ALP-2021-TdS-13
Das Mittelwallis mit Zinal, Moiry, Arolla und Grande Dixence
Val d’Anniviers: Zweiteiler Zinal vs. Moiry
(Mo, 12.7.) [Leukerbad – via Piste (Abkürzung, sehr steil) – Restaurant Weidstübli – via Fahrweg (teils Asphalt, teils sehr gute Piste) – Maijingsee (1662 m) – via Piste über Dalaschlucht, teils Trail (teils schwierig zu fahren, starkes Gefälle) – Buljes – Leukerbad Thermalenquellensteig (unten) – Inden – Rumeling – Farnenfluh – Varen (Waldstraße Richtung Col de la Malvoisie abgebrochen wegen unklarer Straßensperrung) – Salgesch –] Sierre/Siders – Niouc
42 km | 890 Hm
Nach Sierre war ich eigentlich nur eingefahren, um eine Kleinigkeit von einem Radmechaniker nachschauen zu lassen. Der einzig verfügbare Radladen hat aber bereits eine Stunde zuvor um 17 Uhr geschlossen. Mittlerweile über die Sprachgrenze des Pfynwaldes auf der Höhenroute gelangt, beginnt mit Sierre sowohl der französischsprachige Teil des Wallis als auch das Mittelwallis. Während nach Norden sich das dicht besiedelte Crans Montana über einen weiten, offenen Berghang ausbreitet, ist das erste einschneidende Nebental nach Süden kaum zu erahnen. Der anspruchsvolle Anstieg beginnt recht unmittelbar zum südlichen Rhoneufer und erhebt sich schnell über die Stadtkulisse von Sierre und seiner Vororte. Schon in deutlicher Vogelperspektive, wendet sich die Straße in einem scharfen Bogen mit eindrücklichen Serpentinen ins Val d’Anniviers hinein, das hier nur einen schmalen Durchschlupf zu Rhone gewährt.
(Di, 13.7.) Niouc – via Val d’Anniviers – Vissoie – Mission
14 km | 520 Hm
Die wohl kürzeste „Ganztagesetappe“ meiner Radreisekarriere deutet sich schon am Vorabend an. Die Möglichkeiten für einen Zeltstellplatz sind in dem tief schluchtigen Tal gering, zumal sich die Straße am Fels entlang bewegt. Bei Niouc lockt die Schlucht auch Bunjeejumper an, die sich waghalsig von einer Hängebrücke hinunterstürzen. Über die Wackelbrücke muss ich zum Glück nicht fahren, sie ist nicht mal von der Straße aus zu sehen. Sie ist nach der noch jungen Taminabrücke sogar die zweithöchste Brücke der Schweiz und galt in den 1920er Jahren als höchste Brücke der Welt.
Ich war hier also etwas unorthodox am Rand der Dorfkirche gestrandet und konnte am Abend dem Herannahen der Wetterfront nur ohnmächtig zuschauen. Es regnete die ganze Nacht, noch weit in den am Morgen hinein. Die Wolkenschwaden hängen wie Aschesäcke über dem nahen Rhonetal. Im Val d’Anniviers zieren die aufsteigenden Wolken reizvolle Stimmungen, die man in einem Tropenwald vermuten könnte. So sie auch steigen mögen, halten darüberliegende undurchdringliche Wolkenschichten nicht nur dieses Tal in einem Grauschleier gefangen, der jederzeit droht, sich weiter zu entladen. Nur wenige Kilometer radle ich bei moderater Steigung ohne Nässe.
Rettung im leeren Skiraum
Die Temperaturen fallen noch ungemütlicher gegen Mittag, sodass ich in Vissoie in einem Café mich bei Panini und Aprikosenkuchen aufwärmen muss. Das Warten lindert weder die fortschreitende Dunkelheit noch die Kühle. Die Wolkendecke verdichtet sich weiter und weiter. Nur wenige Meter radle ich noch trocken. Es ist ein Regen, dessen Bindfäden sich zur Sintflut verdichten. Die Bibelgeschichte von der Arche Noah wird hier nochmal neu geschrieben. Schleichend kribbelt die Kälte in die Glieder, drückt der Wasserschleier auf meinen zunehmend ermattenden Körper.
