ALP-2021-TdS-09
Panoramatouren in der Comersee-Region
Motorsport ade, Radsport ahoi!
Wir sind hier aber bereits inmitten der Aura von Radsportkult, von heiliger Ehrfurcht für die Sattelekstase. Die schon aus Brinzio bekannte Verbindung zwischen katholischer Gläubigkeit und Radsport gewinnt mit der Santuario Madonna del Ghisallo in Magreglio eine Edelposition in der italienischen wie weltweiten Verehrung der Meister des Radsports. Vielleicht ist es ein seltsamer Zufall, dass die mittlerweile stark bröckelnde Moral der Glaubenshüter mit der tief durchgedrungenen Manipulation durch Doping auf beide Bereiche einen dunklen Schatten wirft, von denen sich etliche Gutgläubige aus der Vergangenheit mittlerweile enttäuscht abwenden.
Der Weg zur geweihten Radsportkapelle führt von einer wenig markanten Abzweigung durch das lieblich ausgeschmückte Vallassina zur Passhöhe in Magreglio, deren Nordauffahrt über die panoramareiche Seeflanke des Bergs von Bellagio aus wesentlich spektakulärer ist, auch fordernder in den Härtesternen. Trotz oder auch wegen der sanften Berglandschaft, den traumhaften Facetten des Comer Sees und dem Mekka für den Radsport etablierte sich hier einmal eine Motoradrennstrecke. Von 1921 bis zu den Anfängen der Kriegswirren 1939 knatterten Rennmaschinen über den Circuito del e Vallassina von und zum Comerseeufer. Heute versammelt sich jährlich noch eine Retroszene für eine Rundfahrt. In Lasnigo haben die Motorsportfreunde ihr eigenes Denkmal errichtet.
Die Gemeinde Barni widmet heute authentischen Menschen handwerklicher und ländlicher Berufe eine eigene Fotoplakatserie, die das Profane eines Arbeitslebens zur stilvollen Porträtfotografie erhebt. Der Ort blickt aber auch auf eine Zeit feudaler Herrschaftszeiten zurück, in denen manches Blut zu Ende des 18. Jahrhunderts geflossen ist. Die Reste einer Burg, deren Entstehung bis ins Jahr 804 zurückreicht, waren einst Teil eines größeren Schutzriegels aus vier Burgen, von denen drei nicht mal als Ruinen überlebten.
Der heilige Olymp des Radsports von Ghisallo
Nun also das Radsportmekka, wo zunächst einmal mehr Autotouristen als Radler auffallen. Hinter einer Radsportecke mit Leihrädern gelangt man zu einem Ausflugslokal. Hinter Bäumen taucht ein moderner Flachbau mit viel Glasfläche auf, der nicht recht dahinzupassen scheint. Näher betrachtet handelt es sich um das Museo del Ciclismo Madonna del Ghisallo, welches seit 2006 die Devotionaliensammlung des Radsports aus der Kapelle in einer lichten Dreietagenhalle zu erweitern half. Der ehemalige Rennradprofi Fiorenzo Magni und später erfolgreicher Autohändler bis ins hohe Alter von über 90 Jahren trieb mit seinem finanziellen und organisatorischen Engagement maßgeblich den Bau des Museums voran, dem er auch noch folgend als Präsident vorstand.
