LUX-2019-2 Der Südosten/Guttland – Stein auf Stein, römisch der Wein
Wo die Sauer blinzelt mehr süß, Felsengesichter in Schicht, dein Fühling so lieblich, in vino veritas an sich
(1a) Stuttgart 17:00 h || per Bahn || 23:20 h Konz – Wasserliesch – Temmels – Grevenmacher – Wasserbillig (Camping Schützwiese)
26 km | 100 Hm
(1b) Wasserbillig – Born – Burermillen – Girst – Dickweiler – Osweiler – Echternach – Lauterborn – via Radweg – Consdorf – via CR118 – Müllerthal – via CR364 – Werschrummschlüff – retour CR364 – via Route de Beaufort/Piste – Berdorf – Kalkesbach – Lauterborn – Echternach – Bollendorf-Pont – Grundhof – Beaufort (Camping Plage Beaufort)
88 km | 1225 Hm
Das Geräusch meiner Wurzeln im Moseltal
Gewiss der Umweg über Grevenmacher nach Wasserbillig in der Nacht war eine Folge von schlechter Vorbereitung, doch brachte er ein paar gesonderte Eindrücke und Gedanken. Die Nachtansicht von Grevenmacher ist durch die illuminierte moderne Brücke ein Blickfang. Andererseits zeigte sich trotz der späten Stunde, dass der Moselradweg kein stiller Weg ist, allein schon der Autoverkehr des gegenüberliegenden, linken Moselufers erzeugt eine Menge Lärm, Güterzüge sind eher wenige unterwegs, Schiffe schwiegen ganz in der Nacht.
Die Geräuschkulisse der Lebens- und Wirtschaftsader Mosel unterstrich auch nochmal der Ostermontag zu bester Nachmittagszeit. Das alles war noch kein Werktagsbetrieb, wenngleich typische Ausflugsklänge das zu ersetzen suchten wie weithin laute Motorräder oder Auspuffmachismo sich über die Uferorte und Weinhänge zuweilen ausbreiteten. So recht möchte ich mir da keine tagelange Tour vorstellen, die nur dem Moselradweg folgt.
Das erinnerte mich auch an meine alte Heimat am Rande des Mittlelrheintals, eine nochmal ungleich lautere Dauergeräuschkulisse von Zivilisationlärm, auch wenn man in ruhigen Wohngebieten weilt. So ganz fern war ich dieser meiner gebürtlichen Heimat auch nicht, denn das Eifel-Ardennen-Massiv gehört geologisch gleichermaßen zum Rheinischen Schiefergebirge wie etwa Westerwald oder Siebengebirge.
Schließlich weisen auch noch Blutsadern meiner Stammbaumherkunft in die Grenzmoselregion von Trier und Luxemburg, soweit mein mütterlicher Clan aus dieser Ecke kommt. Doch ist das verblichener Ahnennebel, der nie einen lokalen Anker dorthin warf. Damit ward für mich Mosel-Saar-Sauer und Luxemburg als Ganzes Neuland, von den fast verblichenen Erinnerungen einer einstigen Autoreise durch Luxemburg-Stadt abgesehen – auch abgesehen von der Quellregion der Mosel in den Vogesen, die mir ungleich besser vertraut ist.
Gemessen an der lähmenden Zugverspätung und den ermüdenden Einflüssen der virtuellen Bildungswelten fühlte ich mich doch erstaunlich wach und hätte auch gut noch in weit spätere Nachtschichten radeln können. Wie Grevenmacher ist auch Wasserbillig ein lebendiger Ort, der vom Grenzverkehr profitiert. Bunt das Zollhaus als grenzüberschreitender Brückenschlag am Zusammenfluss von Sauer und Mosel, bunt aber auch die Blütenpracht, die die architektonisch eher bescheidene Ortskulisse aufzuwerten weiß.
Frühlingsband im Glitzerglanz
Sogleich beginnt indes ein äußerst idyllischer Abschnitt an der unteren Sauer, dessen Silberglitzerband die Verse eines Morgengedichts frei zu schenken weiß. Das Grün hat hier schon ein Frühlingsband gelegt, blütenreich sich Ziersträucher und Wildkirschen ins Bild mischen. In der Böschung hängen Plastikreste, die Vögel zum Nestbau nutzen. Auch Vögel hgehen mit der Zeit: Neue Baustoffe und Recycling. Die Weiden leuchten hell, gedämpft das Ufergras im Morgentau, kristallin die Spinnennetze Licht zerbrechen. Krüppeliges Totholz kratzt an den schäumenden Fließschwellen des Wassers.
