ALB-2019-06Sommerfrische Lautersphäre und Larifari
Das Große Lautertal mit einer Prise Allgäu feat. Eschacher Weiher
3 Tage | 266 km | 2485 Hm
Der Track ist am PC nachträglich erstellt. Geringe Abweichungen von der Fahrlinie sind möglich.
Der heiße 2019er-Sommer hatte Ende Juni bereits deutlich Fahrt aufgenommen. Da lockte auch dieses Wochenende zu erfrischendem Fahrtwind und kühlenden Gewässern. Die Alb scheint da zunächst nicht verdächtig, gilt sie ja als wasserarm. Doch das ist eine statistische Größe. Etliche erfrischende Täler durchziehen die Albhochflächen und haben sich bisweilen tief in den Kalk eingegraben und in schattigen Wäldern versteckt. Einige Fließgewässer mäandern hingegen ganz offen verträumt als stiller Fließpool – so wie das immer wieder gerne besuchte Große Lautertal zwischen Münsinger Alb und östlichen Oberem Donautal.
Namenswirrwarr: Es ist nicht die einzige Lauter der Alb, aber die größte und bekannteste. Gleich fünf Flüsse mit dem Namen des „klaren Wassers“ entwässern Teile der Alb. Gleichwohl ist der althochdeutsche Name noch weiter in Süd- und Mitteldeutschland verbreitet.
Drängelten sich vorhergehende, aber auch kommende Touren immer wieder um diese Flussperle der Alb mit mal kleineren, mal größeren Teilabschnitten, so führte diese Tour durchgehend von der offiziell erklärten Quelle in Offenhausen bis zur Mündung bei Lauterach bzw. Obermarchtal in die Donau. Die so auch eher leichte Tour im Kernbereich der Alb geizte indes nicht mit abwechslungsreichen Entdeckungen und lieblichen Stimmungen. Die Tour ging schließlich nicht organisch durch und ausschließlich über die Alb, sondern mit einem kleinen Bahn-Sprung zur Iller und ins Allgäu mit dem von mir immer auch wieder gerne angesteuerten Bergsee Eschacher Weiher zwischen dem bayerischen Kempten und dem württembergischen Leutkirch.
Angetrieben: Sportlich erklommen die Sportgaststätte mit Cognac-Pasta
Fr 28.6. Stuttgart – Echterdingen – Steinenbronn – Waldenbuch – Dettenhausen – Pfrondorf – Kirchentellinsfurt – Reutlingen – Pfullendorf – via Bahntrassenradweg – Lichtenstein-Unterhausen – Sportgelände Berg Unterhausen
62 km | 910 Hm
Überbrückt man in Reutlingen noch großstädtische Verkehrsachsen, kündigt sich schon in den Außenbezirken Albstille an. Der Bahntrassenradweg bei Pfullingen erlaubt verkehrsfernes radeln, die Kirschbäume blühen jetzt nicht mehr, dafür Sommergrün der Laubbaldachin.
Im Lichtensteiner Ortsteil Unterhausen muss ich dann schon eine schwierige Entscheidung treffen, denn der recht kantige Anstieg über die Holzelfinger Steige würde mir kaum noch erlauben ein Essen zu erhalten, zumal in Holzelfingen selbst ich keine Gaststätte erwarten darf. Da ist eben schon Albruhe und nur noch spärliche Infrastruktur. Im Idealfall hatte ich mir ausgemalt, die vielversprechende Gaststätte des Kohlstetter Bahnhofs mal zum Abend zu erreichen. Das ist jedoch heute mal wieder zu weit weg, wenn man zuvor am Badesee trödelt.
Der Kompromiss des Abends versteckt sich abseits der Holzelfinger Steige mit einer Zufahrt zur Sportgaststätte „Pizzeria/Ristorante bei Nino“, nebst Fußballplatz und noch weiterer Sportanlagen. Der Ort liegt wie eine Terrasse unter der Albhochfläche, aber schon deutlich über den Talsohlen von Echaz und Holzelfingerbach. So entlegen der Ort, so überraschend der Betrieb: Die Außenbewirtung ist in festen Händen eines Festes eines Sportvereins – ich muss im aufgeheizten Innenraum speisen. Also bestelle ich doch lieber Bier als Wein. Der Italiener bereitet mir Tagliatelle „Alla Romana“ mit Peperoni und Cognac in Sahnesauce zu, umrahmt von Bruschetta und Tiramisu. Das stimmt mich glücklich und verdrängt die letzten lebensfernen virtuellen Flausen der Woche. Fürs Zelt gibts unterhalb eine überraschend große Wiese.
