Collage von Symbolbildern der Reise, Baisbild mit Regenbogen, Neandertaler, 9 ovale Bildausschnitte, Titel "Zollernalb - Eyachtal - Heuberg - Oberes Donautal - Laucherttal - Reutlinger Alb"
Schwäbische Alb,  Touren

ALB-2020-06
Besuch beim Neandertaler unterm Regenbogen

Die schöne Lauchert wiederentdeckt

Gerade, perspektivische Straßenflucht, seitlich Wald
Unendlich geradewegs Richtung Fürstenhöhe

Gewiss, einen erneuten Besuch von Sigmaringen darf man immer erwägen. Die ehemalige Residenzstadt möchte ich aber diesmal in Teleentfernung auslassen. So nehme ich auch nicht den Ostbogen des Radweges, sondern befahre eine Straßenalternative westlich der unteren Lauchert. Die Landschaft ist hier bis zur Fürstenhöhe ein wenig bescheiden. Ein verwunschener Fahrweg streift hingegen von der Fürstenhöhe nach Jungnau, das mit einer Burgruine grüßt.

Weite Lauchertaue mit Häuschenhütte neben Leitplanke
Lieblich mäandert die Lauchert durch Auenwiesen

Ich meinte ja, die Lauchert zu kennen, doch gabs auf der ganzen Passage kein Bild, an das ich mich wirklich erinnerte. 15 Jahre sind doch ein gewaltiger Vernichtungsprozess im Gedächtnis. Vielleicht gut so, denn das Wiedererleben ist so wie Neuerleben. Und das Laucherttal ist wirklich schön, wenngleich weniger kompakt als das Große Lautertal. Die Mäander schlängeln sich zunächst recht frei beweglich du Wiesen und Weiden, fast bis Veringenstadt, wo sich das Tal verengt. Ein verzückendes Naturintervall und selten für die Alb bildet der Veringendorfer Wasserfall Gieß als breite Karstkaskade in ein breites Fangbecken. Er erinnert an die breiten Quellkaskaden im französischen Jura.

Tuffsteinwasserfall Gieß in Veringendorf, mit Fließoptik

Pizza unterm Regenbogen

Das Angebot an Gasthöfen in Veringenstadt ist erstaunlich klein und soweit vorhanden, auch noch geschlossen. Nur weit oben wartet eine Sportgaststätte, die über eine harte Rampe schließlich abgekämpft erreiche. Ich erhalte noch eine große Pizza und wohl ein wenig aus Kulanz, sind die vorgeschriebenen Corona-Schließzeiten wohl schon überschritten. Es kommen aber auch noch spätere Gäste. Die Wirtin berichtet über die Einbrüche des Geschäfts der Wirtschaft, in die sie viel Geld investiert haben. Ich möchte nicht denken, wie die Lage nach dem Corona-Winter sich zugespitzt habe dürfte. Wie viele Gasthäuser werden überleben – zumal noch in der ohnehin schon selten rentablen tiefen Provinz?

Eigentlich ist die Höhe ja gut für eine Nächtigung, doch ballt sich heuer der Himmel zu einem dunkelgrauen Klumpen zusammen, der sich entladen möchte. Nur der Regenbogen zeugt von der Schönheit, die jedem Drama auch innewohnt. Gewaltig bricht das Gewitter nieder und setzt sich fest. Ein paar Truckfahrer, die mit der Wirtin befreundet sind, weisen mich auf den Tennisplatz hin, wo eine Schutzfläche sein soll. Bis dahin sind es nur gegen 100 Meter. Und tatsächlich gibts da ein trockenes Dach.

Regenbogen über Sportplatz, zweigeteilter Himmel hell/dunkel

So 14.6. Sportheim Veringenstadt – Veringenstadt – via Radweg Laucherttal – Hermentingen (Gallus-Quelle) – via Radweg Laucherttal – Hettingen – via Bundesstraße – Gammertingen – via Radweg Laucherttal – Mägerkingen – via Radweg Seckachtal – Trochtelfingen (~710 m) – via Radroute – Großengstingen – Traifelberg – via Alte Zahnradstrecke – Lichtenstein – via Bahntrassenradweg – Pfullingen – Eningen unter Achalm – Rangenparkplatz – via Streuobstwiesenroute – Glems – via Radweg – Neuhausen/Erms – Metzingen – Bempflingen – Altdorf – Neckartailfingen – Aichtal-Aich – via Waldpiste – Plattenhardt – Stetten/Fildern – Echterdingen – Stuttgart

114 km | 1075 Hm

Kreuz mit Kreis rot/blau, Sicht über Lauchertal mit Ortsteilen Veringenstadts, mit Regenwolken

Der Regen schafft seine eigene Stimmung

Rest der Burganlage Veringenstadt
Die Reste der Burganlage stammen aus dem Jahre 1100

Nein, es war nicht nur ein Sommergewitter, sondern ein kompletter Wettersturz. Der Tag bringt Regen, viel Regen, Dauerregen. Mal stärker, mal schwächer, muss ich mich durchbeißen und bin doch erstaunt, dass ich zeitweise Gefallen an der Regenfahrt gewinne. Nach ein paar Stunden wird aber jede Regenfahrt schlicht lästig, wenn die Finger anfangen zu schrumpeln. Auf der Abfahrt ins Echaztal ereilt mich gar ein wenig Schüttelfrost. „Bald ist genug!“ werde ich noch fluchen, um dann doch wieder Regentropfen fast genussvoll zu schlecken. Und ja, der Regen schafft spezielle Stimmungen, die sich so nicht bei Sonnenschein erleben lassen. Der Radler ist halt dauernd im Zwiespalt.

