Thur mit Wasserfall, Hauskulisse vor Berghang in Neu-Sankt Johann, Nesslau-Krummenau
Alpen,  Schweiz,  Touren

ALP-2019-1 Panoramatour zwischen Säntis, Glarner Alpen und Tösstalbergland

Im Schnee erkämpft, von Sonne erstrahlt, dem Postkartenneid verpflichtet: Gipfelketten, Bergwiesen, Dschungelkaskaden und hausgemachtes Kunterbunt

Appenzellerland – Toggenburg – Walensee – Zürcher Oberland – Bodenseehinterland

  • 5 Tage (davon 1. Tag nur Abend) | 29.5.-2.6.2019
  • 370 km | 74 km/d
  • 7995 Hm | 1599 Hm/d | 2162 Hm/100 km (barometrisch gemessen)

Der Digitrack ist am PC nachgebaut, ohne Navi

Eigentlich hatte ich ALP-2019-1 und ALP-2019-2 mal als einen geschlossenen Rundkurs geplant, mit weniger An- und Abreisestrecke. Im Idealfall sollten beide Touren noch den Kreis in die Urschweiz erweitern. Doch musste ich mich den Rahmenbedingungen fügen und verteilte das eher begrenzte Rund-um-Zürichsee-Konzept auf die zwei Feiertagswochenenden Himmelfahrt und Pfingsten. Der Frühsommer machte daraus auch zwei verschiedene Wetterlebnisse. Für ausreichend Abwechslung war also gesorgt.

Betrachte ich den Kontext beider Reisen, dann verbinden sich damit noch einige weitere, frühere Touren, die mich in selbige Regionen führten – ja sogar einmal anliegende Region meines langjährigen Wohnsitzes am Bodensee war. Als Essenz für alle diese Touren schält sich dabei ein Tripelkern von Schweizer Klischees und Mythos heraus, ebenso unterschiedlich im Charakter wie typisch für die Schweiz und sicherlich noch mit Potenzial für weitere Reisen:

  • die traditionslastige, fast rückwärtsgewandte Heile-Bergweltromantik des Appenzellerlandes und seinem stets ästhetisch Verbündeten, dem Toggenburg im oberen Thur-Tal
  • die modern-urbane und freizügige Geldschweiz der Weltstadt Zürich mit seinen Subzentren Schaffhausen, Winterthur, St. Gallen und Zug – hier mehr interpretiert in seinen erstaunlich ländlichen Umgebungen zwischen deutscher Grenze und Zugerland mit Bodenseehinterland, Zürcher Weinland und Zürcher Oberland
  • die historischen Orte des eidgenössischen Gründungsmythos der Urschweiz in den Grenzen von Walensee, Zürichsee und Vierwaldstätter See

(1) Stuttgart 16:24 || Romanshorn 20:12 h – Egnach – Buch – Ebnet – Burkartsulishaus – Roggwil – Wittenbach-Kronbühl – St-Gallen (Nord, Tablatstraße) – via Rehetobelstraße – Speicherschwendi – Rehetobel-Zweibrücken (Goldach)

31 km | 475 Hm

Abendessen (Konstanz, Döner-Bistro am Bhf.): Lahmacun 6,50 €

Roggwil mit Schloss und Fachwerkhaus bei Dämmerung
Verstecktes Kleinod im Bodenseehinterland: Roggwil

Nacht in einer Tobelbachschlucht

Tiefe Wolken trüben den Bodensee. Alte Heimat kann schwermütig machen. In der St. Galler Vorstadt Wittenbach hat mich die Nachtdunkelheit eingeholt. Bis dahin finde ich kleinere Sträßlein über das fachwerkhübsche Roggwil auf einer nicht ganz durchgehend ausgeschilderten Radroute. Auch in der verkehrsfortschrittlichen Universitäts- und Klosterstadt, die sowohl historisch wie auch neuzeitlich mit Konstanz um den Rang der wahren Metropole in der Bodenseeregion ringt, ist die Ausschilderung noch auffällig autoaffin. Mein Instinkt leitet mich aber doch recht flott am Stadtrand vorbei zur Rehetobelstraße. Bei einer verfallen wirkenden Musikkneippe in der Talsohle eines Tobelbachs finde ich einen Schotterparkplatz – kein besonders komfortabler Schlafplatz, aber rauschend am Wasser.