Je mehr die Gedanken umarmen, desto schöner werden die Bilder. Liebliche Orte wie Moersdorf oder Born konkurrieren mit Blickfenstern zur deutschen Seite wie Mesenich oder Metzdorf. Hier im Geopark Mëllerdall warten gleich ein paar Sonderheiten wie eine Salzquelle, die in die Sauer mündet und roter Sandstein bei Burermillen. Verwunschen das kleine Born, kaum von der Straße aus erkenntlich durch eine Mauer getrennt, mit unauffälligem Schloss und beschaulichem Campingareal am Ufer.
Da fällt es schwer, den leichten Flusslauftritt zu verlassen und eine Rampe mal ins Hügelland zu wagen. Bei Burermillen wartet da die kernige Auffahrt, durch das nicht ganz entfaltete Laub auch noch freie Blicke auf die unten liegende Sauer. Die hügeligen Höhenlagen um Dickweiler und Osweiler beheimaten Weiden und ausgeprägte Streuobstwiesen, zeichnen liebliche Panoramasichten in die geschmeidig geformte Ferne.
Die römische Landlust von Echternach
Vor Echternach breitet sich ein weitläufiges Freizeitgelände um einen künstlichen See aus. Klassische Großgartenelemente wechseln mit naturbelassenen Schilfzonen, offizielle Badestellen sind begrenzt, Picknicken und Grillen scheint beliebter. Der ganze See kann umradelt werden, eine Wasserfontäne setzt den Blickfang an der nördlichen Ecke vor einem größerem Terrassenbistro.
Überraschend stoße ich auf Römer, genauer die Villa Romaine, ein luxuriöses Landgut der Römerzeit, mit restaurierten Ruinen und zahlreichen Lebensdarstellungen aus dem Alltag in einem kleinen Museumsgebäude. Der Eintritt ist sogar frei, im Shop gibt es neben Karten und üblichen Souvenirs auch einige Spezialbücher wie etwa über die Kräuterküche der Römer.
Es zeigt sich einmal mehr, wie wenig sich die Welt geändert hat. Kinder spielten ähnliche Dinge wie heute, Blinde Kuh oder Jojo. Ton- und Holzfigürchen als Gladiatoren waren ebenso bekannt wie Wagenmodelle für den Spieltisch. Autorennbahnen und Ritterburgen lassen grüßen. Gedulds- und Geschicklichkeitsspiele finden sich heute wohl eher auf dem Smartphone als mit Nüssen oder Knochen. Würfel- und Brettspiele waren hingegen mehr eine Sache der Erwachsenen, die gerne um Geld spielten. Auch Rollenbilder wurden bereits gepflegt, Mädchen hatten Puppen und ausgefeilte Puppenstuben.
Indes bleibt verworren, was die römischen Gutsbesitzer arbeiteten, denn alle heute als Berufe bekannte Tätigkeiten erledigten Sklaven. Diener, Pförtner, Heizer, Bäcker, Kellermeister, Bibliothekare, Stenographen, Sekretäre oder Lehrer übernahmen männliche Rollen, weibliche Sklavinnen wirkten als Ammen, Friseurinnen, Kosmetikerinnen, Näherinnen, Weberinnen und in einfachen Diensten. Da Rollenbilder mindestens häufig bis heute geblieben sind, frägt sich der aufgeklärte Jetztmensch, ob auch die heutigen Berufe eine Form des Sklaventums verkörpern, nur die Fassade eine andere ist.
Kleine Luxemburgische Schweiz: Mysteriös-romantisches Felsenlabyrinth
Nahebei ballt sich Ostereinkaufsverkehr an einem größeren Einkaufszentrum, dieses mir die Verpflegung erlaubte ohne nach Echternach einzufahren. Unmittelbar bei Seeende startet eine Radroute nach Consdorf mit schon eingangs beschriebenem Bahntrassenradweg, eine lohnende und weitgehend leichte Tour auf das Plateau.
Wenngleich das ehemalige Hotel de la Gare dem Zeitverfall entgegen schaut, ist die Region nicht ganz untouristisch. Nur wenig weiter beginnt die Felsenwelt der Kleinen Luxemburgischen Schweiz, in ihrem Charakter sehr verwandt mit der Sächsisch-Böhmischen Schweiz im Elbsandsteingebirge. Entsprechend gibt es Wanderwege entlang von Felsgalerien, spezifische Kletterlabyrinthe oder per Treppe zu besteigende Felstürme mit Aussichtspunkten.
Ist das Laub noch nicht dicht wie zu dieser Osterzeit, sind von der Straße aus die Felsenreihen recht gut zu sehen, nicht aber jede Kuriosität zu entdecken. Nach Abfahrt in das Müllerthal, wo sich viele Touristen sammeln, folgt eine waldreiche Flussroute, wo der postkartengerechte Schiessentümpel wartet, eine dreistrahlige Kaskade mit pittoresker Steinbogenbrücke. Da dieser eher kleine Wasserfall direkt an der Straße liegt, ist er recht umlagert, keiner möchte auf das Fotomotiv – möglichst mit seiner Liebsten, seinem Liebsten – verzichten.
