TdF-2022-0
Alles fließt in die Rhone
Schönheitsfehler im Genießerparadies
So wie der Sommer intensiv war, so auch das Frankreich, das ich aufgesaugt habe. Der Wandel in den letzten beiden Dekaden samt der Irrungen und Wirrungen der aktuellen wirtschaftlichen und politischen Krisen hat das Frankreich meiner ersten Stunden – mit Radreisen vor 15-20 Jahren, andere Reisen noch früher bis in die 1980er Jahre zurück –, doch merklich verändert. Den negativen Impetus mancher Veränderung kann ich nicht übersehen, obwohl ich keine nostalgische Verklärung französischer Klischees pflege.
Allem voran erlebte ich erstmals den Wechsel von der Saisonzeit in die Hochsaison mit dem Beginn der Ferien und darauf die Explosion der Autos in den auch noch so versteckten Bergstraßen. Die Skiresorts, früher teils im Sommer kaum besucht und fast verlassen, gewinnen immer mehr touristische Bedeutung mit entsprechenden Funsportangeboten und Unterkünften. Die Regionen am Meer sind ausgeschöpft und als Feriendomizil im Vergleich zunehmend unerschwinglich teuer. Der Aus- und Neubau von Luxusapartments scheint damit in den Bergen verstärkt lohnend, so sind die Bautätigkeiten zu deuten. An alten Bausünden fallen mittlerweile arge Zeitspuren auf und sind dennoch gut besucht. Immobilienbüros sind ähnlich zahlreich wie MTB-Verleiher (Intersport, Sport 2000) in den Bergorten und mehr als Bäckereien zu finden. Das alles zieht einen Versorgungsrattenschwanz nach sich, der entsprechenden Autoverkehr verursacht – von Energiepreiskrise wegen Ukrainekrieg keine Spur (die Kraftstoffpreise wurden in Frankreich politisch verordnet mehr und konsequenter gedeckelt als in Deutschland).
Noch verrückter erscheint der Kontrast in diesem Sommer, wenn Brunnen und Wasserstellen selbst für Trinkwasser abgestellt wurden aufgrund der anhaltenden Trockenheit (entsprechende Verordnungen mit weiteren Einschränkungen der Departments waren in allen Orten als Aushang zu finden). Indes erfreut sich das Auto als wesentlicher Mitverursacher des beschleunigten klimatischen Wandels unreglementiert und subventioniert großer, fast manischer Beliebtheit. Flächen für Straßen und Plätze machten mich zugleich betroffen wie zornig, mancherorten sind die pittoresken Ortsbilder nahezu verschandelt und Naturflächen für „Naturbesucher“ veröden als planierte Friedhöfe für mobiles Blech. Das tut nicht nur dem Auge weh, sondern zeigt sichtbar das fehlende Verständnis für die Mitverursacher des Trockenklimas. Wasser abstellen ist letztlich nur eine Symptombekämpfung, die Ursachen müssen mehr in den Blick gerückt werden.
Ich traf zahlreiche Menschen, die von der Notwendigkeit eines veränderten Verhaltens sprachen, um der Klimaentwicklung entgegenzuwirken. Indes sah ich dabei wenig Anzeichen eines Willens, das auch selber zu tun. Immerhin scheint mir die Anzahl der E-Autos in Frankreich eher höher als in Deutschland, wurde ich doch häufig von den Leiseschleichern überholt. Dass die E-Autos die Klimakrise nicht lösen werden, wenn man nur 1:1 die alten Verbrenner ersetzt, ist indes Teil der vielen Illusionen pseudoökologischer Verklärung. Die wachsende Flächenversiegelung wird auch dann nicht halt machen, wenn die Antriebstechniken wechseln.
Gleichzeitig macht das den Verbrenner nicht charmanter, wie es mittlerweile unbelehrbaren Verfechter einer veralteten Technologie verharmlosend glaubend machen wollen. Es scheint manchmal, als denken die Leute, die Veränderung müsse irgendwo von einem gütigen Himmel fallen oder ließe sich mit einer Kerze in einer der vielen auffällig intakten Lourdes-Grotten als Wunder bewirken (derer eine mir immerhin längeren Regenschutz gewährte). Mich dünkt doch, dass es eine überwiegende Mehrheit gibt, die nach dem Motto lebt „wir haben nicht verstanden“ und Gerede über Klimakrise immer noch für eine Sache von Ökofundis hält. Das ist aber sicherlich keine spezifische Erkenntnis aus Frankreich, sondern Teil einer globalen Erkenntnisverweigerung einer zunehmend verirrten Wachstumsideologie, die wie ein Käfig die Köpfe für Alternativen vergittert.