Panorama von Rehetobel ins Appenzellerland mit Trogen und Speicher
Ein Sonnenbalkon im Appenzellerland: Rehetobel grüßt Trogen und Speicher

(2) Rehetobel-Zweibrücken (Goldach) – Rehetobel – Kaien-Scheidweg (967 m) – Oberegg – Reute – Bellevue (Knollhausen) (794 m) – Mohren – Altstätten – via Krans-Lachenstraße – Hinterforst – Eichberg – Hölzlisberg – Eggerstanden (889 m) – via Alte Eggerstandenstraße – Appenzell – Gontenbad – Jakobsbad Gonten – Urnäsch – Schönau/Osterbühl (1068 m) – Bächli – Hemberg (946 m) – Chellen/Scherbplätzli/Kellen-Bendel (1109 m) – Neu St. Johann – Starkenbach – via Säss/Sell – Vorder Höhi (1537 m) – Amden

97 km | 2540 Hm

Abendessen (Amden, GH Sternen): Salat, Rahmgeschnetzeltes, Nudeln, Gemüse, Apfelkuchen m. Eis, Café, Bier 52 SFR/47 €

Velomuseum Rehetobel (außen)

Ein Velomuseum nahe am Himmel

Rehetobel mit Dorfkirche

Der Morgen frostig. Frisch auf! Bevor die Sonnenstrahlen meine Gliedmaßen erwärmen konnten, spielen die Gegenhänge noch unentschieden mit Licht und Schatten. Im erhabenen Sonnenbalkon Rehetobel wähnt man sich nahe dem Himmel, nicht weniger wie zur Gegenseite in Speicher und Trogen. Rehetobel ist ein gehoben bedeutender Ort für Pedalgeister, denn es wartet in dieser aussichtsreichen Umgebung ein Velomuseum. François Cauderay fand Mitte der 1990er Jahre Verbündete für die Sammelleidenschaft von Velos. Heute organisiert der Verein auch Vintage-Touren. Leider war ich für einen Besuch doch arg früh am Morgen dort, ich wollte am Feiertag nicht jemanden aus dem Bett klingeln.

Produktautomat Käserei Bürki in Oberegg
Automatisch…
Glas Birchermüsli
… zum Birchermüsli

Immer wieder wechseln Aussicht mit dichten Hainen auf der Strecke. Nach Oberegg saust man dann schon ein gutes Stück hinunter. Die Dienstleistungen werden zu teuer und deswegen zunehmend mechanisiert. Ein Automat hält Molkereiprodukte nonstop vor. Gelegenheit, einmal wieder ein Bircher Müsli aus dem Herkunftsland zu probieren. Frühstück ohne Menschen. Bleibt die Schweiz heimelig, wenn sie nur noch Roboter beschäftigen kann?

Die Schweizer haben ja Sinn für Kurioses und sammeln gern auch alten Schrott, um ihn zu Kunst werden zu lassen. Ob es Kunst ist, eine halbe Ente himmelwärts auf den Boden zu stellen? – Vielleicht soll es eher ein Museum sein, Entenkunde open air aufgeblättert. Entenkunde, ja – die von 2 CV der Marke Citroën gewiss. Auch wenn gut poliert, neu ist die Installation eines Entenfreundes nicht. Ich fotografierte sie schon knapp neun Jahre zuvor.

Intermezzo im Alpenrheintal

Der flotte Abschwung verführt zum schnellen Talschuss – daher Obacht geben: Oberhalb Reute geht es kurz erneut bergauf, um auf panoramareicher Hangroute nach Altstätten und das Alpenrheintal genussreicher abzugleiten. Die Burg Neu-Altstätten drückt samt Weinberg steil zur Straße hin. In Altstätten daselbst defiliert der Besucher an urigen Fassaden und verzierten Fensterläden unter gemalten Dachhimmeln vorbei, über Jahrhunderte kultiviert bis in moderne Zeiten. Während meine Finger noch wie kalte Drähte wirken, spendiere ich mir Nussröllchen und Schümlikaffee im noch jungfräulich ruhigen Altstätten.

Ortsausgangs verladen ein paar Biker ihre Velos auf die Zahnradbahn. Der Bahn kann man auch auf steiler, enger Straße folgen, doch führt das hinauf zum Pass Stoss, den ich bereits kenne. So suche ich den südlicheren Durchstich, schön durch Wiesen mit Walnussbäumen und an den typisch getäfelten Landhäuschen vorbei. Erst im oberen Teil von Eichberg beginnt dann die eigentliche Anfahrt nach Eggerstanden. Die Straße war unten etwas mehr befahren als ich erwartete, oben nicht mehr. Auch hier ein Aufgleiten durch liebliche Grünwiesen und schnuckelige Varianten von Berghäusern.

