Kopfsteinpflaster in perspektivischer Nahaufnahme
Alpen,  Schweiz,  Tessin,  Touren

ALP-2021-TdS-04
Das Valle Leventina mit Tremolafieber am San Gottardo

Das Val Tremola

Faszination und Kult auf Pflastersteinen

Airolo ist nicht nur aufgrund einer aktuellen Baustelle etwas verwirrend zu durchfahren. Jenseits von Airolo entwickelt sich dazu noch ein Gewirr von Serpentinen, Brückenstraßen und Militärgebäuden, die heute teils als Museen dienen. Die alte Gotthardstraße, die sogenannte Tremola, ist dabei unten nicht ausgewiesen, weil man zunächst ein kleineres Stück neue Gotthardstraße anfahren muss. Dazu gesellt sich noch die unten liegende Autobahn mit Tunnelportal, sodass sich unübersichtlich mehrere Etagen von Straßen kumulieren. Die zweifelsfreie Ausschilderung für Radler ist da noch verbesserungsfähig, aber auch Autofahrer haben offensichtlich Orientierungsprobleme.

(Fr, 2.7.) Nähe Forte Bedrina – via Val Tremola/Tremolastrasse – Passo del San Gottardo/St. Gotthardpass (2091 m) – via Tremolastrasse – Briggboden – via Gotthardstraße – Mätteli – Hospental [– Andermatt – Göschenen – Wassen – via Meiental – Meien – Sustenbrüggli – Sustenpass (2259 m) – Himmelrank (Kurve oberhalb Steingletscher)]

57 km | 2015 Hm

Wenn man den Beginn der Tremola mit den ersten Pflastersteinen definieren würde, starte ich den Tag zufällig genau dort. Ich hatte in der Dunkelheit des Vorabends keine Übersicht gewonnen, wo ich mich eigentlich befinde – außer in der Auslaufnische zu einer Spitzkehre. Im unteren Bereich wechseln Asphalt und Pflastersteine noch ab, später ist die Tremola durchgehend gepflastert. Der Schrecken des Pflasters schwindet doch schnell, denn es lässt sich mit ruppigem und spaltenreichem Pflaster von romanischen Mittelalterstädtchen oder der Via Appia Antica nicht vergleichen. Überraschend ruhig läuft das Velo bergauf, da auch die Steigung angenehm moderat und gleichmäßig bleibt.

Das Straßengewirr am südlichen Gotthard erzeugt vor allem die wild und kühn mit Brücken über das Tal geschwenkte neue Gotthardstraße. Im unteren Teil kreuzen sich beide Strecken mehrfach, meist jedoch ohne eine Verbindung zueinander. Die alte Tremolastrecke fügt sich ganz natürlich ins gleichnamige Tal ein, um dann in eindrücklichen, offen gehaltenen Serpentinen auf der östlichen Hangseite des Tals die Höhenunterschiede bis zur Passhöhe zu bewältigen. Bei den ehemaligen Artilleriewerken (und Kaserne) Foppa Grande und Motta Bartola besteht über einen Kreisel die letzte Verbindung zwischen der alten und neuen Gotthardstrecke. Oberhalb führt sodann die neue Gotthardstraße auf der gegenseitigen Westflanke des Tals entlang und verschwindet dabei meistens in Galerien. Daraus ergeben sich grundsätzlich verschiedene Landschaftseindrücke für beide Trassen sowohl im Nahbereich als auch im großen Panorama.

Im Vergleich zur neuen Gotthardstrecke bleibt die Tremola so zunächst noch lange an dem Talgrund gebunden. Wenn die Kaskadengefälle stärker werden, verabschiedet sich die Tremola mit Serpentinen in die Hangtrasse, von der man stets die unteren Bereiche im Blick behält. Das Kurveneldorado lockt eine große Velogemeinde an, selbst die Carbonrennradler leisten sich den Passgenuss auf dem historischen Belag. Ebenso mischen sich darunter einige flanierende Autokarossen und Motorbiker, die aber gleichwohl mit gebührender Weil der Kulisse Respekt zollen – alles andere wäre auch Frevel.

Der Sankt Gotthard im neuen Gewand – nicht ganz geschmackssicher

Monument mit See und Windmühlen am St. Gotthard

Es ist nicht selten, dass die bedeutenden Pässe – ganz unabhängig von den landschaftlichen Qualitäten der Talzufahrten – recht nüchtern, wenn nicht gar unschön gestaltet sind. Der Sankt Gotthard kann das schon wegen seiner kargen, breiten Passhöhe kaum verhüllen, die auch noch zu einem guten Teil von Parkplätzen vereinnahmt wird. Der strategischen Bedeutung folgend verstecken sich zwischen dem Felsgeröll noch manche betonierten Bunkeranlagen, deren kurzlebige Bedeutung im 20. Jahrhundert einen Irrschatten auf die Gewaltfantasien der Menschen wirft. Das ist wiederum als Museum mittlerweile aufgearbeitet und kann besucht werden.

See am Gotthardpass mit Hospizanlage im Hintergrund

Manches ist neu gegenüber meiner letzten Befahrung im Jahre 2005. Das damals neu erbaute SB-Restaurant ist aktuell wegen Baumaßnahmen geschlossen – die Zeiten werden kurzlebiger wie auch die Substanz der Gebäude. Ich würde ja gerne der betonierten Aufstockung des Hospizes die konzipierte Ästhetik eines Bergkristalls zusprechen, doch bleibt eher der bleierne Nachgeschmack eines Steinklotzes. Neu sind auch die Insignien des E-Zeitalters, derer fünf Windräder sich um den See gruppieren. Zum Passtrubel hat man sich wohl eine Rallye einfallen lassen, ich treffe mit dem ersten Teilnehmern ein – gut, dass ich früh genug oben bin. Zum Postkartentrubelwetter fehlt noch die sonst hier übliche Postkutsche.

Wenn du hier statt der thematischen Berichtsfolge mit den Schweizer Südregionen der Chronologie der Tour folgen möchtest, musst du zum Ende des zweiten Kapitels ALP-2021-TdS-02 Das Wegekreuz Reuss-Rhein im Gotthardmassiv Nord mit der Nordrampe des Gotthards und dem Meiental zurückspringen.

Hier folgen wir aber weiter dem lieblichen Riviera-Süden des Lago Maggiore mit seinen doch kontrastreich wildalpinen Tälern in den Tessiner Alpen sowie vielen weniger bekannten Seiten der Zweiländerregion der Luganer Voralpen. Ich erinnere also an diesen milden und genussvollen Terrassenabend über der Magadino-Ebene am 11. Juni bereits nahe dem mondänen Locarno.

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