Tirol – Lichtblicke und Placebos
Die Tourgeschichte kurz erzählt, reich bebildert
Im Gegensatz zu den letzten Berichten meiner großen Radreisen, werde ich hier wieder eine längere, chronologische Reiseerzählung mit mehr Bildern präsentieren. Die einzelnen Kapitel sind eng verwoben, manche Kapitel können mitten in einer Etappe beginnen, wenn bereits frühzeitig eine neue Region überschritten wird. Die letzte Etappe wird dann nicht nochmal neu aufgeführt, im Zweifel musst du noch einmal ins Vorkapitel zurückblättern, um dich zu orientieren. Fast alle Bilder können per Klick auf 1200 Pixel auf der Längsachse vergrößert werden. Einige Fotos sind als Collage auf einer Bilddatei zusammengefasst, sodass diese Bildteile nicht getrennt betrachtet werden können.
Die folgenden Kapitel sollen stetig aufgefüllt werden, eine Abfolge in festen Intervallen kann ich aber nicht garantieren. Es können nur Kapitel abgerufen werden, die bereits freigeschaltet bzw. verlinkt sind! Noch nicht freigeschaltete/geschriebene Kapitel sind in folgender Übersicht inaktiv, sie geben lediglich Ausblick auf noch zu erwartende Inhalte bzw. den Gesamtrahmen der Tour. Die 23 Kapitel sind hier in der Übersicht nochmal auf die fünf Kompassregionen (Viertel) untergliedert, in der fortlaufenden Erzählung taucht diese Gliederung nicht mehr auf.
Es können nur bereits freigeschaltete Kapitel angeklickt werden, derer fortlaufend mehr werden. Das gilt auch für die Fortsetzungs-Buttons am Ende der jeweiligen Kapitel. Evtl. sind schon Links angelegt, aber die Beiträge noch nicht verfügbar. Zu Anfang sind neben dieser Einführung noch die ersten drei Kapitel zugänglich. Ich bitte daher um Geduld, bis weitere Kapitel zur Lektüre nachrücken.
Die Kapitelübersicht
I. Der Nordwesten: Iller, Lech, Inn & Etsch – vom Allgäu zu den Sarntaler Alpen
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Die bayerisch-tirolerische Eröffnung – schon fast schachmatt
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Schneegipfel und Gletscherwelten in den Inntal-Seitentälern
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Ötzi, Burgen, Wein, Erdbeeren und eine Bergsteigerlegende – die Vinschgau-Täler
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Die Apfelconnection – Das Meraner Land mit Exkurs ins Val di Non
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Erdpyramiden und Almjause – Das Rittner Plateau und die Villanderer Alm
II. Der Nordosten: Die Kerndolomiten mit Seitenblicken in die Zillertaler Alpen, nach Osttirol und Kärnten
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Die Südtiroler Dolomiten, Klappe, die erste: Rain Action feat. Plose & Seiser Alm
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Nationalpark & Kaffeegeschichten – über das Val di Fiemme in die Belluneser Dolomiten
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Die Südtiroler Dolomiten, Klappe die zweite: Erinnerungsorte und Zeitgedanken mit den Zillertaler Alpen in der Premium-Nebenrolle
ALP-2024-TiSA-09
Intermezzo in Osttirol und Kärnten – Wasserphilosophie mit Waffelschokolade und Teepause
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Die Südtiroler Dolomiten, Klappe die dritte: Zinnenolympiade mit prominenter Leihgabe aus der Veneto-Schatulle
III. Der Südosten: Die Karnischen und Vizentiner Alpen mit Grappa-Stock und Venezianischen Voralpen
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Verwunschen, verzückend, verkarstet, geheimnisvolle Sagen, vergessene Sprachen und humorige Künste – die versteckten Schätze der Karnischen Alpen
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Höhlen, Rebstöcke und Kehrtunnels – die Venezianischen/Treviso-Voralpen mit den Colline del Prosecco di Conegliano e Valdobbiadene
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Tresterlikör, Folkmusik und ein ganzer Grabesberg – die südlichen Dolomiten mit dem Monte-Grappa-Stock, den Vette Feltrine und den südöstlichen Fleimstaler Alpen
ALP-2024-TiSA-14
Zimbrische Sprachinseln, unvermeidliche Kriegsspuren und schmackhafter Käse – die Hochebenen von Asiago, Lovarone und Folgaria in den Vizentiner Alpen
ALP-2024-TiSA-15
Urwüchsige Täler, karstige Hochweiden, Pilzsteine und Maronen – die Naturparkregion Lessinia
ALP-2024-TiSA-16
Schroffe Bergwelten und wilder Kurvenrausch durch die Piccole Dolomiti bis ins tiefe Etschtal
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Bergflanken und Täler der Valsugana in den südwestlichen Fleimstaler Alpen
IV. Der Südwesten: Von den Gardasee-Alpen über die Bergamasker Alpen zum Comer See
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Seenreiche Bergwelten und wilde Panoramarouten in den Gardasee-Alpen mit einer Brise Parco regionale dell’Adamello
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Göttliche Radsportehre, mondäne Thermenorte, irisierende Uferlichter – die Bergamasker Alpen mit Iseo- & Comer See
V. Rückkehr in den Nordwesten: Vom Valtellina über die Tonale- und Timnmelshoch-Passachse nach Bayern
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Bunte Steine, wilde Bergstraßen, sanfte Weinhügel – das Valtellina mit Fensterblick in die Bernina-Alpen
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Das Valcamonica und Val di Sole im lieblichen Yin und Yang von majestätischen Adamello- und Ortler-Alpen
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Buchweizentorte, Dornenkranz und Höhenrekord – tirolerische Einheit diesseits und jenseits der Timmelsjochscheide mit Ötztaler Gletscherwelten
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Seestimmungen, Moorlandschaften und Rennstreckenfinale – tirolerisch-bairische Träumereien mit Just-in-time-Zieleinlauf
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