Getxo Jazz – Groove zwischen Pintxos und Schwebefähre

Getxo sollte Etappenziel auf meiner Baskentour Euskal Herria 2018 werden, weil ich dort das renommierte Jazzfestivals mit dem Highlight Billy Hart Quartet mit Joshua Redman wartete – das einzige der drei großen Jazzfestivals im Baskenland, welches in meinen Zeitplan passte – San Sebastián und Vitoria-Gasteiz folgen später im Juli. Die Abensonne senkte sich schon bedenklich tief, noch ohne den Stadtrand in Sicht.

Aufatmen aber nach finalem Endspurt, da ich doch einige Zeit am Strand vertrödelt hatte. Mit geradezu schweizerischer Uhrenpräzision erreichte ich genau 20 Minuten vor Konzertbeginn den Ticketkiosk, anbei einem Hallenzelt, also nicht Open Air, sondern nur zu einer Seite offen. Die Festivalbühne ist zentral gelegen inmitten der Treffpunktmeile mit zahlreichen Pintxo-Bars umher, sodass vor oder auch mitternächtlich nach dem Konzert Genusshäppchen auf den hungrigen Radlermagen warten.

Die Konzertlocation lässt indes keinen Blick auf eine historische oder sonst beeindruckende Kulisse zu, da nahezu geschlossen in einer Halle gelegen. Der Stadtkern von Getxo liegt oberhalb der Bucht, senkt sich dann hinunter zu den Promenadenwegen des Stadteils Las Arenas mit noblen Bürgervillen aus der Belle-Époque-Zeit. Jenseits des mit Fahrstuhl erreichbaren letzten Stadtstrandes überspannt alsbald die Puente Colgante die Flussmündung an der Grenze zum Biskayameer. Die zum UNESCO-Weltkulturerbe erhobene auch sogenannte Puente de Vizcaya ist jedoch streng genommen keine Brücke, sondern eine Schwebefähre. Brücke ist sie trotzdem, denn für Schwindelfreie ist auch der Übergang in der Höehe zur anderen Uferseite nach Portugalete möglich. Noch Mutigere stürzen sich am Bungee-Seil bis knapp über die Wasseroberfläche hinunter.

Gemessen an einigen Locations vergangener Konzertevents, die ich auf Radreisen besucht habe, ist das Ambiente weniger romantisch angelegt, aber gut organisiert und weniger trubelig als etwa das vorjährige Nizza-Jazzfestival, was für mich wegen überambitionierter Ordner in einer kleineren Katastrophe endete. Das Fotografieren war diesmal kein Problem, wenn man mal von Eigenheiten der Musiker absieht, scheinbar emotionslos Skalen runterzuspielen oder sich hinter schwerem Instrumentengerät zu verstecken.

Billy Hart Quartet feat. Joshua Redman

So zu beschreiben der fast regungslos dreinblickende Pianist Ethan Iverson oder der in den Ansagen durchaus humorige Bandleader Billy Hart, der im Spiel kaum hinter den Becken und Trommeln sein Gesicht hervorheben konnte. Ungeachtet dessen war die Performance erste Sahne. Was Iverson, Hart und Bassist Ben Street an spielierischen und rhyhtmischen Delikatessen darreichten, vermochte der gefeaturte Tenorist Joshua Redman zu einem erdigen Jazzgericht weiter anzurühren, dass die Membranen der Hörmuscheln ebenso zischen und pulsieren ließ. Energetisch improviserten die vier in alle Ecken hinein, die der moderne Mainstreamjazz offen hält. Feinsinnige Harmonie- und Melodiebögen spannten sich zwischen die die ausgetüftelt dynamischen offbeat spirits – Bauch und Intellekt mitreißend verbunden. Ein nicht unerheblicher Teil des Konzerts ist online, leider in eher magerer Soundqualität: Billy Hart Quartet feat. Joshua Redman at Getxo Jazz Festival (36:22 min.).

Bilderband

Etwas zu wenig frische Ideen für einen mitreißenden dirty sound brachte die Vorgruppe Bilderband aus Mannheim, die an dem recht renommierten Nachwuchswettbewerb des Festivals teilnahm. Manche Free-Einlagen wirkten zu abgegriffen und berechnet. Sie spielten schöne Themen mit gelungenem Interplay, sehr hörenswert, aber dürfte da und dort etwas mehr modernen Pfiff haben, eine Spur zu konservativ – Potenzial ist vorhanden. Wie im Nachhinein erfahren, konnte sich Bilderband nicht unter den drei Siegerbands platzieren, vielleicht sahen es die Juroren ähnlich wie ich. Der Auftritt ist sogar komplett online: Bilderband at Getxo Jazz Festival (49:13 min.).

Infos: Jazz Getxo/Stadt Getxo