Eggerstanden ist mehr Hochebene als erkennbarer Sattel, wenngleich die Straße recht bald weitgezogen in das im Tal liegende Appenzell runterführt. Fährt man etwas zurück zum Ort, findet sich eine alternative Nebenroute hinunter für Radler. Zur Linken stemmt sich das Säntismassiv recht nah empor. Die Wolken geben den Gipfel noch nicht so ganz frei. Alles ist hier im Bild gehalten: Der eine Gasthof nennt sich „Altes Bild“, fast gegenüber darf man in das „Neue Bild“ eintreten.

Appenzell – fast kitschige Bergromantik mit Demokratie-Störfall

Von Appenzell unten ist der Säntisblick nur noch verschwommen, in den sich eine alte Fabrikanlage hineindrängt. Fast schon zu kitschig wirkt hingegen die Flaniermeile im Appenzeller Ortskern. Ein großer Geschenkladen lockt sein Publikum schon seit Jahren mit einer überdimensionierten Gartenzwergkulisse – Gartenzwerge, die gerne Instrumente spielen. Ob nun Gartenzwerge auch Kunst sind?

Nuss-Biber-Gebäck und würziger Käse aus Appenzell

Appenzell wird man kaum ohne etwas Käse oder Gebäck verlassen können – auch wenn es sehr an der Urlaubskasse zehrt. Zu verführerisch sind die angebotenen Geschmackserlebnisse. Die aufregende Fassadenmalerei von Appenzell ist übrigens weit jünger als man glauben könnte: Erst 1931 begann Johannes Hugentobler mit einem farbig bunten Kräutergarten auf der Fassade der Drogerie Löwen, welche dem Schwiegervater gehörte. Er fand Nachahmer und bereits nach einer Dekade war das spröde Appenzell zum Dorf Kunterbunt gewandelt.

Meine Erinnerung an Appenzell schweift gerne ins Jahr 1990, ein denkwürdiger Sonnentag. Männer mit dem stimmrechtverleihenden Dolchmesser am Hüftgürtel schritten zum Abstimmungsplatz, um abermals das Frauenwahlrecht für den Halbkanton Appenzell Innerrhoden abzulehnen. Nichts hätte drastischer diese heimelige Kulturidentität und ihre versteckten Anachronismen ausdrücken können, wie sie lange und zuweilen bis heute romantische Landidylle überschatten kann. Für manche in der Schweiz war es dann ein kaum begreifbarer Eingriff von Zentralgewalt, indem das Bundesgericht nur ein halbes Jahr später den Volksentscheid kassierte und das Frauenstimmrecht für die gesamte Schweiz verbriefte. Das zeigt einmal mehr, wie lebendig die Demokratiefrage stets bleibt. Die Demokratie darf sich nie selbst genügen, weil sie an sich noch kein Wert ist.

Schweizer Bähnli an Bahnübergang mit typischen Landhäusern und grünem Berghang

Braucht der Alpentourismus Motorbergrennen?

Der Sonne dank verstärken sich nun die Farbkontraste der Grün- und Blautöne in mehreren Auf und Abs, über die man sich dem Toggenburg nähert. Zunächst leichter gewellt die Passage entlang der Bähnlistrecke über Gonten und Jakobsbad, einem pittoresken Kurhaushotel für Pflegebedürftige mit lindernder Aussicht auf die Appenzeller Bergwelt. Der Zeltplatz vermag wie ein römisches Feldlager zu wirken, von dem aus sich jede Bewegung in der breiten Talmulde überwachen lässt.

Scherz-Straßenschilder bei Hemberg: Limit Traktor 40 km/h, PKW 80 km/h, Rennwagen 250 km/h

Wo die Bahn in Urnäsch wendet, ist nun die Topographie steiler zugeschnitten. In der Anfahrt nach Hemberg verkünden Juxschilder, was hier in tiefster Bergidylle erschrecken muss: Zur Steigerung des Tourismus pflegt man in Hemberg ein Autobergrennen. Die Machodisziplin findet um den 20. Juni statt – da hatte ich nochmal Glück. Es scheint eine große Akzeptanz für diese deplatzierte Form von Missbrauch der Alpenkulisssen zu geben. Ich erinnere nur an die Rallye-Agenda auf der Großglockner-Hochalpenstraße – nicht einmal ein Nationalpark ist davor gefeit. Eine solche Gesellschaft will sich ernsthaft der Klimafrage stellen?