Sa 29.6. Sportgelände Berg Unterhausen – Holzelfingen – Kohlstetten – Offenhausen – (meist via Lautertalradweg bis Donau) – Gomadingen – Dapfen – Buttenhausen – Anhausen – Unterwilzingen – Lauterach – Untermarchtal – via Feldwege – Deppenhausen – via Bundesstraße – Ehingen || per Bahn || Senden – Vöhringen – Bellenberg – Au – Dietenheim – Kirchberg – Erolzheim – Berkheim – Illerbachen-Haldau
109 km | 500 Hm
Wunderbar: So lauter Lauter-Stimmungen verzücken
Zwar habe ich schon am Vorabend ordentlich Höhe gewonnen, durch den Stich zum Sportplatz verliere ich aber auch wieder Höhenmeter, von der Holzelfinger Steige steht noch mehr als die Hälfte aus. Zur Höhe biegt sich die Albhochfläche durch Wald und Lichtungen über manch zähe Zwischenhöhe, bis es flott nach Kohlstetten hinuntergeht.
Einen besonderen Verweilort bildet Gestüt, Klostergarten und Lauterquelle in Offenhausen. Der Karstquelltopf spendet eine große Kelle Wasser, wenngleich das Trockental noch weit höher führt und die eigentliche Wasserscheide von Lauter und Echaz weit entfernt am Albtrauf bei Engstingen liegt. Neben dem Quellidyll finden Pferdefreunde auch Gestütsmuseum. Das Pendant zum Offenhauser Gestüt wartet einige Kilometer unterhalb als Marbacher Gestüt, dem zahlreiche prämierte Sportpferde entstammen.
Die Staun- und Frohmomente folgen nun in kurzen Abständen. Immer wieder fordert das Tal den Betrachter auf, sich Zeit zu nehmen, sich in Gedanken und Träumereien zu verlieren. Mit neun sogenannten Lauterzeichen erfährt der Besucher auf Infotafeln mit silberner Forellenskulptur viel Hintergründiges zu Natur und Kultur an der Lauter und zum Biosphärenreservat Schwäbische Alb. Die Themen titeln selbstredend, was den Weg durchs Tal so herausnehmend sehen, fühlen und wissen lässt:
- Lauter-Ursprung
- Lauter-Mühlen
- Lauter-Wasser
- Lauter-Sphäre
- Lauter-Burgen
- Lauter-Leute
- Lauter-Geschichte
- Lauter-Grenzen
- Lautermündung
Zwischen 1837 und 1945 fand im Frühjahr in Wasserstetten die Schafswäsche statt. Bis zu 20.000 Schafen nicht nur aus dem Kreis Münsingen, sondern auch aus der Pfalz und dem Bayerischen wurden in einem mehrtägigem Prozedere das Fell gesäubert und getrocknet. Für die Albbauern galt die Schafswäsche als willkommenes Zubrot zum geringen Einkommen aus der Landarbeit.
An der Radwegstrecke warten zahlreiche verwunschene Picknickgelegenheiten, auch mit kleine Badeplätze und Liegewiesen. In Bichishausen gibt es auch eine Radservicestation zur Selbstbedienung.
Weil das Wasser in den Kalkböden der Albhochflächen leicht versickert, mussten die Bewohner in Trockenzeiten an Wasserstellen der tiefer liegenden Gewässer ihren Bedarf abfüllen. So etwa schöpften die Bewohner von Münzdorf an dieser Stelle Wasser, bis 1878 die Albwasserversorgung Leitungen auf der Alb verlegte.
Je weiter nach Süden, desto typischer treten Merkmale des Oberen Donautals mit Kalkfelsen, Felstoren oder Biberauen hervor. Im Unterlauf der Lauter erhält der Radler (und Wanderer) ab Anhausen Exklusivrecht: Der Radweg verläuft auf guter Piste ohne Straßenbegleitung durch die naturbelassenen, seichten Auen des Tals. Ganz unten südlich von Lauterach muss sogar der Radler dann etwas abweichen, da die sumpfige Vegetation der Mündung keinen unmittelbaren Zugang erlaubt.
Das Pfründerhaus bezeichnete auf der Alb einen Altersruhesitz für Bauern, die aus Altersgründen Hof und Arbeit an ihre Kinder abgetreten hatten. Dieses historische Haus in Indelhausen kann heute als Ferienhaus gemietet werden.
Generell: Nicht nur im unteren Bereich, sondern auch im mittleren Bereich sind längst nicht alle Teile des Radwegs asphaltiert. Meistens ist die Wegqualität aber sehr gut. Mal grobschottriger, findet sich auch schnell der Weg zurück zur Straße. Für manche Fotoperspektive empfehle ich auch, immer mal die Seite zu wechseln. Manche Burgruine oder Felsenkollektion bleibt sonst im steilen Blickwinkel ungesehen.
Gefaulenzt: Mit Larifari zum Larifari radeln
An der Donau ist es brütend heiß, ich fühle mich etwas larifari. Gute Badegelegenheiten sehe ich nicht voraus. So beschließe ich möglichst schnell eine Bahnabkürzung durch Ulm zum Baggersee bei Senden einzubauen.
