Mascarpone im Glas mit Minzblättern
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JUR-2021-TdS-20
Basler Kirschen serviert auf Solothurner Tafeljura mit verlorenem Ende in Südbaden

(Mo, 2.8.) Waldenburg – Oberdorf/BL – Liedertswil – Sixfeld (677 m) – ? (748 m) – Titterten – Reigoldswil – Hof Gorisen – Eichenkeller (625 m) – Seewen/SO – Ziegelscheuer – Hochwald – Tüfletehöchi (660 m, Straße weiter nach Dornach gesperrt) – Hochwald – Gempen (703 m) – via Scharten(matt)weg (teils gute Piste) – Im Baumgarten/Husmatten – via Baumgartenweg – Stollenhäuser – via Basler Kirschland – Schönmatt (596 m/563 m) – Arlesheim – Basel – Kleinbasel – via Grenzacherstrasse – Grenzach – Whylen – via Ruschbachtal/Rudishausweg – Grenzstein 100/Crischonawegekreuz (495 m) – Rührberg – Inzlingen – Waidhof (455 m) – Lörrach – via Wiese-Radweg – Brombach – via Hüsingerstraße – Bühler Hütte

85 km | 1350 Hm

Seltsame Ortsnamen, Bildhauer und sterbende Cafés

Der liebliche nördliche Tafeljura mit sanften Hügeln weiß sich heute Morgen in seinem eigenen Charakter stimmungsvoll zu inszenieren. So kann ich mich an diesem Grün kaum sattsehen, immer wieder tauchen die Straßen in Talmulden mit ihren Dörfern ab, und streben zur anderen Seite wieder empor, um sich neue Rundumsichten zu gewinnen. Über den seltsamen Ortsnamen Titterten erfahre ich, dass er einerseits auf den galloromanischen/lateinischen Namen Titurius und anderseits auf die keltorömische Ortsnamenendung –„dunun“ für „befestigte Siedlung“, also „Die befestigte Siedlung des Titurius“.

Reigoldswil war der Heimatort des mittlerweile verstorbenen und international beachteten Bildhauers Jakob Probst (1880-1966), dem man nunmehr mit eine seiner Skulpturen auch im Dorfmittelpunkt würdigt, nachdem man sie lange am Rande mehr versteckt hatte. War sie zu nackt für die Landbevölkerung? In Seewen gibt es Gebäck aus einem Automatenladen, der Bäckereibetrieb wird nur noch stark eingeschränkt geführt und das Café hat die Betreiberin aus Kostengründen eingestellt. Die einfachen Dinge sind nicht mehr rentabel, Treffpunkte verschwinden.

Kirschenland, leider ohne Kirschen

Von Gempen gelange ich sehr verschlungen und wiederum regnerisch über den Schartenweg und partieller, sehr guter Piste ins Basler Kirschenland bei Schönmatt. Die Kirschen sind aber längst abgeerntet. Obwohl es meist Basler Kirschenland heißt, liegt das Gebiet weitgehend noch im Kanton Solothurn, der sich hier verwinkelt in den Kanton Basel-Landschaft hineinarbeitet. Fast zu schnell bewegen sich meine letzten Juraschwünge zu Tal, an Ziegen und Burg Birseck vorbei nach Arlesheim, wo es exklusive Schokoladenspezialitäten für Besserverdienende gibt.

Das Gefühl vom Ende der Reise, das sich in mir mit jedem Meter tiefer zunehmend ausbreitet, macht mir nun Angst. Kann das sein, muss das sein? Es könnte doch auch weitergehen. Ein kleiner Bogen nach Südost und ich wäre wieder im Mittelland, bald wieder im Zentrum des Landes. Sollte ich nicht gar dauerhaft in der Schweiz bleiben? Habe ich mich nicht vielleicht doch verliebt, schon längst und viel früher? Wo bleiben die Berge, der Rhein naht – das ist ja schon fast Niederlande und Nordsee. Ich denke zurück an den Oberalppass, den Alpenleuchtturm.

