ALP-2021-TdS-13
Das Mittelwallis mit Zinal, Moiry, Arolla und Grande Dixence
Val d’Hérens: Zweiteiler Arolla vs. Grande Dixence
Auf Rosenblättern gebettet
Von Vercorin können die Bürger über eine Seilbahn ins Rhonetal pendeln, ein jedoch teures Nahverkehrsmittel. Ich spekuliere, ob es günstige Bewohnertarife gibt, als ein Junge einfach mal so zum Freundesbesuch in die Seilbahn steigt. Da auch das anliegende Restaurant keinen gemütlichen Eindruck macht, kämpfe ich mich weiter über die bald wieder ansteigende Höhenroute. Ein wenig entspannt sich die Regenfront, bleibt aber ein drohendes Gebilde für den restlichen Tag. Hatte ich kurz zuvor noch über Kaffee und Kuchen nachgedacht, fordert mich der Anstieg nach Lax doch so, dass es längst Abendessenszeit ist.
Vom Himmelsbalkon über der Rhone sehe ich zunächst wenig. Ein paar Felsen markieren eine Abbruchkante zum Tal ohne Blicke auf die Rhone freizugeben. Im einem der zwei Restaurants verspeise ich einen Burger mit Pommes. Ich verspüre leichtes Fieber und nachlassende Abwehrkräfte. Draußen regnet es wieder Katzen und Hunde. Es ist wohl angemessen ein Hotelzimmer zu nehmen. Der Preis ist nochmal fünf Euro über den Internetangaben, aber ich habe eine schlechte Verhandlungsposition, der Serviceangestellte korrespondiert mit seinem Chef über Telefon. 82,30 Franken ohne Frühstück (mit Kurtaxe), unterste Zimmerkategorie, nicht unbedingt wertgerecht im internationalen Maßstab, aber für Schweiz auch wieder schon normal. Und doch fühle ich mich glücklich als hätte ich einen Gewinn gezogen. Über das Bett sind Rosenblätter gestreut, doch ein Hauch von Königsgemach.
(Fr, 16.7.) Nax – via Val d’Hérens – Mase – St-Martin/VS (1430 m) – Trogne – Evolène – Les Haudères – Arolla Camping
34 km | 1180 Hm
Traditionspflege im Val d‘Hérens
Eigentlich radelte ich noch durch glückliches Regenland. Die Berichte im Fernseher aus den Flutgebieten in Europa, insbesondere in der deutschen Eifel zeigten nochmal ganz andere Ausmaße. Selbst von der oberen Rhone gab es heftigere Bilder. Die hohen Berglagen waren insofern auch nicht so stark betroffen, weil sich die gesammelten Wassermengen ja erst weiter unten in den Tälern sammeln.
Der Morgen erwacht dann doch im unschuldigen Antlitz von Sonne und abdampfenden Wolken, die sich sowohl über der Rhone als auch im nächsten Nebental, dem Val d’Hérens (Eringertal) ausgebreitet haben. Die Talfurche spannt sich breit und gibt daher einer höher gelegenen Hangstraße mit dem weit verteilten Hauptort Hérémence ebenso Raum wie einer Talroute für den Durchgangsverkehr, gleichwohl auch noch am Hang entlang führend. Auf meiner Naxer Seite windet sich die Straße weit über der Talsohle als so ausgewiesener Balcon du Ciel um den Mont Noble, der mit zahlreiche Freizeitaktivitäten in Sommer wie Winter noch weiter in die Höhe lockt. Die Straße fällt zunächst etwas ab, steigt aber nochmal an um in Saint-Martin den vorläufig eigentlich höchsten Punkt zu erreichen. Dabei wendet sich die Straße tief in den Berg, sodass Mase und St-Martin nahezu gegenüberliegen.
Bereits in St-Martin kann man die Pyramides d’Euseigne Tal erkennen, skulpturenhafte Erdpyramiden, durch die die Talsohlenstraße hindurchführt. Stößt man hinunter ins Tal, bleibt man aber zunächst fern von diesen Erdpyramiden, wenn man weiter dem Val d’Hérens folgt. Stattdessen paradieren etwas weniger pittoresk erscheinende Erdpyramiden zwischen der Straßengabel. Die erste Höhenstufe überwindet man nun anfangs durch eine Kluse, der eine Bergwiese und bald ein recht ausgedehntes, längliches Zwischenplateau folgt. Dort pflegt sich das traditionsbewusste Évolène ein, in dem noch der franko-provenzalische Dialekt Patois lebendig gesprochen wird.
