Nahaufnahme mit Klatschmohn vor grünem Reisevelo an Straße
Schwäbische Alb,  Touren

ALB-2020-05
Eine Reise nach Upflamör

Mehr Einsamkeit als Trubel rundum die Zwiefalter und Zollernalb mit Glastal, Ablachtal und Schmeiental

4 Tage | 368 km | 5015 Hm

Der Track ist am PC nachträglich erstellt. Geringe Abweichungen von der Fahrlinie sind möglich.

Die Corona-Lage verunsicherte weiterhin etliche Gastbetriebe, ob überhaupt zu öffnen, und wenn wie und wie lange. Das wirkt sich dann unterschiedlich aus. In ohnehin schon wenig besuchten Regionen auf der Alb schlossen manche Betriebe gänzlich (Ödenwaldstetten, Langenenslingen), andere zeigten ängstliche Reaktionen wie eine Pizzeria in Winterlingen mit frühen Schließzeiten. An touristischen Hotspots hingegen rangen Servicekräfte um Gäste, um alle Plätze zu belegen, die trotz des Andrangs am Pfingstwochenende sich nicht in die Gastronomiebereiche trauten (Wimsener Höhle). In der Brauereistadt Zwiefalten wurden die Cafébesucher professionell in einem ausgetüfteltem Wegesystem zu den Plätzen geleitet – so begehrt, dass es Warteschlangen gab. Wieder andere ländliche Lokalbetriebe blieben unverkrampfte Treffs für Einheimische im Hinterhof, die sich nicht unbedingt eng an die Corona-Vorschriften gebunden fühlten (Buttenhausen).

Streuobstwiese im Glemsbachtal mit grünem Reisevelo
Bereits die Voralb verzückt mit farbenfrühen Streuobstwiesen wie hier im Glemsbachtal

Obwohl es sommerheiß wurde, konfrontierten mich auch kalte Temperaturen auf der Albhochfläche bis nahe an die Frostgrenze in den Morgenstunden. Für die Tour hatte ich mir schon einige Marksteine gesetzt wie etwa einen alternativen Waldpistenaufstieg zur Eninger Weide, die Auffahrt zur Burg Derneck, das Glastal, die Zielfinger Seen und das Schmeiental. Andererseits war das Konzept sehr offen und viele Querverbindungen entsprangen spontanen Vor-Ort-Entscheidungen, was allerdings wiederum ziemlich unorthodoxe Übernachtungsplätze provozierte. Und ich wollte natürlich auch ein Hauch Exotik: Welcher Globetrotter kennt schon Upflamör? – Ich war da!

Sa 30.5. Stuttgart – Echterdingen – Stetten – Plattenhardt – Aichtal-Neuenhaus – Aich – Neckartailfingen – Altdorf – Metzingen – via Glemstalradweg – Glems – via Griesingerweg (Waldpiste) – Eninger Weide – via Radweg – St. Johann Würtingen – via Radweg – Ohnastetten – Kohlstetten – via Jägertal – Bernloch – Ödenwaldstetten – via Radweg – Eglingen – Buttenhausen

91 km | 1425 Hm

Shopping International Metropolis

Touristische Infotafel Metzingen in Chinesisch und Russisch
Globaler Shopping-Hotspot am Albrand: Die Outletcity Metzingen
Tourist Information Outletcity Metzingen

Da es dicht bewölkt war, ließ ich den Badeseee in den Neckarauen unbeachtet und erreichte schnell die Shoppingmetropole an der Voralb. Offenbar staute der Corona-Lockdown Konsumwünsche auf, denn in Deutschlands wohl bekanntester Outlet-City drängten sich die Schnäppchenjäger vor den Läden in Warteschlangen bis zu über 100 m, ohne dabei Corona-konforme Abstände einzuhalten. Metzingens Aufstieg zur schon fast mondänen Einkaufsstadt konnte ich über mehr als drei Jahrzehnte verfolgen. Noch lange ist der Ausbau nicht abgeschlossen. Selbst zur Zeit des ersten großen Lockdowns brummten die Baustellen weiter. Die Touristinfo hat sich neu recht prominent an der zentralen Plaza aufgestellt, um die internationale Gästeschar durch ein Labyrinth von Markenshops für angesagte Kleidung und Accessoires mit Glamorfaktor aus globalisiertem Einerlei zu leiten.