Basler Leckerli – Läckerli – Läggerli

Noch bis Basel droht das ungemütliche Wetter sich auszutoben. Erst dort heitert der Himmel auf und leitet noch ein sommerlichen Nachmittag bis in den Abend hinein ein. Da ich doch noch ein paar Fränkli habe, investiere ich in originale Basler Läckerli, so werden sie jedenfalls baslerisch meist geschrieben. Korrekt dudenkonform ist aber auch Leckerli, im ursprünglichen Dialekt hingegen eher „Läggerli“. Woanders würde man schlicht von Lebkuchen sprechen, eine intensivere, üppige Variante aus dem alten Kochbuch meiner Mutter nannte sich Zigeunerhappen. Das Buch würde allerdings heute bei den Zensoren von hyperaktiven Sprachpolizisten in Ungnade fallen.

Überwältigend bestaune ich das opulent malerisch gestaltete Basler Rathaus, welches ich erstmals so wahrnehme, obwohl ich doch schon einige Male die Stadt besucht hatte, sogar einmal dort nächtigte. Als schweizerische Kulturhauptstadt mit ca. 40 Museen ist Basel allerdings keine Stadt für durchreisende Radler. Im Idealfall hätte ich meine universitären Bankenrechtskenntnisse in der in Basel ansässigen Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) eingebracht, das oberste Kontrollorgan im weltweiten Zentralbanksystem. Aber hätte hätte Fahrradkette kam es natürlich ganz anders, obwohl einige meiner Prognosen für die Finanzmärkte traurige Wirklichkeit wurden und bis heute das System an nachhaltiger Transparenz leidet. Ich denke also eher in Basel an Bank als in Zürich, obwohl man in Basel wiederum zuerst an Pharma denken müsste, wenn es um Wirtschaft geht. Vielleicht wäre ich dann aber nie Reiseradler geworden – und das wäre ja noch tragischer gewesen.

Die Schweizer Grenze erreiche ich dann bereits zur rechten Rheinseite jenseits von Kleinbasel, wo es keine Grenzkontrollen gibt, obwohl eigentlich wieder verpflichtende Coronatests für Einreisende nur einen Tag zuvor beschlossen wurden. Ich hatte schon ein wenig befürchtet, dass ich Problme kriegen würde – zumal man in der Schweiz ohnehin kaum Coronatests kommen würde, wie schon früher auf der Resie in Locarno erfahren.

Ein etwas verlorenes, tropfendes Ende in Südbaden

Meine erste Menschenbegegnung in Deutschland ist gleich eine mit einem Radreisepaar, die es genau in die andere Richtung raus aus Deutschland und weit in die Welt zieht. Die zweite Begegnung ist dann gleich meckerndes Fußvolk, dass den Weg um einen Treffpunkt herum blockiert. Sie sind offenbar der Ansicht, dass ich mich in Luft auflösen müsse. Auch ein Gefühl, wieder in Deutschland zu sein. Gleich ein nächstes Radlerpaar treffe ich auf der Pistenwaldstrecke am Crischonawegekreuz, die wieder fröhlichen Esprit versprühen. Eben alles dabei. Die Strecke hier ist ein wenig rumpeliger als ich es gedacht hatte und die Zeitachse mal wieder arg zusammengeschrumpft. Mangels Proviant will ich einen Gasthof finden, doch ist die Umgebung erstaunlich verlassen. Trotz nettem Örtchen mit Wasserschloss gibt es auch in Inzlingen keine geöffnete Gaststätte.

Ich nehme eher etwas ungewollt daher Kurs auf Lörrach, um dort bei einem Italiener Penne Arrabiata mit Roséwein zu genießen. Mittlerweile etwas ungewohnt, bleibe ich unter 20 Euro – es ist eben nicht mehr Schweiz. Der Gästeandrang scheint aber Corona-bedingt immer noch schleppend zu sein, wie mir der Wirt klagend vermittelt. Irgendwie scheint mir das Land unglücklicher, gedrückter zu sein als die südlichen Nachbarn. Wenn man lange aus dem Land raus war, merkt man umso deutlicher, welche Seele das Heimatland hat. Die Seele kränkelt in Deutschland immer etwas mehr als es einer befreiten Lebenslust angemessen wäre.

