Giro d’Italia 2006-0: Eine große Italienreise mit Vulkanfeuer
Mit Fußballgöttern, Vogelgezwitscher und Brunnenwasser vom Bodensee zum Ätna
- 33 Tage | 15. Juni – 17. Juli 2006
- 3734 km | 113 km/Tag | 16,1 km/h
- 45481 Hm | 1378 Hm/d | 1218 Hm/100 km
Kurzübersicht der Reiseroute
Stuttgart || Lindau – Davos – Flüelapass – Zernez – Ofenpass – Umbrailpass – Bórmio – Passo di Gavia – Passo Campo Carlo Magno – Nago Torbole – Rovereto – Passo Pian delle Fugazze – Vicenza – Chiòggia – Ravenna – Galeata – Poppi – Bagno – Pieve Santo Stefano – Pennabilli – Carpegna – San Leo – San Marino – Urbino – Cantiano – Sassoferrato – Jesi – Ancona – Sirolo – Recanati – San Lorenzo al Lago – Múccia – Visso – Castelluccio – Arquata del Tronto – Nórcia – Preci – Serravalle – Leonessa – Arrone – Marmore – Rieti – Leonessa – Montereale – Póggio Cancelli – Fonte Cerreto/Campo Imperatore – Castél del Monte – San Demétrio – Molina – Pescina – Pescasséroli – Alfedena – Capriati – Letino – Bocca della Selva – Maddaloni – Sorrento – Amalfi – Salerno – Agrópoli – Ascea-Vélia – Sapri – Páola – Cosenza – Monte Donato – San Giovanni in Fiore – Cotronei – Crotone – Capo Rizzuto – Catanzaro Lido – Monasterace Marina – Serra San Bruno – Pizzo – Tropea – Nicótera – Palmi – Gambarie – Mélito di Porto Salvo – Réggio di Calábria – Villa San Giovanni || Messina – Giardini-Naxos – Francavilla – Zafferana – Rifugio Sapienza (Etna) – Nicolosi – Catania || Stuttgart
Leitpapiere
- Karten: 9 x Die Generalkarte 1:200 000 (Österreich/Italien, Schweizer Teil auf Austria-Karte vorhanden)
- Mini-Reisewörterbuch Italienisch (Langenscheidt)
- Spezielle Infos auf Kleinkopien (Webrecherchen)
- Mittelitalien (Reiseführer Michael Müller Verlag)
- Sizilien per Rad (Reiseführer Cyklos)
- Die zwei Küsten Sorrento Amalfi (Brunner & C.)
- Schweiz mit Liechtenstein (Reise Know-How)
- Broschüren italienischer Regionen direkt von der Touristikmesse Stuttgart
Das Tourkonzept
Giro d’Italia – das kann natürlich auch nur ein Ausschnitt des Landes sein. Schwerpunkt der Tour sollten der Apennin mit möglichst vielen reizvollen Passfahrten und eine attraktive Alpenüberquerung mit ein paar 2000ern sein. Nach Abwägen der Flugverbindungen fiel die Wahl auf Catania als Endziel (statt Lamézia Terme, Réggio di Calábria). Daraus entstand das Motto „Vom Bodensee zum Ätna“ (Route siehe weiße Linie, Etappenorte sind grün markiert). Besonders intensiv wollte ich die Regionen Marken (weil ja immer wieder als Radgeheimtipp und Alternative zur Toskana gehandelt), Abruzzen und Kalabrien berücksichtigen, Fixpunkte wurden schnell Passo di Gavia, Ravenna, San Marino, Riviera del Conero, Monti Sibillini, Cascata delle Marmore, Gran Sasso, Nationalpark Abruzzen, Amalfi-Küste, Monti Sila, Capo Rizzuto, Capo Vaticano, Aspromonte und Ätna-Schleife.