Blick auf Churfirsten-Kette, Toggenburg, Oberes Thur-Tal
Gipfel wie an einer Wäscheleine aufgehängt: Blick ins obere Thur-Tal mit Churfirsten-Kette

Die Rennautos bleiben indes von mir ungesehen, stattdessen sehe ich viele Wanderer durch den Ort stapfen. Noch weiter hinauf, bald von Wald abgetrennt, öffnet sich zur anderen Seite wie ein Vorhang die Churfirsten-Kette über dem oberen Thur-Tal des Toggenburgs. Gipfel wie an einer Wäscheleine aufgehängt. Auch hier sind viele Häuser zu malerischen Fassadenkulissen aufbereitet, erzählen Schriftzüge lange Geschichten über Domizil, Gewerbe oder das Leben. Man muss sein Land sehr lieben, so die Häuser zu Schmuckkästchen zu dekorieren.

Eine Kampfrunde im Schnee

Ich hatte einerseits Glück, mehrere Menschen zur Lage auf der Straße Vorder Höhi (auch: Vorderhöhi) befragen zu können. Doch ganz genau wollte sich keiner festlegen, weder der Rennradler aus Wattwil, noch der Bauer in Stein. Nur rieten sie mir beide ab, weil noch Schnee liegen dürfte, zumal ja Schattenseite nach Norden. Das Schild an der Basis in Starkenbach verkündet den Zeitraum von November bis Ende Mai als Sperrzeit. „Wie soll eine Straße am nächsten Samstag befahrbar sein, wenn sie jetzt am Donnerstag noch im Schneekleid liegen soll?“, so dachte ich etwas naiv. Ich hatte schon den umständlichen, zeitintensiven Fußgang zu den Giessenfällen verworfen, um wenigstens noch die Passhöhe queren zu können. Das wollte ich ja nicht nutzlos verstreichen lassen. Ein alternativer Umweg über Wildhaus und Sargans hätte mir indes den Tourplan arg verhagelt.

Historischer Postbus vor Churfirsten-Gipfelkette in Stein, oberes Thur-Tal
Ein Schweizer Postkarten-Klischee: Postbus mit heiler Bergwelt (Stein mit Churfirsten-Kette)

Die Passauffahrt von Norden ist landschaftlich im Gegensatz zur Thur-Route eher bescheiden, verhindert doch dichter Wald größere Ausblicke. Ein paar schillernde Kaskaden sind durch gemauerte Fallstufen wie am Lineal gebändigt. Oben mehren sich Schneefelder zu den Seiten. Schaufenster auf neue Bergwelten öffnen sich, aber auch noch ein Rückblick auf das Säntismassiv.

Unweigerlich überbrücken immer mehr Altschneeflächen die Fahrbahn. Fast dichter liegt der Schnee auf der Straße als nebenher auf den Moorwiesen, die mehr Sonne einfangen und Wärme speichern können. Immer länger werden die Schiebestrecken, das Anheben drückt mich noch tiefer in den Schnee, Millimeterarbeit macht jeden Schritt kraftraubend und atemlos. Doch der Weg zurück wäre jetzt genauso unsinnig. Fast eingeschlossen, fröstelt es mir von den Firnflächen, die kalte Luft herüberwehen. Lichter nun der Baumwuchs – ich beginne wieder zu hoffen – das Ende möge bald kommen.

Altschneehindernisse auf Straße Vorderhöhi
Vorder Höhi: Ein harter Kampf über späten Schnee, der nicht weichen wollte
Schneemauer nebst Straße kurz vor Passhöhe Vorderhöhi

So erreiche ich doch die erlösende Kehre, von der an nun durchgehend geräumt ist. Der Asphalt hier recht gut und breiter als zuvor, wo noch teils Betonpiste vorherrscht. Um eine Schneemauer zieht sich die letzte Kurve, auch nicht mehr so steil. Die offene Passebene ist nicht mehr ganz verlassen, neben der geschlossenen Wirtshütte steht ein Auto, noch eines weiter weg. Zumindest einige Wanderer verirren sich zur Südseite hoch, auf der Autos erlaubt sind.

