Offene Gedenkkapelle 5 Ecken/Stahlträgern und Mauer mit Riss
Schwäbische Alb,  Touren

ALB-2019-08
Der Schrei der Toten hallt über den Lustgarten

Versteckte Nebentäler der Reutlinger, Münsinger und Zwiefalter Alb feat. Gedenkstätte Grafeneck

2 Tage | 213 km | 2730 Hm

Der Track ist am PC nachträglich erstellt. Geringe Abweichungen von der Fahrlinie sind möglich.

Ein paar weitere Ideen seitlich der Großen Lauter ersann ich mir auf der Tour ALB-2019-06 Sommerfrische Lautersphäre und Larifari. Drei Eckpfeiler hatte ich für das Wochenende im späten August 2019 ins Auge gefasst:

  • das Zellertal mit dem Stahlecker Bach als Alternative zur Holzelfinger Steige aus dem Echaztal heraus
  • das Dolderbachtal zwischen der oberen Großen Lauter und Münsingen über Schloss Grafeneck (hier erhöht über Fauserhöhe)
  • das Schandental als Brücke zwischen oberem Schmiechtal bei Sondernach zum Großen Lautertal

Da das Schandental ins Heutal mündet und letztlich nach Münsingen zurückführt, musste ich noch eine Verbindung zwischen Heutal und Großem Lautertal finden. Ich entdeckte weiters das hübsche Pfaffental, über das man die Marbacher Wiesen als Hochfläche oberhalb der Lauter erreicht. Auf die Gedenkstätte der ehemals nationalsozialistischen Tötungsanstalt Grafeneck traf ich hingegen unerwartet und beklommen. Kaum drastischer kann die Geschichte eines Schlosses sein, von einer barocken Vergnügungsstätte mit metropoler Bedeutung bis zum Verlust der Unschuld der idyllischen Albstille, in der die Schreie der Toten eines mörderischen Verbrechens fortan nachhallen.

Ode an einen Brunnen

Sa 24.8. Stuttgart – Leinfelden- Steinenbronn – Waldenbuch – Dettenhausen – Pfrondorf – Kirchentellinsfurt – Reutlingen – Pfullingen – (Lichtenstein-Unterhausen) – Ziegelbrunnen – Göllesberg – Stahleck – Ohnastetten (+)

70 km | 1100 Hm

Vor dem Herbst noch ein Stück Albsommer. Meine Hauptkamera ist leider noch in Reparatur, das Farbschema der alten ist mir immer etwas suspekt. Ich rüste erst am Samstag für das Kurzwochenende. Mit Baggerseepause beim Neckar bin ich noch nicht ganz schlüssig, wie ernst und intensiv ich die Tour angehen soll. Einmal Zelt gepackt, soll es aber auch genutzt werden. Wieder aber bringt mich das Larifari in die Bredouille. In Pfullingen mildert schon die Abendsonne die Tageshitze ab, noch ohne dass ich den Albanstieg angegangen bin.

Obstbaumallee mit Ralderpaar
Hallesche Riesennuss, Nussbaumweg
Nusswissen am Wegesrand

Für den Abzweig ins Zellertal muss ich mich in Pfullingen früh einsortieren – der Weg leitet hier an der Ostseite der Echaz nicht direkt nach Lichtenstein-Unterhausen, sondern biegt am Rande in ein Seitental ein. Im Rücken der schon weit entfernten Burg Lichtenstein gleitet der Radweg launig wellig durch Streuobstwiesen mit weidenden Schafen, dazwischen ein lehrreicher Nussbaumweg, sofern man die Infos zu den Nussbaumarten über QR-Code abrufen möchte. Auf die Zellerstraße mündet der Radweg schließlich am östlichen Ortsausgang von Lichtenstein-Unterhausen.

Leich stilisiertes Bild Burg Lichtstein in der Ferne
Fern im Schatten der Burg Lichtenstein

Im Gegensatz zur Holzelfinger Steige verdichtet sich der Wald alsbald zur Straße hin, ohne das prominente Felskanten hervortreten. Bestes kalksteingefiltertes Wasser speit der Ziegelbrunnen direkt am Straßenrand aus – also eine willkommene Gelegenheit als kurzes Tauchbecken für den schweißgetränkten Körper. Welche Köstlichkeit, so einfach, so klar – ein Wasser nur! Ungünstig nur, dass die Straße zunächst noch weiter steil ansteigt. Die Höhe ist zumindest näherungsweise mit dem unscheinbaren Dorfweiler Göllesberg erreicht, wo die Verzweigung der Straße etwas verwirrt, da neben Stahleck auch noch ein Fahrweg zum Übersberg besteht.

