ALP-2021-TdS-08
Der Lago Maggiore mit dem Hinterland der Varese-Region
Die Varese-Region zwischen dem Campo dei Fiori und Como
Eine heilige Schutzpatronin für die Radsportler
Im morbid beschaulichen Ranco Valcuvia steigt die Straße sehr moderat zum Kreuzungspunkt San Francesco an. Neben der Ikone im Bildstock überrascht ein Monument gemischter Geistlichkeit und Velophilie. Die Madonnina del Brinzio wurde zur Schutzpatronin der Radler erkoren und als Bildstockkapelle mit Radsportgedenkmauer zur Madonnina dei Ciclisti getauft. Das Bildnis stammt von dem Künstler Franco Tardonato, das Original befindet sich in der Kirche von Rancio Valcuvia. Die Verbindung von regional weltlichen Vorlieben und religiösen Ikonen ist in Italien nicht selten. Da liegt die Verbindung zwischen Radsport und Religion nahe, zumal die Provinzen Varese und Como besonders tiefe Wurzeln zu dem italienischen Nationalsport haben.
Über Brinzio und den folgenden recht unauffälligen Passo della Motta Rossa führte nicht nur einmal der Giro d’Italia, sondern aus der Region Varese stammen auch zwei der bedeutendsten Radsportler aller Zeiten mit Luigi Ganna als erster Giro-Sieger überhaupt und Alfredo Binda, der den Giro fünfmal gewann und in einer Reihe mit Fausto Coppi oder Eddy Merckx steht. Binda stammte aus dem Ort Cittiglio und er begründete ein Frauenradrennen hier, das nach ihm benannt ist, wurde sogar später Bürgermeister des Ortes. Die anderen Radler auf den Blechquadraten des Monuments sind mehr oder weniger bekannte Rennradler aus ganz Italien. Im geschichtsträchtigen Brinzio stoße ich auf erneut auf Alfredo Binda und Luigi Ganna auf einem Fresko mit der Kirche von Brinzio, ferner Fausto Coppi, Gino Bartali und Ferdy Kübler, rückseitig zu einer Kapelle gemalt.
Zeiterfassung mit Cronoscalate Mondiali
Aus Anlass der Rad-WM 2008 in Varese initierten und entwickelten die betreffenden Regionen zusammen mit Förderern und der Ingenieursfakultät der Università LIUC Carlo Cattaneo in Castellanza ein modernes Zeiterfassungssytem unter dem Namen „Cronoscalate Mondiali“. Dazu stehen an den wichtigsten Anstiegen in der Varese-Region markant farbige Stelen am Straßenrand an den Fuß- und Hochpunkten der Anstiege. Die Säulen sind jeweils mit einer Antenne ausgestattet, die durch Photovoltaik energieautark arbeitet. Hobbyradler können einen Chip erwerben, der beim Vorbeifahren automatisch die Zeitnahme übernimmt und die Daten in ein Portal einspeist, wo jeder seine Leistung und Leistungsvergleiche mit anderen Hobbyradlern einsehen kann. Heute sind solche Systeme mit gängiger Elektronik für jeden unabhängig von solchen Säulen verfügbar, etwa mit dem System Strava – allerdings mit den Nachteilen von Social Media und denkbarer Datennachverfolgung durch Dritte. Ob das System Cronoscalate Mondiali noch intakt ist, konnte ich nicht herausfinden.
(Di, 22.6.) Brinzio // Exkursion Cascata del Pessegh (Fußweg) // – Passo della Motta Rossa (578 m) – Rasa di Varese – Campaccio – Fogliaro – Oronco – Sacro Monte di Varese (unterer Eingang) – Santa Maria del Monte/Sacro Monte (883 m) – Piazzale Belvedere Campo dei Fiori (1119 m) – Piste Richtung Forte Orino (nur Teilstück und retour) – Fogliaro – Varese – Robarello – Bregazzana – via Valganna – Grotte/Cascata della Valganna – Capella/Laghetto di San Gemolo (Ganna)
51 km | 1020 Hm
Das Tor zum Parco Regionale del Campo dei Fiori
Auch wenn hier nicht Bild an Bild hängt, lohnt ein Rundgang durch Brinzio mit seinen warmen Fassadenfarbtönen, den verschwiegenen Innenhöfen und einem antiquarischen Straßenpflaster. Nochmals zurück hinter die Ortseinfahrt, führt ein Weg hinunter zur Cascata del Pessegh, die vom Wald dicht verhangen ist. Zur anderen Seite des Ortes befindet sich ein kleines Anglerbiotop, das ich nach dem genüsslichen Abendessen in Locanda Il Borgo als Nachtlagerplatz nutzte.
