ALB-2020-05Eine Reise nach Upflamör
Mo 1.6. Emerfeld – Billafingen – Egelfingen – Hochberg – via Wolfstal (teils Piste) – Bingen – Heudorf – via Radpiste Heudorfer Bach/Mühlbachtal – Blochingen – Mengen – via Piste – Zielfinger Seen/Strandbad Steidle – Ablach – Kreuzung K8267 – Göggingen – Menningen – via Radweg Krebsbach – Engelswies – Inzigkofen (Kloster) – Nickhof/Bhf. Inzigkofen – via Schmeiental – Storzingen – (Neuhaus) – via Radweg – Blättringen – Winterlingen (Panoramahöhe)
95 km | 1095 Hm
Alpenblicke und Landflucht-Location mit exklusivem Badezimmer
Meine „möblierte“ Zu-Nacht-Location mit Badezimmer (Brunnen mit Holzwanne) und Sonnengarantie liegt zwar direkt an einer Straße, prägt aber stille Morgenpoesie. Geradezu unerwartet taucht ein kauziger, bärtiger Mann auf, mit nackten Füßen in Sandalen, ein bisschen wie ein Vagabund im Rentenalter. Franz, so stellt er sich vor, erzählt nun viele Geschichte von Krankheiten und alten Zeiten. Corona ist ihm nicht einen ernsten Abstand wert. Er möchte mir einen Berg zeigen, den höchsten hier. Wir wandern durch Streuobstwiesen, während er seine Sandalen weit in die Höhe schmeißt als sei ein Freudentag – der Freiheit willen. Indes bleibt der Berg hinter dem Horizont verschwunden. Die etwas skurrile Begegnung hinterlässt mich etwas rätselnd, fühle ich mich doch mehr und mehr selbst als skurrilen Radwanderer, dem die harten Lebensziele mehr und mehr abhanden kommen.
Die Orte zur Höhe verdanken ihren entschleunigten Charme einer Landflucht, die kaum erlebnishungrige Jugend anzulocken vermag. Indessen würde ich hier mehr Poeten und Maler erwarten, doch wohnen dort nur ein paar Bauern und Pendler. Doch was heißt „nur“? – Es sind ja die Menschen, die das Land urbar machen und halten. Der Blick reicht überraschend bei klarer Sicht wie heute zu den Gipfelketten der Alpen. Ich habe nicht wahrgenommen, wie südlich ich schon gelangt bin, obwohl noch nördlich der Donau.
Es klappert die Mühle am Biberbach
Meine Höhenschleife beende ich in Hochberg, wo ich mich etwas experimentierfreudig ins Wolfstal stürze. Die Straße ändert ihr Gesicht zu einer wechselhaften Piste, weite Lichtungen, Wald, Felder, ein Gegenanstieg, auch eine große Staubwolke durch ein einzelnes Auto führen etwas verwirrend hoffentlich Richtung Donauebene. Eine ruppige Pistenvariante schlage ich schließlich zugunsten der Straße nach Bingen aus, dessen Mühlenwirtschaft bis ins 16. Jahrhundert zurückreicht. Das ausgestellte Mühlrad zeigt eine leistungsfähige Wasserschaufel der ehemaligen Engelbrauerei aus dem Jahre 1911, mit dem sich die Antriebskraft für unterschiedliche Zwecke regeln ließ.
Eigentlich wähne ich mich der Donau nahe, doch überrascht noch ein Zwischenanstieg, Streuobstwiesen und das idyllische Mühlbachtal mit abwechslungsreichen Landschaftsmomenten. Auch im Heudorfer Bach haben sich Biber ihr charakteristischen Revier geschaffen. Die Donau quere ich dann unspektakulär ins Ablachtal, das hier noch Donauaue scheint, schon bald aber ein eigenes, spannendes Nebental mit mehreren Baggerseen südlich der Donau bildet. Der Hauptort des Ablachtals, Mengen, zeigt sich als quirliges wie pittoreskes Fachwerkstädtchen.