Wasserstrahl mit Steinwanne des Ziegelbrunnen
Albquellwasser mit Frischegarantie am Ziegelbrunnen

Von der ehemaligen Burg existieren keine Ruinen mehr, sodass man schnell durchradeln kann. Die Institution Stahleck ist heute also keine Burg mehr, sondern der Gasthof Stahlecker Hof mit Übernachtungsmöglichkeit. Fürs Abendessen bin ich schon knapp vor Küchenschluss. Noch aber bekomme ich Schweinebraten mit Spätzle. Der Gasthof sucht Personal – sogar über dem Pissoir in der Toilette finde ich das Stellenangebot. Da ist schwer Leute zu finden, wenn man die Albabgeschiedenheit umher sieht.

Baum grün/weinrot in Nebelwiese

So 25.8. Ohnastetten – Kohlstetten – via Waldpiste – Offenhausen – Gomadingen – Marbach – via Radweg/Waldpiste – Grafeneck via Radweg/Waldpiste – Fauserhöhe – Münsingen – via Feldwege/Waldpiste – Mehrstetten – Bränd – Sondernach – via Radweg – Schandental – via Radweg – Heutal – Apfelstetten – Buttenhausen – Wasserstetten – via Pfaffental – via Waldpisten/Feldwege – Boschenhäusle – Parkplatz Sternberg – Auf dem Hau – Jägertal – Kohlstetten – Stahleck – Göllesberg – Ziegelbrunnen – (Lichtenstein-Unterhausen) – Pfullingen – Eningen – Glems – Metzingen – Altdorf – Neckartailfingen – Aichtal-Aich – via Waldpiste – Plattenhardt – Stetten – Echterdingen – Stuttgart

143 km | 1630 Hm

Lass tanzen im Morgenglitzer und Barockglanz

Der Spätsommer entfaltet erste Herbstlichter mit den morgendlichen Nebelbänken, die über den kühlen Mulden im Albhochtal langsam aufsteigen. Auf einer alternativen Waldpiste zum Radweg im Kohlstetter Trockental versprühen Spinnweben und Tautropfen den Glitzer eines Altweibersommers.

Nach einem Intermezzo im Großen Lautertal zweigt am Bahnhof Marbach das Dolderbachtal ab. Noch deutlich unterhalb von Schloss Grafeneck führt ein Fahrweg mit knorrigen Alleebäumen schattig vom Tal weg. Eine Zufahrt zum Schloss Grafeneck ergibt sich dann weiter oben bereits im Rücken von Schloss und Gedenkstätte, sodass man ein Stück zum Schloss zurückradelt, um dann über das Tal zu blicken.

Fahrweg mit grüner Allee
Eine alte Allee führt zu Schloss Grafeneck

Das Schloss Grafeneck aus dem 16. Jahrhundert entfaltete seine barocke Pracht erst mit dem Ausbau von 1762 bis 1772 samt Lustgarten und sogar einer Oper, die später an den Standort Ludwigsburg verlegt wurde. Das Schloss dient heute wieder als Samariterstift der Behindertenhilfe und Sozialpsychiatrie zum Wohnen und Arbeiten für Menschen mit geistigen Behinderungen und chronisch psychischen Erkrankungen, was bereits so vor dem Zweiten Weltkrieg seit 1928 gedacht war. Mit Kriegsausbruch wurde die Bestimmung des Gebäudes jedoch auf tragische Weise umfunktioniert.

Gesamtansicht Schloss Grafeneck
Im 18. Jahrhundert stieg das Schloss Grafeneck zu einem mondänen Kulturtempel des Barockglanzes auf

Ein unentschuldbares Verbrechen bricht mit der Zivilisation

Gleich zur Anfahrt passiert man die Gedenkstätte zu Ehren der 10.654 ausgelöschten Leben. Die Nazis deportierten 1940 körperlich und geistig behinderte Menschen aus unterschiedlichsten Teilen Deutschlands nach Grafeneck, um sie hier mit einer ausgetüftelten Mordmaschinerie mit Kohlenmonoxid zu vergasen. Anschließend verbrannten die Betreiber der Anstalt die Leichen in Krematorien. Für die grausame Euthanasiebilanz reichte den Mörderärzten nur ein Jahr. Aufkommende Proteste und eine löchrige Geheimhaltung veranlassten SS-Reichsführer Heinrich Himmler, die Morde an Kranken ins hessische Hadamar zu verlagern.

Offene Gedenkkapelle 5 Ecken/Stahlträgern und Mauer mit Riss
Gedenkkapelle Grafeneck

Der Bildhauer Rudolf Kurz erdachte für die 1990 gebaute Gedenkstätte mit offener Kapelle einen Riss in der Rückwand, der den Schmerz über den in Grafeneck begangenen Zivilisationsbruch symbolisieren soll. Die stählernen Träger des Dachs der Kapelle spreizen sich als Sinnbild der Dornenkrone Jesu Christi. Die fünf Streben und Dachecken zeichnen ein Fünfeck, was auf das 5. Gebot „Du sollst nicht töten“ verweist.