Passschild "Vorder Höhie 1536 m" und "Biker sind auch Naturfreunde", Bergkette Glarner Alpen im Hintergrund

Noch kann ich bei ausreichend Helligkeit den Berg abfahren, wo sich zunächst nur ein paar Gipfel der Glarner Alpen zeigen. Erst bei Amden öffnet das große Walenseetal ein Berg-mit-Seespiegel-Panorama. Doch schon dämmert das Licht zur Dunkelheit. Es scheint mir ratsam, die verzückende Aussicht für den nächsten Morgen offen zu halten (siehe Teil 2).

Vom Piloten zum Gastwirt

Ein großes Angebot an Gasthäusern wartet nicht. Eines sieht geschlossen aus, doch versichert ein Junge mit Mofa davor, es sei geöffnet. Der Wirt muss erst aufschließen, obwohl Gäste drinsitzen. Die Einrichtung ist sehr schlicht, Schweizer Gasthäuser sind keine Trendsetter. Gewiss, das Essen war ordentlich, aber auch kein kulinarischer Schmankerl, der Salat in Essigbrühe. Dafür ist der Preis ist recht fürstlich. Ich erfahre vom Betreiber, dass unten am Walensee ein Jurist quasi jeden Abend für 200 Franken essen geht. Das relativiert den Preis. Für Besserverdienende.

Der Gastwirt klagt über manches, eine ungerechte Steuer, die von der Wahlgemeinschaft beschlossen wurde. Seltsamerweise sieht er Schuldige in den Ausländern in der Schweiz, bei den Fremden. Auch möchte er der Deutschen Kanzlerin Angela Merkel weghaben. Als Schweizer? Wer macht Politik in der Schweiz? Ausländer, Migranten, die den Staat ausbeuten, die eigenen Leute bleiben zurück, so höre ich. Er, der Fleißige, müsse blechen. Die Eindringlinge kassieren Sozialleistungen. Die Argumente scheinen geklaut von der Agenda einfacher Stereotype – europaweit, weltweit. Und dabei ist die Schweiz nicht einmal solidarisch in der EU. Beim nördlichen Nachbarn sehen selbige Wehkläger das Vorbild in der Schweiz. Da werde noch durchgegriffen – Saisonarbeit und dann raus, gekappte Aufenthaltsrechte, rigorose Abschiebung.

Nun also auch das Lamento von der ausländischen Gefahr im Schweizer Land. Diese Isolationsburg Schweiz. Die Koordinaten scheinen wirr – hier wie dort. War es nicht das eidgenössische Stimmvolk seiner Gemeinde, das ihm die miese Steuerlast einbrockte? Vielleicht ist der Eidgenosse von nebenan sein Feind? Schon der Gründungsmythos um die Schlacht von Morgarten vom Schweizer Bund war in Wirklichkeit ein Kampf widerstreitender wirtschaftlicher Interessen im eigenen Land. Kleine Landbauern gegen modernisierende Großbauern, Handelsbürger und Bildungselite. Ein Konflikt, der sich heute noch durch die Schweiz zieht, zwischen Land und Stadt, zwischen Bergbauern und global players wie Nestle oder Sandoz. So recht weiß er da nicht um Antwort. Sie ist wohl doch nicht so einfach.

Der Gastwirt gibt sich redselig und weltgewandt. Vom Nachbartischsgespräch hatte ich bereits aufgefangen, dass er eigentlich Pilot sei. Bei verschiedenen Airlines, auch einer arabischen, saß er am Steuerknüppel. Warum wechselt nun jemand einen so profitablen Beruf in ein eher schwieriges Geschäft um Gäste, derer nicht so viele in den Ort über den Walensee strömen? Es sei die Selbstbestimmung, wann er arbeiten kann und mehr bei der Familie zu verweilen. Das ist ihm doch lieber bei allen wirtschaftlichen Schwierigkeiten. Und wohl auch trotz neuer Steuerlast – um deren Höhe ihn die deutschen Gastwirte beneiden dürften.

„So sonderbar ist es manchmal, die Berge in der Ferne besser zu kennen als die vor der eigenen Haustür.“

Verrückt gar dies: Ich musste hier bis an den Walensee kommen, um von einem Schweizer zu erfahren, dass der Anflugberg am Stuttgarter Flughafen Weidacher Höhe heißt. Da fahre ich zwar ständig drumrum, doch wusste ich nie von dem Namen. Bei Flugkapitänen aber bekannt und gefürchtet, wie der Gastwirt zu berichten weiß. So sonderbar ist es manchmal, die Berge in der Ferne besser zu kennen als die vor der eigenen Haustür.

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