Anlegesteg mit regenrpmatischem Walensee, leicht stilisiert
Alpen,  Ostschweiz,  Schweiz,  Touren

ALP-2020-RA-1
Seeschönheiten, Wasserfallgiganten, Felsenbad, verschobene Berge und Almen über Vater Rhein: Im Glarner Alpenblick

Almen über Vater Rhein – poetische Heimat-Verbindungen

Fast fühle ich mich in der Talsohle in einer anderen Welt. Über ein paar grüne Bergwiesen ist man flugs in den Armen des beschaulichen Dorfes Tamins, dass entgegen meiner Vermutung noch nicht am Rhein liegt. Brunnen, Bänke und der Dorfladen werden von Radlern aller Couleur belagert, denn Mountainbiker und Rennradler finden gleichen Spaß an dem Pass. Dazu stoßen hier noch die Alpenrheinfahrer hinzu, um weiter zur Via Mala oder der Rheinschlucht beim Flimser Bergsturz zu fahren.

Türkisfarbene Rheinverzweigung Hint-/Vorderrhein mit Eisenbahnbrücke in Reichenau
Die rheinische Trinität von Reichenau: Aus Hinter- und Vorderrhein wird der romantische Mythos Vater Rhein
Türkisfarbene Rheinaue mit Sanddünen hinter Birkenwald

Der schnelle Fall vom Kunkelspass an den Rhein treibt die Tageshitze unter die Haut. So nehme ich noch ein Bad am Rheinzusammenfluss – ein Wiegen-Rheinländer muss das Bad in Vater Rhein nehmen, wo es Bünde schwürt! Die Rheinromantik vereint sich hier aus Alpenversen zum Buch der Lieder, die abwärts tragen zur Loreley, zu Rolands Sagen, zu Hölderlin und Heine, Wagners Rheingold und Schumanns Rheinsinfonik. Etwas verwirrt ob der Brücken, Bahntrassen und Straßen, ende ich bald auf einem unfahrbaren Trail an der Rheinaue mit lieblichen Badeplätzen mit Alpenflussblau. Nur zur Hauptstraße gelangt man nach Bonaduz. Hat mich ein Rheinfee in die Irre geführt?

Friedrich Hölderlin, Porträtzeichnung von Franz Karl Hiemer, 1792

Jezt aber, drinn im Gebirg,
Tief unter den silbernen Gipeln,
Und unter fröhlichem Grün,
Wo die Wälder schauernd zu ihm,
Und der Felsen Häupter übereinander
Hinabschaun, taglang, dort
Im kältesten Abgrund hört’
Ich um Erlösung jammern
Den Jüngling, es hörten ihn, wie er tobt’,
Und die Mutter Erd’ anklagt’,
Und den Donnerer, der ihn gezeuget,
Erbarmend die Eltern, doch
Die Sterblichen flohn von dem Ort,
Denn furchtbar war, da lichtlos er
In den Fesseln sich wälzte,
Das Rasen des Halbgotts.

aus „Der Rhein“, Hymne von Friedrich Hölderlin, Porträtzeichnung von Franz Karl Hiemer, 1792

Scardanelli – Spuren eines schwäbischen Dichters

Nahaufnahme Holzbrunnen vor Bergwiese mit Hütten nebst Straße
Felstunnel mit Reisevelo

Von der geradewegs nach Versam führenden Straße gibt es bald einen Abzweig nach Scardanal. Die Anfahrt deckt sich bis Sigl Ault mit der ins Safiental (Rabiousa-Schlucht), sofern man dort die östliche Pistenvariante fahren möchte. Scardanal liegt wiederum als Abzweig etwas abseits der Route zur Alp Il Bot. Fährt man zuunterst noch eher eine bescheidenen Waldpassage, leuchten ab Sigl Ault Bergwiesen mit lockerem Lärchenwuchs. Am Rande verlocken die Früchte der Walderdbeeren. Der Asphalt endet bei einem Felstunnel oberhalb des Scardanal-Abzweigs, kehrt aber kurz bei der Alp Il Bot zurück.

Piste mit lichtem Lärchenhain

Die Alp Il Bot, auch Bonaduzer Alp genannt, wird ausschließlich von Zeitkräften betrieben, die sonst andere Berufe oder Ausbildungen verfolgen. Deswegen wird man immer wieder anderes Personal antreffen, meist junge Leute, keine alteingesessenen Bergbauern. Zwar kann man eine Jause erhalten, übernachten ist aber nicht möglich. Mein Zeitplan ist nun so verrutscht, dass diese Alm das einzige Ziel noch sein konnte. Werde ich einen Platz in den Steillagen finden?

Blick auf Flimser Bergsturz und Versam

Der Flimser Bergsturz erschütterte das Vordrheintal vor knapp 9500 Jahren, welches seitdem durch die wildromantische Ruinalta führt. Die rutschende Felsmasse umfasste vermutlich das Volumen des Vierwaldstätter Sees. Der alpengrößte Bergsturz aller Zeiten veränderte die Landschaft mit neuen Hügeln, Seen und Schluchten nachhaltig.