Namensbuch zu Opfern von Grafeneck
Jeder Name war ein Leben, das die Nazis in der Gaskammer auslöschten

Ein Gedenk- und Namensbuch nennt die Opfer öffentlich, soweit sie bekannt sind. Das noch laufende Projekt recherchiert weiter die noch unbekannten Opfernamen. Für die namentlich bekannten wie unbekannten Opfer ersann 1998 die amerikanische Künstlerin Diane Samuels einen „Alphabet-Garten“. Die Idee leitet sich aus einer Erzählung der jüdischen Mystik ab, demnach ein Analphabet Gott bat, aus den gerufenen Buchstaben des Alphabets selbst ein Gebet zu formulieren, da er als Ungebildeter nur das schlichte Alphabet könne. Hier kann der Besucher selbst Namen anhand der 26 Buchstabensteine ausdenken, um dem Gedenken ein fassbares Gedächtnis zu verleihen.

Gedenkstein mit Psalm

Bahntrasse meets Wacholderheide

Die Nebenstrecke nach Münsingen führt über die Fauserhöhe mit Aussicht nach Münsingen. Hier rufen kurz kreuzende Autotrassen das allseits gültige Verkehrsmittel in Erinnerung, obwohl auch eine kleine Bahnlinie das Albsubzentrum anbindet. Die folgende Wegeführung an einem Windrad vorbei nach Mehrstetten ist etwas verworren, ohne ausreichende Wegmarkierung, mal gute Piste, dann auch mal etwas rumpelig.

Alenbrunnen mit Steinwanne, Efeu und Holzgitter

Der Alenbrunnen spendet auf der Albhochfläche von Münsingen Wasser aus tonhaltigen Schichten, die sonst auf der Alb selten sind. Das Wasser benutzten bereits die Römer vor ca. 2000 Jahren, deren Alblimesstraße hier vorbeiführte. Der Brunnenname stammt jedoch wohl eher von den Alemannen

Mehr Landschaftserlebnis verspricht bereits die laubgrüne Abfahrt ins Schandental auf schmaler Straße. Der Radweg im Tal verläuft dann meist direkt neben der Schiene der sparsam frequentierten Albbahn. Der größere Teil ist Schotterpiste, überwiegend gut fahrbar. Zu den Seiten begleiten recht eng gehalten naturgeschützte Wacholderheiden durch typische Alblandschaft.

Nur kurz passiere ich die Bundesstraße im Heutal, um dann eine kleine Straße schattig nach Apfelstetten aufzusteigen. Übers Heimtal runter zu Lautertal in Buttenhausen findet sich hingegen eine breitere Straße.

Buttenhausen mit Kirche vor Hausberg
Buttenhausen, charmanter Ort im Großen Lautertal
Albbahn-Triebwagen gelb/rot an Bahnübergang
Die Albbahn im Großen Lautertal

Noch ein kleines Highlight entfaltet das Pfaffental (auch ein wiederum häufiger Name) bei Wasserstetten mit weiterer Wacholderheide bei schmalem Fahrweg. Die folgenden Feld- und Waldwege bleiben landschaftlich ohne besondere Entfaltung. Noch eine Zickigkeit erlaubt sich die Topografie bei dem Weiler Auf der Hau. Das Jägertal nach Kohlstetten scheint greifbar nah, aber die Wege verlieren sich bald alle in kaum fahrbaren Wiesentrails. So überbrücke ich noch ein Stück geschoben zur Jägertalstraße hinunter. Auch an diesem heißen Tag ist mir recht, nochmal am erfrischenden Ziegelbrunnen vorbeizufahren. Für die Rückfahrt wähle ich eine Voralbquerroute nach Metzingen über Glems, sodass sich die Rückfahrt von der Hinfahrt  unterscheidet.

Resümee: Viele neue Schattierungen von eher unbekannten Albtälern entdeckt, erinnert an menschliche Grausamkeit, ein bisschen zu kurz für einen echten Reisemodus. Der Alb-Kosmos birgt noch viele Geheimnisse und Schönheiten.

Fahhrad als Skulptur in Gartenteichatmosphäre der Lauter
Logo Schreibfeder, Pedal mitAugen, Rad, weißer Hintergrund

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Metallglänzende Forellenskulptur mit runder Infotafel "Lauterzeichen"

ALB-2019-06 Sommerfrische Lautersphäre und Larifari

Nahaufnahme mit Klatschmohn vor grünem Reisevelo an Straße

ALB-2020-05 Eine Reise nach Upflamör

Collage von Symbolbildern der Reise, Baisbild mit Regenbogen, Neandertaler, 9 ovale Bildausschnitte, Titel "Zollernalb - Eyachtal - Heuberg - Oberes Donautal - Laucherttal - Reutlinger Alb"

ALB-2020-06 Besuch beim Neandertaler unterm Regenbogen

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