Die sodann gescheiterte Auffahrt nach Berdorf war nicht ganz umsonst, da an besagter, unpassierbarer Baustelle eine extrem enge Felskluse besteht, die allerdings durch die Baumaßnahmen nicht ganz das gewohnte Bild abgab. Eigentlich ähnlich, wenngleich nicht ganz so exponiert, ist auch die Steintorpassage an der dann ersatzweise gefahrenen Offroad-Strecke nach Berdorf. Das ruft nach einer Parade der Schönheiten aus der Kleinen Luxemburgischen Schweiz, sicherlich nur eine kleine Auswahl:
In Berdorf wartet als architektonische Attraktion aus Menschenhand der Aquatower. Der 50 Meter hohe Aussichtsturm mit einer besonderen Holz/Beton-Konstruktion (ein wenig musste ich an den Pyramidenkogel in Kärnten denken, wenn auch ganz andere Form) beinhaltet eine Ausstellung rund um das Element Wasser. So ich zur Abendzeit und Eintrittsende dort war (regulär Eintritt 3,50 €), verblieb ich bei einer schlichten Außenbetrachtung.
Zurück ins Tal reizen verschiedene Strecken, hier wieder eine Schluchtpassage, die zurück auf den bereits aufgefahrenen Bahntrassenradweg zwischen Lauterborn und Consdorf führt. Alternativ hätte sich auch angeboten, direkter von der Ortsmitte Berdorf über die Gorges du Loup nach Echternach abzufahren. Ebensolches Felsenlabyrinth durchfahre ich zur Abendstunde gleich nochmal auf dem Weg nach Beaufort (Befort). Wie ein gelunges Resümee des Tages vom glitzernden Silberband durch Fels hinauf zur türmchenreichen Märchenburg.
Klibberen – ein erschröcklicher Osterbrauch
Zuvor aber noch reihen sich in Echternach hübsche Bürgervillen mit Blumengärten entlang einer Bachallee mit kleinen Zugangsstegen. Nicht selten haben übrigens die Häuser in allen Teilen des Landes kleine Türmchen – auch wenn kein Schloss oder protzige Villa. Es ist gängiger Baustil. Das gepflasterte Zentrum lädt zum charmanten Verweilen ein, ohne spektukäre Fassaden jedoch. Größere Ausmaße hat hingegen die ehemalige Reichsabtei Sankt Willibrord, deren Grundsteine bis ins 7. Jahrhundert zurückreichen, mit nach dem Krieg wiederaufgebauter Basilika und noch erhaltenem Konventsgebäude, welches sich ausgangs hin zur Promenade an der Sauer befindet.
Echternach Abtei Echternach Bollendorf Brücke Weilerbach
Nicht nur in Echternach traf ich auf unauffällig gekleidete kleine Gruppen, meist Kinder oder Jugendliche, gelegentlich aber auch Ältere, die zum lauten Klappern mit Holzratschen recht monotone, schwer verständliche Sprüche ausriefen. Es handelt sich dabei um den Osterbrauch des Klibberen. Einer Legende nach fliegen die Kirchturmglocken nach der Gründonnerstagsmesse nach Rom, um die Ostersegnung des Papstes zu erhalten. Um sie zu ersetzen und die Gläubigen zum Gottesdienst zu rufen, ziehen die Kinder und Jugendlichen (oftmals Messdiener) mit ihrer Klibber (einem kleinen hölzernen Schlaginstrument aus Holz, bei dem Platten durch eine Kurbel zum Knattern gebracht werden) durch die Dörfer und singen das Klibberlidd: „Dik-dik-dak, dik-dik-dak, haut as Ouschterdaag“ (dik-dik-dak, dik-dik-dak, heute ist Ostern). Zur Belohnung erhalten die jungen Leute Ostereier, manchmal auch Geld, das am Morgen des Ostersonntags bei den Anwohnern eingesammelt wird.
(4) Diekirch – Medernach – Nommern – Larochette – via Weiße Ernz – Altlinster – Junglinster – Olingen – Betzdorf – Wecker – Grevenmacher – Nittel – Onsdorf – Mannebach – Saarburg 17:40 h || per Bahn || 23:00 h Stuttgart
82 km | 1185 Hm
Idyllisch über die Weiße Ernz ins luxemburgische Florenz
Man kann sich die Fortsetzung des ersten Tages auch gut als Rundkurs mit dem letzten Tag zusammendenken, wenn man von Beaufort über Reisdorf sich die Strecke von 10 km entlang der Sauer nach Diekirch hinzudenkt – also dort, wo meine zweitägige Ardennenschleife im Ösling endete. Von der N14 hat man einen guten Ausblick auf Diekirch, der Anstieg sehr moderat. In Medernach treffe ich auf das lieblich plätschernde Weiße Ernztal mit Radweg – wohl ist die Auffahrt von Reisdorf eine ebenso lohnende Alternative.