Ich hatte am Vorabend bereits diese kleine Ortsperle von Veringenstadt bewundert. Zwar ist es schwierig, Fotos im Regen zu machen, jede drei Minuten das Objektiv zu putzen. Selbst aber in dem Regensog – vielleicht auch wiederum genau deswegen, entfaltet sich der Charme dieses Städtchens an der Lauchert mit seinem historischen Fachwerk, aber auch mit den viele Aussichtsplätzen und einer Burg.

Neandertalskultptur an Lauterbrücke vor Höhlenberg

Mehr noch steht Veringenstadt für seltene Fundorte auf der Alb mit prähistorischen Höhlen und nachweislichem Leben des Neandertalers. Die Funde zum Neandertaler in der Göpfelsteinhöhle datieren 50.000 Jahre zurück. In der Annakapellenhöhle, Nikolaushöhle, Hagentorhöhle und Mühlberghöhle hatten sich Eizeitmenschen vor 10.000-15.000 Jahren Rastplätze für ihre Jagd eingerichtet, wie sich aus diversen gefundenen Steinwerkzeugen belegen lässt. Keineswegs lebten die Menschen der Eiszeit alle oder ausschließlich in Höhlen, sondern auch gerne in Fellhütten. Der Mesnch stand in den Höhlen auch immer in Wohnraumkonkurrenz zu Wildtieren, deren Spuren sich auch nachweisen lassen. So diente die Göpfelsteinhöhle in der Eiszeit den Hyänen als Horst.

Nicht zuletzt steht der Ort in der Aura einer unnachgiebigen Frau, die der Anklage als Hexe widerstand. In den 1920er Jahren begannen Bewohner von Veringenstadt, die Geschichte als Schande zu betrachten. Heute erinnert eine Skulptur an das Verbrechen im 17. Jahrhundert.

Skulptur der Anna Kramerin, Hexe von Veringenstadt

Anna Kramerin, die Hexe von Veringen, auch Bader-Ann genannt, widersetzte sich den Anschuldigungen der Hexerei und unterließ trotz Folterungen, andere Mitmenschen der Mittäterschaft zur eigenen Entlastung zu beschuldigen. Ihre Aufrichtigkeit bezahlte sie 1680 mit dem Tod durch Enthaupten und Scheiterhaufen. Im 20. Jahrhundert wurde die Geschichte der Bader-Ann in verschiedener Form aufgearbeitet, so als Theaterstück und 1994 mit der Gedenkskulptur von Monika Geiselhart.

Dem Veringenstadter Bilderbogen folgt viel Lauchert-Idyll mit geschütztem Biotop. Die Radwegpiste ist an einigen Stellen schon kritisch aufgeweicht. Das Symboltier der Etappe heute ist bald gefunden: Die Schnecke.

In Hermentingen zeugt die Gallusquelle von dem versteckten Wasserreichtum der Alb, der einst über die historische Kolbenpumpe ins Wassernetz befördert. Die Stadt Hettingen berichtet von der alten Stadtmauer, in deren Rahmen alle Häuser gebaut werden mussten. Das zwang die Bürger dazu, Häuser in den Schlossberg zu hauen, was den Hettinger Bürgern zum Namen der Felsaschlupfer verhalf. Auch Gammertingen zeigt ein paar hübsche Winkel unweit der etwas nüchtern zweckmäßigen Schlossanlage.

Haltestelle für ein Alb-Gold

Eigentlich locken noch weitere Seitenauffahrten zum Laucherttal zu Wegevarianten, doch kann das nicht mehr auf dieser Tour geschehen. Ein weiteres Symbolbild des Tages erheitert mein Gemüt an der Strecke: Ein ausrangiertes Velo mit Gummistiefeln.

Gelb bemaltes Velo mit Blumen und grünen Gummistiefeln im Regen

Am Lauchertsee bei Mägerkingen muss der Radler sich entscheiden: Entweder die obere Lauchert ausfahren bis zur Quelle in Melchingen oder dem Tal der Seckach folgen, um über Trochtelfingen zum Albtrauf bei Engstingen zu gelangen. Die Lauchert-Variante teilte ich erst kürzlich auf der Pfingsttour, so reizt mich mehr die Trochtelfinger Variante. Und Trochtelfingen ist die zweite große Perle nach Veringenstadt auf der Route, muss aber auch unter den Regentropfen leiden.