Essen und Trinken – Alles nur Käse?
Auch Geld scheint mehr im Umlauf zu sein als man in Inflationszeiten erwarten würde. Hohe Preise für Lebensmittel und Essen werden erstaunlich gelassen angenommen, wenngleich ich nicht die Armen der größeren Städte zu sehen bekam. Die Bergwelt ist auf ihre Art auch ein Stück exklusiv. Die Supermarktpreise selbst identischer Betreiberketten steigen mit der Höhenlage, zugleich nimmt das Sortimentsangebot und die Qualität von Frischeprodukten (Obst, Gemüse) stärker ab als man es in Frankreich erwarten würde. Regionalprodukte sind zwar hochwertig und werden stark beworben, erreichen aber immer häufiger gehobene Exklusivpreise. Andersherum finden sich immer mal wieder kleinere, umherziehende Straßenhändler und Kleinmärkte, wo zu günstigen Preisen verkauft wird. In größeren Städten werden Märkte von Einwandergruppen teils mit Billigwaren zuweilen separat von den Hauptmärkten abgehalten.
Zu den exklusivsten Nahrungsprodukten gehören zweifelsohne die Juraweine. Wir müssen hier unterschieden zwischen zwei Weinregionen, die im Jura ganz oder teilweise liegen und höchst unterschiedlich bewertet werden. Die Weinregion mit der Herkunftsbezeichnung Vin de Savoie umfasst mehrere kleinere Weinbaugebiete, die sowohl in Alpenrandlagen als auch im südlichen Jura zu finden sind. Auch reichen diese sehr verteilten Gebiete bis in die Nachbardepartments von Savoie und Haute-Savoie hinaus – also nach Isère und Ain. Das Chablais am Genfersee greift dabei in den Alpenraum, andere Anbaugebiete im Bugey oder dem Mont du Chat gruppieren sich um die südliche Juraregionen um die Rhone und des Lac du Bourget. Hier haben wir es eher mit normalen Weinen verschiedener Traubensorten zu tun.
Die eigentlichen Exklusivweine stammen aus der oben bereits beschriebenen Weinbauregion mit allgemeinen Bezeichnung Côtes du Jura (Haute Seille). Sind darunter schon charaktervolle Rot- und Weißweine zu finden, stechen Vin Jaune und Vin Paille als süße, hochprozentige Weine mit besonderen Herstellungsverfahren hervor (weitere Sorten siehe auch Weintafel im Bilderblock). Grundlage sind vorgetrocknete Trauben, aus denen dann die Weine gekeltert und bei Verlust weiterer Feuchte gegärt werden, sodass konzentrierte Strohweine („gelber Wein“) entstehen. Sie werden passend zu ihrer höheren Konzentration in kleineren und jeweils charakteristischen Flaschen verkauft (062 l bzw. 0,375 l). Als Traube spielt die alte, schwierig kultivierbare und eher wenig ertragreiche Rebsorte Savagnin blanc eine zentrale Rolle. Die Preise liegen grundsätzlich bei über 20 € und jenseits meines Budgets. Das Maximum, was ich mir leisten wollte, war zweimal ein Pinot Noir des Côtes du Jura. Halbe Flaschen gibt es davon ab rund 7 € und bleiben im Ausschank auch noch leistbar.
Es würde hier zu weit führen, alle regionalen Spezialitäten aufzuführen. Ich möchte mich auf eher neue Beobachtungen und mir erstmals zu Munde geführte Produkte beschränken. Regionalen Honig empfand ich grundlegend sehr teuer. Schmackhafte Produkte aus Kastanien gibt es vor allem in den Montagnes de l’Ardèche – besonders überzeugte mich ein Brotaufstrich, verfeinert mit Bitterschokolade, den ich in Lalouvesc erwarb. Walnüsse gab es ebenfalls als erfrischende Brotaufstriche, sogar aus der grünen äußeren Nussschale hergestellt – von einem Produzenten in St-Jean-en-Royans im Vercors. Im Zentralmassiv, in einer kleinen Randecke des Haute-Loire, präsentierte sich St-Bonnet-le-Froid in fast weltvergessener Provinz als Gourmetort, der tatsächlich erstaunlich viele Leute anlockt. Die Grundlage bilden die pilz- und beerenreichen Wälder der Umgebung. Morcheln & Co. finden so auch Eingang in das lokale Kunsthandwerk, wie der erworbene Salz- oder Pfefferstreuer belegen mag.