Der Bergweiler Scardanal, so erfahre ich am nächsten Morgen von einem speziellen Gast und Autor auf der Alp Il Bot, ist mit dem Dichter Friedrich Hölderlin verbunden, der sich später im Leben Scardanelli nannte. Hölderlins Beziehung zu Scardanal ist umstritten. Zwar ist ein Schweizaufenthalt verbrieft, poetisch in der Rheinhymne aufgesogen, der Verlauf der Reise aber nicht allen Teilen belegbar. Hölderlin, so ist überliefert, wurde im Bereich der Rheinschlucht unterhalb von Scardanal ausgeraubt und niedergeschlagen und beendete seine beabsichtige Europareise nach Griechenland frühzeitig. Trotzdem könnte es nur ein Zufall sein. Es gibt kaum ein Name, der so viele wissenschaftliche Interpretationen aufgeworfen hat, wie Scardanelli aus dem Geist eines dem Wahnsinn verfallenen Dichters. Den deutschen Autor mit Begleiterin, den ich auf der Alm treffe, sucht dort nach Spuren Hölderlins, wobei ihn die politischen Ideen in Hölderlins Denken interessieren, welche er in einem Buch verfassen möchte.

Alm Il Bot mit Brunnen
Erste Alm zur Einkehr über der Rheinverzweigung: Alp Il Bot

Glücklicherweise erhalte ich auf der Alm noch ein Jausenbrett mit Rauchfleisch, Schinken und Käse, das ich wegen des kalten Windes auch in der ofengeheizten Stube mit den zeitweiligen Almbauern und dem deutschen Gästepaar verspeisen darf. Obwohl durch meine lange Zeit als Grenzbewohner und zeitweiser Arbeit in der Schweiz eigentlich gut an das Schwyzerdütsch gewöhnt, verstehe ich an diesem Abend nicht einmal die Hälfte der Gespräche. Ich fühle mich selten fremd. Für die Nacht kann ich das Zelt hinter der Stallung aufstellen, umliegend gibt es nur hangschräge Wiesen und Weiden. Von der Alm schaut man in beide Rheintäler und das Safiental.

So 19.7. Alp Il Bot – via Almpiste – Alp Sura (1760 m) – via Trailpiste – Sella Sura (1600 m)/Abzweig Alp Sut (Rhäzüns) – via Wiesentrail (kurz) – Almhütte (1629 m) – via Almstraßen/-pisten (Route Il Bot) –  Abzweig Präz (1603 m) – Abzweig Pro da l’Alp  (1802 m, Parsiras) – BGH Dultschinas – Abzweig Putschels  (1672 m) – BGH Parsiras (1834 m) – via Piste/Straße – Abzweig Under Raschiens (1755 m) – via Almstraße – Ober Raschiens – via Almpiste – Alp Lüsch – Bicholapass (1999 m, Bicholasee/Pascuminersee) – Under Raschiens – Abzweig Obergmeind (1710 m) – via Almpiste – Obergmeind (1812 m) – via Straße – Abzweig Glaspassstraße (1722 m) – Glaspass (1846 m) – Tschappina – Flerden – Masein – Thusis – via Radweg – Comparduns (663 m) – Sils im Domleschg – Soliser Viadukt – Tiefencastel (890 m, Camping)

64 km | 1630 Hm

Weitblick über Bergweide, geschlängelte Piste, Glarner Alpenkette

Multiple Almrochade für Fortgeschrittene

Unmittelbar nach der Bonaduzer Alp beginnt Schotterpiste, steil, aber recht gut fahrbar. Weiter oben wellt sich ein Hochplateau Richtung Alp Sura, die keinen Gastbetrieb führt. Bei zunehmend kruder Wegbeschaffenheit schlängle ich mich durch überhängende Gräser, Bergblumen und sogar einen Felstunnel moderat hinunter. Während bei der Alp Sut ein guter Fahrweg abwärts nach Rhäzüns verläuft, entwickelt sich mein Weg zu einem Wiesentrail. Eine unübersichtliche Biegung bringt kurz meinen inneren Kompass durcheinander. Doch zerstreuen sich die Zweifel bald bei einer unbewohnten Hütte. Es wechseln weiter Asphalt und Schotter, Auf und Ab. Die Ausschilderung ist nicht immer gelungen. Die Straße erreicht bald Almwiesen, wo gerade das Heu gewendet wird. Mehr und mehr Berghäuser verteilen sich in einer weiten Hangmulde, in denen mehr Feriengäste oder Wochenendbesucher verweilen als Bergbauern. Erneut fällt die Straße zum Berggasthof Dultschinas ab, um gleich wieder zur Alternative Parsiras aufzusteigen, nun die steilste Passage der gesamten Almroute. Ein paar Meter muss ich gar schieben.

Es folgen weitere Wechsel von Schotter ab, Asphalt auf und schließlich final Schotter auf zur Alp Lüsch. Unmittelbar bei der Alp Lüsch leitet eine Piste nun weicher und leicht wellig zum kaum höheren Bicholapass. Ganz einsam ist es aber nicht, denn der Pascuminersee wird gerne als Höhenbadesee genutzt. Es gibt letztlich drei kleine Seen, von denen der Pascuminersee der größte ist und leicht unterhalb vom Pass, während etwas weiter vom Pass entfernt auch noch die bewirtete Alp Bichola Wanderer empfängt.

Mit Velo muss ich noch über die identische Strecke hinaus runter, um auf den moderaten Pistenweg nach Obergmeind einzubiegen. Von dem Weiler mit Lift, Gasthöfen und Skibar geht es nochmals bergab zum oberen Teil der Glaspassstraße. Eine Erholung ist die Straße durch dunklen Nadelwald nicht, weil auch recht steil. Der Andrang von Wanderern auf die Passhöhe ist recht groß, Parkplätze wie Postbus werden gut genutzt. Zur Höhe zieht sich der befestigte Teil noch als langezogene Bergpromenade mit ein paar Almhäusern, endet aber irgendwann im Nichts. Will man ins unten liegende Safiental, gibt es nur steile Trails. Zum Rheintal schieße ich schließlich die Glaspassstraße schnell hinunter. Heimelige Berghäuser zieren die Dörfer an weit ausholenden Kurven.

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