Drei Dinge prägten die Tour etwas überraschend: Dichte Wälder, stets verfügbares Brunnenwasser und munteres Vogelgezwitscher. Noch nie habe ich auf einer Tour soviel Vögel singen hören. Das ist auch den vielen wasserreichen Wäldern geschuldet. Zahllose Quellen aus dem Apennin speisen die Flussläufe, die von dichten Wäldern geschützt in den Oberläufen immer Kühle und Feuchte verbreiten. Ein Untertitel wie „Tour der Wälder“ wäre durchaus treffend. Die meisten Forste sind Laubwälder und überraschen immer wieder durch andere Grüntöne, ob in leuchtendem Gelbgrün oder fast lichtundurchlässigem Dunkelgrün.
Vegetation und Landschaften blieben bis zum Tourende faszinierend abwechslungsreich. Die Lage des apenninischen Gebirgszuges sorgt zudem immer wieder für Wolkenbildung und Regen, auch hinein in Hoch- und Spätsommer. Ausgetrocknete Flussläufe gibt es nur in den küstennahen Ebenen und dem offenen Hügelland, nicht aber in den Bergen. Die Temperaturen waren niedriger als erwartet, die Höhenwirkung (sinkende Temperaturen bei ansteigender Höhe) ist deutlicher ausgeprägt als in der Alpenregion. Die Gesamtwetterlage dieses Sommers und der lange Winter hatten zusätzliche Auswirkung auf ein teils empfindlich kühles Klimat in den Bergen. Bis auf ca. drei Stunden Zeitverlust durch ein Gewitter habe ich jedoch keine witterungsbedingten Ausfälle zu beklagen.
Das konnte jedoch nicht verhindern, dass ich auch phasenweise neue Schweißrekorde erzielte. Küstenstreifen, Hochplateaus und einige Passauffahrten sind gleichwohl recht offen der Sonne ausgesetzt. So stand überraschende Kühle oft dicht neben drückender Hitze.
Leistungsbilanzen
Gleichzeitig sollte diese Radreise die vielleicht sportlichste werden, die ich unter den mehrwöchigen Touren absolviert habe. Das lässt sich natürlich nicht ganz genau belegen, ist aber anhand der vorliegenden Daten und dem subjektiven Empfinden naheliegend. Nicht selten klemmte ich abends noch eine Reststrecke bis in die Dämmerung oder weit in die Dunkelheit hinein, obwohl ich schon an einem attraktiven Übernachtungsort stand.
Die topografische Schwierigkeit war im Durchschnitt sicherlich nicht so prominent wie die vieler anderer meiner Bergtouren, in Einzelteilen aber wiederum doch extrem anspruchsvoll. Dazu kam eine doch recht hohe Durchschnittsgeschwindigkeit. Das war wohl auch deswegen möglich, weil ich mit dem neuen Velotraum-Rad mit Alurahmen noch einmal drei Kilogramm gegenüber meinem alten Stahl-Randonneur von Nishiki eingespart hatte. Der Wechsel von der 28er-Felge auf die 26-Zoll-Größe bei gleichzeitig breiterem Reifen erledigte sich ohne sportliche Einbußen. Im Anstieg dürfte der breitere Lenker und die besserer Sitzhaltung des neuen, individuell angepassten Velos einen weiteren Vorteil ausgespielt haben.
Im Land der Fußballgötter
Eine weiteres Ereignis drängte immer wieder schwärmerische und enthemmte Feierlaune des ohnehin schon bekannt lauten Klischee-Italieners in mein ansonsten doch eher ruhiges Tourerleben: Wähnte ich mich auf sicherer Flucht vor dem Überschwang aus dem germanischen Balltreterland im sogenannten Fußballmärchen, schlug mir mindestens ebenbürtige Fußballnarretei entgegen. Und hielt sich längst möglich bis weit nach Kalabrien an, denn Italien krönte sich zum Weltmeister. Mancherorten stieß mein Desinteresse auf ungläubiges Staunen. Andernorts ignorierte man es gar und zwang mich dazu, der Kickerei beizuwohnen bis hin zur Mitleidsbekundung an den unterlegenen Germanen gegenüber der Squadra Azzurra.