Ich mühe mich zunächst etwas ineffizient über rumpelige Feldwege, sodass ich mich etwas wie ein Depp fühle. Passend wechsle ich in Deppenhausen für ein flottes Fortkommen auf die Bundesstraße. Da ich den gerade eingehenden Zug in Ehingen verpasse, schwindet der erwartete Zeitvorteil der Bahnfahrt durch die Warte- und Umstiegspausen. Ich empfinde die Bahnfahrt aber doch als willkommene, kühlende Pause, um der offenen Bratpfanne samt dem Ulmer Wegewirrwarr zu entkommen.
Wie befürchtet, verbringe ich der Leistung des Tages unangemessen lange Larifari-Zeit am Sendener Baggersee, sodass ich den eigentlich geplanten Campingplatz in Aitrach nicht mehr zu zivilen Zeiten erreichen kann. So finde ich an der Strecke einen trendigen Biergarten namens „Larifari – Das Wirtshaus“ mit Rinderstreifen zu Röstitalern und Waffeln mit Eis und Kirschen. Ganz ordentlich, aber das Personal ist ein bisschen wie der Name „larifari“. Das Fahrrad muss hier einen gewichtigen Abstand zum Rasen einhalten, weil sonst der Mähroboter irritiert wird. Das ist so eine Art Gartentamagotchi, das die sinnentstellten Fehlwelten der Künstlichen Intelligenz offenbart. Den Gräsern wäre da etwas mehr Larifari zu wünschen. Aber die Digitalgesellschaft labt sich ja gerne im Unnatürlichen, sogar im beschaulichen Unterallgäu, um dann wieder in die Natur zu flüchten.
Die Nacht trägt andere seltsame Züge. Etwas an einem Hain versteckt und in Reichweite von asphaltierten Feldwegen werde ich bald von Partylärm aus Autos wachgehalten. Irgendwann sind auch Schrei und Stöhnen zu hören. Blaulichtautos tauchen auf und bleiben lange. Es ist weiteres Stöhnen zu hören. Ich kann aber in der Dunkelheit nichts erkennen, obwohl ich nicht sehr weit weg bin. Neugierde auf blood & crime hatte ich aber auch nicht. Es war ein wenig gruselig. Am Morgen aber keinerlei Spuren. Ein Verkehrsunfall kann es jedenfalls nicht gewesen sein. Seltsames in der Unterallgäuer Einöde.
Ärgerlich: Eine Bürgerbrücke nervt den Fahrradbürger
So 30.6. Illerbachen-Haldau – Tannheim – Mooshausen – Aitrach – Aichstetten – Ottmannshofen – Ausnang – Frauenzell – Winterstetten – Schmidsfelden – Kreuzthal – Eschacher Weiher – Wegscheidel – Eschachberg – Wiggensbach – Strohmeyers – Altusried – Iller-Hängebrücke – via Trail – Sommersberg – Herbisried – Bad Grönenbach – Woringen – Memmingen || per Bahn || Stuttgart
95 km | 1075 Hm
Die Hügelstrecken zwischen Illertal bei Aitrach und dem Eschachtal sind reizvolle Strecke, kosten aber einige Kraft durch herbe Auf-und-Ab-Routen. Es ist bestes Allgäu durch schlichtes Bauernland. Schon ermattet erreiche ich so das obere Eschachtal, dessen einstige schattige Westseite von den Motorsägen freigelegt wurde. Es ist mir nicht klar, warum man Kahlschlag an netten Bergstraßen abseits von Transitachsen betreibt als wäre da eine Autobahn. Das ist gegen die Vernunft von Verdunstungsschutz durch Vegetation, den es dringend zum Klimaschutz braucht.
Nach dem geliebten Badeaufenthalt am Eschacher Weiher – längst kein Geheimtipp mehr – leiste ich mir noch einen anspruchsvollen Hügelritt über Eschachberg. In Altusried begehe ich den Fehler zur Iller abzugleiten, um die sogenannte Bürgerbrücke zu überqueren. Der hängende Erlebnissteg wurde in ehrenamtlicher Arbeit von Freiwilligen montiert, u. a. um den schwäbischen Jakobsweg wieder zu schließen, da ehemals hier eine Rad- und Fußgängerfähre bis 2001 existierte. Von Radlern verstehen die Bürger hier aber nicht sehr viel. Zur andere Uferseite finde ich nur übelste, steilste Waldtrails, die in den meisten Teilen nicht fahrbar sind, einmal muss ich gar einen Treppenweg überwinden. Nach der Tortur habe ich mir das Eis im kultigen Café Alpenblick bei Herbisried doppelt verdient. Für die Reststrecke mit der letzten Rückfahrt ab Memmingen muss ich dann aber ordentlich in die Pedalen treten.
Resümee: Eine Tour mit viel Müßiggang und Larifari, aber doch auch sportlichen Akkorden. Und: Mach mal ‘ne Tour im Großen Lautertal und lass dir Zeit dafür!
Möchtest du noch mehr Alb-Donau? – Wohl dann:
ALB-2019-08 Der Schrei der Toten hallt über den Lustgarten