Haltestelle "Alb-Gold" mit Person mit Regenschirm, Andreaskreuz

Ein Radweg schleicht sich durch ein Wäldchen nah der Bundestraße Richtung Alb-Gold-Haltestelle. Alb-Gold? Das sind Spätzle und Nudeln. Die Fabrik von Trochtelfingens Lebensmittelexportschlager hat seine eigene Haltstelle der Albbahn. Das Wetter lockt mich nicht zum Exkurs zur Fabrik, wo es auch eine Restauration gibt. Goldig schön ist es wohl bei Sonnenschein auf der Folgestrecke, kurz auch mal vom ordentlichen Weg abgekommen. Mehr verirre ich mich im Gewerbegebiet Engstingen und muss mich mit der Bundesstraße behelfen, um voranzukommen. Engstingen hat dies gefürchtete Format der Alborte, die unausweichlich dem Auto ausgeliefert sind und recht abweisende Pendlersiedlungen zu einem Subzentrum vereinen.

Finale mit Märchenschloss

Schloss Lichtenstein auf Waldfelsen mit Nebelschwaden
Schloss Lichtenstein, Württembergs Märchenschloss, wacht auf einem Felssporn direkt am Albtrauf

Nur wenig weiter eröffnet der Albtrauf eine seiner romantischsten Charmeoffensiven Württembergs: Das Schloss Lichtenstein. Tatsächlich entspringt der Bau der Romantik zur Mitte des 19. Jahrhunderts. Zwar stand da mal eine alte Burg, sie wurde aber teils zerstört und zuletzt für ein fürstliches Forsthaus ganz abgetragen. Ein Roman von Wilhelm Hauff brachte die Poesie alter Burgenromantik zurück, die Wilhelm Graf von Württemberg aufgriff und zum Bau eines neuen Schlosses veranlasste. So ändern sich die Bedürfnisse des Adels über die Jahrhunderte. Gleich ist geblieben, dass immer Geld im Spiel war: entweder zum Zerstören oder zum Aufbauen. Krieg kostet eben, Feinsinn und Kultur aber auch. Das Wetter des Tages belohnt den widerständigen Radler mit besonderer Atmosphäre, in der das Schloss zur Gegenseite aus dem dampfenden Wolkennebel wie im echten Märchen aufsteigt. Ein Märchenschloss eben.

Schloss Lichtenstein auf Felsen mit Nebelschwaden

Zur Bundesstraße entdecke ich die alte Zahnradstrecke, die steil und fast gerade wie ein Strich nach unten fällt. Ich folge nun wieder dem Bahntrassenradweg bis Pfullingen, um dann über Eningen ins Glemstal überzufahren. An den Bäumen wächst schon mehr Kirschsaft als Kirschen – ein letztes Genussmoment vor dem home run über Neckar und Fildern, der noch etwas trockener ausfällt als erwartet.

Resümee: Unter den Albtouren der letzten Jahre der Trip mit dem abwechslungsreichsten Landschaftsbild, mit topografisch überwiegend anspruchsvollen Routen, aber auch mal mit leichten Zwischenspielen, mit einem facettenreichen Charme von Alb-Donau-Architektur, manch überraschenden Einblicken in die Albgeschichte und einer Fahrt bei höchst gegensätzlichen Witterungen mit bewegenden Stimmungsbildern.

Logo Schreibfeder, Pedal mitAugen, Rad, weißer Hintergrund

Möchtest du noch mehr Alb-Donau? – Wohl dann:

Metallglänzende Forellenskulptur mit runder Infotafel "Lauterzeichen"

ALB-2019-06 Sommerfrische Lautersphäre und Larifari

Offene Gedenkkapelle 5 Ecken/Stahlträgern und Mauer mit Riss

ALB-2019-08 Der Schrei der Toten hallt über den Lustgarten

Nahaufnahme mit Klatschmohn vor grünem Reisevelo an Straße

ALB-2020-05 Eine Reise nach Upflamör

Seiten: 1 2 3

Cookie-Hinweis</br>Durch die weitere Nutzung der Seite stimmst du der Verwendung von Cookies zu. Die Website verwendet Cookies von Drittanbietern, die dem Komfort der Seite dienen. Welche Cookies verwendet werden, erfährst du unter <a href=https://pedalgeist.de/privacy-policy/ target="_blank" rel="noopener noreferrer">Datenschutz</a> oder hier: Weitere Informationen


Die Cookie-Einstellungen auf dieser Website sind auf "Cookies zulassen" eingestellt, um das beste Surferlebnis zu ermöglichen.


Diese Seite verwendet folgende Cookies von eingebundenen Drittanbietern
(Cookie-Name | Provider | Typ | Ablauf nach):

- CONSENT | youtube.com | HTTP | 6656 days
- GPS | youtube.com | HTTP | 1 day
- PREF | youtube.com | HTTP | 8 month
- VISITOR_INFO1_LIVE | youtube.com | HTTP | 179 days
- YSC | youtube.com | HTTP | Session
- IDE | doubleclick.net | HTTP | 1 year
- test_cookie | doubleclick.net | HTTP | 1 day



Wenn du diese Website ohne Änderung der Cookie-Einstellungen verwendest oder auf "Akzeptieren" klickst, erklärst du sich damit einverstanden.

Schließen