Von hier führt gleich die Brücke zu den Bieren. Eigentlich ist das Elsass als einzig veritable französische Bierregion bekannt, jedoch genießen immer mehr regionale Bierspezialitäten einen gehobenen Ruf und sind dabei gar nicht billig. Man ist sich in Frankreich auch nicht sicher, in welcher Größe man Bier servieren und abfüllen soll. Entsprechend gibt es Bier eher selten als halben Liter, sondern eher als Viertel, als 0,33-cl-Flasche oder gleich in Weinflaschengröße von 0,75 l. Im Gegensatz zu klassischen deutschen Bieren finden sich in den Craftbeers kreative Gewürz- und Aromenzugaben. Dabei ist sicherlich nicht alles gelungen, aber ich verkostete doch mehrheitlich sehr schmackhafte Brauprodukte. Gleich in St-Bonnet erwarb ich ein apartes Bier aus der Auvergne. Die Hopfen- und Malznoten geben oft die Grundwürze vor. Aus Gletscherwasser gibt es gleich mindestens zwei Bierproduzenten (Brasserie des Cimes, Brasserie Mont-Blanc), die mit hochwertigen Bieren aufwarten. Die rötlichen, besonders malzhaltigen und mit Mandelnote verfeinerten Rousse-Typen fand ich besonders überzeugend, das „blonde“ Bière Aiguille Blanche der Brasserie des Cimes mit Koriander- und Curaçao-Note wurde mit zahlreichen nationalen und internationalen Bierpreisen ausgezeichnet. An einer Heidelbeernote im Bier fand ich hingegen keinen Gefallen, obwohl ich Heidelbeere sonst sehr schätze.
Ein Genussmittel, dass für den Savoyer Alpenraum sowohl in Italien als auch in Frankeich steht, möchte ich hier als Ode an die Pflanzenwelt der mir so geliebten Hochalpen noch erwähnen. Der Kräuterlikör Génépi aus der Ährigen Edelraute, die exklusiv auf einer Mindesthöhe 1600 m wachsen muss, um als alkoholisches Extrakt in eine Flasche zu gelangen, weckt schon namentlich den Verdacht eines Luxusprodukts. Doch ist hier der Luxus auch alpines Volkstum, auch wenn es kostet. Génépi wird oft mit um die 40 % Alkoholgehalt verkauft, jedoch reichen manche Sorten auch auf 60 % und mehr. Von besonders erlesener Qualität ist der Génépi Noir, dessen dunkle Färbung sich optisch von den preiswerteren weißen Sorten unterscheidet und auch entsprechend charaktervoll schmeckt. Welche Handarbeit hinter den Produkten steckt, konnte ich im Maison M in Valmorel bewundern, wo zwei junge Starupper sich auf eigen kreierte Destillerieprodukte abseits des Mainstreams und von hoher Qualität konzentrieren.
Spreche ich noch etwas über das Gegenteil, die Billigware. Deutsche Discounterketten haben sich mittelreile stärker positioniert, Lidl wohl mehr als Aldi. Sie fallen mit Kampfpreisen auf, verbleiben aber anders als in Deutschland in dichter besiedelten Regionen bzw. größeren Orten. Das Problem von Preisen und unzureichendem Einkommen ist natürlich recht komplex, wenn man Konsumenten, Erzeuger und Qualitäten auf verschiedenen Ebenen betrachtet. Ich versuchte dies u. a. mit einem Imker auf einem Markt in Alpe d’Huez zu diskutieren, der auch häufiger seine Honigprodukte auf süddeutschen Märkten im Rahmen eines Austauschprogramms verkauft. Freilich blieb das Dilemma eine weiterhin offene Frage.