Ablacher Donautal-Intervall mit Badepause am See
Für die Seen muss ich zur Nordseite über einen Trail balancieren, über den sich einige versteckte Badestellen erschließen. Eigentlich handelt es sich um ein Geflecht von Baggerseen, deren Grenzen und Übergänge nicht leicht zu überblicken sind. Auch die Namensgebung ist verwirrend, so liegen westlich der Zielfinger Seen noch die Ablacher Seen, während die Seen auch gemäß der naheliegenden Ortschaft auch übergreifend als Krauchenwieser Seen bekannt sind. Zur Nordseite liegen die drei Hauptseen. Der östlichste verfügt über ein Ausflugslokal und ist der Treffpunkt für Angler mit dahinterliegendem Forellenteich, der Vogelsee als zweiter dient vor allem dem Naturschutz und am Steidlesee wird noch Kies gefördert und liegt das offizielle Strandbad.
Die Faulenzerei am See muss ja irgendwann ihr Ende habe. Ich verirre mich dann jenseits vom Strandbad etwas ob er schlechten Radwegausschilderung zunächst auf die Piste nach Sigmaringen, bevor ich den Irrtum erkenne. Ich will ja noch die Kurve über Ablach fahren und die Donau erst wieder westlich von Sigmaringen bei Inzigkofen queren.
Der Anstieg jenseits von Ablach und wieder hinunter nach Göggingen bringt keinen großen Gewinn an landschaftlicher Schönheit und der Ablach folge ich auf der Bundesstraße mangels alternativer Wegeauszeichnung etwas lustlos nach Menningen. Dort aber überrascht mich die stille Waldpassage nach Engelswies, wo sich sogar Schilfbewuchs unter die Bäume gemischt hat und ein paar Froschtümpel sumpfige Böden wässern.
Ein Fluss hört auf zwei Namen – Volksmund vs. Advokatensprache
Da ich mich im Verzug fühle, widme ich mich nur wenig dem Kloster Inzigkofen und übersehe den Fürstlichen Park gar ganz. Das Ungesehene soll mich schließlich nochmal zu dem Ort anlocken – nur zwei Wochen später. Stattdessen stehe ich zum etwas rasanten Finale an der Mündung der Schmeie. So heißt der Fluss allerdings nur im unteren Teil, oberhalb von Straßberg reimt er sein Geplätscher auf Schmiecha. Das leitet sich aus Mittelhochdeutschen „schmuigen“ ab, sich krümmend bewegen. Im Mittelalter veränderte sich Schmiecha zur Schmeie, was im Volksmund so verblieb, während vermutlich württembergische Kanzleien sich auf die alte Schreibweise rückbesannen (Fritz Scheerer „Bachnamen unserer Heimat“ in: Heimatkundliche Blätter für den Kreis Balingen, 28.2.1970).
Das Schmeiental setzt zunächst die Donautaltypik mit Kalkfelsen fort, formt sich dann zunehmend in ein schlichteres Wiesental ohne Felsen. Der Pistenweg überzeugt mich nicht so ganz, sodass ich lieber ein paar Höhenmeter zugebe, um auf der Straße in das schon fast verwunschen eingebettete Storzingen zu gelangen. Zwar hat es hier einen Bahnanschluss, aber keine Gastronomie. Der Schmeie folgen hier keine geeigneten Fahrwege mehr, nur der Bahn ist eine Furt gewidmet. Nach Rücksprache mit einem Läufer in Storzingen entscheide ich den Aufstieg Richtung Winterlingen, für den sich neben der Landstraße noch eine nahezu unbefahrene Waldstraße findet.
Rau grüßt die Alb, am Rande des Lebens
Die sodann erreichte Albhöhe zeigt ihre berüchtigt zähe Topografie ohne große Steigungen. Endlich das etwas spröde Winterlingen erreicht, schlägt mir nur lähmende Ruhe entgegen. Die einzig geöffnete Lokalität, der Italiener des Ortes, hat seine Restauranttore schon geschlossen, bietet mir aber noch eine Pizza zum Mitnehmen an. Den Teigfladen mit dem vielversprechenden Namen „Primavera“ muss ich in nicht dazu passender zugiger Kälte an der Bushaltestelle essen. So unwirsch und rau ist eben die Alb über das Frühjahr hinaus noch im Sommer. So trostlos wirkt Corona hier noch mehr.