Anmerkungen:
Die Fotos stammen von einer einfachen kompakten Analogkamera, die nur wenige Einstellunsgmöglichkeiten in Sachen Belichtung und Zoom erlaubte. Auch konnte ich ausgwählte Fotos nur mit magerer Qualität eingescannen. Sie geben aber authentische Augenblicke wieder und mögen als historisches Bildmaterial verstanden sein. Einige Bilder sind retrospektiv oder stilisiert arrangiert.
Der Bericht entspricht weitgehend einer ausführlichen Vorlage, die ich unmittelbar nach der Reise 2006 schrieb. Dieser Text reicht aber nur bis Pescasséroli in den Abruzzen. Der Rest im Süden basiert hingegen auf später niedergelegten Kurzberichten, in die nicht mehr alle Erinnerungen der Reise einfließen konnten. Entsprechend gerafft sind die vier letzten Kapitel.
Die Reise ist gewiss schon historisch, verschiedene berichtete Daten dürften veraltet sein. Vieles ändert sich aber erstaunlich wenig, wenn man den Lauf der Zeit beobachtet. Pedalgeist würde sich darüber freuen zu erfahren, ob sich an Orten dieser Reise Dinge entscheidend verändert haben. Nicht weniger interessant ist es zu hören, wenn Lokalitäten wie z. B. Unterkünfte oder Restaurants immer noch so sind, wie ich sie vorgefunden habe. Gib gerne dazu einen Kommentar, wenn du in den Orten und Regionen gewesen bist, insbesondere im Stiefel südlich der Po-Ebene.
Kapitelübersicht
Giro d’Italia 2006-1: Die anspruchvolle Alpenquerung
[Lindau – Vicenza]
Millionärsdorf in den Bergen, Steinböcke, Kurvenrausch & Felskapelle
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Giro d’Italia 2006-2: Das flache Intermezzo an Po und Adria
[Vicenza – Ravenna]
Baukunst, Kanäle, Lagunen und Pause am Sandstrand
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Giro d’Italia 2006-3: Von der Adria der Emiglia-Romagna zur Adria der Marken
[Ravenna – Sirolo]
Dichte Wälder, erhabene Felsenstädte, Ministaat mit Demokratiegeschichte und Schluchtpassagen
–
Giro d’Italia 2006-4: Der umbrisch-markesische Apennin mit den Monti Sibillini
[Sirolo – Albaneto]
Dichter, Sagen, Trüffel, Blumenteppiche, romantischer Wasserfall und erschütterte Erde
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Giro d’Italia 2006-5: Die versteckten Bergwelten der Abruzzen und Monti del Matese
[Albaneto – Telese Terme]
Schöne Kargheit, alpine Gletschergefühle, ungehörtes Wolfsgeheul und einsame Bergwälder
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Giro d’Italia 2006-6: Die großen Meeresbuchten im Schatten des Vesuvs
[Telese Terme – Acciaroli]
Mafiöse Müllberge, Traum unter Zitronen, Mega-Keramik und eine Fußballschlacht
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Giro d’Italia 2006-7: Tirreno-Adriatico via Cilento und die Sila
[Acciaroli – Capo di Rizzuto]
Felsige Meeresbuchten, mystische Wälder, am Ende der Welt und ein vergessener Gast
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Giro d’Italia 2006-8: Das südliche Kalabrien mit Aspromonte
[Capo Rizzuto – Villa San Giovanni]
Verlassene Strände, rote Zwiebeln, griechische Adlernester und Riesenmelonen
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Giro d’Italia 2006-9: Das feurige sizilianische Finale
[Villa San Giovanni – Catania]
Umwerfende Gastfreundschaft und die zwiespältige Lavaglut des Ätna
–