Käse darf man noch immer zu den besten Preis-Leistungs-Produkten zählen, wenngleich lokale Schnäppchen seltener werden. Die Vermarktung der Topnamen lockt schon eine touristische Shoppingklientel an, die internationale Preisgestaltungen befördern. So hat sich etwa in Beaufort der Kult um den exklusiven Bergkäse gegenüber meinen Besuchen in den 00er Jahren deutlich verstärkt, der Verkehr ist für den kleinen Bergort kaum noch zu bewältigen. Immer mehr Molkereien setzen auf Biokäse und andere Bioprodukte, was die Preise auch erhöht. Der Mehrwert erschließt sich bei der allgemein französischen Qualität herkunftsgeschützter Sortenvielfalt nicht wirklich. Während die Direktvermarktung über die lokalen Kooperativen und Molkereien offenbar auf eine stabile Stammklientel zählen können, beobachtete ich in St-Symphorien-en-Coise eine extrem Zurückhaltung auf dem lokalen Markt, derweil zwei große Käsehändler während meines längeren Frühstücks kaum besucht wurden. Die ländliche Vielfalt und Qualität steht hier der wirtschaftlichen Krise sichtbar kritisch gegenüber.
Das Genießerparadies zeigte manchmal ganz profane Mängel. Nicht zuletzt stieß ich trotz der gut besuchten Ecken in den Nischen auch immer wieder auf recht derbe Versorgungslücken, die mich bis zu zwei Tage ohne Möglichkeit vom Nachschub für den Proviantbeutel abschnitten. Das waren dann nicht nur fehlende Geschäfte, sondern auch die häufig bescheidenen Öffnungszeiten – fermé, complet, terminé gehören eben zu den meist gebrauchten Wörtern im Französischen wie pain und vin. Die Aussicht, dass sich dieses Problem eher noch zuspitzen werden, macht nicht gerade hoffnungsfroh. Dem besorgten Leser sei aber versichert: Ich musste nie hungern und kam sogar zu einer Vielzahl lukullischer Genüsse. Sicherlich sorgte meine eigene Einkommenssituation dafür, dass ich mancher Verführung auch entsagen musste. Genuss, ich deutete es bereits an, ist eben auch eine Frage von Luxus und schnödem Mammon. Wer hat, der kann, der darf.
Schlafen on the road
Sowohl meine spontanen Etappenenden als auch mein Budget haben mich in den letzten Jahren zu immer mehr Wildcamping gezwungen. Dabei finde ich manch abenteuerliche Orte, die ihre eigenen Geschichten entwickeln. Leider hat mein neues, eigentlich recht gut durchdachtes Zelt (Ferrino Trivor) sehr schnell Materialschwächen gezeigt. Mehrere kleine undichte Stellen in der sichtbar unsteten Textilstruktur machen die Plane nahezu irreparabel. Dank der Sommerwitterung war das keine entscheidendes Problem. Kam es zu Starkregen und heftigen Gewittern, war ich eh gezwungen, Alternativen unter Dächern oder anderen geschützten Orten meist ohne Zelt zu finden. Da war schon mal eine Höhle dabei, der Nutzraum eines Campings, eine halboffene Boulehalle oder als abenteuerlichste Nacht unter einem Hausbogen mitten in einem Ort auf der Straße, wo in nur 15 cm Nähe das Wasser der Gewitternacht an der Schlafmatte vorbeirann – also ein echtes Clochard-Erlebnis.
Die kürzeste Nacht suchte ich einer gerade noch passendem Bushaltehäuschen, um dem Gewitterguss auf einer Abfahrt zu entgehen, bevor ich ganz nass geschüttelt worden wäre. Zunächst wirkte die Ecke ganz passabel. Kaum aber hingelegt, griffen taktisch geschulte Stechmücken mich so an, dass ich selbst mit nahezu komplett abgeschirmtem Gesicht immer noch gestochen wurde, von den surrenden Motorengeräuschen der Moskitos ganz zu schweigen. Ich musste den Ort mitten in schlafender Nacht verlassen, nachdem der Regen weitgehend abgeebbt war. Bis ich dem Basisort einen Platz gefunden hatte, steckten die Bäcker ihre Baguettes schon in die Warenauslage. Auch ein Hund zwang mich mal in der Nacht, mein Fahrt früher abzubrechen, da eine Hofdurchfahrt zu riskant war und die verantwortlichen Bauern noch auf den Feldern mit Traktoren arbeiteten.