Etwas unbeachtet bleibt das alte Metzingen als Kelterstadt und schönen Fachwerkbauten im abseits der Shoppingtempel. Noch kontrastreicher zum Konsumrausch entfalten sich nur wenig außerhalb die Voralbhügel mit urigen Streuobstwiesen. Herausstehenden Felszapfen von Glems aus gesehen bleiben nur kurz im Blick, da der Weg schnell in den Wald eintaucht.

Die Piste ist gut zu fahren und mündet oben auf eine Asphaltstraße, die als Zufahrt zum Oberbecken des Pumpspeicherwerks Glems dient. Das Oberbecken ist mit einer Triebwasserleitung mit dem unten liegen Glemsstausee verbunden. Das Kraftwerk gleicht Stromspitzen der Neckarwerke Stuttgart aus, indem es zu schwachen Stromzeiten wie nachts und am Wochenende Strom aufnimmt und bei Spitzenlastzeiten solchen wieder abgibt.

Grillrunde mit Fremdsprache

Die Höhenrouten wechseln nun immer wieder ihre Facetten, ohne dass sich eine spektakuläre Landschaft auftut. Lieblich graben sich die Talwechsel ein, nach Kohlstetten hinunter, durchs Jägertal hinauf. Eine Idee für einen Abendtisch leitet mich nach Ödenwaldstetten mit dem Brauereigasthof. Doch die Brauerei hat Probleme und musste die Produktion einstellen, der Gasthof wirkte ausgestorben. Ich entscheide mich für einen Schlussspurt zur Großen Lauter, obwohl die Höhenlage eine trockene und milde Nacht versprechen könnte.

Ein Radweg durchschneidet launig eine geschützte Heidelandschaft, jenseits von Eglingen ähnlich, aber über eine Straße. Nach dem Abschwung ins still dahinträumende Buttenhausen finde ich als einzige Einkehr den Gasthof Adler mit einem Grillwurstabend. Mit Pommes und Bier wartet rustikale Küche direkt vom Feuergrill und im Kreise von Dorfbewohnern – Junge wie Alte. Auf seltsame Weise erwische ich mich beim Fremdgefühl, verstehe ich den Dialekt doch kaum, halte ihn sogar zunächst für eine Fremdsprache. Ein erster Anflug von Alb-Exotik. Wie lange muss man im Schwabenland leben, um Schwabe zu werden? Das Heimisch-Werden dauert manchmal ein Leben lang.

Ausrangiertes Velo weiß mit Blumen weiß/violett vor Hauswand mit Fenstern

So 31.5. Buttenhausen – via Lautertalradweg (teils Piste) – Gundelfingen – via unteres Tiefental (Waldpiste) – Burg Derneck – retour unteres Tiefental – Münzdorf – Kohlplatte (teils Waldpiste) – Parkplatz Stellbuche – Hayingen – Naturschutzgebiet Digelfeld – Hayinger Brücke – via Glastal (Waldpiste) – Schloss Ehrenfels – via Piste – Wimsen – Gauingen – Zwiefalten – via Dobeltal – via Geisinger Tal (Waldpiste) – Geisingen – Upflamör – Friedingen – Langenenslingen – Warmtal – Emerfeld

67 km | 1080 Hm

Nebenarm der Lauter mit Nebel hinter Zeltkuppe

Älbler Multikosmos mit Burgen, Urwald, Fachwerk, Heideland und Felsental

Um eine kleine Flussoase mit Picknickplatz steigt Nebel auf, noch spärlich die Sonnenlichter zwischen Blättern versteckt. Die Morgenstimmung für Träumer gemacht. Auf dem Sattel, erfreut das Lautertal auch in der Wiederholung zum letzten Jahr nicht weniger (vgl. ALB-2019-06 Sommerfrische Lautersphäre und Larifari).

Diesmal soll es aber zum Ufer hinaufgehen, der Abzweig zur Burg Derneck irgendwo zwischen den kleinen Orten im Nichts eines Flussidylls. Fast urwäldlerisch strebt die Piste ins Tiefental. Es wäre wohl auch weiter ausfahrbar, doch führt die Kurve zur Burg aus dem Tal heraus.