Die Geschichte des Museums begann aber nebendran mit der bereits 1623 errichteten Wallfahrtskirche Madonna del Ghisallo. Zunächst ernannte man die Madonna als Schutzheilige der Reisenden, jedoch blieben größere Pilgerströme aus. Seit 1905 quälten sich Rennradler im Rahmen der Lombardeirundfahrt zur Kapelle hinauf. Wer die Madonna als Erster küsste, konnte mit dem Sieg in Mailand rechnen. Als der Pater und selbst ausgereifter Radsportfan Don Ermelindo Vigano 1945 seinen Dienst in Magreglio antrat und die jubelnden Massen auf der Bergkuppe um die Pneustars musterte, rang er den gläubigen Radsportheroen Trikots als Votivgabe für die Madonna ab. Schließlich gewann er Papst Pius XII., die Madonna del Ghisallo am 13. Oktober 1949 zur Schutzheiligen der italienischen Radsportler zu berufen: „… nach einigen Erkundigungen und Unserer reiflichen Überlegung sowie mit der Fülle Unserer Autorität und kraft dieses Schreibens erwählen und dekretieren Wir auf ewig die Seligste Jungfrau Maria unter dem Titel ‚von Ghisallo‘ zur wichtigsten Himmlischen Fürsprecherin der Italienischen Radfahrer bei Gott“, soweit in der Urkunde in der Kapelle nachzulesen. Die nationale Begrenzung wurde schließlich auf alle Radsportler der Welt erweitert und ein bisschen darf sich wohl jeder Radler dieser Fürsprache zugeneigt fühlen. Da ich es eher mit Teufel habe: Wird mir diese Madonna Schutz vor Defekten und Unfällen gewähren?
Papst Benedikt XVI. tat es seinem Pius-Bruder gewissermaßen gleich, als er am 31. Mai 2006 den Schlussstein zum neuen Museum weihte. Zwischen Kapelle und Museum ragt eine heroische Skulptur in den Himmel empor, hinter der sich eine grandioser Panoramablick zum Comer See weitet, den auch die Büste von Fiorenzo Magni genießen kann. Schon vor der Kapelle begrüßen den Besucher Bronzebüsten von Alfredo Binda, Gino Bartali und Fausto Coppi, weiter daneben die beiden Dorfpfarrer als Förderer der Idee zur Radsportpatronin Don Ermelindo Vigano und Don Luigi Farina. Das Innere der Kapelle zeigt überladen Devotionalien aller Art, Trikots, alte Rennräder der Radsportgrößen, Vereinswimpeln, Porträtmedaillons, Weihrauchgefäße, Leuchten und Kerzen, die man für eine Spendengabe anzünden darf. Die Fülle und Ornamentik bedienen das Nostalgische und das Heroische bis hin zum Kitsch.
Im neuen Museum (Eintritt 6 €) herrschen hingegen luftige und geordnete Verhältnisse. Eine Sammlung der Rosa Trikots des Giros gibt einen ersten Einblick wandelnder Radsportmoden, Militärfahrräder zeugen vom etwas exotischen Gebrauch des Velos, ebenso wie nicht wirklich alltagstaugliche Entwicklungspreziosen aus Bambus, aus Kork, in Übergröße usw. Die immer wieder umstrittenen wie mitreißenden Vitae der Radlegenden bis in die Moderne lässt sich über eine ausführliche Dokumentsammlung recherchieren, sowohl aufbereitet in aufklappbaren Zeittafeln als auch in originalen Dokumenten der Sportpresse. Einige Rennradmodelle geben Einblick in die Entwicklung von Konstruktion und Techniken für Fahrten am Limit, insbesondere der Stundenweltrekordler. Fiorenzo Magni ist mit Dokumenten und Filmvorführung eine Sonderausstellung im Untergeschoss gewidmet. Auch ein paar Randbereiche werden beleuchtet wie historische Werkzeuge, Velo in der Kunst und Frauen im Radsport. Im Eingangsbereich gibt es einen recht gut bestückten Museumsshop.
Perle der Villengärten am Triangelzipfel
Die Panoramafahrt windet sich nun in Serpentinen hinunter, stets mit Balkonblicken auf das tiefe Blau, mal als länglicher Einzelsee, weiter unten im Zweiseenblick. Bereits der oberste Terrassenort Civenna bildet mit dem unten liegenden Bellagio eine einzige Gemeinde. In Bellagio vereinen sich edle Villen mit der Rivieragartenkultur zur Postkartenidylle. Die langestreckte Villa Serbelloni fügt sich in die Verlaufslinien der Gartenwege ein, die sich an der Hügelkuppe emporschwingen, die wiederum den See in seine Arme mit südländischer Sanftmut zerteilt. Nicht nur die Gartengestalter, auch die Natur hat hier Sinn für Symmetrie.