Müde sinke ich auf einer überdachten Bank ein, die sich vor einem aktuell leerstehenden Skihotel befindet. Ich zittere eine Weile trotz bereits vieler Kleiderschichten übereinander. Mein Körper kämpft zwischen Kurzschlaf und drohender Unterkühlung, die Abwehrkräfte schwinden. Es ist ein eher gelangweilter Zufallsgriff, dass ich die Türklinke drücke. Die Tür ist überraschend offen. Ich stehe in einem großen Skikeller, noch ein hinterer Umkleideraum dazu. Der Zugang zum Hotel ist zwar abgeschlossen – aber ist dies etwa ein glücklicher Wink des Schicksals? Ein Raum, trocken und sogar noch zum Trocknen des Zelts geeignet. Ein Defibrillator blinkt und gibt regelmäßig einen Ton ab. Wohl deswegen ist die Tür nicht verschlossen. Ein Lebensretterapparat als Regenretter? Ich sehe die Zeit des Tages schwinden, willenlos, zermürbt. Die Nacht kommt unauffällig, weil das Tageslicht schon längst in den schwarzgrauen Tränensäcken des Himmels erloschen war. Der Regen endet nicht, nicht vor dem Morgen, nicht einmal dann. Ein Tag endet, der eigentlich gar nicht angefangen hatte.
(Mi, 14.7.) Mission – Ayer – Mottec – Zinal – via gute Piste (ab La Tsoucdanna) – Pont de Gietti (1731 m) – Zinal – Les Morasettes/Mottec (Straßensperrung auf kurzem Stück neben der Straße umgehbar/Velo tragen/Gepäck abnehmen) – Grimentz – via Val de Moiry – Lac de Moiry
34 km | 1240 Hm
Straße unpassierbar – gibts doch gar nicht?!
Kaum kann ich dem grauen Morgen trauen, dessen Tränensäcke der Nacht noch nachhängen. Letzte Tropfen verebben, erstaunlich hoch sind einige Wolken gestiegen, frisch beschneite Berggipfel wachsen am Horizont empor. Das Bergdorf Ayer berichtet von traditionellem Handwerk, zu dem auch das Schustern gehörte. Dem französischen Namen Anniviers nach bedeutet das Eifischtal das ganze Jahr auf Wegen zu sein, was auf die früheren Nomadenbergbauern anspielt. Schuhe waren wertvoll und wurden so lang als möglich getragen und immer wieder repariert. Dafür zogen Flickschuster durch die Dörfer, bis sich auch Schuster im Nebenerwerb sesshaft niederließen. Eine Werkstatt von Daniel Melly, einer der letzten solcher Schuster, der erst 2002 verstarb, hat der Ort liebevoll rekonstruiert, flankiert von einem hübsch geschnitzten öffentlichen Schachspiel und einem alten Feuerwehrhandwagen.
Das Tal wird mystischer mit Hainen, wilder mit Geröllbergbach. Zinal kündigt sich am Ortseingang mit einer Seilbergbahn an, die in die Wolke hineinsticht und trotzdem erstaunlich gut besucht wird wie auch die weiteren Wanderwege. Die Luft aber bleibt im hängenden Wolkenkleid kalt, treibt die Fühltemperatur durch Wind noch weiter nach unten.
Zinal streckt sich mit seiner guten Infrastruktur an Läden und Unterkünften länglich in ein Hochtal hinein, das eher flach noch bis zur Brücke Gietti reicht, wobei eine Reststrecke davon auf recht guter Piste verläuft. Auch auf der Gegenseite des Bergbachs verläuft noch ein rechter guter Gehweg, sodass man durch eine recht weite und offene Bergarena fährt. Die Brücke muss für ein Trekkingrad noch nicht das Ende bedeuten, jedoch erübrigt sich bei der Wetterlage ein weiteres Experiment auf einer steilen und auch durch den Regen schon tiefen Piste zur nächsten Almhütte.
Das Mittagspicknick wird mir arg verleidet durch immer wieder aufkeimenden Sprühregen und den kalten Windzügen. Ich konsultiere zur offiziell als gesperrt ausgeschilderten direkten Strecke nach Grimentz noch die Touristinformation. Zwar weiß niemand die Art der Sperrung zu beschreiben, ich müsse jedoch den Umweg zurück über Vissoie fahren, so der nachdrückliche Hinweis. An der Abzweigung entscheide ich mich doch für den direkten Weg. Tatsächlich erreiche ich nach kurzer Wegstrecke einen wilden Erdberg mit riesigen Blocksteinen, der komplett über die Straße reicht. Bauarbeiter räumen im Erdwerk herum und winken ab, sei nicht zu passieren. Ich nähere mich aber schließlich dem Leitplankenrand und trage mein Rad und Gepäck separat etwas kühn am Abhang entlang. Die Erdrutschpassage ist doch sehr kurz und das Übertragen des Velos recht gut möglich.