Die Burgruine Derneck mit Mauern aus dem 14. Jahrhundert bildet heute den pittoresken Schutzwall für ein Wanderheim und Burggaststätte. Die Gäste am Morgen sind noch rar, aber schon ein Radlerpaar aus Laupheim hat hingefunden. Noch sieht der Mann als Beschäftigter eines Airbus-Zulieferbetriebs keine Folgen durch Corona für sein Branche, was sich mittlerweile allerdings geändert hat, denn Diehl Aviation hat zu Ende 2020 drastischen Jobabbau angekündigt. Die niederliegende Flugwirtschaft zahlt jetzt die Coronafolgen heftiger als manche Hoffnung in der ersten Welle noch dahinsegelte.

Über die Straße nach Münzdorf gelange ich durch ein paar Streuobstwiesen, mit ein bisschen Schwarzwaldcharakter sogar. Verfallene Häuser kontrastieren moderne Solardächer – ist Münzdorf ländliche Zukunft oder im aussterbenden Landstrich? Ich quere nochmal per Waldpiste die Albeinsamkeit. Jede Straße erinnert aber wieder daran, was Autos im Positiven wie im Negativen bewirken: So wild und entlegen sind die Winkel eines Landes heute kaum noch, nicht mal auf der Alb.

Hayingen putzt sich aus dieser schon fast entvölkerten Kulturlandschaft als schmuckes Städtchen mit besonderen Varianten von Fachwerk heraus. Das prächtige Ortsbild erfreut sich heuer trotz Feiertagssonntag aber nur weniger Gäste. So gern man nicht in einen Trubel tauchen möchte, so sehr bedrückt doch die bleierne Verlorenheit dieser Zeiten.

Überlebensgroße Schmuckwaage mit bronzenen Schalen

Die Waage aus dem heutigen Hayinger Handwerk erinnert an das Marktrecht, das der Stadt im 12. oder 13. Jahrhundert verliehen wurde. Die vier Jahrmärkte Mitfasten, Veit, Heiligkreuz und Martini sorgten für ein umtriebiges Leben auf der Alb.

Wo sind dann die Corona-Geschädigten, die nun Reißaus nehmen? – Die treffe ich doch noch, für mich etwas unerwartet jenseits der Wachholderheidelandschaft beim Parkplatz zum Glastal. Der Wanderweg, auch als Radpiste gut zufahren, lockt die Wandervölker in Massen an. Tatsächlich ist das Glastal ein schmales Felsental mit naturidyllischen Rastplätzen. Man kann manchmal kaum die Felsen richtig beschauen, zu steil ergreifen sie die Flucht zum Himmel. Ein Ort des Staunens.

Vereitelte Höhlenkunde

Schloss Ehrenfels mit Garten, hinter Gatterzaun
Auf großen Fuß gelebt: Der Abt vom Kloster Zwiefalten ließ sich im 18. Jahrhundert eine Speisekammer bauen, die auch als Sommerresidenz diente. Schloss Ehrenfels ist heute in Privatbesitz

Wohl ist es nicht das Glastal allein, das viele Besucher anlockt. Die Wanderung weiter draußen bis zur Wimsener Höhle ist ein Anschlussgebiet, dass allerdings auch nochmal separat per Straße angefahren werden kann. Die Karsthöhle kann man mit Boot erkunden, durch durch die Pandemie verursachten Wartezeiten wollen mir aber zu lang sein. Dennoch ist auch hier der Andrang geringer als zu befürchten sein könnte. Neben der Höhle hat sich um den erweiterten Quelltopf eine Ausflugskultur breit gemacht mit Gasthof, Kiosk für das einfache Picknick und ein paar Verkaufsständen mit regionalen Produkten. Die Parkplätze sind voll, doch auf seltsame Weise drängeln sich die meisten Besucher an dem Gasthof vorbei, wo ein Kellner schon nach südländischem Vorbild die potenzielle Gästeschar anwirbt, doch die freien Plätze einzunehmen.  Die meisten halten aber ihr Picknick mit der Butterbrotdose gegenüber ab. Spart der Mensch hier nun aus Angst vor den Corona-Folgen?

Eingangsloch zur Wimsener Höhle mit Schutzgatter

Die Wimsener Höhle streckt sich auf eine Länge von über einem Kilometer, kann aber nur auf ca. 70 m mit einem Kahn befahren werden. Das ist immerhin einmalig in Deutschland. Um das Capri-Erlebnis der Alb zu erleben, muss man an Ausflugstagen allerdings auch längere Wartezeiten in Kauf nehmen, nicht unbedingt ideal für Radtourer. Der Rest der Höhle ist Tauchern bzw. Forschern vorbhalten, die Spuren von Bewohnern aus der Bronzezeit fanden. 1803 bekam die Höhle den zusätzlichen Namen Friedrichshöhle, um Friedrich Wilhelm Karl von Württemberg, seinerzeit als Kurfürst Friedrich I. bzw. Herzog Friedrich II. zu ehren.

