Das Engadinerhaus – mehr als eine kunstvolle Heimstatt
Das Unterengadin – die Hochburg des Sgraffiti-Hauses
Der Einstieg ins Unterangadin fällt hier jenseits der Grenze zu Österreich, schon mittendrin. Indessen ist das untere Unterengadin nur dünn besiedelt, entsprechend gering sind die Beispiele für auffällige Engadinerhäuser. Die Verkehrsadern schlängeln sich am Inn entlang, jedoch ist auch eine Zufahrt ins Unterengadin per Velo aus dem Val Müstair über den Costainaspass direkt nach Scuol denkbar.
Scuol
Unüberschaubar sind die Facetten des Engadinerhauses in Scuol. Der Hauptort des Unterengadins verteilt sich auf mehrere Etagen, vom Inn bis weit über die Hauptstraße hinaus. Das historische Zentrum befindet sich im unteren Ortsteil, aber noch über den Uferbereichen des Inns. Die Gemeindeausdehnung ist weit größer, weil Scuol mit Ardez, Ftan, Guarda, Sent und Tarasp fusionierte, damit sogar die größte Flächengemeinde der Schweiz bildet. Auffallend in Scuol ist das nebeneinander verschiedenster Bauepochen, die alle ihre eigenen Facetten eines Engadinerhauses widerspiegeln.
Modernen Formen und Farben
Filigrane Preziosen
Noch mehr Blickfänge
Ardez
Während Ftan deutlich über dem Inn als beliebter Basisort für Bergwanderung dient und nur wenig Motivkunst an den Häusern präsentiert, wartet wieder unten im Tal mit Ardez ein wahres Freilichtmuseum. Hier findet sich die vielleicht opulenteste Bilddarstellung mit dem Sündenfall aus der Paradiesgeschichte nebst einem seltenen Doppelerker am „Chesa Claglüna“. Je verzierter desto wohlhabender. Wir dürfen hier also einen sehr properen Erbauer vermuten. Manche Sgraffiti wurden sogar übermalt, um den sichtbaren Wohlstand zu verschleiern. Die Schweiz hat bekanntlich ein Faible für Diskretion. Andere Sgraffiti verschwanden gleichwohl durch Menschenhand wie bei Renovierungsarbeiten. Der Abtrag durch Verwitterung spielt hingegen eine weit geringere Rolle.
Malerisches Fabulieren
Bitte vortreten – die Erker
Ansichtssache, über den Zweifel erhaben
Verweilorte für entschleunigte Zeiten
Bos cha
Wieder auf der Höhe gelegen, stehen in Bos cha nur wenige Häuser. Zwar finden wir keine besonderen Verzierungen, aber einmal mehr beeindrucken allein die dicken Mauern und tiefen Fensterfluchten sowie üebrlange Sitzbank.
Guarda
Das Wort Freilichtmuseum habe ich in dem Beitrag schon mehrfach strapaziert. Noch einmal müssen wir aber einen solchen Rundgang machen – unverzichtbar und gewissermaßen die Krönung der Schauplätze für das Engadinerhaus. Jeder Winkel, jede nur minimal veränderte Perspektive schafft neue einzigartige Ansichten. Es wurde oben bereits erwähnt – hier setzte Selina Chönz dem Schellen-Ursli ein Denkmal und verpflanzte seine Geschichte in eines der vielen sehenswerten Häuser in Guarda. Der Dorfrundgang müsste noch länger sein, würde man alle Facetten aufgreifen wollen. Dem exemplarischen Bilderbogen sei hier am durchaus genüge getan – für ein paar Ahs und Ohs sollte es reichen.
Schmucke Fensterplätze
Schellen-Ursli’s verwunschene Heimstatt
Behaglicher Charme – fast zu schön, um alltäglich zu sein
Nachschlag in Moll
Lavin
Nach dem oben gelegenen Guarda wechseln wir wieder zum Inn und zu der Bahnlinie hinunter. Wir finden wieder eine moderne bunte Interpretation wie schon zuvor in Scuol, aber auch ein altes Haus mit zwei Gesichtern – ein Doppelhaus in einem sozusagen, was auch häufiger vorkommt.
Susch
Den Schlusspunkt des Unterengadins setzt hier ein recht puristisches Sgraffitohaus mit den Elementarfarben Weiß und Grau, aber elegant in allen Elementen ausgeführt.
Auswahlschau aus dem Oberengadin
Der Bogen ins Oberengadin ist hier nicht lückenlos. Zernez bleibt ungesehen und ist dem Stil nach aber schon ähnlich wie Susch überwiegend mit funktionalen modernen Häusern bestückt. S-chanf bietet eine eher nur kleine Auswahl an Engadinerhäusern. Der Einstieg erfolgt hier also mit dem ersten Höhepunkt von Westen gesehen, wenngleich der Übergang ins Oberengadin von vier Seiten möglich wäre.
Zuoz
In Zuoz stoßen wir beim Hotel Crusch Alva auf den Schellen-Ursli mit gleich zwei Skulpturen. Den Hotelbau selbst zieren nicht nur ein Familienwappen, sondern gleich sämtliche Kantonswappen der Schweiz. Ein weiteres Haus mit gestaffelten Doppelerker und Holzrahmen.
La Punt-Chamues-ch
Der Doppelort zu beiden Seiten des Inns und direkt am Fuße der Auffahrt zum Albulapass ist bisweilen schnell durchfahren – die Durchgangsstraße verleitet dazu. Doch ist der Ort besser für die Pause geeignet als das benachbarte Bever. Es gibt ein Gourmetrestaurant mit Spezialitäten auf Arvenbasis und einige Preziosen des Engadinerhauses – besonders auf der Seite La Punt (linkes Innufer). Auffällig hier auch die Varianten an Sonnenuhren.
Samedan
Je näher man St. Moritz kommt, desto mehr weicht das Engadinerhaus einer modernen Bauweise, sowohl als Stein- wie auch Holzhaus, immer häufiger nach zeitgemäßen Niedrigenergiekonzepten. Celarina ist zwar noch ein charmanter Ort, aber schon ohne die Typik des Engadinerhauses. Fährt man schließlich nach St. Moritz, überwiegen massentaugliche Hochbauten an den Hängen, türmchenbestückte Chalets oder Hotelbauten gar im Belle-Époque-Stil. Ausgerechnet dem Hauptort des Oberengadins fehlt das Engadiner Herz ebenso wie dessen Ästhetik. Nur Samedan zeigt noch reduzierte Elemente des Engadinerhauses, teils auch mit weniger vertrauten Verzierungen und Formen. Viele Gebäude des Dienstleistungszentrums im Oberengadin sind allerdings bereits schmucklos funktional.
Pontresina
Im Vergleich zu St. Moritz verfügt Pontresina noch über viel Engadiner Charme, wenn auch protzige Bauten für den touristischen Geldadel, moderne Zweckbauten wie das Kongresszentrum und allfällige Sport- und Luxusshops das Bild vom unberührten Bergdorf eher zurückgedrängt haben. Wer der Dorfstraße aufmerksam folgt, macht jedoch noch ausreichend Entdeckungen von Engadinkultur. Auch moderne Bauten mit Luxuswohnungen tragen Sgraffiti, traditionell ist hingegen das Museum Alpin beheimatet.
Die Verbreitung des Engadinerhauses endet hier an der Kulisse höchster Berg- und Gletscherwelt und dem Revier des Steinbocks, der hin und wieder bis ins Dorf hinunterschaut.