Die Ausfahrt Lörrach hat ihre Tücken, zumal man zwischen Dunkelheit und blendendem Licht sich nur schwer orientieren kann. Straßen und Schilder zeugen von leibeigenhafter Abhängigkeit vom Auto, gesperrte Lokalstraßen für Radler. Die Mär von der notwendigen Verkehrswende ist eben nicht mehr als eine Placebo-Erzählung für das Gewissen derer, die nichts ändern wollen. Auch meine ausgewählte Strecke nach Hüsingen ist nur schwer zu finden, eine Ausschilderung suche ich vergeblich und Menschen scheinen trotz der vielen Häuser wie von der Dunkelheit verschluckt. Der Berganstieg ist dann weniger steil als erwartet und ich erreiche zwar spät, aber immerhin noch die erwartete Grillhütte mit ausreichend Platz zum Schlafen, sogar ohne Zelt. Dort glüht seltsamerweise unbeaufsichtigt noch ein Grillfeuer, was mich etwas zum Feuerspielen verleitet. Wenn man so will, das letzte glühende Ereignis der Reise.

(Di, 3.8.) Bühler Hütte – Grubrain (429 m) – Hüsingen – Steinen – Hägelberg – via Pfaffenkopfhaldenweg – Saatschulhütte – via Mittlerer Hauptweg – Nasse Küche/Karl-Schleith-Hütte (569 m) – via Oberer Schlangengraben – Scheideck (541 m) – Kandern – Riedlingen – Liel – Schliengen – Müllheim Bhf. 18:22 h || per Bahn || 21:31 h Karlsruhe-Grötzingen

42 km | 560 Hm

Der sonnige Tagesausklang des Vortags ließ mich in eine falsche Hoffnung träumen, es könne doch nochmal einen leichten Sommer geben. Die Pläne für größere Schwarzwaldhöhen verschwimmen schon bald in weiteren Regenfronten, die das Land überzieht. Schon in Hägelberg mache ich die erste Zwangspause. Die fortlaufende Waldpistentour bleibt unter dem dichten Blattwerk zwar halbwegs erträglich, jedoch ist der Schotter so rumpelig, dass ich trotz der verträumten Waldstimmungen nicht in einen Freudenmodus komme. Es fällt mir schwer, mich bei den immer wieder kreuzenden und verwirrenden Wegenamen den Kurs zu halten, fahre eine Strecke gar im Kreis herum. In Kandern fühle ich mich dann doch sehr pudelnass und platt. Noch einmal möchte ich die dunkler werdenden Wolkenzüge umdeuten, doch ernüchtert mich der Abgleich mit den Wetterprognosen im Web. Der Regensommer geht in die Verlängerung und zwar nicht nur heute. Grund genug, meine Tour de Suisse nicht in das badische Land hinein zu verlängern. Es wird dann doch ein „end in the rain“.

Auf die Schnelle versuche ich ein befreundetes Radlerpaar bei Karlsruhe zu erreichen, ob ich vorbeischauen könne. So würde ich die Zugfahrt nach Hause nochmal unterbrechen. Das Treffen gelingt tatsächlich und wir teilen so noch einen schönen Abend. Kaum hatte ich den Zug im badischen Weinbaugebiet des Markgräflerlandes mit einem noch schnell erworbenen trockenen Rotwein aus der Auggener Winzergossenschaft betreten, schüttet es im ganzen Oberrheintal wie zu Zeiten der x-ten Sintflut. Am nächsten Tag ist das Wetter immerhin trocken genug, um eine Radfahrt nach Hause zu wagen (Karlsruhe-Grötzingen – Stuttgart, 102 km, 1530 Hm). Das sei hier aber nur eine Randbemerkung (auch hier nicht in der Statistik enthalten), inhaltlich und gedanklich hatte ich meine außergewöhnliche Tour de Suisse schon abgeschlossen.

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