Di 2.6. Winterlingen – Bitz – via Radweg/Hermannsdorfer Straße – Hermannsdorf – Küche – via Radweg (teils Piste) – Burladingen – Freizeitanlage – via Piste – Bettelmannloch/Eßlesberg – Hörschwag – via Radweg – Sonnenbühl Erpfingen – Hartweg/Azur Rosencamping – via Radpiste – Undingen – Genkingen – Gönningen – via Radweg – Alteburg – via Radweg Ohmenhausen – via Radweg – Betzingen – Kirchentellinsfurt – Pfrondorf – Dettenhausen – Waldenbuch – Steinenbronn – Echterdingen – Stuttgart
115 km | 1415 Hm
Frei und einsam liegen die Albflächen zur Nacht, die das recht großflächige Winterlingen umgeben. Doch sucht die Jugend hier ihre Partyorte im Fast-Nirgendwo zwischen Äckern und Hainen, der Partykeller ist das Auto. Nun gut, so lang ging die Sitzung in der Nacht nicht – das Scheinwerfer- und Hupspielen wird doch schnell langweilig. Von der Höhe in die schattigen Hochtalflanken der Straße abgetaucht, drohen mir gar früh am Morgen die Finger zu frieren. Erst als ich das hügelthronende Bitz erreiche, wärmen die Sonnenstrahlen des Tages, der wohlgleich auch wieder heiß sein wird.
Blumenalb mit Affen-Hubschrauber
Die Route beschreibt nun blumenreiches Wiesenland mit eintauchenden Wäldern, Pferdeweiden und Gestüte, einsame Straßenkurven und knorrige Alleen. Asphalt und Schotterpisten wechseln, weitgehend gut zu fahren und abseits von Verkehrsadern. Wo könnte auch Trubel drohen? – Vielleicht im Trigema-bekannten Burladingen? Ein bisschen drängelt sich dort schon ein kleines Wirtschaftszentrum, ohne dass die Albruhe wirklich bedroht scheint. Nur der Trigema-Hubschrauber irritiert doch etwas ob dem Image als bodenständiges Unternehmen – Trigema doch ein global player mit Jetset-Allüren?
Das Textilunternehmen Trigema gehört zu den Aushängeschildern der mittelständischen Unternehmen auf der Alb mit heute ca. 1200 Mitarbeitern und ca. 100 Mio. Euro Umsatz. Der aktuelle Geschäftsfüher Wolfgang Grupp polarisiert auch gerne in der Öffentlichkeit mit politischen Positionen und unorthodoxen Werbemethoden. Sein Credo ist eine qualitätsorientierte Textilproduktion in Deutschland zu gewährleisten, ohne auf die Billigarbeitsmärkte Ostasiens oder Osteuropas auszuweichen. Widersprüchliche Nachhaltigkeitsaspekte, biederer Modestil und auch kärgliche Lohnhöhe für die eigenen Beschäftigten irritieren allerdings immer wieder in dem selbstpropagierten Vorbildcharakter. Im Zeichen des Trigema-Schimpansen stehen T-Shirts, Sweatshirts und Tennisbekleidung weit vorne in der deutschen Produktion von Sport- und Freizeitkleidung.
Die topografischen Schwierigkeiten steigen eher mit der Annäherung zum Albtrauf, zunächst über eine recht steile Piste über den Eßlesberg, weiteren Auf-und-Abs, eine herbe, kurze Rampe bei Erpfingen über den Berg mit einem Albcamping, der gut besucht scheint, obwohl ja etwas am Ende der Welt. Aber es ist eben auch hier schön. Zurück auf bekannten Straßenwegen erreiche ich den Gönninger See zur ersehnten Abkühlung. Wellig und hügelig treibe ich schließlich durch das Reutlinger Schrebergartenland und schließlich den Schönbuch zur Heimstatt zurück. Ein weiteres Stück Albglanz hat mich fast gedankenlos glücklich gemacht.
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