Auf einer solchen Tour überwiegen jedoch die besonderen Momente, manchmal gar Traumplätze, die kein Camping bereitstellen könnte. Diesmal thronte ich mehrfach nahe an Abbruchkanten von steilen Felswänden, Erlebnisse zwischen ein wenig Nervenkitzel und Traumsichten. Einige Male schlief ich gar über 2000 m hoch, einmal diente dazu die Zeltweise des Refug la Glière, die einzige Möglichkeit, erlaubterweise im Nationalpark Vanoise zu zelten (kleine Gebühr, ein Bier bekam ich noch gratis). An einem der schönsten solcher Plätze erlebte ich aber auch ein kleines Desaster, nachdem sich ein verdorbenes Lebensmittel meiner Körperkräfte beraubte und ich mich über alle Körperöffnungen grauenvoll entleeren musste. Ganz ohne Wasserquelle ist eine solche Situation nochmal härter. Ich brauchte einen halben Tag, um überhaupt meine Sachen zu packen. Völlig entkräftet fuhr ich die letzten Kilometer zum Col du Berthiand auf. Zwischenzeitlich am Straßenrand kauernd, bemerkte mich eine zufällig vorbeifahrende Ambulanz, die etwas in Sorge um mich war. Ich erhielt als Zugabe für meine nahezu leeren Wasserflaschen etwas Zitronenlimonade. Diese wirkte fast wundersam wie ein Dopingmittel. An dem Tag schaffte ich noch einen weiteren Pass und mit mildem Apfelmus und Joghurts gewann ich überraschend schnell wieder normale Kräfte am nächsten Tag. Später auf der Tour, als ich mal wieder schwächelte, kaufte ich mir Zitronenlimonade. Die belebende Wirkung blieb aber aus. Die Wunderdinge wirken eben nur in den besonderen Momenten – eben weil es Wunder sind.
Eine glückliche Fügung, vergleichbar mit einer Situation in Solothurn auf meiner vorjährigen Radreise durch die Schweiz, ergab sich in Tarare, einer Kultur-, Gewerbe- und Pendlerstadt im nahen Hinterland von Lyon. Das Wort Wunder habe ich ja schon überstrapaziert – also sprechen wir mal von außerplanetarer Steuerung der Weltgeschicke. Schon auf der Passabfahrt geriet ich in heftigen Regen. In der Stadt verdüsterte sich der Himmel weiter, die Nacht dunkler als Nacht. Ich hatte mich noch im Supermarkt versorgt, doch kaum eine Perspektive für ein Picknick. Die Gewitterfronten zogen sich weiter polternd und schüttend über dem Ort zur Sintflut zusammen. Als ich stehend mein Abendessen unter einem Markthallendach einnahm und das verwehte Wasser über zwei Meter unter die abgeschirmten Bereiche spritzte, hielt plötzlich ein Auto und der Fahrer fragte mich, ob ich einen Platz für die Nacht suche. Er häbe mich von der Gegenseite aus seiner Wohnung raus beobachtet und sei auch Radfahrer, kenne solche Probleme. Er bot mir an, mich zu seinen Eltern zu geleiten, die auch Warmshowers-Gastgeber seien (ich selber aber nicht Mitglied). Bei noch immer strömenden, nur leicht abgeflauten Regen folge ich dem Auto, eine kleine Rampe hinauf. Françoise und Francis empfangen mich freundlich in ihrem ruhig zur Stadt, leicht bergig abgelegenen Haus. Der Fotograf mit zweitem Standbein als Schreiner und seine Frau sind gleichwohl radbegeistert und planen eine längere Radreise in den nächsten Jahren. So komme ich auf der Reise doch noch zu einem echten Bett mit Dusche und Frühstück. Es regnete Katzen und Hunde bis in die frühen Morgenstunden. Passender hätte kaum eine Hilfe kommen können. Ein Glas selbstgemachte Feigenmarmelade erhalte ich noch aus Françoise’s Händen für meinen Proviant. So sind eben auch immer wieder wilde Radreisen. Danke, Françoise! Danke, Francis! (… und dem Sohn, ich habe seine Namen vergessen…)