In der Ferne zeichnet sich schon das Sendemastensemble vom karstigen Massiv Campo dei Fiori ab, welches namensgebend für den Naturpark mit Sitz in Brinzio ist. Nahezu flach verläuft die Reststrecke zum Passo della Motta Rossa, der nur von Varese aus eine etwas ernstere Auffahrt fordert. Bereits in Fogliaro bewegt man sich durch einen Vorort von Varese und mondäne Villen mit mediterranen Gärten schießen steil am Hang empor. Nicht immer ist zu erkennen, ob der Zahn der Zeit die architektonischen Präsentationshäusern bereits vermodern lässt, oder ob sie noch als exklusive Wohnstatt dienen.
Steiler heiliger Berg – gebüßt am Sacro Monte
Der nunmehr kräftige Anstieg führt zu einem der kuriosesten und imposantesten Wallfahrtstätten, dem Sacro Monte di Varese. Eingeleitet vom unteren Tor, reihen sich an einen steilen Weg mit grasdurchsetztem Kopfsteinpflaster 14 Kapellen im Stile eines Kreuzgangs, wobei jede Station für sich ein opulentes Bauwerk darstellt. Alle Kapellen gehen auf die Pläne des Architekten Giuseppe Bernascone zurück, nach denen die heiligen Tempel im Palladiostil im ersten Drittel des 17. Jahrhunderts gebaut wurden. Fresken und lebensgroße Skulpturen fügten zahlreiche Künstler im Innern hinzu, um dem Rosenkranzmysterium folgend die Lebensstationen von Jesus nachzuzeichnen.
Das religiös-kulturelle Erlebnis mit UNESCO-Weltkulturerbestatus durch die naturnahe Umgebung des Bergs hindurch wird von einem Nonnenkloster mit einer majestätisch, kunstvoll ausstaffierten Wallfahrtskirche in dem darum gebildeten Wallfahrtsort Santa Maria del Monte auf der Bergkuppe gekrönt. Als Radler darf man weder den Weg befahren, noch würde sich ein Normalradler solches Geläuf zur Buße antun, es sei denn, er ist dem Teufel verpflichtet. Ich beschränke mich so auf eine Besichtigung der unteren Gebäude. Die Straße taugt auch zu Buße und führt außen um den Berg rum, auf dessen Flanke noch eine Zahnradbahn Gäste zum Bergdorf bringt.
Ein Rundgang durch Santa Maria del Monte führt über steile Treppen, durch enge Gassen und dunkle Kellergewölbe. Moose überwuchern unverputzte Steinmauern, Ockerfassaden hängen wie leuchtende Tapetenwände in den Gassenfluchten, ornamentreiche Freskenmuster zieren den Dachsims, Murales erzählen von Südseeträumen à la Paul Gauguin oder Fensterfronten enttarnen sich als konturenreich gemalte Illusionen. Dazwischen legen sich bunte Blumengehänge, warme Laternenlampen erhellen die Kellergewölbe im Fackelschimmer. Das verschlungen pittoreske Ortsbild setzt einen weltlichen Kontrast zum päpstlichen Protz der Wallfahrtskirche, die im Innern eine geradezu verschwenderische goldene Aura verstrahlt.
Santa Maria del Monte ist nur ein Gipfelpunkt der Straße, für weitere und höhere Aussichtspunkte zweigt unterhalb des Ortes eine Straße westlich ab. Bereits höherliegend als der Wallfahrtsort zur Gegenseite, entwickelt sich ein Geflecht von Straßen und Wegen zu verschiedenen Panoramapunkten, Natursehenswürdigkeiten wie Höhlen und Felsen, einem Ausflugslokal, einer Seilbahnstationen, verschiedenen Sendemasten und einem Observatorium. Zum höchsten Punkt mit dem astronomischen Observatorium fährt man die weiteste Schleife nach Westen. Die Zufahrt endet jedoch meistens ca. 100 Hm unterhalb am Piazzale Belvedere Campo dei Fiori, weil ein Gitter dort die Weiterfahrt verhindert und die Öffnungszeiten nicht transparent sind. Von dieser Aussichtsplattform kann man weit rüber zum Lago di Varese und kleinerer Nachbarseen schauen. Ferner führt eine passable Höhenpiste weiter zur Ruine Forte Orino, eine Durchfahrt nach Orino dürfte aber ohne Mountainbike heikel sein. Diese Strecke, zudem als Fitnessparcours mit Übungsstationen ausgelegt, bin ich nur bis zu einem weiteren Panoramapunkt gefahren, ohne das Forte Orino zu erreichen.