ALP-2021-TdS-18
Alpchäs, Kaskadenrausch und Kurvenlabyrinth im östlichen Berner Oberland
Das Kurveneldorado der Grimselwelt
Die Grimselauffahrt verlangt eine gute Kräfteaufteilung, die Steigungen sind recht konstant anspruchsvoll, am flachsten noch im unteren Teil. Wer die Auffahrt etwas kürzen möchte, kann am Vortag noch bis Guttannen radeln, wo es auch noch einen Camping und Gastbetriebe gibt. Beim Hotel und Naturresort Handeck überspannt die Aare eine abenteuerliche Hängebrücke und man kann per steiler Bergbahn zum Gelmersee auffahren, der von der Passstraße aus ungesehen bleibt. Die Landschaft ballt sich langsam dramatisch zusammen, indem immer mehr Granitblöcke dichter heranrücken, Wasserläufe über Seenplatten abfließen. Hat man zuvor ein paar kleine Tunnels durchfahren, folgt nach der nächsten, markanten Spitzkehre der längste Tunnel der Strecke. Dieser kann glücklicherweise auf der alten Passstraße umfahren werde. Diese Strecke ist auch die schönst Auffahrtspassage mit dahingekegelten Felsblöcken, speiendem Wasser und dazwischen sprießenden Alpenblumen.
Der Grimselpass ist ein Paradebeispiel für Wasserkraft aus gestaffelten Stauseen. Bevor man den kleine Totensee als krönende Perle der Passhöhe erreicht, passiert man den bauchigen Räterichsbodensee und den sehr langestreckten Grimselsee. Die Staumauer des Grimselsee ist renovierungsbedürftig, wird aber nicht instand gesetzt, sondern durch eine vorgelagerte neue Staumauer ersetzt, die bis 2025 fertiggestellt sein soll. Entsprechend sieht man Kräne und Betonwerk an einer etwas rätselhaft freien Mauer.
Am Grimselsee beginnt eigentlich erst das rechte Serpentinengewirr, noch mehr Haarnadelkurven hat es schließlich auf der Südflanke. Bevor ich mich zur Rhone ins Wallis herunterstürze und diesen Block zum Berner Oberland abschließe, erkunde ich noch einen meist vergessenen Abzweig an der Passhöhe. Dort zweigt eine Panoramastraße zum Oberaarsee ab, der nochmal eine besondere Perspektive über die Gipfelwelt mit Eis und Schnee erlaubt. Der See als solcher liegt nach einem Anstieg mit schwankenden Steigungswerten in einer Mulde samt einem Gastbetrieb wenig darüber. Zur Tageskrönung hat sich auch die Sonne nochmal hervorgearbeitet, um das Berner Oberland doch noch in halbwegs sonniger Erinnerung zu halten.
Was bedeutet eigentlich Grimselwelt?
Nicht ganz zufällig hat die Kraftwerke Oberhasli AG (KWO) ein eigenes Tourismusprojekt unter dem Namen „Grimselwelt“ für die Gebiete an der Susten- und Grimselstraße entwickelt. Grundlage sind die eigenen Kraftwerke und ehemaligen Werkbahnen der KWO, die dem Tourismus zugänglich gemacht wurden. Besucher können gleich sechs Kraftwerke und Staumauern aus der Innenansicht mit Turbinen und Tunnels studieren (Grimsel 1/2, Handeck 1/2/3, Innertkirchen 1). Die Kristallkluft Gerstenegg erlaubt einen Stollengang durch ein glitzerne Gesteinswelt unter Tage. In luftige Höhen kommt man hingegen mit den betriebseigenen Bergbahnen.
Gelmerbahn und Sidelhornbahn erschließen Berggebiete an der Grimselpasstraße, Triftbahn und Tällibahn an der Sustenpassstraße. Die Gelmerbahn ist dabei mit 106 % Neigung die steilste Standseilbahn Europas. Die Reichenbachfallbahn und Meiringen-Innertkirchen-Bahn (MIB) sind Einrichtungen, mit denen der Zugang zu den Meiringer Sehenswürdigkeiten des literarischen Kriminaltatortes und der Aareschlucht bequemer erreichbar gemacht werden. Zum betriebseigenen touristischen Kapital gehören ferner zwei spektakuläre Hängebrücken (Handeckfallbrücke, Triftbrücke), drei alpine Gasthöfe mit Übernachtungsmöglichkeiten, eine Berghütte und ein Besucherzentrum rund ums Thema Stromproduktion im Grimselhospiz.
Entsprechend sind Haslital und Grimselwelt beides übergeordnete Begriffe für die Region um die Susten- und Grimselstraße, meinen aber Unterschiedliches.
Geografisch sind beide Begriffe vergleichsweise unpräzise und schnell irreführend. So zählt etwa das Gental mit der Engstlenalp und die Streugemeinde Reuti samt Bergbahnen zum Haslital als Überbegriff, nicht aber zur Grimselwelt. Ähnlich gehört das Gadmental geografisch nicht zum Haslital, wird aber als Tourismusregion vom Haslital mitvermarktet. Von der Grimselwelt am Sustenpass zu sprechen, ist nicht unbedingt glücklich.
Zu allem Überdruss vermarkt sich die Tourismusregion Haslital übergeordnet mit der Jungrauregion/Berner Oberland, um mit der UN-Welterberegion von Jungfrau/Aletschgletscher zu klotzen. Genau genommen ist die Aletsch Arena aber eine sinnfällige Tourismusregion des Oberwallis und nicht des Berner Oberlandes. Die Tourismusunterregionen Haslital sowie Brienzersee haben sich ferner eigene Wege offen gehalten, um nicht in der Großregion Berner Oberland unterzugehen. Die nahen Giessbachfälle zählen daher mal zur erweiterten Region Haslital, mal wiederum nicht, nie aber zur Grimselwelt.
Wenn du hier chronologisch weiterlesen möchtest, weil du dem inhaltlichen Faden nicht gefolgt bist, musst du ins Kapitel ALP-2021-TdS-11 Die Oberwalliser Eröffnung mit dem Goms und der Aletsch Arena wechseln. Die gemeinsame Reise nach gedachter Lesefolge geht hier aber weiter mit dem Finale der Reise.