Trotz weiterer Steigung bleibt die homogene, breitere Taleinheit noch bis Le Haudères bestehen. Hier teilt sich der Talfluss Borgne erneut in zwei Gletschersackgassen, von den ich nur die größere nach Arolla ausfahre. Gleich nach dem Talort beginnt der verschärfte Anstieg. Schon in Évolène hatte ich weiterhin mit den Folgen der aufreibenden Tage mit wenig gesundem Schlaf zu kämpfen. Ich versuche es erneut mit einem Kurzschlaf in einer anliegenden Hütte ohne rechten Erfolg.
Gletschertraumkulisse Arolla
Während schon zuvor immer wieder ein Niesel ausregnete, verschärft sich die Wetterlage erneut. In einer Baustellenkurve treffe ich auf ein Schweizer Autofahrerpaar, die mir Mut zusprechen „nur nochmal eine Galerie und dann ist man schon fast in Arolla“. Solche Autoansichten sind für Radler eher eine Warnung, es wird noch schwer und lang. Die Strecke dehnt sich nicht nur bei einer recht anspruchsvollen Steigung, sondern wird erneut zur Regentortur. Nach der Galeriepassage taucht noch ein Weiler mit Pension an einem Fischteich auf. Ich versuche mich aber noch weiterzuschleppen, kämpfe auch weiter mit Magenproblemen. Als ich das Hotel/Restaurant Aiguille de La Tza unweit des Arolla Campings erreiche, ist bereits die Dunkelheit angebrochen. Im überfüllten Restaurant versuche ich zunächst neue Energie mit einer herzhaften Croûte au fromage zu gewinnen. Der Camping liegt nochmal einen halben Kilometer weiter auf einer Piste ins Tal hinein und immer noch deutlich unterhalb von Arolla Ort. Trotzdem listet sich der Arolla-Camping als höchst gelegener Camping in Europa. So nah am Himmel muss man natürlich in diesen Zeiten wieder mit Regen rechnen. Unter strömenden Bindfäden baue ich mein Zelt auf.
(Sa, 17.7.) Arolla Camping – Arolla Dorf (2109 m, Straßenende, Ferienhäuser Les Marmottes) – Les Haudères – Evolène – La Luette – Euseigne (Erdpyramiden unterhalb des Orts) – via Val d’Hérémence – dev. Mâche – Pralong – Grande Dixence (Hotel/Seilbahntalstation, Straßenende) – via Piste (guter zustand) – Lac des Dix (2365 m) – Grande Dixence – Pralong – Mâche – Hérémence – via Route des Mayens
72 km | 1750 Hm
Noch kann ich die anbrechenden Sonnenstrahlen des Morgens nicht nutzen, um mich aufzuwärmen oder Sachen zu trocknen. Der Camping liegt weit im Schattenwinkel der Berge, vor allem an dem Platz, zu dem ich mich abends mit wenig Sicht getastet hatte. Mit einer schweren Last feuchter Plane und Klamotten starte ich auf eine Traumkulisse zu. In klarem Sonnenlicht räkeln sich die Berge mit einer einmaligen Gletscherparade. Mindestens zwei Gletscher fasst man aus nahezu jeder Perspektive ins Auge, weiter oberhalb von Arolla werden es bis zu vier auf einem Bildausschnitt. Der obere Arollagletscher verbirgt sich dabei meistens noch zur östlichen Talflanke hinter dem Mont Collon, zu dessen Gletscherzunge man über einen separaten Fahrweg gelangen kann, noch unterhalb vom Dorf Arolla abzweigend. Weiter aufgestiegen zum Dorfplatz Arolla findet der Gast ein paar Dorfläden mit Café oder wenige Hotels mit Restaurantterrassen. Das traditionelle Grand Hotel Kurhaus bleibt von der weiter sich aufwindenden Straße ungesehen, hingegen gesellen sich wenige Apartmenthäuser unscheinbar bis zum austrudelndem Straßenende dazu.