Fachwerklandhaus bräunlich mit Garten
Abseits auf der Alb zu wohnen ist schwierig, aber durchaus schön: Gauingen über Zwiefalten

Nunmehr dreht sich eine weite Kehre aus dem Quellkessel heraus und über weitere wellige Albhöhen mit Hainen und Wiesen. Mit Gauingen erreiche ich ein Siedlungsdorf mit ein paar Gewerbeflächen, von wo aus die Zwiefalter Steige samt einer weiten Talkehre ins Tal der Zwiefalter Aach abfällt. In Zwiefalten bin ich dann fast schon auf Donauniveau. Die große Abteianlage ragt mit den Doppeltürmen der Klosterkirche weit aus dem Tal heraus. Wenn sich auch viele Menschen im Klosterareal verlaufen können, ist der Ort doch überraschend überschaubar. Die Klosterbrauerei kann bestes Quellwasser gleich unmittelbar angrenzend von der Kesselbachquelle beziehen, wo schon wieder idyllische, einsame Natur herrscht.

In Upflamör ist die Welt nicht zu Ende

Mit der Quelle beginnt das hübsche Dobeltal, mit Felsen zur Seite wie es für die Donautalregion typisch ist. Nach der kleinen Schluchtpassage breiten sich Felder aus. Dort zweige ich in das Geislinger Tal ab, mit einer teils auch mal rumpeligen Piste durch dichten Wald, zuweilen etwas überwuchert und damit ganz im Gegensatz zur alternativen, sonnenoffenen Straße nach Upflamör.

Ortschild Upflamör mit Holzscheune dahinter

Mit weiterem auf Auf-und-Ab auf den Höhenstraßen durch eine fast entvölkerte Region erreiche ich Upflamör über Geisingen. Die Herkunft des seltsamen Ortsnamens ist etwas umstritten. Eine gängige Interpretation meint, es hieße „über Pflummern“, einem tiefer liegenden Orten, benannt nach einem Adelsgeschlecht. Upflamör ist aber älter als Pflummern. So wissen die Einheimischen es besser: „über den Nebeln“, auch „über dem Nebelmeer“. Das ergibt sich aus der Höhenlage, so man über den Nebeln der Talsohlen bei entsprechender Wetterlage steht.

Ortsbild Upflamör mit Treppengiebelkirche im Vordergrund
Überraschend intaktes Dorfleben über den Nebeln: Upflamör

Ein Pfarrer betritt die frisch pastellfarbene Kirche mit Treppengiebel, etwas verwundert ob des auftauchenden Radlers. Reisende erwartet hier keiner. Der Hirte Gottes bleibt trotz dem lauten Geläut ohne Schäflein. Eigentlich müsst hier das Ende der Welt eingeläutet werden – der Klang der Glocke hat das Charisma dazu. Doch auch das ist  eine Fehlinterpretation. Upflamör hat zwar weniger als 100 Einwohner, aber fast jeder Ansässige ist Teil eines ehrenamtlichen Engagements für die Dorfgemeinschaft. Das ist quasi Weltspitze. Name und Ort waren auch dem SWR eine Reportage in der Landesschau Baden-Württemberg wert.

Nach einem kurzen Steilgefälle entwickelt das Tal nach Friedingen liebliche Facetten. Für einen weiteren Übergang muss ich nochmal kräftiger in die Pedalen treten, bevor sich die weite Donauebene öffnet. Fast verloren liegt da Langenenslingen, wo die meisten Gasthöfe geschlossen sind. Um meinen Hunger zu stillen erhalte ich mit Champignons überbackene Tortellini im türkischen Bistrorestaurant Kimo. Kein lauer Sommerabend, denn der Wind treibt unangenehm kalt in die Knochen, sodass ich im leicht verrauchten Innenraum speisen muss. Ganz anders ist das Wärmegefühl bei der Dunkelfahrt durchs Warmtal – wohl ist der Name sinnstiftend. Tatsächlich ist das Tal windgeschützt und nach oben hin wärmer als unten.

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