Doch auch hier lockt eine Panoramaalternative quasi ohne Verkehr Richtung Nommern, dorthin bald die Felsenwelt der Kleinen Luxemburgischen Schweiz erste Posten bezieht. Durch Buchenwald dann zurück zur Weißen Ernz mit Larochette, einem weiteren erhabenen Burgberg, wegen Restaurierungsarbeiten allerdings zur näheren Besichtigung aktuell gesperrt gewesen. Die Burg aus dem 12. Jahrhundert brannte im 16. Jahrhundert aus und verblieb nur noch als Ruine.
Die Weißen Ernz bildet nun nach einer kurzen Felspassage ein sumpfiges Tal, mit kleinen schweigenden Tümpeln, in denen sich Sumpfdotterblumen aalen. Gegen Altlinster hin löst sich Tal in ein wiesiges Quellgebiet auf, der Bachlauf mitunter nicht mehr zu erkennen. Es wartet zur Muttergemeinde Junglinster hin eine kantige Steigung, ausgeschildert ist allerdings nur die umwegige breitere Straße über Godbrange.
Auch das etwas größere Junglinster ist so verschlafen wie die weiteren Dörfer, die die idyllischen leicht hügeligen Wiesentäler mal unterbrechen. Noch einmal ein Schloss mit Türmchen in Betzdorf, das nun schon einer erstaunlichen Sommerhitze trotzt, die Baustelle in Hagelsdorf schon trockenen Staub aufwirbelt. Da musste ich ein wenig rasten, so niedergeschlagen die Kräfte.
Der Moselweinort Grevenmacher atmet diese lebensoffene Atmosphäre mit mediterranem Einschlag. Es mag hoch gegriffen sein, aber ein wenig darf man Grevenmacher als ein luxemburgisches Florenz bezeichnen. Bistros und Cafés werden von Ausflüglern begehrt, die Einheimischen trinken auch gerne in geselliger, offener Runde. Die Liebe zum Rebensaft schmückt zahlreiche Fassaden und Skultpturen. Der wichtige Handelsort hat sich auch heute eine prosperierende Wirtschaft erhalten. Modernes mischt sich harmonisch mit den Traditionen. Schon 1252 wurde Grevenmacher eine freie Stadt, musste aber viele gewalttätige Rückschläge einstecken, von denen noch Festungsmauern zeugen. Dieser einladende Brückenschlag von Grevenmacher spiegelte sich bei der Ausfahrt von der mitternächtlichen Anreise so auch wieder, nur jetzt in bester Nachmittagssonne. Da fällt der Abschied bis zum letzten Meter schwer.
Er war ein blinder, fahrender Sänger und Geiger. Doch gilt Mathias Schou alias De Blannen Theis (1747-1824) als Erster, der systematisch Volksweisen in Luxemburger Mundart sammelte und verbreitete. Mit Hund und Frau, die zu der Musik tanzte, tingelte er auf Volksfesten durchs Land. Manche Literaten widmeten ihm Gedichte und schätzten seine Wirken für die Sprachkultur. Er wurde auch zum Teil der luxemburgischen Gründungsidentität. Lieder wie „Zu Arel op der Knippchen“, „De klenge Männchen“ oder „Et war e Meedchen zu Gëtzen“ geben Einblicke in das Leben von Bauern und einfachen Leute. Zu seinem 150. Todestag brachte die luxemburgische Post 1974 eine Briefmarke heraus.
Abschied Mosel-Saar im Stressakkord
Nach Distanz gerechnet macht es nur wenig Unterschied, Konz oder Saarburg zum Rückreisebahnhof auszuwählen. Die Höhenmeter sind hingegen sehr verschieden. Sicherlich hatte ich da die Rampen unterschätzt, die nicht nur den ersten Moselhang hinauf zu bewältigen waren, sondern auch nochmal folgend mit der nächsten Talmulde. Die Zeitachse schraubte sich etwas problematisch zusammen, wenngleich die recht waldreiche Schlusspassage dann doch recht flott zu radeln war.
Saarburg hätte dann einen längeren Aufenthalt verdient gehabt – aber da war die Zeit rum. Sicherlich Anlass, um auch mal eine Saartour zu fahren. Das ist aber dann ungewisse Zukunft, deren Verheißungen mich manchmal weinen lassen – so düster die Sümpfe darin. Heute ist aber erstmal glückliches Ende – ein liebliches Bild aus dem Herzen Europas davongetragen und mir geschenkt. Der träumende Velopedist verneigt sich mit großem Dank.